Regress wegen Überschreitung der Grenzen der Arzneimittelzulassung
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Die Klägerin ist Trägerin eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ), das zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen
ist und ua ein Dialysezentrum betreibt. In dem MVZ tätige Fachärzte für Innere Medizin verordneten in den Quartalen 2/2011
und 3/2011 einem bei der zu 8. beigeladenen Krankenkasse Versicherten das Arzneimittel Actilyse 10 mg, welches sie zur Rekanalisation
thrombotisch verschlossener zentraler Venenzugänge einschließlich der Hämodialysekatheter einsetzten.
Auf Antrag der Beigeladenen zu 8. setzte die Prüfungsstelle einen Regress in Höhe von 3026,80 Euro mit der Begründung fest,
die Verordnungen hätten die Grenzen der Arzneimittelzulassung überschritten (Bescheid vom 20.5.2014). Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 22.9.2015). Der beklagte Beschwerdeausschuss begründete seine Entscheidung ua damit, dass das Arzneimittel zur fibrinolytischen Therapie
bei akutem Herzinfarkt und bei akuter massiver Lungenembolie mit hämodynamischer Instabilität sowie zur fibrinolytischen Behandlung
bei akutem ischämischen Schlaganfall indiziert sei. Ausweislich der vorgelegten Dialyseprotokolle sei es jedoch zur Blockung
bzw zum Ende der jeweiligen Hämodialyse prophylaktisch eingesetzt worden. Eine Verordnung sei auch nicht ausnahmsweise nach
§ 30 Abs 1 oder Abs 5 der Arzneimittelrichtlinie oder nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen zum Off-Label-Use zulässig. Zur Rekanalisation thrombotisch verschlossener zentraler Venenzugänge
stünden andere, für diese Indikation zugelassene Therapien in Form des Präparats Actilyse Cathflo oder des Einsatzes von Heparin
zur Verfügung.
Klage und Berufung der Klägerin, mit der diese insbesondere geltend gemacht hat, das Präparat Actilyse Cathflo enthalte den
gleichen Wirkstoff wie Actilyse 10 mg, nur in einer anderen Konzentration, sind erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 24.10.2018; Beschluss des LSG vom 5.11.2020). Das LSG hat unter teilweiser Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des SG zur Begründung ua ausgeführt, die beiden Präparate Actilyse 10 mg und Actilyse Cathflo unterschieden sich nicht nur im Hinblick
auf ihre Dosierung, sondern auch bezüglich der von der Zulassung erfassten Indikationen. Der Einsatz des höher dosierten Actilyse
10 mg im hier betroffenen Anwendungsgebiet der Dialyse-Behandlung hätte deshalb einer neuen Zulassung bedurft.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung
der Rechtssache sowie Verfahrensfehler (Zulassungsgründe gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 und Nr
3 SGG) geltend.
II
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht den aus §
160a Abs
2 Satz 3
SGG abzuleitenden Darlegungsanforderungen entspricht.
1. Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache muss in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage
in klarer Formulierung bezeichnet (vgl BSG Beschluss vom 12.9.2018 - B 6 KA 12/18 B - juris RdNr 5 mwN) und ausgeführt werden, inwiefern diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich
(klärungsfähig) sowie klärungsbedürftig ist. Den Darlegungsanforderungen des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG wird bei der Grundsatzrüge nur genügt, wenn der Beschwerdeführer eine Frage formuliert, deren Beantwortung nicht von den
Umständen des Einzelfalles abhängt, sondern die mit einer verallgemeinerungsfähigen Aussage beantwortet werden könnte (zu dieser Anforderung vgl BSG Beschluss vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10). Zudem muss ersichtlich sein, dass sich die Antwort nicht ohne Weiteres aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt (vgl BSG Beschluss vom 1.12.2020 - B 6 KA 17/20 B - juris RdNr 4). Dem wird die Beschwerde der Klägerin nicht gerecht.
a) Die Klägerin versäumt es bereits, den der Entscheidung des LSG zugrunde liegenden Sachverhalt darzustellen. Ihren Ausführungen
zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache lässt sich lediglich indirekt entnehmen, dass es sich um eine "10mg-Actilyse©-Versorgung
zur Beseitigung einer Shuntverstopfung" handele (vgl S 2 der Beschwerdebegründung). Damit legt die Klägerin aber nicht einmal skizzenhaft dar, welche Feststellungen das LSG in seiner einen Arzneimittelregress
betreffenden Entscheidung getroffen hat.
Eine verständliche Sachverhaltsschilderung gehört jedoch zu den Mindestanforderungen einer Grundsatzrüge. Es ist nicht Aufgabe
des Revisionsgerichts, sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die entscheidungserheblichen Tatsachen aus der
angegriffenen Entscheidung selbst herauszusuchen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 10.12.2020 - B 6 KA 25/20 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 16.2.2021 - B 6 KA 19/20 B - juris RdNr 7, jeweils mwN). Vielmehr muss die maßgebliche Sachverhaltsdarstellung in der Beschwerdebegründung das BSG in die Lage versetzen, sich ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein aufgrund des Beschwerdevortrags ein Bild
über den Streitgegenstand sowie seine tatsächlichen und rechtlichen Streitpunkte zu machen (BSG Beschluss vom 30.11.2017 - B 9 V 36/17 B - juris RdNr 10 mwN; BSG Beschluss vom 10.12.2020 - B 6 KA 25/20 B - juris RdNr 9). Gerade der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung verlangt die Wiedergabe des streiterheblichen Sachverhalts, weil
insbesondere die Klärungsfähigkeit einer aufgeworfenen Rechtsfrage ohne Umschreibung des Streitgegenstands und des Sachverhalts
nicht beurteilt werden kann (BSG Beschluss vom 8.4.2020 - B 13 R 3/20 B - juris RdNr 6 mwN).
b) Zudem fehlt es an einer klar formulierten Rechtsfrage, und es ist auch nicht Aufgabe des Senats, die Darlegungen der Klägerin
darauf zu untersuchen, ob sich aus ihnen evtl eine Rechtsfrage herausfiltern lässt (vgl BSG Beschluss vom 12.9.2018 - B 6 KA 12/18 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 15.10.2020 - B 6 KA 16/20 B - juris RdNr 9, jeweils mwN).
2. Auch soweit die Klägerin ihre Beschwerde auf einen Verfahrensfehler stützt (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG), ist sie unzulässig.
Wer sich - wie die Klägerin - auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach §
103 SGG stützt, muss ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des
LSG wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen und die von dem betreffenden
Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (vgl zB BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 mwN). Hierzu gehört nach ständiger Rechtsprechung des BSG die Darlegung, dass ein - wie hier die Klägerin - anwaltlich vertretener Beteiligter zu Protokoll einen formellen Beweisantrag
iS von §§
373,
404 ZPO iVm §
118 SGG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt oder aufrechterhalten hat (vgl BSG Beschluss vom 24.2.2021 - B 1 KR 50/20 B - juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 30.10.2013 - B 6 KA 22/13 B - juris RdNr 4, jeweils mwN). Entscheidet das Berufungsgericht - wie vorliegend - durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung, so muss ein anwaltlich vertretener
Beteiligter nach Zugang der Anhörungsmitteilung nach §
153 Abs
4 Satz 2
SGG schriftlich gestellte Beweisanträge aufrechterhalten oder neue Beweisanträge stellen. Andernfalls gilt ein früherer Beweisantrag
als erledigt (stRspr; zB BSG Beschluss vom 18.12.2000 - B 2 U 336/00 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 52; BSG Beschluss vom 9.3.2016 - B 1 KR 6/16 B - juris RdNr 5).
Die Klägerin legt keinen Verfahrensmangel in diesem Sinne dar. Sie erwähnt lediglich ein am 2.6.2020 beantragtes Sachverständigengutachten
(S 2 der Beschwerdebegründung), ohne auch nur anzugeben, zu welchem Zeitpunkt sie vom Berufungsgericht zu der beabsichtigten Entscheidung ohne mündliche
Verhandlung (§
153 Abs
4 SGG) angehört worden ist und wie sie hierauf reagiert hat. Auch soweit die Klägerin ausführt, die "zu beweisende Auffassung" sei
"im Verlauf des Rechtstreits wiederholt" worden, fehlt es an einer konkreten zeitlichen Einordnung, so dass der zeitliche
Ablauf nicht beurteilt werden kann.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 3
SGG iVm §§
154 ff
VwGO. Danach hat die Klägerin die Kosten des von ihr ohne Erfolg durchgeführten Rechtsmittels zu tragen (§
154 Abs
2 VwGO). Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, da diese keinen eigenen Antrag gestellt
haben (§
162 Abs
3 VwGO, vgl BSG Urteil vom 31.5.2006 - B 6 KA 62/04 R - BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).
4. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 1
SGG iVm §
63 Abs
2 Satz 1, § 52 Abs 3 Satz 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Dessen Höhe entspricht dem (gerundeten) Regressbetrag, gegen den sich die Klägerin wendet.