Kostenerstattung für ein privatärztlich verordnetes Arzneimittel Fampyra
Verbesserung der Gehfähigkeit bei Multipler Sklerose
Anspruch auf Versorgung mit einem Arzneimittel im Off-Label-Use
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger, der als Parkettleger tätig ist, leidet an Adrenomyeloneuropathie (AMN),
einer milden Form der Stoffwechselerkrankung Adrenoleukodystrophie (ALD), die progredient verläuft und für die es keine kausale
kurative Behandlung gibt. Die Erkrankung beeinträchtigt ua seine Gehfähigkeit. Die Leitende Oberärztin S des Universitätsklinikums
T befürwortete die Behandlung mit dem zur Verbesserung der Gehfähigkeit bei Multipler Sklerose zugelassenen Fertigarzneimittel
Fampyra, das in Einzelfällen positive Effekte gezeigt habe. Der Kläger ist mit seinem Begehren, ihm die Kosten für das privatärztlich
verordnete Arzneimittel Fampyra seit dem 26.9.2017 zu erstatten und ihn zukünftig mit diesem Arzneimittel zu versorgen, bei
der Beklagten und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung - auch unter Bezugnahme auf die Gründe
des SG-Urteils - insbesondere ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel habe und daher auch
ein Kostenerstattungsanspruch ausgeschlossen sei. Die Voraussetzungen eines Off-Label-Use seien nicht erfüllt. Weder die Voraussetzungen
des §
35c Abs
1 SGB V noch die des §
35c Abs
2 SGB V lägen vor. Eine Versorgung mit dem Arzneimittel Fampyra im Off-Label-Use könne der Kläger auch nicht nach den Grundsätzen
der Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf BSG vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - BSGE 122, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 28) beanspruchen. Aufgrund der Datenlage bestehe nicht die begründete Aussicht, dass mit dem Präparat ein kurativer oder palliativer
Behandlungserfolg erzielt werden könne. Mangels Umständen, die eine notstandsähnliche Situation begründen würden, seien auch
die Voraussetzungen des §
2 Abs
1a SGB V nicht erfüllt. Schließlich könne der Kläger die begehrte Versorgung auch nicht nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen eines Seltenheitsfalls beanspruchen (Hinweis ua auf BSG vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R - BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1; BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 20/10 R - BSGE 109, 218 = SozR 4-2500 § 31 Nr 20). Denn trotz ihres seltenen Vorkommens werde die ALD wissenschaftlich intensiv erforscht (Urteil vom 5.11.2020).
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 3
SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 Satz 3
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung
(dazu 1.) und des Verfahrensmangels (dazu 2.).
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig
(entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 14/19 B - juris RdNr 4 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 f mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.
Der Kläger formuliert sinngemäß als Rechtsfrage,
ob Patienten, die unter einer schwerwiegenden Erkrankung leiden, für die keine andere Therapie verfügbar ist, von der gesetzlichen
Krankenversicherung im Off-Label-Use ein für diese Erkrankung nicht zugelassenes Arzneimittel beanspruchen können, wenn auf
Grund der Datenlage zum Zeitpunkt der Behandlung Gründe für die Aussicht bestanden haben und bestehen, dass mit dem Wirkstoff
ein kurativer Behandlungserfolg erzielt werden kann.
a) Er legt bereits die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage nicht dar. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig,
wenn sie bereits höchstrichterlich entschieden ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage
nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das
Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG vom 22.2.2017 - B 1 KR 73/16 B - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit eines entsprechenden Maßstabs BVerfG <Kammer> vom 12.9.1991
- 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f = juris RdNr 4). Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann wieder klärungsbedürftig werden, wenn
der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen
vorgebracht werden, was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist (vgl zB BSG vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32; BSG vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - juris RdNr 7). Erneute Klärungsbedürftigkeit ist darüber hinaus auch gegeben, wenn neue erhebliche Gesichtspunkte gegen die bisherige Rechtsprechung
vorgebracht werden, die zu einer über die bisherige Erörterung hinausgehenden Betrachtung der aufgeworfenen Fragestellung
führen können und die Möglichkeit einer anderweitigen Entscheidung nicht offensichtlich ausschließen (vgl BSG vom 30.9.1992 - 11 BAr 47/92 - SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2; BSG vom 11.2.2020 - B 10 EG 14/19 B - juris RdNr 6, jeweils mwN). Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht.
Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats haben Versicherte nach allgemeinen Grundsätzen Anspruch auf Versorgung
mit einem vertragsärztlich verordneten verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel als Krankenbehandlung (§
27 Abs
1 Satz 2 Nr
3 Fall 1 iVm §
31 Abs
1 Satz 1
SGB V), wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden
zu lindern. Hierzu muss grundsätzlich eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet bestehen, in dem es
angewendet werden soll (vgl nur BSG vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - BSGE 122, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 28, RdNr 11 mwN). Ohne die arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt es an der krankenversicherungsrechtlichen Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit
einer Pharmakotherapie (vgl nur BSG vom 4.4.2006 - B 1 KR 12/04 R - BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 22 mwN). Diese Anknüpfung ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl BVerfG vom 5.3.1997 - 1 BvR 1071/95 - NJW 1997, 3085). Ausnahmsweise besteht aber ein Anspruch auf Versorgung mit einem Arzneimittel in einem Anwendungsgebiet, auf das sich die
Zulassung nicht erstreckt, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität
auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund
der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ)
erzielt werden kann. Dies kann nur angenommen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und
die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind
und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder
außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse von gleicher Qualität veröffentlicht sind. Abzustellen ist auf
die im jeweiligen Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (vgl nur BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 9/18 R - BSGE 130, 200 = SozR 4-2500 § 13 Nr 53, RdNr 33 f mwN).
Mit dieser Rechtsprechung setzt sich der Kläger nicht auseinander. Er geht nicht darauf ein, weshalb die aufgeworfene Frage
vor dem Hintergrund der dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht bereits beantwortet worden ist.
b) Im Übrigen legt der Kläger auch die Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage nicht dar. Insoweit wäre darzustellen gewesen, dass
das BSG im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt über die aufgeworfene Frage entscheiden müsste, die Frage also entscheidungserheblich
ist (vgl BSG vom 13.1.2017 - B 12 R 23/16 B - juris RdNr 20; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14 = juris RdNr 8). Die Beschwerdebegründung setzt sich nicht hinreichend damit auseinander, dass das LSG einen Anspruch auf Versorgung mit
dem Arzneimittel Fampyra im Off-Label-Use daran scheitern lässt, weil aufgrund der Datenlage keine begründete Aussicht bestehe,
hiermit einen kurativen oder palliativen Behandlungserfolg zu erzielen. Diese Feststellungen hat der Kläger nicht mit einer
zulässigen Verfahrensrüge angegriffen (dazu 2.). Der Kläger legt nicht dar, weshalb es auf die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage vor diesem Hintergrund überhaupt
noch ankommen soll.
2. Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §
109 SGG und §
128 Abs
1 Satz 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet
werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36 mwN; BSG vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN). Daran fehlt es.
Die Anforderungen an die Darlegung der gerügten Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach §
103 SGG sind schon deshalb nicht erfüllt, weil der Kläger keinen ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnet (stRspr; vgl zB BSG vom 20.7.2010 - B 1 KR 29/10 B - RdNr 5 mwN; BSG vom 1.3.2011 - B 1 KR 112/10 B - juris RdNr 3 mwN; BSG vom 14.10.2016 - B 1 KR 59/16 B - juris RdNr 5). Ein solcher ergibt sich auch weder aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 5.11.2020 noch wird ein solcher Antrag
im angegriffenen LSG-Urteil wiedergegeben.
3. Soweit der Kläger im Übrigen darzulegen versucht, dass das LSG im Hinblick auf die aufgeworfene Rechtsfrage aus seiner
Sicht anders hätte entscheiden müssen, behauptet er lediglich eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das LSG, die nicht zur
Zulassung der Revision führt. Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig
entschieden hat (vgl nur BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7).
4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.