Krankenversicherung
Grundsatzrüge
Klärungsbedürftige Rechtsfrage
Bereits geklärte Rechtsfrage
Erneute Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren
und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und
über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist.
2. Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage fehlt, wenn ihre Beantwortung nach der dazu ergangenen höchstrichterlichen
Rechtsprechung keinem vernünftigen Zweifel unterliegt, die Frage also "geklärt" ist.
3. Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann zwar dennoch (erneut) klärungsbedürftig
sein, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige
Einwendungen vorgebracht werden.
4. Dies ist jedoch im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen.
Gründe:
I
Die Beklagte, Trägerin eines für die Behandlung Versicherter zugelassenen Krankenhauses, behandelte den bei der klagenden
Krankenkasse (KK) versicherten S (im Folgenden: Versicherter) stationär vom 24.5. bis 27.7.2007, zeitweise auf der Intensivstation.
Die Beklagte kodierte ua den Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) 8-980 (Intensivmedizinische Komplexbehandlung [Basisprozedur])
nach dem 2007 geltenden OPS und berechnete 51 870,99 Euro (Fallpauschale - Diagnosis Related Group 2007 [DRG] B36A). Die Klägerin
bezahlte den Betrag, machte aber eine Erstattung in Höhe von 12 578,92 Euro geltend: Bei einer Begehung der Intensivstation
(14.1.2010) sei der Medizinische Dienst der Krankenversicherung zu dem Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen für die
Abrechnung des OPS-Codes 8-980 nicht erfüllt seien. Eine ständige ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation sei nicht
in allen Fällen gewährleistet. Das SG hat die Beklagte zur Zahlung der Erstattung nebst Zinsen verurteilt (Urteil vom 10.11.2014). Das LSG hat die Berufung der
Beklagten zurückgewiesen: Die Beklagte habe den Nacht- und Wochenenddienst dergestalt organisiert, dass der diensthabende
Anästhesist der Intensivstation bei einem entsprechenden Notfall bis zum Eintreffen des Hintergrunddienstes planmäßig in der
Notaufnahme tätig werde. Damit seien die Voraussetzungen für die Abrechnung einer intensivmedizinischen Komplexbehandlung
nicht erfüllt (Urteil vom 8.12.2016).
Die Beklagte wendet sich mit ihrer dagegen eingelegten Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde der Beklagten ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 S 3
SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 S 3
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe des Verfahrensfehlers (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) und der grundsätzlichen Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG).
1. Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §
109 SGG und §
128 Abs
1 S 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet
werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36).
a) Soweit die Beklagte einen Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§
103 SGG) rügt, legt sie diesen nicht in der gebotenen Weise dar. Sie bezeichnet schon keinen Beweisantrag, den sie gestellt und bis
zur Entscheidung des LSG aufrecht erhalten habe (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 20 f; Nr 29 S 49; Nr 31 S 51 f; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN).
b) Wer - wie hier die Beklagte - die Verletzung des rechtlichen Gehörs (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG, Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der EU, Art 6 Abs 1 EMRK) rügt, muss ausführen, welchen erheblichen Vortrag das Gericht bei seiner Entscheidung nicht zur Kenntnis genommen hat, welches
Vorbringen des Rechtsuchenden dadurch verhindert worden ist und inwiefern das Urteil auf diesem Sachverhalt beruht (vgl zB
BSG SozR 1500 § 160a Nr 36; BSG Beschluss vom 10.3.2011 - B 1 KR 134/10 B - Juris RdNr 6 mwN). Daran fehlt es.
Die Beklagte macht geltend, das LSG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es sich nicht mit ihrem
Vortrag betreffend den Notfalleinsatz des Arztes der Intensivstation in ihren Schriftsätzen vom 3.3.2016 (S 1 und 2) und vom
29.4.2016 (S 2) sowie mit dem von ihr hierzu in der mündlichen Verhandlung vom 8.12.2016 zu Protokoll Erklärten auseinandergesetzt
habe. Das LSG habe unberücksichtigt gelassen, dass die Notfallversorgung durch den auf der Intensivstation diensthabenden
Anästhesisten nur in absoluten Ausnahmefällen zum Tragen komme. Das Vorbringen der Beklagten, dass wenn tatsächlich bei Notfällen
ein Anästhesist gebraucht werde, der sogenannte Hintergrunddienst informiert und der Anästhesist von der Intensivstation in
der Regel nicht benötigt werde, habe das LSG nicht in seine Feststellungen mit einbezogen. Die Beklagte legt aber schon nicht
dar, wieso das LSG den Beklagtenvortrag nicht im Tatbestand durch die Worte zur Kenntnis genommen hat: "Denn die Einsätze
des diensttuenden Arztes auf der Intensivstation erfolgten nur dann im Bereich der Notaufnahme, wenn dies bis zum Eintreffen
des sog. Hintergrunddienstes notwendig sei. Der diensttuende Anästhesist müsse sich dann aber nur wenige Minuten mit dem Notfallpatienten
beschäftigen. Dies sei nur im Nachtdienst oder am Wochenende der Fall, da ansonsten schon ein weiterer Anästhesist vor Ort
sei. Nach Ansicht der Beklagten stehe es dem Krankenhausträger frei, wie er sich organisiert und sicherstellt, dass der Anästhesist
nur in äußerst seltenen Notfällen die Intensivstation verlassen muss."
Die Beklagte legt auch keine Verletzung ihres Gehörs damit dar, dass das LSG entgegen ihrem Vortrag in den genannten Schriftsätzen
und in der mündlichen Verhandlung fälschlicherweise ohne weitere Tatsachenermittlungen davon ausgegangen sei, dass der auf
der Intensivstation tätige Anästhesist planmäßig in der Notfallaufnahme tätig werden müsse. Die Beklagte kann die Anforderungen
an eine ordnungsgemäße Sachaufklärungsrüge nicht dadurch umgehen, dass sie den Vorhalt unzureichender Sachaufklärung in der
Gestalt einer Gehörsrüge geltend macht (stRspr, vgl zB BSG Beschluss vom 25.4.2006 - B 1 KR 97/05 B - Juris RdNr 6 mwN). Denn Voraussetzung für den Erfolg einer Rüge eines Gehörsverstoßes ist es ua, dass der Beschwerdeführer
darlegt, seinerseits alles ihm Zumutbare getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 13 RdNr 6 mwN). Dies bedingt die - von der Beklagten nicht dargelegte - Stellung und Aufrechterhaltung eines Beweisantrags
bis zur Entscheidung des LSG (vgl BSG Beschluss vom 16.8.2017 - B 1 KR 2/17 B - Juris RdNr 10). Im Kern wendet sich die Beklagte dagegen, dass das LSG den Einsatz des auf der Intensivstation diensthabenden
Anästhesisten in der Notfallaufnahme, wie er 2007 bei der Beklagten praktiziert wurde, als planmäßig und damit die Voraussetzung
der Gewährleistung einer ständigen ärztlichen Anwesenheit auf der Intensivstation des OPS-Codes 8-980 als nicht erfüllt gewürdigt
hat. Damit greift sie jedoch die Beweiswürdigung und die Richtigkeit der Entscheidung im Einzelfall an. Dies ist nicht Gegenstand
einer Nichtzulassungsbeschwerde.
2. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich
sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Die Beklagte richtet ihr Vorbringen hieran nicht aus.
Die Beklagte formuliert als Rechtsfrage:
"Ist die ständige ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation beim OPS-Kode 8-980 gewährleistet, wenn der diensthabende
Anästhesist auf der Intensivstation im Nachtdienst und/oder am Wochenende kurzzeitig (10-15 Minuten) zu einem Notfalleinsatz
in der Notaufnahme des Krankenhauses bis zum Eintreffen des anästhesiologischen Hintergrunddienstes für die Notaufnahme hinzugezogen
wird?"
Die Beklagte zeigt schon den Klärungsbedarf der Rechtsfrage nicht hinreichend auf. Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage
fehlt, wenn ihre Beantwortung nach der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung keinem vernünftigen Zweifel unterliegt,
die Frage also "geklärt" ist (vgl zB BSG Beschluss vom 21.10.2010 - B 1 KR 96/10 B - RdNr 7 mwN). Die Beklagte hätte sich deshalb in der Beschwerdebegründung näher damit auseinandersetzen müssen, wieso in
Würdigung der ergangenen höchstrichterlichen Rspr noch Klärungsbedarf verblieben ist. Die Beschwerdebegründung genügt diesen
Anforderungen nicht. Sie setzt sich nicht damit auseinander, dass die Rspr des BSG eine Gewährleistung der ständigen ärztlichen Anwesenheit, wie sie der OPS-Code 8-980 voraussetzt, nur bei einem planmäßigen
Bereitschaftsdienst der Stufe D ausschließlich für die Intensivstation als gegeben ansieht (BSG SozR 4-5562 § 7 Nr 4 RdNr 18). Die Beklagte legt nicht dar, weshalb angesichts dieser Ausführungen noch klärungsbedürftig ist, dass der grundsätzlich
vorhersehbare kurzzeitige Einsatz des für die Intensivstation diensthabenden Anästhesisten zur Nachtzeit und an Wochenenden
zusätzlich in der Notaufnahme bis zum Eintreffen des anästhesiologischen Hintergrunddienstes dem Erfordernis "ständiger ärztlicher
Anwesenheit" nicht genügt.
Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann zwar dennoch (erneut) klärungsbedürftig
sein, wenn der Rspr in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen
vorgebracht werden (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 S 19 mwN; BSG Beschluss vom 27.1.2012 - B 1 KR 47/11 B - Juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 5.2.2013 - B 1 KR 72/12 B - RdNr 7). Dies ist jedoch im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen (vgl zB BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 7; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 5). Daran fehlt es.
3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 S 1 Teils 3
SGG iVm §
154 Abs
2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf §
197a Abs
1 S 1 Teils 1
SGG iVm §
63 Abs
2 S 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.