Kostenerstattung der vollstationären Behandlung eines Versicherten
Eigenständiges Krankheitsbild im Sinne der ICD 10
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Die klagende Krankenkasse (KK) verlangt vom beklagten Krankenhaus Erstattung der für die vollstationäre Behandlung einer Versicherten
im Jahr 2007 gezahlten 84.297 Euro nebst Zinsen. Das SG hat ihre Klage abgewiesen. Mit ihrer Berufung hatte die Klägerin Erfolg. Das LSG hat zur Begründung seiner ohne mündliche
Verhandlung ergangenen Entscheidung ausgeführt: Als Hauptdiagnose für die vollstationäre Krankenhausbehandlung der Versicherten
sei nach dem 2007 geltenden ICD-10-GM - anstelle der durch das Krankenhaus kodierten Diagnose J96.1 (chronische respiratorische
Insuffizienz, andernorts nicht klassifiziert) - die Diagnose I61.0 (intrazerebrale Blutung Großhirnhemisphäre, subkortikal)
zu kodieren. Hierdurch ergebe sich ein um 84.297 Euro verminderter Rechnungsbetrag (auf Basis der Fallpauschale <DRG> B43Z
anstelle der vom Krankenhaus zunächst der Rechnung zugrunde gelegten, entsprechend höher vergüteten - DRG A06B). Die respiratorische
Insuffizienz sei in diesem konkreten Einzelfall nur ein (Begleit-)Symptom der intrazerebralen Blutung und deshalb nach der
2007 maßgeblichen Deutschen Kodierrichtlinie (DKR) D002f nicht als Hauptdiagnose anzusetzen gewesen (Urteil vom 24.10.2019).
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 3
SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 Satz 3
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung
(dazu 1.) und des Verfahrensmangels (dazu 2.).
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig
(entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 14/19 B - juris RdNr 4 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 f mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.
Die Beklagte formuliert als Rechtsfrage:
"Kommt es darauf an, ob die bestehende chronisch-respiratorische Insuffizienz als ein Symptom im Sinne einer bestehenden Grunderkrankung
- Hirnblutung - zu werten war oder muss darauf abgestellt werden, dass es sich um ein eigenständiges Krankheitsbild im Sinne
der ICD 10 handelt?"
a) Soweit man die Frage von dem vom LSG entschiedenen konkreten Sachverhalt abstrahiert, erfüllt sie nicht die Anforderungen
an eine klar formulierte Rechtsfrage. Denn die Konkretisierung setzt regelmäßig voraus, dass die Rechtsfrage mit "Ja" oder
"Nein" beantwortet werden kann; das schließt nicht aus, dass eine Frage gestellt wird, die je nach den formulierten Voraussetzungen
mehrere Antworten zulässt. Unzulässig ist jedoch eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalles
abhängt und damit auf die Antwort "kann sein" hinausläuft (stRspr; vgl zB BSG vom 11.11.2019 - B 1 KR 87/18 B - juris RdNr 6 mwN; BSG vom 27.1.2020 - B 8 SO 67/19 B - juris RdNr 10). Die Frage des beklagten Krankenhauses ist so allgemein gehalten, dass ihre Beantwortung eine kommentar- oder lehrbuchartige
Aufbereitung durch den Senat verlangen würde. Denn die Frage, worauf es für die Einordnung einer Erkrankung als "Symptom"
einer bestehenden Grunderkrankung anstelle der Einordnung als eigenständige Erkrankung "ankommt", kann offensichtlich nicht
losgelöst von näher zu differenzierenden Sachverhaltskonstellationen beantwortet werden. Eine in dieser Weise unkonkrete Frage
kann jedoch gerade nicht Gegenstand eines Revisionsverfahrens sein (vgl hierzu auch BSG vom 1.3.2018 - B 8 SO 104/17 B - juris RdNr 8).
b) Die Beklagte erfüllt zudem nicht die für das DRG-basierte Vergütungssystem der Krankenhausfinanzierung geltenden besonderen
Darlegungsanforderungen für die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage (vgl hierzu ausführlich BSG vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 10 ff mwN). Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage erwächst daraus, dass ihre Klärung nicht nur für den Einzelfall, sondern
im Interesse der Fortbildung des Rechts oder seiner einheitlichen Auslegung erforderlich ist. Bei auslaufendem Recht (vgl hierzu zB BSG vom 21.6.2011 - B 4 AS 14/11 B - juris RdNr 5; BSG vom 26.4.2007 - B 12 R 15/06 B - juris RdNr 9; BSG vom 28.11.1975 - 12 BJ 150/75 - SozR 1500 § 160a Nr 19) - wie hier den im Jahr 2007 geltenden Regelungen - setzt dies grundsätzlich voraus, dass entweder noch eine erhebliche Zahl
von Fällen auf der Grundlage des ausgelaufenen Rechts zu entscheiden ist, oder sich die fortwirkende allgemeine Bedeutung
aus anderen besonderen Umständen ergibt. Diese Bedeutung kann sich insbesondere daraus ergeben, dass der Auslegungsstreit
über eine Einzelvorschrift eine strukturelle Frage des Vergütungssystems betrifft, deren Beantwortung - ungeachtet der Fortgeltung
der konkret betroffenen Vorschrift - über die inhaltliche Bestimmung der Einzelvorschrift hinaus für das Vergütungssystem
als Ganzes oder für einzelne Teile zukünftig von struktureller Bedeutung ist.
An entsprechenden Darlegungen fehlt es hier. Das beklagte Krankenhaus behauptet lediglich pauschal, dass es eine Vielzahl
von anhängigen Verfahren zur Kodierung der Hauptdiagnose gebe, die insbesondere die Frage beträfen, ob eine Diagnose als Symptom
oder eigenständiges Krankheitsbild zu werten sei. Zudem geht daraus nicht hervor, ob sich in diesen nicht näher bezeichneten
Fällen jeweils dieselbe Rechtsfrage stellt wie im vorliegenden Fall. Denn die Antwort auf die Frage hängt (auch) von dem jeweiligen
konkreten Sachverhalt ab (vgl bereits oben 1. a). Ebenso wenig wird alternativ dargelegt, dass eine über die Auslegung der DKR D002f hinausgehende strukturelle Frage des
Vergütungssystems betroffen ist. Allein der Umstand, dass unterschiedliche Auslegungen jeweils eine unterschiedliche Vergütungshöhe
zur Folge haben, stellt jedenfalls keine das Vergütungssystem als Ganzes betreffende Frage von struktureller Bedeutung dar
(vgl BSG vom 12.8.2020 - B 1 KR 46/19 B - juris RdNr 9).
2. Das beklagte Krankenhaus hat auch den von ihm behaupteten Verfahrensmangel nicht in der gebotenen Weise dargetan. Nach
§
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen
Mangel ergeben sollen (stRspr; vgl zB BSG vom 8.10.2020 - B 1 KR 72/19 B - juris RdNr 9). Daran fehlt es.
Mit dem Vorbringen, das LSG habe sich nicht über das eingeholte Sachverständigengutachten unter Berufung auf die Stellungnahme
des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ohne eine ergänzende Befragung oder die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens
hinwegsetzen dürfen, rügt das Krankenhaus die Beweiswürdigung durch das LSG nach §
103 SGG. Die Geltendmachung eines Verfahrensmangels wegen Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) kann gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG jedoch nur darauf gestützt werden, dass das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Zudem
kann ein - wie hier - rechtsanwaltlich vertretener Beteiligter nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört
werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten
bzw bei dem Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung kundgetan hat oder das Gericht den Beweisantrag
in seiner Entscheidung wiedergibt (stRspr; vgl zB BSG vom 24.7.2015 - B 1 KR 50/15 B - juris RdNr 4; vgl auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
160 RdNr 18c mwN). Ein Beteiligter hält einen zuvor mit einem Schriftsatz gestellten Beweisantrag auch dann nicht mehr aufrecht, wenn er sich,
ohne den Beweisantrag zu wiederholen, gemäß §
124 Abs
2 SGG vorbehaltlos mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl BSG vom 28.5.1997 - 9 BV 194/96 - SozR 3-1500 § 160 Nr 20; BSG vom 18.12.2000 - B 2 U 336/00 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 52; BSG vom 25.11.2013 - B 13 R 339/13 B - juris RdNr 6). Das Krankenhaus legt nicht dar, dass es mit seiner Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einen Beweisantrag
gestellt oder einen solchen aufrechterhalten habe.
3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).