Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Versorgung mit Cannabidiol (CBD)-Öl sowie die Erstattung seit März 2019 angefallener Kosten.
Die 1965 geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse krankenversichert. Sie steht seit 01.03.2021 im Bezug einer
Rente wegen Erwerbsminderung und ist Mitglied der Krankenversicherung der Rentner.
Die Firma F vertreibt ua über ihren Online-Shop (https:/F.net) das Produkt "F CBD-Öl 10 %" und beschreibt dieses als geprüft
durch den TÜV Süd, hergestellt aus zertifiziertem Nutzhanf des EU-Sortenkatalogs mit einem Tetrahydrocannabinol (THC)-Gehalt
von < 0,2 %, Biohanfsamenöl Basis, ohne Zusatzstoffe, ohne Gentechnik, ohne Farbstoffe. Die Firma weist unter der Rubrik "Shop
Info" auf Folgendes hin:
"Warum werden unsere Öle als Aroma-Öle deklariert? Das liegt an den aktuellen Gesetzmäßigkeiten in Deutschland. Cannabidiol
(CBD) erfüllt aktuell weder die Definition eines Nahrungsergänzungsmittels, noch die eines Arzneimittels. Daraus ergibt sich
die Konsequenz, dass die CBD Ölhersteller keine Verzehrempfehlung ihren Kunden mit auf den Weg geben dürfen. Auch Heilungsversprechen
oder lindernde Vorteile des Produkts dürfen nicht hervorgehoben werden.
Kein Heilversprechen
Aus rechtlichen Gründen müssen wir dich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es sich bei den hier vorgestellten Produkten
um keine medizinischen oder pharmazeutischen Präparate handelt. Alle getroffenen Aussagen über die Eigenschaften und Wirkungen,
beruhen auf persönlichen Erfahrungen durch die Anwender dieser Produkte. ..."
Nach ihren Angaben bezieht die Klägerin bei der Firma F CBD-Aroma-Öl seit März 2019 und zahlt dafür monatlich 30,00 € (vgl
Bl 12, 41, 45, 52 der Verwaltungsakten).
I diagnostizierte bei der Klägerin am 22.10.2019 eine arterielle Hypertonie, am ehesten schmerzassoziiert, ein Fibromyalgie-Syndrom
mit chronischem Schmerzsyndrom sowie Ein- und Durchschlafstörungen. Sie sah keinen Nachweis einer hypertensiven Herzerkrankung.
Unter CBD-Öl komme die Klägerin in einen guten Schlaf und auch von Seiten der Schmerzen zur Ruhe. Nachdem viele Antihypertensiva
wegen der Nebenwirkungen hätten abgesetzt werden müssen, unterstütze sie die Therapie mit dem CBD-Öl.
H stellte der Klägerin unter dem 10.01.2021 eine "Dauerverordnung" aus: "Die o.g. Patientin befindet sich wegen Therapie refraktärer
Art, Hypertonie und Fibromyalgie in meiner ambulanten Behandlung. Wegen multipler Medikamentenunverträglichkeiten verordne
ich ihr als Dauerverordnung: ... CBD-Öl ..." (Bl 144 der Verwaltungsakten). S attestierte der Klägerin unter dem 12.01.2021,
dass er auf Grund einer chronischen Erkrankung die additive Anwendung von Aroma-Öl, Hanfsalbe und CBD-Aroma-Öl für ärztlich
indiziert halte.
Die Klägerin wandte sich mehrfach an die Beklagte mit der Bitte um Übernahme der Kosten für CBD-Öl 10 % 10 ml à 30,00 €. Sie
habe das CBD-Öl im März 2019 in der Reha in S1 verordnet bekommen. Sie habe ein Recht auf Schmerzbehandlung. Das CBD-Öl stehe
in den Leitlinien Fibromyalgie. Sie vertrage nicht alles und sei eine Ausnahme. Die Beklagte lehnte am 03.03.2021 die Versorgung
mit CBD-Öl mündlich ab.
Im weiteren Verlauf genehmigte die Beklagte der Klägerin auf ihren Antrag die Versorgung mit Cannabis iSd §
31 Abs
6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) (Schreiben vom 19.04.2021). Mit Schreiben vom 02.06.2021 informierte die Beklagte den behandelnden Arzt S, dass unter die
Genehmigung von Cannabis neben der Verordnung von THC auch das CBD-Öl 10 % 10 ml falle. Eine kassenärztliche Verordnung von
CBD-Öl 10 % 10 ml werde von der Beklagten nicht beanstandet (Bl 159 der Verwaltungsakten). Auf ärztliche Verordnung des S
vom 07.06.2021 über CBD-Öl 10 % 10 ml wurde die Klägerin am 10.06.2021 durch eine Apotheke mit einer Rezeptur CBD-Öl versorgt
(vgl Bl 57 der Verwaltungsakten). Die Klägerin brach diese Therapie ab und setzte ihre Selbstmedikation mit CBD-Öl der Firma
F fort. Sie wandte sich ua am 07.07.2021 an die Beklagte (Bl 56 der Verwaltungsakten). Seit Januar 2021 erhalte sie THC. Dieses
löse in der Nacht Blutdruck aus, sie brauche CBD-Öl 10 % 10 ml à 30,00 €, für das Jahr 2021 360,00 €. Seit März 2019 kaufe
sie sich dieses alleine über die Fibromyalgiegruppe F. Die Ware über die Apotheke sei nicht in Ordnung gewesen und zu teuer.
Sie bat um eine schriftliche Einzelfallgenehmigung, weil sie Kosten nicht mehr stemmen könne.
Mit Schreiben vom 12.08.2021 (Bl 40 der Verwaltungsakten) lehnte die Beklagte die Versorgung bzw Übernahme der Kosten für
das CBD-Öl ab. Produkte, die nur CBD enthielten, seien frei verkäuflich und fielen nicht unter das Cannabis-Gesetz. Die Klägerin
beziehe das CBD-Öl von F ohne ärztliches Rezept im freien Verkauf. Die Anwendung von CBD alleine müsse - im Gegensatz zu THC
- deshalb nicht bei der Krankenkasse beantragt werden. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass die Beklagte die von der Klägerin
privat hierzu eingesetzten Kosten nicht erstatten dürfe.
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie habe THC und CBD, verordnet durch S, nicht vertragen. Dies habe die Beklagte
1.000,00 € gekostet. Die Beklagte solle das zahlen, was gut sei und helfe. Sie fordere 720,00 € pro Jahr für CBD-Öl 10 % 10
ml (24 * 30,00 €). Ihre Rente von 984,00 € reiche nicht zum Sterben. Durch CBD brauche sie keine Blutdrucksenker mehr, die
einen Schlaganfall im Januar 2017 ausgelöst hätten. Sie appelliere an eine Einzelfallregelung vor Ort. Die CBD-Rezeptur über
die Apotheke sei "Betrug" gewesen. Es habe sich um Kokos-Öl gehandelt. Das CBD-Öl F sei das Original, es sei von der Pharmaindustrie
"gewaltsam" in Aroma-Öl umdeklariert worden. Weiter hat die Klägerin einen Arztbrief des H vom 24.10.2021 vorgelegt. In diesem
werden die Diagnosen arterielle Hypertonie mit hypertensiver Herzerkrankung, Fibromyalgie, unklare Insomnie und multiple Medikamentenunverträglichkeiten
genannt. Hinweise auf eine strukturelle Herzerkrankung bestünden nicht. Die Klägerin habe angegeben, dass Candesartan (blutdrucksenkender
Wirkstoff) ihren Blutdruck erhöhen würde. Bei der Klägerin bestehe ein sehr komplexes Bild aus Erkrankungen und Medikamentenunverträglichkeiten.
Schulmedizinische Maßnahmen am Blutdruck seien nicht erfolgreich gewesen, da es zu teilweisen paradoxen Reaktionen gekommen
sei. Selbst Tromcardin (Diätmanagement bei Herzerkrankungen) habe wohl zu Nebenwirkungen geführt. Die Klägerin scheine teilweise
auf homöopathische und naturheilkundliche Substanzen positiv zu reagieren.
Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.2021 (Bl 118 der Verwaltungsakten) den Widerspruch
der Klägerin gegen den Bescheid vom 12.08.2021 als unbegründet zurück. Nach §
31 Abs
1 SGB V hätten Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln. Versicherte mit einer schwerwiegenden
Erkrankung hätten auf Grundlage des §
31 Abs
6 SGB V Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten und Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung
mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol und Nabilon. Diese Regelung betreffe nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) verschreibungspflichtige Arzneimittel. Als über den gesetzlichen Anspruch hinausgehende Mehrleistung erstatte die Beklagte
nach § 14 Abs 4 ihrer Satzung im Rahmen des sog Gesundheitskontos die Kosten für nicht verschreibungspflichtige apothekenpflichtige
Arzneimittel der Homöopathie, Anthroposophie und Phytotherapie, sofern diese von einem Vertragsarzt mit der Zusatzqualifikation
Homöopathie oder Naturheilverfahren auf einem Privatrezept verordnet würden und die Einnahme medizinisch notwendig sei, eine
Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern und das Arzneimittel
mit einer in der Bundesrepublik Deutschland gültigen Zulassung in einer Apotheke oder im Rahmen des nach dem deutschem Recht
zulässigen Versandhandels bezogen werde, bis zur Höhe von höchstens 200,00 € im Jahr. Voraussetzung für eine Kostenübernahme
bzw für eine Kostenerstattung sei also, dass es sich bei dem Präparat, hier dem F CBD-Öl, zumindest um ein apothekenpflichtiges
Arzneimittel handele. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Das F CBD-Öl werde vom Hersteller freiverkäuflich vertrieben.
Es sei ein Nahrungsergänzungsmittel und kein apothekenpflichtiges Arzneimittel. Es bestehe kein Anspruch auf Erstattung bzw
Übernahme der Kosten.
Am 30.11.2021 hat die Klägerin bei dem Sozialgericht Heilbronn (SG) den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 15.11.2021 versehen mit verschiedenen Bemerkungen eingereicht: "2019 360 € (12
x) 2020 360 € (12 x) 36 x 2011: Einzelfall 1000 € statt Werbung bitte ... wegen AOK Stress 2021 36 x 30 € = 1080 € da muss
sich die AOK CR daran beteiligen!"
Auf Anfrage des SG, ob die Klägerin gegen den Widerspruchsbescheid Klage erheben möchte, hat sie am 08.12.2021 mitgeteilt, es gehe um 1800,00
€ CBD. "1800 Euro CBD Öl durch Aufregung AOK Stress bei 984 Euro Rente Rest selbsterklärend. Ich habe Recht auf Schmerzbehandlung!
Wie ein Tier und Ausländer auch." Das THC habe sie nicht vertragen. Das Frankenhanf CBD-Öl sei kein Nahrungsergänzungsmittel.
Ohne CBD-Öl 10 % 10 ml riskiere die Beklagte ohne 3 x 2 Stunden Schlaf einen schmerzassoziierten Schlaganfall durch Bluthochdruckentgleisung.
Sie brauche das CBD nur nachts wegen des Schlafs. Das THC habe den Blutdruck erhöht. Jede Kasse müsse eine Einzelfallentscheidung
treffen. Es gehe um Lebensgefahr. Ihr Bedarf an CBD-Öl habe sich durch die AOK-Politik von 12 Flaschen à 10 ml auf 36 Flaschen
erhöht. Dies seien 1800,00 €, die sie nicht mehr zahlen könne. Sie habe ein Recht auf schmerzlosen Schlaf. Die Rezepte THC
und CBD 2021 habe sie leider nicht vertragen. Seit März 2019 seien ihr Kosten in Höhe von 2160,00 € entstanden.
Weiter hat die Klägerin den Entlassbrief des M vom Schlafmedizinischen Zentrum des Universitätsklinikums M1 vom 17.01.2020
vorgelegt. Darin werden die Diagnosen Insomnie, Restless-legs-Syndrom und Fibromyalgie genannt. Eine obstruktive Schlafapnoe
liege nicht vor. In dem Bericht ist ua vermerkt: "Eine Weiterführung der Behandlung mit CBD-Aroma-Öl halten wir für sinnvoll."
Das SG hat - nach Anhörung der Beteiligten - mit Gerichtsbescheid vom 25.04.2022 die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe gegen die
Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung bzw Übernahme der Kosten für das CBD-Aroma-Öl 10 % von "F". Für den Erstattungsanspruch
sowie für den Sachleistungsanspruch fehle es an einem Primärleistungsanspruch. Das CBD-Öl 10 % von "F" sei nicht verschreibungspflichtig
und damit von der Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen (§
34 Abs
1 Satz 1
SGB V). Auch die Satzungsregelung der Beklagten in §
14 Abs
4 führe nicht zu dem von der Klägerin gewünschten Ergebnis, da das CBD-Öl nicht apothekenpflichtig sei, sondern vom Hersteller
freiverkäuflich vertrieben werde. Daran ändere sich nichts unter Berücksichtigung der durch den Gemeinsamen Bundesausschuss
(GBA) nach den §§
34 Abs
1 Satz 2,
92 Abs
1 Satz 2 Nr
6 SGB V erlassenen Richtlinien, in denen festgelegt worden sei, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der
Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gölten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung
vom Vertragssatz ausnahmsweise verordnet werden könnten. Das streitgegenständliche Öl sei in der Richtlinie nicht gelistet.
Die Richtlinien seien mit Verfassungsrecht vereinbar (Hinweis auf Bundessozialgericht <BSG> 15.12.2015, B 1 KR 30/15 R). Soweit die Klägerin vorgetragen habe, das verschreibungspflichtige THC habe sie nicht vertragen, rechtfertige dies keinen
Anspruch auf Kostenerstattung. Die Klägerin könne den geltend gemachten Anspruch nicht auf die verfassungsrechtliche Rechtsprechung
zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung bei lebensbedrohlichen und regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen
sowie die hierzu ergangene gesetzliche Regelung des §
2 Abs
1a SGB V stützen. Ein solcher Schweregrad der Erkrankungen sei im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Gegen den ihr am 26.04.2020 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die Klägerin mit ihrem am 09.05.2020 beim SG eingelegten "Widerspruch". §
34 SGB V werde vom Gericht völlig falsch ausgelegt. In 57 Jahren habe sie alle Medikamente probiert mit dem Ergebnis eines Schlaganfalls
im Januar 2017 unter 3 WHO-Schulmedizin-Medikamenten. Sie wolle einen Einzelfall vor Ort, weil das CBD-Öl 10 % in der Reha
2019 verordnet worden sei. Ein weiterer Schlaganfall wäre für alle teurer. Sie leide unter schmerzassoziiertem Bluthochdruck
nachts. S habe ein CBD-Öl auf Rezept verordnet. Von der Apotheke sei ihr ein Betrugsprodukt geliefert worden. Dies sei weißes
Kokos-Öl gewesen. Das Original CBD-Öl sei braun und stinke. THC vertrage sie nicht, dagegen aber CBD. Es handele sich um kein
Aroma-Öl. Das CBD-Öl sei ein starkes Medikament für sie. Die Apothekenmischung mit Kokos-Öl und THC vertrage sie nicht. Dies
zahle die Beklagte auf Rezept. Das sei Betrug. Das CBD-Öl im Original von F sei wesentlich günstiger. Dies zahle die Beklagte
nicht. Sie habe ein Recht auf Alternativmedizin. Es handele sich um kein Aroma-Öl. Es stinke.
Die Klägerin hat den Arztbrief des B vom 26.04.2020 über einen stationären Aufenthalt in der Inneren Medizin des Klinikums
C vom 25.04.2022 bis zum 26.04.2022 vorgelegt. Dort werden die Diagnosen rezidivierende hypertensive Entgleisung bei bekannter
arterieller Hypertonie (bisher unbehandelt bei anamnestisch multiplen Unverträglichkeiten gegenüber Antihypertensiva), atypische
thorakale Schmerzen (Ausschluss akuter Myokardinfarkt, Echokardiographie gute systolische LV-Funktion, keine Wandbewegungsstörungen)
sowie folgende Empfehlungen genannt: ambulante orthopädische Vorstellung, bei Beschwerdepersistenz ggf eine Myokardszintigraphie,
regelmäßige Blutdruckkontrollen und ggf Anpassung der antihypertensiven Therapie. Im stationären Verlauf sei ein Versuch der
RA-Senkung mit Nitroglycerin letztlich von der Klägerin ohne wesentliche Nebenwirkungen akzeptiert worden. Ihr sei Nepresol
(verschreibungspflichtiges Arzneimittel zur Senkung des erhöhten Blutdrucks) zur Blutdrucksenkung empfohlen worden.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 25.04.2022 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids
vom 12.08.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.11.2021 zu verurteilen, sie mit CBD-Öl 10 % der Firma F in Zukunft
zu versorgen und ihr für die Zeit ab 01.03.2019 2.160,00 € zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat auf ihre Entscheidung sowie den angefochtenen Gerichtsbescheid verwiesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten
der Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
Den Gegenstand des Berufungsverfahrens bildet der Bescheid vom 12.08.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.11.2021
(§
95 SGG), mit dem die Beklagte die Versorgung der Klägerin mit CBD-Öl der Firma F und die Erstattung der ihr entstanden Kosten abgelehnt
hat. Diese Ablehnung bezieht sich auf die erneuten Anträge der Klägerin auf Versorgung mit CBD-Öl der Firma F bzw Übernahme
der entsprechenden Kosten und zwar für die Zeit, nachdem aus Sicht der Klägerin die nach §
31 Abs
6 SGB V genehmigte Versorgung mit THC/CBD gescheitert war. Dieses Begehren hat die Klägerin erstmals am 07.07.2021 an die Beklagte
herangetragen. Sie hat weiterhin zum Ausdruck gebracht, dass sie die Kosten für das CBD-Öl aus der ihr mittlerweile bewilligten
Erwerbsminderungsrente nicht mehr "stemmen" könne. Damit hat sie in der Sache die Versorgung mit CBD-Öl für die Zukunft geltend
gemacht. So hat die Beklagte das Begehren der Klägerin auch verstanden und für die Zeit ab der erneuten Antragstellung eine
Versorgung mit CBD-Öl bzw die Erstattung entsprechender Kosten abgelehnt. Die in der Vergangenheit abgeschlossenen Verwaltungsverfahren
betreffend die Versorgung mit CBD-Öl hat die Beklagte dabei nicht erneut aufgegriffen und für die Vergangenheit keine erneute
Sachentscheidung, die zum Gegenstand eines Klageverfahrens gemacht werden könnte, getroffen. Gegen die oben genannten Bescheide
wendet sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§
54 Abs
1 und 4, 56
SGG) und begehrt für die Zukunft die Versorgung mit CBD-Öl der Firma F. Soweit sich die Klägerin während des Verwaltungs- und
Gerichtsverfahrens das CBD-Öl selbst beschafft und hierfür Kosten aufgewendet hat (Rechnung vom 22.09.2021 <Bl 262 Verw-Akten>
720,00 €; Rechnung vom 05.10.2021 <Bl 34 der SG-Akten> 720,00 €; monatliche Zahlungen à 30,00 €) sowie nun die Erstattung dieser Aufwendungen begehrt, liegt in der Umstellung
des Sachleistungsbegehrens auf eine Kostenerstattung keine Änderung der Klage vor (vgl §
99 Abs
3 Nr
3 SGG; ferner zB BSG 26.02.2019, B 1 KR 24/18 R, BSGE 127, 240, juris Rn 8). Soweit die Klägerin - ausweislich ihres in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 02.08.2022 gestellten
Antrages - die Erstattung der ihr vor dem 07.07.2021 entstandenen Kosten für das CBD-Öl der Firma F begehrt, ist ihre Klage
unzulässig. Denn insoweit enthält der von der Klägerin angefochtene Bescheid vom 12.08.2021 - wie dargelegt - keine Regelung.
Soweit die Klage zulässig ist, ist sie unbegründet. Der Bescheid vom 12.08.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.11.2021
stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Klägerin steht kein Sachleistungsanspruch
auf die Versorgung mit CBD-Öl der Firma F zu, weil dieses nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung
gehört.
Nach §
27 Abs
1 Satz 1
SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre
Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua die Versorgung mit Arzneimitteln
(§
27 Abs
1 Satz 2 Nr
3 SGB V). Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach §
34 SGB V oder durch Richtlinien nach §
92 Abs
1 Satz 2 Nr
6 SGB V ausgeschlossen sind (§
31 Abs
1 Satz 1
SGB V). Der GBA hat in den Richtlinien nach §
92 Abs
1 Satz 2 Nr
6 SGB V festzulegen, in welchen medizinisch notwendigen Fällen Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die als Medizinprodukte nach
§ 3 Nr 1 oder Nr 2 des Medizinproduktegesetzes (MPG) in der bis einschließlich 25.05.2021 geltenden Fassung zur Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmt sind, ausnahmsweise
in die Arzneimittelversorgung einbezogen werden; § 34 Abs 1 Satz 5, 7 und 8 und Abs
6 sowie §
35 und die §§
126 und
127 SGB V in der bis zum 10.05.2019 geltenden Fassung gelten entsprechend. Für verschreibungspflichtige und nicht verschreibungspflichtige
Medizinprodukte nach §
31 Abs
1 Satz 2
SGB V gilt §
34 Abs
1 Satz 6
SGB V entsprechend. Der Vertragsarzt kann Arzneimittel, die auf Grund der Richtlinien nach §
92 Abs
1 Satz 2 Nr
6 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen sind, ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen (§
31 Abs
1 Satz 4
SGB V). Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind gemäß §
34 Abs
1 Satz 1
SGB V von der Versorgung nach §
31 SGB V grundsätzlich ausgeschlossen.
Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin keinen Anspruch auf die Versorgung mit CBD-Öl der Firma F. Unabhängig von der Frage,
ob es sich dabei um ein Arzneimittel handelt (vgl § 2 Abs 1 Arzneimittelgesetz <AMG>; ferner BSG 28.02.2008, B 1 KR 16/07 R, BSGE 100, 103; BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/04 R, BSGE 96, 158), würde es an der erforderlichen arzneimittelrechtlichen Zulassung fehlen. Denn dem CBD-Öl, das von der Firma F im Voraus
hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht wird (vgl § 4 Abs 1 AMG; ferner BSG 08.11.2011, B 1 KR 20/10 R, BSGE 109, 218; BSG 28.02.2008, B 1 KR 16/07 R, BSGE 100, 103), fehlt es an einer arzneimittelrechtlichen deutschen oder europäischen Zulassung (§ 21 Abs 1 AMG). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG sind die Anforderungen des
SGB V an Pharmakotherapien mit Medikamenten, die nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung bedürfen, nur erfüllt,
wenn sie eine solche Zulassung besitzen. Ohne die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt es - auch in Würdigung
des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 (BVerfG, 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25) - an der krankenversicherungsrechtlichen Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit dieser Arzneimitteltherapie (vgl §
2 Abs
1 Satz 1, §
12 Abs
1 SGB V; ständige Rechtsprechung des BSG, vgl zB BSG 11.09.2018, B 1 KR 36/17 R, GesR 2019, 38; BSG 08.11.2011, B 1 KR 20/10 R, BSGE 109, 218; BSG 28.02.2008, B 1 KR 16/07 R, BSGE 100, 103). Weiterhin ist die Versorgung mit CBD-Öl der Firma F auch deshalb ausgeschlossen, weil dieses Öl frei verkäuflich und nicht
apothekenpflichtig ist. Dieses Öl, das insbesondere wegen der Herkunft des Saatgutes sowie der Konzentration an THC < 0,2
% kein Betäubungsmittel darstellt (vgl § 1 Abs 1 BtMG i.V.m. Anlage I), wird außerhalb von Apotheken durch den Hersteller - die Firma F - vertrieben. §
31 Abs
1 Satz 1
SGB V gewährt aber nur einen Anspruch auf "apothekenpflichtige" Arzneimittel, dh solche, die nach dem Arzneimittelrecht ausschließlich
über Apotheken vertrieben werden dürfen (§§ 43?ff AMG). Ausgeschlossen sind damit Mittel, die ua aus Drogerien, Reformhäusern und Supermärkten bezogen werden können (Axer in Becker/Kingreen,
SGB V, 8. Auflage 2022, §
31 Rn 29; Kraftberger in Hänlein/Schuler,
SGB V, 6. Auflage 2022, §
31 Rn 22; Nolte in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2021, §
31 SGB V Rn 30; Pitz in jurisPK-
SGB V, 4. Auflage 2020 <Stand 05.07.2022>, §
31 Rn 83 ff).
Sollte es sich bei dem CBD-Öl der Firma F um ein Medizinprodukt iSd § 3 Nr 1 oder 2 MPG in der bis zum 25.05.2021 geltenden Fassung handeln, so scheidet auch ein Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit diesem
Produkt aus. Denn in der auf Grundlage der §§
31 Abs
1 Satz 1,
92 Abs
1 Satz 2 Nr
6 SGB V erlassenen Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) des GBA (in der Fassung vom 18.12.2008/22.01.2009 <BAnz Nr 49a, in Kraft getreten
am 01.04.2009, zuletzt geändert am 19.05.2022 <BAnz AT 05.07.2022 B1>, in Kraft getreten am 06.07.2022) sind die verordnungsfähigen
Medizinprodukte abschließend aufgeführt. Diese regelt in Einklang mit dem Verfassungsrecht bindend für alle Systembeteiligten,
welche Medizinprodukte ausnahmsweise in die Arzneimittelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen werden
(BSG 03.07.2021, B 1 KR 23/11 R, BSG 111, 155; ferner BVerfG 10.11.2015, 1 BvR 2056/12, BVerfGE 140, 229). Das CBD-Öl ist dort als verordnungsfähiges Medizinprodukt nicht gelistet (§ 27 Abs 8 AM-RL i.V.m. Anlage V).
Die Regelung des §
31 Abs
1 Satz 4
SGB V, die es dem Vertragsarzt erlaubt, ein auf Grund der AM-RL von der Versorgung ausgeschlossenes Arzneimittel ausnahmsweise
in medizinisch begründeten Einzelfällen mit gesonderter Begründung (vgl zum Begründungserfordernis zB Bayerisches LSG 02.03.2016,
L 12 KA 107/14) zu verordnen, greift nicht ein, weil das streitige CBD-Öl von F nicht auf Grund der Regelungen der AM-RL ausgeschlossen
ist, sondern schon nach den gesetzlichen Vorgaben des §
31 Abs
1 Satz 1
SGB V mangels arzneimittelrechtlicher Zulassung und Apothekenpflichtigkeit.
Weiterhin ergibt sich ein Anspruch auf Versorgung mit CBD-Öl der Firma F nicht aus §
31 Abs
6 Satz 1
SGB V. Danach haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten
Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder
Nabilon, wenn
1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
a) nicht zur Verfügung steht oder
b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter
Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht
zur Anwendung kommen kann,
2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende
Symptome besteht.
Vorliegend unterfällt das von der Klägerin begehrte CBD-Öl nicht der "Versorgung mit Cannabis", da es sich bei dem CBD-Öl
nicht um das Betäubungsmittel (Medizinal-)Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität
handelt, das auf vertragsärztliche Verordnung durch Apotheken abgegeben wird (vgl LSG Berlin-Brandenburg 15.01.2021, L 9 KR
462/ 20 B ER; Bischoffs in BeckOK, Stand 01.06.2022, §
31 Rn 86; Kraftberger in Hänlein/Schuler,
SGB V, 6. Auflage 2022, §
31 Rn 134; Wagner in Krauskopf, Stand April 2022, §
31 SGB V Rn 45). Weiterhin würde ein Anspruch ua auch an der fehlenden begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes scheitern
(vgl im Einzelnen zu den Anforderungen an die begründete Einschätzung zB LSG Baden-Württemberg 22.03.2022, L 11 KR 3804/21, WzS 2022, 179; LSG Baden-Württemberg 11.10.2021, L 11 KR 494/21; LSG Baden-Württemberg 30.03.2021, L 11 KR 436/20, Die Leistungen Beilage 2021, 289).
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch nach § 14 Abs 4 der Satzung der Beklagten. Danach erstattet die Beklagte die Kosten
für nicht verschreibungspflichtige apothekenpflichtige Arzneimittel der Homöopathie, Anthroposophie und Phytotherapie, sofern
sie von einem Vertragsarzt/einer Vertragsärztin mit der Zusatzqualifikation Homöopathie oder Naturheilverfahren auf einem
Privatrezept verordnet werden und die Einnahme medizinisch notwendig ist, eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung
zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, und das Arzneimittel mit einer in der Bundesrepublik Deutschland gültigen
Zulassung in einer Apotheke oder im Rahmen des nach deutschem Recht zulässigen Versandhandels bezogen wurde. Dieser Anspruch
scheitert an der fehlenden arzneimittelrechtlichen Zulassung für das CBD-Öl von F.
Schließlich folgt ein Sachleistungsanspruch nicht aus §
2 Abs
1a SGB V. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig
vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur
Verfügung steht, auch eine von §
2 Abs
1 Satz 3
SGB V ("Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen
und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.") abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende
Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Nach dem Beschluss des
BVerfG vom 06.12.2005 geben die Grundrechte aus Art
2 Abs
1 Grundgesetz (
GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art
2 Abs
2 GG einen Anspruch auf Krankenversorgung in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung, wenn für sie
eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht und die vom Versicherten
gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens
auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht (BVerfGE 115, 25). Gemäß der Rechtsprechung des BVerfG ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, die Grundsätze des Beschlusses vom 06.12.2005
auf Erkrankungen zu erstrecken, die wertungsmäßig mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen
vergleichbar sind. Dies würde dem Ausnahmecharakter eines solchen verfassungsunmittelbaren Leistungsanspruchs nicht gerecht
werden. Vielmehr bleibt der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf extreme Situationen einer krankheitsbedingten
Lebensgefahr beschränkt (vgl BVerfGE 140, 229). Der Gesetzgeber hat demgegenüber im Anschluss an die Rechtsprechung des BSG (vgl zB BSG 28.02.2008, B 1 KR 160/07, BSGE 100, 103; BSG 20.04.2010, B 1/3 KR 22/08, BSGE 106, 81) in §
2 Abs
1a SGB V die grundrechtsorientierte Auslegung auch auf wertungsmäßig vergleichbare Erkrankungen erstreckt (vgl BT-Drs 17/6906, 53).
Eine Erkrankung ist lebensbedrohlich, wenn sie in überschaubarer Zeit das Leben beenden kann und dies eine notstandsähnliche
Situation herbeiführt, in der Versicherte nach allen verfügbaren medizinischen Hilfen greifen müssen (BVerfGE 140, 229). Es genügt hierfür nicht, dass die Erkrankung unbehandelt zum Tode führt. Dies trifft auf nahezu jede schwere Erkrankung
ohne therapeutische Einwirkung zu (vgl zB BSG 17.12.2013, B 1 KR 70/12 R, BSGE 115, 95). Die Erkrankung muss trotz des Behandlungsangebots mit vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung regulär
umfassten Mitteln lebensbedrohlich sein. Kann einer Lebensgefahr mit diesen Mitteln hinreichend sicher begegnet werden, besteht
kein Anspruch aus grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts (vgl BVerfG 11.04.2017, 1 BvR 452/17, NZS 2017, 582). Die notstandsähnliche Situation muss sich nach den konkreten Umständen des einzelnen Falles ergeben. Ein nur allgemeines
mit einer Erkrankung verbundenes Risiko eines lebensgefährlichen Verlaufs genügt hierfür nicht (BSG 20.03.2018, B 1 KR 4/17 R, SozR 4-2500 § 2 Nr 12). Die notstandsähnliche Situation muss im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik
vorliegen, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach
den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb
eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird (BSG 27.03.2007, B 1 KR 17/06 R, USK 2007-25; BSG 28.02.2008, B 1 KR 160/07, BSGE 100, 103; 17.12.2013, B 1 KR 70/12 R, BSGE 115, 95; BSG 15.12.2015, B 1 KR 30/15 R, BSGE 120, 170). Danach muss es sich um eine durch eine nahe Lebensgefahr gekennzeichnete individuelle Notlage handeln (BSG 20.03.2018, B 1 KR 4/17 R, SozR 4-2500 § 2 Nr 12 mwN zur Rechtsprechung des BVerfG). Das BSG hat das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden oder wertungsmäßig hiermit vergleichbaren
Erkrankung ua verneint bei einem Prostatakarzinom im Anfangsstadium ohne Hinweise auf metastatische Absiedlungen (BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/05, SozR 4-2500 § 27 Nr 8), bei einem in schwerwiegender Form bestehenden Restless-Legs-Syndrom mit massiven Schlafstörungen und daraus resultierenden
erheblichen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen sowie Suizidandrohung (BSG 26.09.2006, B 1 KR 14/06 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 6), bei Friedreich'scher Ataxie - Zunahme der Wanddicke des Herzmuskels, allgemeiner Leistungsminderung und langfristig
eingeschränkter Lebenserwartung (BSG 14.12.2006, B 1 KR 12/06 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 8) und bei Zungenschwellungen mit Erstickungsgefahr im Rahmen von Urtikaria-Episoden, die medikamentös mit Hilfe eines
stets mitgeführten Notfallsets zu beherrschen waren (vgl BSG 13.12.2016, B 1 KR 1/16 R, BSGE 122, 170; zustimmend BVerfG 11.04.2017, 1 BvR 452/17, NZS 2017, 582). Dagegen hat es bei einem zunächst operativ und dann chemotherapeutisch behandelten Dickdarm-Karzinom, das sich bereits
mindestens im Stadium III befand, das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung bejaht (BSG 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R, BSGE 96, 170).
Vorliegend ergeben sich keine Hinweise auf eine regelmäßig tödlich verlaufende Krankheit oder eine wertungsmäßig vergleichbare
Erkrankung iS eines nicht kompensierbaren Verlustes eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion.
Die Klägerin leidet an einer arteriellen Hypertonie, am ehesten schmerzassoziiert, einem Fibromyalgie-Syndrom mit chronischen
Schmerzsyndrom, einem Restless-legs-Syndrom sowie Ein- und Durchschlafstörungen. Die entnimmt der Senat den Angaben der behandelnden
Ärzte I, H, S, M sowie des B. Eine relevante hypertensive Herzerkrankung haben I und B ausgeschlossen. Wegen multipler Unverträglichkeiten
kommt es immer wieder zu hypertensiven Entgleisungen, die ausweislich des Berichts des B vom 26.04.2020 über den stationären
Aufenthalt im April 2022 behandelt werden konnten. Dort ist der Klägerin Nepresol (verschreibungspflichtiges Arzneimittel
zur Senkung des erhöhten Blutdrucks) zur Blutdrucksenkung empfohlen worden. Daraus ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass
der Klägerin nach den konkreten Umständen des Falles bereits droht, dass sich ein voraussichtlich tödlicher Krankheitsverlauf
ohne Versorgung mit CBD-Öl innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen
wird. Die von der Klägerin geltend gemachten massiven Schlafstörungen und daraus resultierenden erheblichen körperlichen und
seelischen Beeinträchtigungen genügen nicht (vgl BSG 26.09.2006, B 1 KR 14/06 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 6).
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der ihr bisher entstandenen Kosten für das CBD-Öl iHv 2.160,00
€.
Ein Anspruch auf Kostenerstattung nach §
13 Abs
2 SGB V kommt vorliegend schon von vornherein nicht in Betracht, da die Klägerin nicht das Kostenerstattungsverfahren gewählt hatte.
Auch die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Erstattung von Kosten für eine notwendige, selbstbeschaffte
Leistung, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Fall 1) oder sie eine Leistung
zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind (Fall 2). Ein
Anspruch nach §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V setzt in beiden Regelungsalternativen einen entsprechenden Primärleistungsanspruch voraus, also einen Sach- oder Dienstleistungsanspruch
des Versicherten gegen seine Krankenkasse, und geht in der Sache nicht weiter als ein solcher Anspruch; er setzt daher voraus,
dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder
Dienstleistung zu erbringen haben (vgl BSG 24.09.1996, 1 RK 33/95, BSGE 79, 125 = SozR 3-2500 § 13 Nr 11; BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12; BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12). Die Voraussetzungen für die Sachleistung liegen - wie bereits im Einzelnen dargelegt - nicht vor.
Schließlich hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Erstattung nach §
13 Abs
3a Satz 7
SGB V. Unabhängig von der Frage, ob die Beklagte die Fristen des §
13 Abs
3a Satz 1 bis
3 SGB V eingehalten hat oder die beantragte Versorgung mit CBD-Öl als genehmigt gilt (§
13 Abs
3a Satz 6
SGB V), scheidet eine Erstattung aus. Das durch die Genehmigungsfiktion begründete Recht zur Selbstbeschaffung auf Kosten der Krankenkasse
besteht auch bei materieller Rechtswidrigkeit der selbstbeschafften Leistung, sofern der Versicherte im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung
keine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vom Nichtbestehen des materiellen Leistungsanspruchs hat (dazu und zum Folgenden
BSG 26.05.2020, B 1 KR 9/18 R, BSGE 130, 200 mwN). Grob fahrlässig handelt nach der Legaldefinition des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, dh wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen
nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit
insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen
Umständen des Falles zu beurteilen. Eine nähere Kenntnis des Krankenversicherungsrechts darf den Versicherten nicht abverlangt
werden. Das Tatbestandsmerkmal der groben Fahrlässigkeit soll nur eine Kostenerstattung offensichtlich rechtswidriger Leistungen
ausschließen. Je offensichtlicher die beantragte Leistung außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung
liegt, desto eher ist von einer zumindest grob fahrlässigen Unkenntnis (Bösgläubigkeit) der Versicherten im Zeitpunkt der
Selbstbeschaffung auszugehen. Das ist dann der Fall, wenn sich Versicherte trotz erdrückender Sach- und Rechtslage besserer
Erkenntnis verschließen. Ein solcher Fall der groben Fahrlässigkeit ist hier gegeben. Der Hersteller hat ausdrücklich darauf
hingewiesen, dass das CBD-Öl nicht als Arzneimittel oder medizinisches Produkt vertrieben wird. Er hat kein "Heilversprechen"
abgegeben, sondern das CBD-Öl als Aromaöl außerhalb des Vertriebsweges für Arzneimittel und Medizinprodukte und ohne ärztliche
Verordnung vermarktet und vertrieben. Der Klägerin musste sich im Hinblick auf die ihr nach Genehmigung der Beklagten nach
§
31 Abs
6 SGB V vertragsärztlich verordneten und durch eine Apotheke abgegebenen Cannabisarznei aufgedrängt haben, dass die Versorgung mit
frei verkäuflichem CBD-Aromaöl durch die Firma F außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegt.
Dem hat sie sich bei der Beschaffung des CBD-Öls beharrlich verschlossen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs
2 Nrn 1 und 2
SGG) liegen nicht vor.