Zulässigkeit der Klageänderung im Berufungsverfahren im sozialgerichtlichen Verfahren bei der Geltendmachung von Leistungen
nach dem SGB II; Auslegung unklarer oder sprachlich nur schwer verständlicher Formulierungen
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren über die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vom 1. Juni bis 30. November 2012.
Der Kläger war im Jahr 2012 in B./Baden-Württemberg unter einer näher bezeichneten Anschrift gemeldet. Mit Bescheid vom 13.
April 2012 bewilligte der Beklagte Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. Juni bis 30. November 2012.
Aufgrund einer telefonischen Mitteilung von B. B. (Übersetzer) vom 25. Oktober 2012, wonach sich der Kläger bereits seit 3
Monaten im K. aufhalten soll, wurden Zahlungen an ihn ausweislich Bl. 55 der Verwaltungsakte vorläufig gestoppt. Rechtsgrundlage
war zunächst § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II i.V.m. §
331 Abs.
2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III). Der Kläger war am 9. November 2012 zu einem persönlichen Gespräch bei der Arbeitsvermittlung eingeladen, zu dem er ohne
Angaben von Gründen nicht erschien. Mit Datum vom 30. November 2012 wurde für ihn ein Antrag auf Weiterbewilligung von Leistungen
nach dem SGB II gestellt. Bis zum heutigen Tage ist ungeklärt, ob dieser Antrag vom Kläger persönlich oder von einem Dritten abgegeben worden
ist. Daraufhin wurde am 3. Dezember 2012 eine erneute Einladung zum persönlichen Gespräch am 7. Dezember 2012 versandt. Auch
dieser Termin wurde vom Kläger nicht wahrgenommen. Mit Bescheid vom 7. Dezember 2012 versagte der Beklagte die Leistungen
ab 1. Dezember 2012. Mit Bescheid vom 14. März 2013 wurde dieser Versagungsbescheid in Abhilfe eines Widerspruchs vom 8. Februar
2013 aufgehoben. Der Kläger hatte mit diesem eine eidesstattliche Versicherung vom 6. Februar 2013 abgegeben, wonach er weder
das Schreiben vom 3. Dezember 2012 noch den Versagungsbescheid erhalten habe, obwohl er jeden Tag seinen Posteingang entweder
selbst kontrolliere oder Nachbarn dies für ihn übernehmen würden.
Auch einer Aufforderung zur persönlichen Vorsprache am 14. März 2013 kam der Kläger nicht nach. Grund für den zuletzt angesetzten
Termin war unter anderem auch, dass sich die Angaben zum tatsächlichen Aufenthalt gemäß dieser mittlerweile vorliegenden eidesstattlichen
Versicherung des Klägers und den von B. B. am 25. Oktober 2012 telefonisch getätigten Angaben erheblich widersprochen hatten.
Der Kläger hat am 15. August 2013 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben, die er als "Rechtsverweigerungsbeschwerde (Verzögerung)" bezeichnet hat. Hier hat er die "unterbrochene bewilligte
monatliche Leistungen/Rente" in Höhe von 374,- € beanstandet. Außerdem habe die Beklagte ihm seine Wohnung "weggenommen".
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 23. April 2014 die Klage abgewiesen. In seiner Entscheidung ist es davon ausgegangen, dass der
Kläger Leistungen ab dem 1. Dezember 2012 begehrt. Die Klage sei bereits unzulässig. Die Zulässigkeit einer Klage setze voraus,
dass zuvor eine Verwaltungsentscheidung ergangen sei. Daran fehle es im vorliegenden Fall, da der Beklagte bislang keine Sachentscheidung
über den Weiterbewilligungsantrag des Klägers getroffen habe. Ergänzend hat das SG ausgeführt, dass auch kein Leistungsanspruch gegen den Beklagten für die Zeit ab dem 1. Dezember 2012 bestehe. Leistungen
nach dem SGB II erhielten nur Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hätten, § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II. Diese Voraussetzung erfülle der Kläger jedenfalls seit November 2012 nicht mehr, weil er seitdem im K. lebe.
Der Kläger hat über einen Bevollmächtigten in P./K. mit Schreiben vom 10. Juni 2014, beim Landessozialgericht Baden-Württemberg
eingegangen am 26. Juni 2014, Berufung eingelegt. Er hat mittlerweile in unterschiedlichen Schriftsätzen, etwa erstinstanzlich
mit Datum vom 29. August 2013, eingeräumt, seit November 2012 in seinem Heimatland K. unter der im Rubrum bezeichneten Adresse
zu wohnen. Dieser Vortrag ist auch im Berufungsverfahren bestätigt worden. Der Kläger hat zuletzt (Schriftsatz vom 29. September
2014; Blatt 23 der Gerichtsakten) für die seines Erachtens gestoppten bewilligten Leistungen in Höhe von monatlich 374,- €
eine Gewährung für die Zeit vom 1. Juni 2012 bis 30. November 2012 begehrt.
Mit Aufhebungsbescheid vom 8. Oktober 2014 hob die Beklagte die Entscheidung vom 13. April 2012 über die Bewilligung von Leistungen
nach dem SGB II für die Zeit ab 1. November 2012 ganz auf. Der Kläger sei ab dem 1. November 2012 in den K. umgezogen und habe die neue Anschrift
nicht bzw. nicht rechtzeitig mitgeteilt. Er sei somit aus dem Zuständigkeitsbereich des Jobcenters Landkreis Karlsruhe verzogen,
§ 36 SGB II. Auf den Antrag des Klägers vom 30. November 2012 stehe ihm ebenfalls keine Leistung nach dem SGB II aus den zuvor genannten Gründen, dem Umzug in den K., zu. Der Kläger sei nach §
60 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (
SGB I) verpflichtet gewesen, alle Änderungen in den Verhältnissen mitzuteilen. Dieser Verpflichtung sei er zumindest grob fahrlässig
nicht nachgekommen.
Der Kläger beantragt zuletzt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. April 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen ihm Leistungen
nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. Juni 2012 bis 30. November 2012 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist u.a. darauf, dass für den Zeitraum vom 1. Juni 2012 bis 31. Oktober 2012 bereits Leistungen gewährt und auch ausgezahlt
worden seien. Mangels Aufenthalts im Inland lägen danach die Leistungsvoraussetzungen nicht mehr vor.
Leistungen für den Monat November 2012 wurden bis zum Entscheidungszeitpunkt nicht nachgezahlt. Die auf Basis des Bescheides
vom 13. April 2012 gewährten Leistungen sind nachweislich bis einschließlich 31. Oktober 2012 in bewilligter Höhe zur Auszahlung
gebracht worden (Bl. 19; 36 SG-Akte).
Nachdem ein angefragtes Einverständnis zur Entscheidung gem. §
124 Abs.
2 Sozialgesetzbuch (
SGG) vom Kläger nicht beantwortet wurde, wurden die Beteiligten mit Terminsbestimmung vom 19. Dezember 2014 zur mündlichen Verhandlung
geladen. Ausweislich eines Einlieferungsbelegs der Deutschen Post AG wurde das Übergabeeinschreiben mit Rückschein dem Kläger
am 5. Januar 2015 zugestellt. Er hat mitgeteilt, dass das Gericht die Verhandlung ohne ihn durchführen soll.
Bezüglich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie die Prozessakten beider
Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte nach mündlicher Verhandlung vom 27. Januar 2015 entscheiden. Der gemäß §§
202 SGG i.V. m. 274 Abs. 3 S. 2
ZPO längeren Ladungsfrist für Kläger im Ausland hat der Senat mit Terminsladung vom 19. Dezember 2014, dem Kläger zugestellt
am 5. Januar 2015, Rechnung getragen.
Die Berufung des Klägers ist formgerecht eingelegt worden. Im Hinblick auf den seit November 2012 bestehenden Auslandwohnsitz
des Klägers ist die Berufung auch fristgerecht eingelegt worden, denn Grundlage für die Fristberechnung ist die 3-Monats-Frist.
Der angefochtenen Gerichtsbescheid ist dem Kläger ausweislich des Einlieferungsbelegs der Deutschen Post AG (Übergabeeinschreiben/Rückschein),
welcher am 26. Mai 2014 zurück zum SG gelangt ist, am 13. Mai 2014 zugestellt worden. Die am 26. Juni 2014 erhobene Berufung ist somit fristgerecht.
Die Klage ist jedoch unzulässig, soweit Leistungen nach dem SGB II für einen prozessual neuen Zeitraum vom 1. Juni 2012 bis 30. November 2012 begehrt werden. Gegenstand des gerichtlichen erstinstanzlichen
Verfahrens sind lediglich Leistungen an den Kläger für den Zeitraum nach dem 1. Dezember 2012 gewesen. Zu Recht hat das SG seinerzeit angenommen, dass lediglich dieser Zeitraum streitgegenständlich sein kann. Denn der Aufhebungsbescheid vom 8.
Oktober 2014 war zum damaligen Entscheidungszeitpunkt noch nicht erlassen. Ferner hat der Kläger selbst in der eidesstattlichen
Versicherung vom 6. Februar 2013 angegeben, dass ihn nicht sämtlicher, per Post versendete Schriftverkehr auch tatsächlich
erreicht. Vielmehr hat er ausdrücklich den fehlenden Erhalt des Versagungsbescheids vom 7. Dezember 2012 gerügt. Angesichts
der sprachlich nur schwer verständlichen Formulierung ("unterbrochene bewilligte monatliche Leistungen/Rente") in der Prozessvollmacht
vom 28. Juli 2013 ist bei Kenntnis der Sachlage nach damaligem Stand als Unterbrechung die zum 1. Dezember eingetretene Leistungsversagung
nach dem vorangegangenen Bewilligungszeitraum zu verstehen. Die Klage ist somit vom SG zu Recht als Leistungsklage für den Zeitraum ab 1. Dezember 2012 verstanden worden. Die Klageänderung im Hinblick auf die
Leistungsgewährung für den Zeitraum Juni bis November 2012 ist aber nicht sachdienlich (vgl. §
99 SGG). Denn zum einzigen in Betracht kommenden Bescheid vom 8. Oktober 2014 fehlt es an einem diesbezüglichen Widerspruch sowie
einem Widerspruchsbescheid, weshalb die geänderte Klage unzulässig wäre (§
78 SGG). Da die Beklagte zur Klageänderung auch keine Einwilligung erteilt hat, war sie nicht wirksam.
Soweit der Kläger in Anbetracht der unzulässigen Klageänderung die mit der ursprünglichen Klage verfolgten Ansprüche weiter
verfolgt, ist diese ebenfalls unzulässig, da ein Widerspruch und Widerspruchsbescheid wegen des Bescheides vom 8. Oktober
2014 fehlt (s.o.). Das SG hat die Klage für den Zeitraum ab dem 1. Dezember 2012 zu Recht als unzulässig abgewiesen; wegen der Einzelheiten wird diesbezüglich
auf die angefochtene Entscheidung verwiesen (§
153 Abs.
2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach §
193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass der Kläger mit der Rechtsverfolgung im Berufungsverfahren keinen
Erfolg hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten
des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke, Kommentar zum
SGG, 4. Aufl., §
197a SGG Rdnr. 3; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in [...]; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum
SGG, 11. Auflage, §
193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum
SGG, §
193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum
SGG, 4. Auflage, §
193 SGG Rdnr. 4).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.