Kostenübernahme von Fahrkosten in der Krankenversicherung
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Fahrkosten zur Methadonbehandlung.
Die im Jahre 1957 geborene Klägerin, Mitglied der beklagten Krankenkasse, erhält von dieser zur Behandlung ihrer Opiatabhängigkeit
eine ambulante Methadonsubstitutionstherapie. Bis zum Jahresende 2003 übernahm die Beklagte die Kosten der hierfür viermal
wöchentlich anfallenden Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln (monatlich 36,50 EUR). Den Antrag auf weitere Kostenübernahme
vom 30. Januar 2004 lehnte die Beklagte ab, da die Beförderung entsprechend einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes
der Krankenversicherung nicht medizinisch zwingend notwendig war (Bescheid vom 3. Februar 2004; Widerspruchsbescheid vom 25.
Mai 2004).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, der Klägerin ab 1. Januar 2004 Fahrkosten in Höhe von monatlich mindestens 36,50
EUR zu zahlen (Urteil vom 7. Juli 2004). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das SG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen: Eine Beförderung sei zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben der Klägerin
nicht unerlässlich. Sie sei vielmehr als Bezieherin von Hilfe zum Lebensunterhalt und alleinerziehende Mutter aus finanziellen
Gründen nicht in der Lage, die Fahrkosten zur Methadon-Substitution zu bezahlen. Auch liege ein Ausnahmefall im Sinne der
Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten
(Krankentransport-RL) nicht vor (Urteil vom 6. September 2005).
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des §
60 Abs
2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V). Ihr sei nicht zuzumuten, die Strecke von ihrer Wohnung zum Ort der Behandlung - sicherlich mehr als fünf Kilometer - zu
Fuß zurückzulegen, wenn es die wesentlich weniger zeitaufwändigen Möglichkeiten des öffentlichen Nahverkehrs gebe. Die Substitutionstherapie
sei erst im Rahmen eines umfassenden Behandlungskonzepts sinnvoll, wozu auch die regelmäßige Fahrt zur Fachambulanz unter
Ausnutzung des öffentlichen Nahverkehrs gehöre.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 6. September 2005 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil
des Sozialgerichts Kassel vom 7. Juli 2004 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG auf die Berufung der Beklagten das SG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Klägerin kann ab Januar 2004 Fahrkostenerstattung für ihre ambulante Methadonsubstitutionstherapie
nicht beanspruchen.
1. Im Rahmen des abschließend Ansprüche auf Fahrkosten regelnden §
60 SGB V kommt als Anspruchsgrundlage allein §
60 Abs
1 Satz 3
SGB V in Betracht. Nach der Gesamtsystematik befasst sich nur diese Rechtsnorm mit der Übernahme von Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln
zu einer allein als solche erforderlichen ambulanten Behandlung. Danach übernimmt die Krankenkasse Fahrkosten zu einer ambulanten
Behandlung unter Abzug des sich nach §
61 Satz 1
SGB V ergebenden Betrages nur nach vorheriger Genehmigung in besonderen Ausnahmefällen, die der Gemeinsame Bundesausschuss in den
Richtlinien nach §
92 Abs
1 Satz 2 Nr
12 SGB V festgelegt hat.
2. Um einen Ausnahmefall iS von §
60 Abs
1 Satz 3
SGB V, den der Gemeinsame Bundesausschuss in den Krankentransport-RL (idF vom 22. Januar 2004, BAnz Nr 18 S 1342; zuletzt geändert
am 21. Dezember 2004, BAnz 2005 Nr 41 S 2937) festgelegt hat, geht es bei der Klägerin nicht. Nach § 8 Abs 1 Satz 1 Krankentransport-RL
können - soweit hier von Interesse - in besonderen Ausnahmefällen auch Fahrten zur ambulanten Behandlung bei zwingender medizinischer
Notwendigkeit von der Krankenkasse übernommen und vom Vertragsarzt verordnet werden. Dies setzt nach § 8 Abs 2 Satz 1 Krankentransport-RL
voraus, dass der versicherte Patient mit einem durch die Grunderkrankung vorgegebenen Therapieschema behandelt wird, das eine
hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum aufweist und dass diese Behandlung oder der zu dieser Behandlung führende
Krankheitsverlauf den Patienten in einer Weise beeinträchtigt, dass eine Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und
Leben unerlässlich ist. Solche Ausnahmefälle sind nach der nicht abschließenden Liste in der Regel Dialysebehandlung, onkologische
Strahlen- und Chemotherapie (§ 8 Abs 2 Satz 2 und 4 in Verbindung mit Anlage 2 der Krankentransport-RL). Weitere Ausnahmefälle
sind in § 8 Abs 3 Krankentransport-RL geregelt, die hier aber ebenfalls nicht vorliegen (Schwerbehindertenausweis mit Merkzeichen
"aG", "Bl" oder "H", Einstufungsbescheid gemäß dem Elften Buch Sozialgesetzbuch in die Pflegestufe 2 oder 3 oder Erfüllung
der entsprechenden Sachkriterien).
Nach den Feststellungen des LSG fehlt es an den Voraussetzungen des § 8 Abs 2 Satz 1 Krankentransport-RL. Die Klägerin wird
zwar mit einem durch die Grunderkrankung - Opiatabhängig- keit - vorgegebenen Therapieschema behandelt, das eine hohe Behandlungsfrequenz
über einen längeren Zeitraum aufweist. Die Behandlung oder der zu dieser Behandlung führende Krankheitsverlauf beeinträchtigt
aber die Klägerin nicht in einer Weise, dass eine Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben unerlässlich ist.
Vielmehr fehlt es gerade an der zwingenden medizinischen Notwendigkeit der Beförderung mit öffentlichen Verkehrmitteln. Diese
Feststellungen des LSG sind nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen worden und damit für den erkennenden
Senat bindend (vgl §
163 Sozialgerichtsgesetz >SGG<).
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3. Die gesetzeskonforme Konkretisierung der Ausnahmen nach §
60 Abs
1 Satz 3
SGB V durch die Krankentransport-RL ist nicht aufgrund ranghöheren Rechts erweiternd auszulegen.
a) Die Vorgaben des §
60 Abs
1 SGB V geben hierfür nichts her. Schon der systematische Zusammenhang zwischen §
60 Abs
1 Satz 1 und Satz 3
SGB V erhellt, dass in allen Fällen die Fahrten im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen
Gründen notwendig sein müssen, um einen Anspruch auf Übernahme der Kosten zu begründen. Denn §
60 Abs
1 Satz 1
SGB V sieht als Regel die Fahrkostenerstattung im Zusammenhang mit Krankenbehandlung nur in den Fällen des Abs 2 und im Umfang
des Abs 3 an, in denen generalisierend wegen der Schwere der Erkrankung - indiziert durch erforderliche Krankenhausbehandlung
(Abs 2 Satz 1 Nr 1 und 4) - oder wegen der erforderlichen Transportbedingungen (Abs 2 Satz 1 Nr 2 und 3) der Transport medizinisch
zwingend erforderlich ist. Erst recht muss dann aber in den Ausnahmefällen des §
60 Abs
1 Satz 3
SGB V der Transport zur ambulanten Behandlung aus medizinischen Gründen unerlässlich sein. Auch die Gesetzesmaterialien verdeutlichen,
dass zur Neuordnung der Finanzierung ua Fahrkosten in der ambulanten Versorgung grundsätzlich nicht mehr erstattet werden
sollten und Ausnahmen nur nach Genehmigung durch die Krankenkassen gelten (vgl Entwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU und Bündnis
90/Die Grünen eines Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung >GKV-Modernisierungsgesetz - GMG<, BT-Drucks
15/1525 S 76 f und S 94 f zu Nr 37). Die Regelung wollte die Möglichkeit für Krankenkassen ausschließen, Fahrkosten zur ambulanten
Behandlung bereits generell in Härtefällen zu übernehmen. Mit der Änderung des Satzes 1 in Abs 1 wird stärker als bisher auf
die medizinische Notwendigkeit der im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme einer Krankenkassenleistung erforderlichen Fahrt
abgestellt. Situationen, in denen es letztlich nicht medizinische, sondern lediglich finanzielle Gründe sind, auf die sich
Patienten berufen können, wie es nach den Feststellungen des LSG bei der Klägerin der Fall ist, sollten danach gerade nicht
mehr zu einer Übernahme der Fahrkosten führen.
b) Ein abweichendes Ergebnis zu Gunsten der Klägerin ergibt sich auch nicht aus dem Verfassungsrecht. Vielmehr erlaubt es
das
Grundgesetz, die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auf einen abgeschlossenen Katalog zu begrenzen. Das entspricht
der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl zB Senat, Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 12/04 R - RdNr 28 f mwN) im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts >BVerfG< (vgl zB BVerfG, Beschluss vom
5. März 1997 - 1 BvR 1071/95 - NJW 1997, 3085; BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 - SozR 4-2500 § 27 Nr 5 = NZS 2006, 84, 87 = MedR 2006, 164 = NJW 2006, 891). Danach ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die GKV den Versicherten Leistungen nur nach Maßgabe eines
allgemeinen Leistungskatalogs unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots zur Verfügung stellt, soweit diese Leistungen
nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden (§
2 Abs
1 Satz 1
SGB V). Nur das, was in diesen Leistungskatalog fällt, hat die GKV ihren Versicherten zu leisten. Dazu gehört die Übernahme von
Fahrkosten aus finanziellen Gründen gerade nicht.
Der Senat hat bei seiner Entscheidung schon aus Gründen des Verfahrensrechts (§
75 Abs
5; §
168 SGG) nicht in den Blick zu nehmen, ob und in welchem Umfang die Klägerin berechtigt ist, für die geltend gemachten Fahrkosten
Leistungen der Sozialhilfe zu beanspruchen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.