Zulässigkeit der Anhörungsrüge, Besetzung der Richterbank
Gründe:
I
Die klagende GmbH betreibt in T. ein Pflegeheim. Sie begehrt vom beklagten Land Sachsen-Anhalt
die Gewährung von Fördermitteln für den Betrieb der Einrichtung. Der Beklagte hat den Förderungsantrag vom 15. April 1996
abgelehnt. Das Sozialgericht (SG) Magdeburg hat den Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 27. November 1997 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, den Förderungsantrag
der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt
hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG vom 20. Dezember 2001 geändert und die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat der Senat das Urteil des LSG vom
24. März 2004 aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen (Urteil
vom 26. Januar 2006). Der Senat hat einen Anspruch der Klägerin auf Schuldendiensthilfe nach § 8 Abs 3 des Ausführungsgesetzes
des Landes Sachsen-Anhalt zum Pflege-Versicherungsgesetz (PflegeV-AG) vom 7. August 1996 dem Grunde nach bejaht, aber nicht
abschließend entscheiden können, ob der Beklagte vom SG zu Recht zur Neubescheidung des Förderungsantrages verurteilt worden ist, weil dies davon abhängt, dass im Lande Sachsen-Anhalt
auch gegenwärtig noch eine Förderung stationärer Pflegeeinrichtungen nach §
9 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB XI) iVm §§
7 und
8 PflegeV-AG stattfindet. Eine Vertreterin des Beklagten hatte in der mündlichen Verhandlung vom 26. Januar 2006 behauptet,
dass es eine solche Förderung ab dem Jahr 2006 nicht mehr gebe, was einen - von der Sache her stets nur in die Zukunft reichenden
- Förderungsanspruch ausschließen würde. Da die §§ 7 und 8 PflegeV-AG nicht geändert worden waren, konnte es nur um eine Änderung
sonstiger "landesrechtlicher Vorschriften" Art gehen, die dem Senat nicht bekannt waren und auch von der Vertreterin des Beklagten
seinerzeit nicht konkretisiert werden konnten. Daher musste der Rechtsstreit an das LSG zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen
werden.
2
Das Urteil des Senats vom 26. Januar 2006 - B 3 P 6/04 R - ist der Beklagten am 12. Mai 2006 zugestellt worden. Ein Antrag des Beklagten vom 24. Mai 2006 auf Tatbestandsberichtigung
nach §
139 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ist durch Beschluss des Senats vom 16. August 2006 abgelehnt worden. Mit weiterem Schriftsatz vom 24. Mai 2006 hat der Beklagte
- mit umfangreicher Begründung - eine Anhörungsrüge nach §
178a SGG und "vorsorglich" auch Gegenvorstellungen erhoben. Er beantragt, das Revisionsverfahren fortzuführen und es dazu in die Lage
zurückzuversetzen, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand (§
178a Abs
5 SGG). Die anderen Beteiligten haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die Klägerin beantragt, die Rechtsbehelfe als unzulässig
zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen. Der beigeladene Landkreis hat sich zur Sache nicht geäußert.
II
Die Anhörungsrüge hat keinen Erfolg. Soweit die einzelnen Rügen in zulässiger Weise erhoben wurden, erweisen sie sich als
unbegründet.
1. Der vom Beklagten geltend gemachte außerordentliche Rechtsbehelf einer Anhörungsrüge nach §
178a SGG (idF von Art 9 Nr 3 des Anhörungsrügengesetzes vom 9. Dezember 2004, BGBl I 3220, in Kraft getreten am 1. Januar 2005) ist statthaft. Nach
§
178a Abs
1 Satz 1
SGG ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein
Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist (Nr 1) und das Gericht den Anspruch dieses
Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (Nr 2). Einen solchen Verstoß gegen den Anspruch
auf Gewährung ausreichenden rechtlichen Gehörs nach Art
103 Abs
1 Grundgesetz (
GG) und §
62 SGG macht der Beklagte hier geltend, der durch das Revisionsurteil vom 26. Januar 2006 beschwert ist, weil er mit seinem Antrag
auf Zurückweisung der Revision der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des LSG nicht durchgedrungen ist. Er rügt in
diesem Zusammenhang nicht, in dem am 26. Januar 2006 mit Verkündung des Urteils abgeschlossenen Revisionsverfahren nicht ausreichend
zu Wort gekommen bzw daran gehindert worden zu sein, dem Gericht alle aus seiner Sicht entscheidungserheblichen Gesichtspunkte
vorzutragen. Seine Gehörsrüge bezieht sich ausschließlich darauf, dass der Senat dieses Vorbringen nicht ausreichend in seine
Erwägungen einbezogen und seiner Entscheidung zu Grunde gelegt habe. Eine solche "Erwägensrüge" gegen ein letztinstanzliches
Urteil ist nach §
178a Abs
1 SGG statthaft.
2. Die Rüge ist auch innerhalb der gesetzlichen Frist erhoben worden. Nach §
178a Abs
2 Satz 1
SGG ist die Rüge innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben, wobei der Zeitpunkt
der Kenntniserlangung glaubhaft zu machen ist. Da der Beklagte lediglich die fehlende Erwägung und Berücksichtigung wesentlicher
von ihm vorgetragener Umstände und Argumente in den gerichtlichen Entscheidungsgründen rügt, kann seine Kenntnis von der Gehörsverletzung
frühestens mit dem Zeitpunkt der Bekanntgabe des vollständigen Urteilstextes an ihn bzw an seine Prozessbevollmächtigten (zur
Zurechnung der Kenntnis des Bevollmächtigten vgl Ulmer in Hennig,
SGG, Stand Februar 2004, §
73 RdNr 11; Zöller/Vollkommer,
Zivilprozessordnung >ZPO<, 25. Aufl 2005, §
85 RdNr 3) angenommen werden. Die Kenntnis von der Gehörsverletzung konnte daher nicht vor der Zustellung des Revisionsurteils
am 12. Mai 2006 erlangt werden. Mit Eingang der Anhörungsrüge beim Bundessozialgericht (BSG) am 26. Mai 2006 (Schriftsatz
vom 24. Mai 2006) ist daher die Zweiwochenfrist des §
178a Abs
2 Satz 1
SGG gewahrt worden.
Es ist unschädlich, dass der Zeitpunkt der Kenntniserlangung nicht näher dargelegt und glaubhaft gemacht worden ist. Über
die Zustellung des Revisionsurteils als maßgeblichem Zeitpunkt für eine "Erwägensrüge" liegt dem Senat das Empfangsbekenntnis
nach §§
135,
63 Abs
2 SGG iVm §
174 ZPO als unmittelbares Beweismittel bereits in den Gerichtsakten vor. In einem solchen Falle wäre es vom Sinn und Zweck der Vorschrift
des §
178a Abs
2 Satz 1 Halbsatz 2
SGG nicht mehr gerechtfertigter und im Lichte des Art
19 Abs
4 GG überzogener Formalismus, vom Beklagten zusätzlich auch noch die Glaubhaftmachung des Zeitpunktes des Bekanntwerdens des Urteils
zu verlangen, obwohl er diesen Umstand dem Gericht zuvor durch Rückleitung des Empfangsbekenntnisses bereits nachgewiesen
hat (ebenso der 6. Senat des BSG, Beschluss vom 3. August 2005 - B 6 KA 22/05 R - nicht veröffentlicht; zur Beweiskraft des anwaltlichen Empfangsbekenntnisses als öffentlicher Urkunde vgl BSG SozR 3-1500
§ 164 Nr 13 mwN; zum Verbot, verfahrensrechtliche Regelungen so anzuwenden, dass den Parteien der Zugang zu den in den Verfahrensordnungen
eröffneten Instanzen in unzumutbarer und aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird, s BVerfG >Kammer<
NJW 2005, 657, 658).
3. In der Sache erweisen sich die Rügen, der Senat habe Vorbringen des Beklagten nicht bzw nicht ausreichend in Erwägung gezogen
und damit seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art
103 Abs
1 GG, §
62 SGG) verletzt, als nicht durchgreifend. Das Gebot rechtlichen Gehörs erfordert es, dass das entscheidende Gericht die Ausführungen
der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung in Erwägung zieht (BVerfGE 96, 205, 216; BVerfG >Kammer< SozR 4-2500 § 87 Nr
6 RdNr
11). Dagegen verpflichtet Art
103 Abs
1 GG das Gericht nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten auch zu folgen (BVerfGE 64, 1, 12; BVerfG >Kammer< NVwZ 2005, 204, 205). Im Rahmen der Verpflichtung zur Erwägung des Vortrags von Beteiligten ist das Gericht ferner nicht gehalten, sich
mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen zu befassen; es muss nur auf das für das Verfahren wesentliche und nach seiner
Rechtsauffassung entscheidungserhebliche Vorbringen eingehen (BVerfGE 69, 141, 144; 79, 51, 61; 96, 205, 216; BVerfG >Kammer< SozR 4-2500 § 87 Nr 6 RdNr 22). Je umfangreicher das Vorbringen ausfällt,
desto stärker besteht die Notwendigkeit, im Rahmen der Entscheidungsbegründung nur die wesentlichen Fragen abzuhandeln und
auf die ausdrückliche Auseinandersetzung mit weniger wichtigen oder gar abwegigen Fragen zu verzichten (vgl Schulze-Fielitz
in Dreier,
GG-Kommentar, Bd 3, 2000, Art
103 I RdNr 61 mwN).
4. Die Anhörungsrüge bleibt danach ohne Erfolg, weil der Beklagte nicht dargelegt hat, dass der Senat wesentliches Vorbringen
nicht erwogen hat. Sein Vortrag erschöpft sich in einer Kritik an den Urteilsgründen und deren Formulierung. Nach dem gesetzlichen
Gebot, dass der Beschluss über eine erfolglose Anhörungsrüge "kurz begründet werden soll" (§
178a Abs
4 Satz 4
SGG), weil es nicht Sinn des Rechtsbehelfs ist, das Verfahren in der Sache fortzusetzen oder die Urteilsgründe zu erläutern,
beschränkt sich der Senat auf folgende Hinweise:
a) Die Rüge des Beklagten, der Senat habe sich nur unzureichend mit der Regelung des Art 52 PflegeVG (Finanzhilfen für Investitionen in Pflegeeinrichtungen im Beitrittsgebiet) und den dazu vorgetragenen Argumenten befasst,
geht von der eigenen Ansicht und nicht von der Rechtsauffassung des Senats aus. Nicht das auf Art 52 PflegeVG beruhende Finanzierungsprogramm der "Sonderförderung Ost" selbst und seine bundesrechtlichen Vorgaben, sondern erst die landesrechtliche
Umsetzung des Programms haben die wettbewerbsverzerrende Wirkung der Förderung zu Lasten der Klägerin bewirkt (Urteil RdNr
42, 43). Auf dem gleichen unrichtigen Ansatz basiert die Kritik, bei hinreichender Befassung mit Art 52 PflegeVG hätte der Senat die Grundsätze seines Urteils vom 28. Juni 2001 - B 3 P 9/00 R - (BSGE 88, 215 = SozR 3-3300 § 9 Nr 1) über das verfassungsrechtliche Gebot, bei der Gewährung von Fördermitteln für Beratungs- und Koordinierungsstellen
(Ambulante-Hilfe-Zentren in Rheinland-Pfalz) eine Verzerrung des Wettbewerbs zwischen den Anbietern soweit wie möglich zu
vermeiden (Urteil RdNr 42), nicht uneingeschränkt auf den vorliegenden Fall übertragen dürfen.
b) Die Rüge, der Senat habe der Klägerin einen Anspruch auf Schuldendiensthilfe nach § 8 Abs 3 PflegeV-AG "unabhängig vom
Haushaltsplan und von Ermessensgesichtspunkten" zuerkannt, ohne hinreichend zu berücksichtigen, dass dieser Anspruch nach
dem Gesetz ausdrücklich unter einem Haushalts-Vorbehalt stehe (§ 7 Abs 2 PflegeV-AG) und die vom Senat befürwortete Lösung
an sich eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach Art
100 Abs
1 GG erfordert hätte, lässt ebenfalls eine verständige Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen vermissen. Der Senat hat
die Regelung des § 8 Abs 3 iVm § 7 Abs 2 PflegeV-AG nur in der Wortauslegung des LSG als verfassungswidrig angesehen, eine
verfassungskonforme Auslegung aber für möglich gehalten und diese vorgenommen (Urteil RdNr 42). Der Klägerin steht aus verfassungsrechtlichen
Gründen (Art
3,
12 GG) ein Anspruch auf Schuldendiensthilfe dem Grunde nach zu, soweit in Sachsen-Anhalt überhaupt noch eine Förderung nach §
9 SGB XI iVm §§
7 und
8 PflegeV-AG stattfindet (Urteil RdNr 42), nicht aber mehr bei gänzlicher Einstellung einer solchen Förderung (Urteil RdNr
30, 41, 45). Es bedurfte keiner weiteren Begründung, dass sich der Haushaltsgesetzgeber nicht durch fehlende Bereitstellung
von Haushaltsmitteln der Erfüllung verfassungsrechtlich begründeter Verpflichtungen entziehen und sich deshalb nicht darauf
berufen kann, die Mittel seien nur für Förderungen nach § 8 Abs 1 PflegeV-AG vorgesehen, die Mittel seien bereits erschöpft
bzw durch anderweitige verbindliche Zusagen gebunden oder die bereitstehenden Mittel für die Schuldendiensthilfe sollten im
laufenden Jahr generell nicht in Anspruch genommen und verteilt werden.
c) Die Rüge, der Senat habe den Vortrag des Beklagten über die erheblichen finanziellen Auswirkungen der Zubilligung eines
Anspruchs auf Schuldendiensthilfe nicht hinreichend berücksichtigt, geht ebenfalls fehl. Abgesehen davon, dass nicht erkennbar
gemacht wird, inwieweit finanzielle Folgen für die Rechtsauslegung maßgebend sein müssen, hat der Senat den Anspruch der Klägerin
auf Schuldendiensthilfe ausdrücklich nur auf die Zukunft bezogen, wobei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der erneuten
Berufungsverhandlung maßgebend ist (Urteil RdNr 30,
41, 44, 45). Die geltend gemachte teilweise Doppelfinanzierung der Investitionskosten (§
82 Abs
3 SGB XI) durch die Schuldendiensthilfe einerseits und die an bedürftige Heimbewohner gezahlte Sozialhilfe andererseits kann praktisch
nicht eintreten, weil die Zahlung einer Schuldendiensthilfe zur sofortigen Absenkung der Investitionskostenumlage im anteiligen
Umfang führen muss und der Beklagte dadurch bei der Sozialhilfe entsprechend entlastet wird (Urteil RdNr 34, 47). Finanzielle
Auswirkungen für die Vergangenheit waren schon deshalb nicht zu berücksichtigen, weil insoweit nur ein Schadensersatzanspruch
oder ein Folgenbeseitigungsanspruch der Klägerin in Betracht käme, der nicht Streitgegenstand war (Urteil RdNr 25, 46). Für
solche Ansprüche wäre im Übrigen die Sozialgerichtsbarkeit auch nicht zuständig. Welche Auswirkungen die Entscheidung auf
künftige Förderungsansprüche anderer Unternehmen des Konzernverbundes der M. Kliniken AG sowie sonstiger Einrichtungsträger
haben könnte, war keine zu erwägende Rechtsfolge. Zu entscheiden war der konkrete Einzelfall, in dem die grundsätzliche Förderungspflicht
nach § 8 Abs 3 PflegeV-AG aus verfassungsrechtlichen Vorgaben abgeleitet worden ist (Urteil RdNr 41, 42). Über die Höhe des
Förderungsanspruchs hat sich der Senat nicht näher geäußert, weil nicht über einen bezifferten Zahlungsanspruch, sondern nur
über den vom SG zuerkannten Anspruch auf Neubescheidung des Förderungsantrages zu entscheiden war (Urteil RdNr 25, 34). Bei der Neubescheidung
hat der Beklagte zwar die Maßgaben des Senats zu beachten (Urteil RdNr 47), im Übrigen steht ihm aber ein Ermessensspielraum
zu (Urteil RdNr 34, 46).
d) Soweit der Beklagte bemängelt, der Senat habe die Schwelle für einen verfassungsrechtlich gebotenen Förderungsanspruch
der Klägerin zu niedrig angesetzt und nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Konzernverbund der M. Kliniken
AG, zu dem die Klägerin gehört, durch die Art und Weise der Investitionskostenförderung in Sachsen-Anhalt nicht spürbar beeinträchtigt
worden sei und sogar ständig Gewinne ausweise, ist eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ebenfalls nicht ersichtlich.
Der Senat hat sich mit den Argumenten des Beklagten auseinander gesetzt (Urteil RdNr 41, 42, 43). Inwieweit eine Abweichung
von der wettbewerbsrechtlichen und förderungsrechtlichen Rechtsprechung anderer oberster Bundesgerichte eine Gehörverletzung
darstellen könnte, ist nicht erkennbar. Wie an anderer Stelle, stellt der Beklagte auch hier nur seine Rechtsansichten den
Auffassungen des Senats gegenüber, die er nicht für überzeugend hält, ohne eine Gehörverletzung substantiiert aufzuzeigen.
Gleiches gilt für die vom Beklagten kritisierten Ausführungen des Senats zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der
Sach- und Rechtslage (Urteil RdNr 44) und zu den bei der Neubescheidung zu beachtenden Maßgaben, insbesondere zur Bedeutung
des Verzichts der Klägerin auf einen Investitionszuschuss nach dem sog "alten Programm" während der Bauphase (Urteil RdNr
47).
III
Die Gegenvorstellungen des Beklagten sind nicht schlüssig und deshalb bereits unzulässig. Über diesen nur "vorsorglich" -
dh hilfsweise für den Fall der Ablehnung der Anhörungsrüge - erhobenen außerordentlichen Rechtsbehelf war zu entscheiden,
weil die Anhörungsrüge erfolglos geblieben ist.
Die vom Beklagten gerügten Verstöße gegen das Gebot des gesetzlichen Richters (Art
101 Abs
1 Satz 2
GG) wegen der unterlassenen Vorlage der Sache an das BVerfG (Art
100 Abs
1 GG) sowie gegen das Willkürverbot (Art
3 Abs
1 iVm Art
20 GG) werden vom Anhörungsrüge-Verfahren nach dem Wortlaut des §
178a SGG nicht erfasst, den der Gesetzgeber in strikter Beschränkung auf das einfachgesetzliche Regelungsgebot des BVerfG zur Möglichkeit
der Selbstkorrektur des Gerichts bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art
103 Abs
1 GG (BVerfG, Plenarbeschluss vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395 = SozR 4-1100 Art 103 Nr 1 = NJW 2003, 1924) und unter bewusster Ausklammerung der Rüge der Verletzung sonstiger Verfahrensgrundrechte formuliert hat (vgl die Begründung
zum Regierungsentwurf, BT-Drucks 15/3706, S 14, Teil A II 4; Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 8. Aufl 2005, §
178a RdNr 1 und
12 mwN; Kettinger, ZRP 2006, 152 zur vergleichbaren Regelung des §
321a ZPO). Die Erhebung von Gegenvorstellungen wegen der Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte oder des Willkürverbots bleibt daher
nach dem Willen des Gesetzgebers (BT-Drucks 15/3706, aaO) grundsätzlich möglich (so auch BSG, Beschluss vom 28. Juli 2005
- B 13 RJ 178/05 B - SozR 4-1500 §
178a Nr 3; kritisch Zeihe,
SGG, Stand Mai 2005, §
172 RdNr 4d). Gegenvorstellungen sind allerdings bislang prinzipiell nur gegen Beschlüsse, nicht aber gegen Urteile zugelassen
worden (BSG SozR 3-1750 §
318 Nr 1; Thomas/Putzo,
ZPO, 27. Aufl 2005, Vorbemerkung §
567 RdNr 14 mwN; Meyer-Ladewig, aaO, § 178a RdNr 1).
Die Frage, ob im Interesse der Entlastung des BVerfG von vermeidbaren Verfassungsbeschwerden die Regelung des §
178a SGG trotz des bewusst eng gefassten Wortlauts der Vorschrift jedenfalls auf die Rüge der Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte,
zB des Art
101 Abs
1 Satz 2
GG, analog angewendet werden muss (so wohl Meyer-Ladewig, aaO, § 178a RdNr 12; ferner VGH Mannheim, Beschluss vom 2. Februar 2005 - 3 S 83/05 - NJW 2005, 920; OVG Berlin, Beschluss vom 3. Februar 2005 - 2 B 14/04, 2 RB 1/05 - NVwZ 2005, 470 und OVG Lüneburg, Beschluss vom 3. Mai 2005 - 11 ME 131/05 - NJW 2005, 2171 zu §
152a VwGO, weil diese Gerichte Gegenvorstellungen ab 1. Januar 2005 generell für unstatthaft halten) und ob dies ggf auch für die Rüge
der Verletzung des Willkürverbots gilt, kann hier offen bleiben, weil es bereits an einer schlüssigen Darlegung der tatsächlichen
und rechtlichen Voraussetzungen beider erhobener Rügen fehlt. Es bestand - wie ausgeführt - keine Vorlagepflicht nach Art
100 Abs
1 GG, deren Verletzung hier erst einen Verstoß gegen Art
101 Abs
1 Satz 2
GG hätte auslösen können. Der Beklagte zeigt auch keine schlechthin unverständliche, nicht nachvollziehbare und damit willkürliche
Auslegung der §§ 7 und 8 PflegeV-AG auf.
IV
Die Entscheidung zur Anhörungsrüge ergeht durch unanfechtbaren Beschluss (§
178a Abs
4 Satz 3
SGG) ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter.
Der 9. Senat des BSG hat entschieden, dass ein Beschluss über eine Anhörungsrüge gegen eine mit ehrenamtlichen Richtern getroffene
Entscheidung jedenfalls dann ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter getroffen wird, wenn die Anhörungsrüge unzulässig ist und
keine - in das Ermessen des Senats gestellte (§
124 Abs
3 SGG) - mündliche Verhandlung stattgefunden hat (Beschluss vom 16. Februar 2006 - B 9a V 47/05 B - SozR 4-1500 § 178a Nr 4) Der 6. Senat hat eine Anhörungsrüge gegen ein Urteil durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung
als unbegründet zurückgewiesen, ohne ehrenamtliche Richter zu beteiligen; er hat die Frage der Zuziehung ehrenamtlicher Richter
dabei aber nicht problematisiert (Beschluss vom 3. August 2005 - B 6 KA 22/05 R - nicht veröffentlicht). Der erkennende Senat sieht es als zutreffend an, dass die Zurückweisung einer zwar zulässigen, aber
inhaltlich unbegründeten Anhörungsrüge im schriftlichen Verfahren ebenfalls ohne ehrenamtliche Richter zu erfolgen hat. Rechtsgrundlage
ist die Regelung des §
12 Abs
1 Satz 2
SGG, wonach bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung und bei Gerichtsbescheiden die ehrenamtlichen Richter grundsätzlich
nicht mitwirken. Diese für die erste Instanz geschaffene Vorschrift gilt über die Verweisungen in §
33 Satz 2
SGG und §
40 Satz 1
SGG auch für Beschlüsse der Landessozialgerichte und des BSG.
Für die Entscheidung über eine Anhörungsrüge ist - anders als in § 78a Abs 6 Arbeitsgerichtsgesetz für die Arbeitsgerichtsbarkeit - weder in §
178a SGG noch an anderer Stelle im
SGG eine Sonderregelung über die Besetzung des Senats getroffen worden. Insbesondere findet sich keine dem §
160a Abs
4 Satz 2
SGG vergleichbare Vorschrift. Es gilt danach der Grundsatz, dass bei einem schriftlichen Verfahren die ehrenamtlichen Richter
auch dann an der Entscheidung nicht mitwirken, wenn die Anhörungsrüge zulässig und deshalb eine Entscheidung in der Sache
zu treffen ist (so auch Meyer-Ladewig aaO, §
178a RdNr 9; Zeihe aaO, §
178a RdNr 38b; Lüdtke,
SGG, 2. Aufl 2006, §
178a RdNr 23; aA Berchtold NZS 2006, 9, 13 f).
V
Die Entscheidung zu den Gegenvorstellungen ergeht ebenfalls durch unanfechtbaren Beschluss ohne Mitwirkung ehrenamtlicher
Richter.
Dem steht nicht die Entscheidung des 4. Senats des BSG vom 29. Mai 1991 (4 RA 12/91 - SozR 3-1750 § 318 Nr 1) entgegen, wonach über Gegenvorstellungen gegen ein End- oder Zwischenurteil durch Beschluss unter
Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu entscheiden ist, und zwar ungeachtet des Umstandes, dass Gegenvorstellungen gegen
End- oder Zwischenurteile grundsätzlich unstatthaft sind. Es kann offen bleiben, ob diese Entscheidung angesichts der Neuregelung
der Rechtslage durch §
178a SGG überholt ist, der die Gegenvorstellungen für den Bereich der Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör abgelöst
hat und jetzt ausschließt. Unzulässige Gegenvorstellungen sind im schriftlichen Verfahren durch Beschluss ohne Zuziehung ehrenamtlicher
Richter jedenfalls dann als unzulässig zu verwerfen, wenn sie - wie hier - nur hilfsweise für den Fall des Misserfolgs einer
Anhörungsrüge geltend gemacht worden sind und darüber ohne ehrenamtliche Richter zu entscheiden ist. Es handelt sich um ein
einheitliches Verfahren, das eine einheitliche Besetzung des Senats erfordert, die sich am primär erhobenen Rechtsbehelf zu
orientieren hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 und 4
SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anwendbaren Fassung.