Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Keine Wahlmöglichkeit zwischen Berufungseinlegung und Beantragung einer mündlichen Verhandlung
Gründe:
I
Der Kläger ist mit seinem Begehren im Wege des Überprüfungsverfahrens noch für den Zeitraum vom 1.5.2009 bis 31.12.2009 Krankengeld
zu erhalten bei der Beklagten und vor dem SG erfolglos geblieben. Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entschieden, obwohl der Kläger im Anhörungsverfahren ausdrücklich
klargestellt hat, dass er damit nicht einverstanden sei. Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und zugleich deutlich gemacht,
dass er zur Durchführung der mündlichen Verhandlung eine Zurückverweisung des Verfahrens an das SG begehre.
Das LSG hat den Gerichtsbescheid des SG geändert und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger - unter Änderung ihres Bescheids zur Einstellung der Krankengeldzahlung
- für den 1.5.2009 und den 2.5.2009 Krankengeld zu gewähren; im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Es hat ausgeführt,
die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers sei wegen Überschreitung des Beschwerdewertes von 750 Euro unbeschränkt
statthaft (§
105 Abs
2 S 1 iVm §§
143,
144 Abs
1 S 1 Nr
1 SGG) und auch insgesamt zulässig. Nach §
105 Abs
2 S 2
SGG scheide daher die Möglichkeit aus, mündliche Verhandlung zu beantragen. Der Erlass eines Gerichtsbescheids nach §
105 SGG erfordere zwar eine Anhörung der Beteiligten, nicht aber ihre Zustimmung. In der Sache sei lediglich noch für den 1. und
2.5.2009 Krankengeld zu zahlen, weil der Krankengeldanspruch erst mit Ablauf des 2.5.2009 ausgeschöpft gewesen sei und die
weitere Arbeitsunfähigkeit ab 3.5.2009 keinen neuen Dreijahreszeitraum in Gang gesetzt habe.
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG und begehrt wegen eines
Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG iVm §
160a Abs
5 SGG) die Aufhebung des Berufungsurteils und die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG zur Durchführung der mündlichen Verhandlung.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Kläger den durch seine früheren anwaltlichen Bevollmächtigten geltend
gemachten Zulassungsgrund eines Verfahrensfehlers nicht ordnungsgemäß dargelegt hat (§
160a Abs
2 S 3
SGG). Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 S 2 und 3
SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie hier - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, muss der Verfahrensmangel zur Begründung der Beschwerde hinreichend
bezeichnet werden (§
160a Abs
2 S 3
SGG). Dafür müssen die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus
ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht -
auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG ist die Rüge bestimmter Verfahrensmängel allerdings ausgeschlossen bzw eingeschränkt.
Der Kläger ist der Auffassung, das LSG sei verpflichtet gewesen, den Vorgang an das SG zur Durchführung der mündlichen Verhandlung zurückzuverweisen. Er habe sein Begehren einer Zurückverweisung an die 1. Instanz
hinreichend deutlich gemacht und damit rechtzeitig die mündliche Verhandlung beantragt. Nach §
105 Abs
3 SGG gelte der Gerichtsbescheid deshalb als nicht ergangen. Eine Entscheidung in der Sache habe das Berufungsgericht nicht mehr
erlassen dürfen. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt sei nicht hinreichend aufgeklärt, und ihm (dem Kläger) sei es nicht
möglich gewesen, auf die schier unglaubliche Vielzahl von falschen Tatsachen und Behauptungen einzugehen. Dieses Vorbringen
erfüllt nicht die Darlegungsanforderungen.
Zwar ist in der Rechtsprechung des BSG anerkannt, dass bei Vorliegen eines Verfahrensmangels ein Rechtsstreit nach §
160a Abs
5 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch an das SG zurückverwiesen werden kann, wenn der gerügte Verfahrensfehler des LSG gerade darin liegt, dass es unter Verstoß gegen §
105 Abs
2 S 3
SGG über eine Berufung entschieden hat (vgl hierzu BSG Beschluss vom 17.11.2015 - B 1 KR 130/14 B - Juris RdNr 20). Das Vorliegen eines Verfahrensfehlers hat der Kläger jedoch nicht hinreichend dargetan. Denn er hat keine
Tatsachen dargelegt, bei deren Vorliegen ein Verfahrensmangel in Betracht kommen könnte.
Der Erlass eines Gerichtsbescheides durch das SG setzt nicht das Einverständnis der Beteiligten voraus. Diese sind nach §
105 Abs
1 S 2
SGG lediglich vorher zu hören. Nach §
105 Abs
2 S 1
SGG können die Beteiligten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides das Rechtsmittel einlegen, das zulässig
wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Dies war hier allein die Berufung. Der Kläger hat zwar deutlich gemacht,
dass er eine mündliche Verhandlung vor dem SG begehre, er hat aber auch Berufung eingelegt. Mündliche Verhandlung kann nach §
105 Abs
2 S 2
SGG nur beantragt werden, wenn die Berufung nicht gegeben ist. Vorliegend war die Berufung jedoch statthaft, ihre Einlegung daher
möglich und das LSG hat sie auch nicht wegen Unzulässigkeit verworfen.
Anders als der Kläger meint, gibt §
105 Abs
2 S 3
SGG den Beteiligten nicht die Wahlmöglichkeit, entweder Berufung einzulegen oder mündliche Verhandlung zu beantragen. Ein solches
Wahlrecht ist lediglich dann gegeben, wenn die Berufung nicht zulässig ist, dh nach §
144 Abs
1 SGG der Zulassung bedarf und nicht zugelassen worden ist. Nur in diesem Fall kann jeweils der Beteiligte, für den die Berufung
nicht statthaft ist, wahlweise gegen die Nichtzulassung der Berufung vorgehen oder mündliche Verhandlung beantragen. Dies
ergibt sich aus §
105 Abs
2 S 1
SGG. §
105 Abs
2 S 2 und 3 und Abs
3 SGG stärken einfachrechtlich den Anspruch, mündlich gehört zu werden und wahren damit die Prozessrechte des Beteiligten, für
den die Entscheidung des SG nicht berufungsfähig ist (vgl hierzu BSG Beschluss vom 17.11.2015 - B 1 KR 130/14 B - Juris RdNr 12 sowie B. Schmidt, Meyer-Ladewig ua,
SGG, 12. Aufl 2017, § 105 RdNr 16 mwN). Hintergrund ist Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention, der eine mündliche Verhandlung garantiert. Die Beteiligten können nach Maßgabe dieser Regelungen eine öffentliche mündliche
Verhandlung erzwingen; im Falle einer statthaften Berufung können sie diese einlegen, und in der Berufungsinstanz muss dann
mündlich verhandelt werden (§
153 Abs
1, 4
SGG). Ein Recht, stattdessen eine mündliche Verhandlung (und Entscheidung) durch das SG zu wählen, besteht nicht.
Den weiteren Ausführungen des Klägers kann weder ausdrücklich noch sinngemäß hinreichend klar entnommen werden, welcher der
nach §
160 Abs
2 Nr
1 bis
3 SGG geregelten Gründe zur Zulassung der Revision (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Abweichung von einer Entscheidung
des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG oder ein Verfahrensfehler) damit geltend gemacht werden soll. Insoweit fehlt es schon deshalb
an einer hinreichenden Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde. Die bloße Geltendmachung der Unrichtigkeit des LSG-Urteils
führt nicht zur Zulassung der Revision (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 15, § 160 Nr 13 RdNr 16, stRspr).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.