Erstattung von Kosten für eine chirurgische Magenteilresektion
Sach- oder Dienstleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse
Unaufschiebbarkeit der beantragten Leistung
Eintritt der Genehmigungsfiktion
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Erstattung von Kosten für eine chirurgische Magenteilresektion in Höhe von 8.095,32 EUR.
Die am 09.03.1973 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie litt seit Jahren an Adipositas.
Nachdem ihr im M.-Hospital S. eine adipositaschirurgische Maßnahme empfohlen worden war (Bl 3 Verwaltungsakte), vereinbarte
sie den Termin zur Operation dort auf den 22.12.2014. Danach beantragte sie mit Schreiben vom 01.12.2014, bei der Beklagten
am 03.12.2014 eingegangen, die Kostenzusage für eine Magenverkleinerung im M.-Hospital S ... Sie sei bereits als Kind übergewichtig
gewesen. Nach einer zwischenzeitlichen Gewichtsreduktion durch das Betreiben von Leistungssport habe sich ihr Gewicht infolge
ihrer Berufstätigkeit zunehmend erhöht. So habe sie im Alter von 23 Jahren bereits 92 kg gewogen; eigene Diäten hätten nicht
mehr geholfen. Zwischenzeitlich habe sie in einer Gruppe "Treffpunkt Wunschgewicht" ca. 20 kg abgenommen, sei jedoch nicht
in der Lage gewesen, dieses Gewicht lange zu halten. Im Jahr 2009 habe sie mit Hilfe des "Optifast"-Programms 40 kg abgenommen.
Nach dem Suizidtod ihres Vaters habe sie aber wieder zugenommen und wiege zum Zeitpunkt der Antragstellung 127 kg. Sie leide
an Wassereinlagerungen in den Beinen, erhöhtem Blutdruck und erhöhten Zuckerwerten sowie Gelenks-, Knie-, Rücken-, Nacken-
und Fußschmerzen. Diese Schmerzen hinderten sie oft daran, Sport zu betreiben, was wiederum zur Gewichtszunahme führe. Die
beantragte Magenverkleinerung sei der letzte Ausweg. Dem Antrag beigefügt war ein Arztbrief des M.-Hospitals S. - Klinik für
Allgemein, Viszeral- und Thoraxchirurgie - vom 12.06.2014, wonach sich die Klägerin dort am 12.06.2014 vorgestellt habe. Bei
einer Körpergröße von 172 cm bestehe ein Gewicht von 130 kg, was einem BMI von 44 kg/m2 entspreche. Nebendiagnostisch bestehe
ein Asthma bronchiale, ein obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom und eine Hyperurikämie. Aller Erfahrung nach sei eine nachhaltige
Gewichtsabnahme bei dem vorliegenden BMI nur mit einer adipositaschirurgischen Maßnahme dauerhaft möglich. Angesichts des
Alters der Patientin sei die Durchführung einer Sleeve-Gastrektomie indiziert, um insbesondere Folgeerkrankungen der Adipositas
zu vermeiden und auch die Lebenserwartung nicht zu reduzieren.
In einem Telefonat am 09.12.2014 informierte die Klägerin die Beklagte über den geplanten OP-Termin am 22.12.2014 (vgl Bl
88 Verwaltungsakte).
Mit Schreiben vom 09.12.2014 (Bl 45 Verwaltungsakte) teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihr Antrag auf Kostenübernahme
für einen adipositaschirurgischen Eingriff eingegangen sei. Eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung
(MDK) sei erforderlich, da die beantragte Leistung nur als "ultima ratio", dh wenn alle anderen Möglichkeiten zur Gewichtsreduktion
ausgeschöpft seien, in Betracht komme. Am 15.12.2014 beauftragte die Beklagte den MDK mit einem Gutachten nach Aktenlage und
wies auf die Eilbedürftigkeit hin (Bl 77 Verwaltungsakte).
In seinem Gutachten vom 17.12.2014 (Bl 80 ff Verwaltungsakte) gelangte Dr. R. vom MDK zum Ergebnis, dass eine Indikation zur
Durchführung einer adipositaschirurgischen Maßnahme im Falle der Klägerin nicht gegeben sei. Insbesondere die erfolglose Durchführung
einer längerfristigen, zeitgleichen Bewegungs-, Ernährungs- und Psycho- bzw Verhaltenstherapie sowie das Vorliegen der Indikation
für eine gastroplastische Operation bei gleichzeitigem Fehlen von Kontraindikationen hätten nur teilweise festgestellt werden
können. Ein multimodales Therapiekonzept sei nicht erfolgt. Die Klägerin habe zwar eine Ernährungstherapie zeitweilig durchgeführt,
dies jedoch nicht zeitgleich mit einer Bewegungs- und Verhaltenstherapie. Schwerwiegende Begleiterkrankungen oder besondere
psychosoziale Umstände lägen ebenfalls nicht vor. Demnach seien die Voraussetzungen für eine bariatrische Operation nach der
Leitlinie der Gesellschaft für Chirurgie der Adipositas und der Deutschen Adipositasgesellschaft von 2014 nicht erfüllt. Eine
zügige Reduktion des Gewichtes sei jedoch nachvollziehbar dringend notwendig. Es werde daher empfohlen, eine Verlaufsbeschreibung
einer Ernährungsberatung mit Ernährungsanalyse, ein Attest eines Psychiaters oder Psychotherapeuten zum Ausschluss einer behandlungsbedürftigen
psychiatrischen Erkrankung, einen Verlaufsbericht einer Verhaltenstherapie/Verhaltensmodifikation sowie einen Verlaufsbericht
einer Bewegungstherapie bzw eine Dokumentation sportlicher Betätigungen vorzulegen und den Vorgang innerhalb von vier Monaten
erneut vorzulegen.
Am 22.12.2014 ließ die Klägerin die beantragte Magenverkleinerung im M.-Hospital S. durchführen. Die Rechnung vom 15.01.2015
über 8.095,32 EUR (Bl 35 SG-Akte) hat die Klägerin ratenweise bezahlt.
Mit Bescheid vom 14.01.2015 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Die Voraussetzungen einer bariatrischen Operation
seien nach der eingeholten Stellungnahme des MDK vom 17.12.2014 nicht erfüllt.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 18.01.2015 Widerspruch ein. Ihr Antrag vom 03.12.2014 habe alle erforderlichen
Unterlagen enthalten. Diese seien von der Beklagten am 08.12.2014 gescannt worden. Die Beklagte habe ihre Pflicht versäumt,
nach §
13 Abs
3a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) innerhalb von fünf Wochen zu entscheiden, weshalb die Zusage zu erteilen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.03.2015 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Die beantragte
Kostenübernahme für eine Krankenhausbehandlung anlässlich einer Sleeve-Gastrektomie (Schlauchmagen-OP) könne nicht ausgesprochen
werden. Das Bundessozialgericht habe in seinem Urteil vom 19.02.2003 (B 1 KR 1/02 R) entschieden, dass die operative Magenverkleinerung zur Behandlung des extremen, krankhaften Übergewichts nur in besonderen
Ausnahmefällen als letzte Behandlungsmöglichkeit (ultima ratio) gerechtfertigt sei. Die Krankenkassen dürften die Kosten für
eine derartige Maßnahme daher nur übernehmen, wenn sämtliche konservativen Behandlungsmethoden (diätische, medikamentöse,
Psycho- und/oder Bewegungstherapie) erfolglos durchgeführt worden seien. Im Falle der Klägerin sei zwar nachvollziehbar, dass
eine zügige Gewichtsreduktion erfolgen müsse. Entsprechend der Leitlinien der Gesellschaft für Chirurgie, der Adipositas und
Deutschen Adipositasgesellschaft von 2014 sei jedoch zunächst eine erfolglos durchgeführte längerfristige (sechs bis zwölf
Monate dauernde) zeitgleiche Bewegungs-, Ernährungs- und Psychotherapie bzw. Verhaltenstherapie erforderlich. Auch die Voraussetzungen
einer Genehmigungsfiktion nach §
13 Abs
3a SGB V seien nicht erfüllt. Insoweit könne keine Rede davon sein, dass die Beklagte ohne jede Begründung die Fünf-Wochen-Frist des
§
13 Abs
3a SGB V habe verstreichen lassen. In einem Gespräch am 09.12.2014 sei die Klägerin über den Sachstand und darüber informiert worden,
dass weitere Unterlagen angefordert und der MDK mit einer Begutachtung beauftragt worden sei, sodass für die abschließende
Entscheidung noch etwas Zeit benötigt werde. Die Klägerin habe angegeben, dass die Operation am 22.12.2014 durchgeführt werden
solle. Am 15.12.2014 seien die weiter angeforderten Unterlagen bei der Beklagten eingegangen, worüber die Klägerin auch mit
Schreiben vom gleichen Tag informiert worden sei. Erst danach habe eine medizinische Beurteilung durch den MDK erfolgen können.
Hiernach habe sich die Klägerin darauf einstellen können, dass ihr Antrag nicht innerhalb von fünf Wochen ab Antragstellung
habe beschieden werden können, da zur Leistungsentscheidung nicht alle Unterlagen vollständig vorgelegen hätten. Bereits am
21.12.2014 sei die Klägerin zur Operation im M.-Hospital S. stationär aufgenommen worden, dies ohne schriftliche Zusage der
Beklagten. Am 22.12.2014 habe der MDK im Rahmen einer Eilbegutachtung vorab die Beklagte über das Ergebnis der Begutachtung
telefonisch informiert, woraufhin versucht worden sei, die Klägerin telefonisch zu erreichen. Das schriftliche MDK-Gutachten
vom 17.12.2014 sei bei der Beklagten am 23.12.2014 eingegangen, danach sei der Antrag auf Kostenübernahme mit Bescheid vom
15.01.2015 abgelehnt worden. Ein zügigerer Verfahrensgang sei nicht möglich gewesen. Eine Erstattung von zuvor durch den Versicherten
selbst gezahlten medizinischen Leistungen könne ausschließlich nach §
13 Abs
3 SGB V erfolgen. Eine derartige ausnahmsweise Erstattung komme nur dann in Betracht, wenn es sich entweder um eine unaufschiebbare
Leistung (Notfallversorgung) gehandelt habe oder aber die Krankenkasse einen vorher gestellten Leistungsantrag zu Unrecht
abgelehnt habe. Beides sei im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Hiergegen hat die Klägerin unter dem 13.04.2015 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft sie. Die Operation
sei im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthaltes im M.-Hospital S. in der Zeit vom 21.12.2014 bis 27.12.2014 am 22.12.2014
durchgeführt worden. Die Beklagte übersehe überdies, dass die Klägerin bereits im Zeitraum Juni 2009 bis Juni 2010 an einem
vom MDK geförderten "Optifast"-Programm teilgenommen habe, was die Themenfelder Medizin, Ernährung, Verhalten und Bewegung
beinhaltet habe. Es könne insofern nicht die Rede davon sein, dass die Klägerin alle wissenschaftlich sinnvollen Maßnahmen
nicht weitgehend ausgeschöpft habe.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide und das Gutachten des
MDK vom 17.12.2014 Bezug genommen.
Am 12.06.2015 ist ein erneutes Gutachten des MDK (Dr. R.) erstellt worden, der an seinen Ausführungen im Gutachten vom 17.12.2014
festgehalten hat. Ein multimodales Therapiekonzept sei jedenfalls in den letzten zwei Jahren nicht durchgeführt worden. Die
von der Klägerin durchgeführte "Optifast"-Behandlung habe einen Gewichtsverlust von 37 kg erzielen können, weshalb hier nicht
von einer erfolglosen Behandlung auszugehen sei. Als erfolglos gelte eine Behandlung dann, wenn eine Reduktion des Ausgangsgewichts
innerhalb von sechs Monaten von unter zehn Prozent erreicht werden könne. Ein Anhalt dafür, dass die erlernten Strategien
und Verhaltensweisen aus dem "Optifast"-Programm weitergeführt würden, lasse sich aus den Unterlagen gerade nicht ableiten.
Eine individuelle Beschreibung des Verlaufes sowie eine Ernährungsanalyse vor und nach dem Programm lägen insoweit nicht vor.
Es bleibe dabei, dass die Voraussetzungen zur Empfehlung einer chirurgischen Adipositasbehandlung zum Zeitpunkt der Antragstellung
nicht vorgelegen hätten. Auch die nachgereichten Unterlagen ließen eine erfolglos durchgefühlte multimodale Therapie bestehend
aus Ernährungstherapie, Ernährungs- und Verhaltensmodifikation sowie Bewegungstherapie nicht erkennen.
Mit Gerichtsbescheid vom 24.07.2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren
Rechten. Als Anspruchsgrundlage komme vorliegend allein §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V in Betracht. Es habe aber weder eine unaufschiebbare Leistung vorgelegen, noch habe die Beklagte eine Leistung zu Unrecht
abgelehnt und seien dadurch der Klägerin Kosten durch die Selbstbeschaffung entstanden. Es fehle insoweit an der erforderlichen
Kausalität. Die Versicherte habe sich von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung festgelegt; die Versorgung
sei bereits am 22.12.2014 und somit vor der Entscheidung der Beklagten über ihren Antrag erfolgt. Die Klägerin könne sich
auch nicht auf die Genehmigungsfiktion des §
13 Abs
3a SGB V berufen. Da die Beklagte der Klägerin rechtzeitig mitgeteilt habe, dass eine Begutachtung durch den MDK erfolge, finde vorliegend
die Fünf-Wochen-Frist Anwendung. Die Klägerin habe sich indes die Leistung bereits selbst beschafft, bevor diese fünfwöchige
Frist abgelaufen gewesen sei. Da sich die Klägerin die Leistung vor Fristablauf beschafft habe, stehe ihr kein Kostenerstattungsanspruch
zu. Das Gesetz sehe vor, dass eine Erstattung nur dann stattfinde, wenn die Leistung nach Fristablauf beschafft worden sei.
Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 31.07.2017 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Gerichtsbescheid des SG hat die Klägerin am selben Tag Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung hat sie ihr
bisheriges Vorbringen vollumfänglich aufrechterhalten und weiter vertieft. Das von ihr absolvierte Optifast-Programm enthalte
alle vom MDK geforderten Programmelemente, da die Themenfelde Medizin, Ernährung, Verhalten und Bewegung ineinandergriffen.
Das Bundessozialgericht habe entschieden, dass die gesetzlichen Krankenversicherung Menschen mit extremem Übergewicht eine
Magenverkleinerung bezahlen müsse, wenn keine andere Therapie mehr helfe.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 24.07.2017 und den Bescheid der Beklagten vom 15.01.2015 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 26.03.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der Magenverkleinerung in
Höhe von 8.095,32 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt auf ihr bisheriges Vorbringen und auf die Ausführungen des SG Bezug.
In einem Erörterungstermin am 23.11.2017 hat der Berichterstatter die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten eingehend erörtert
(Bl 27 Senatsakte). Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die
beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß §§
153 Abs
1,
124 Abs
2 SGG ohne mündliche Verhandlung.
Die nach den §§
143,
144,
151 Abs
1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft, zulässig aber unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen.
Als Anspruchsgrundlage für den Freistellungsanspruch kommt vorliegend §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V in Betracht, denn die Klägerin hatte das Kostenerstattungsverfahren nach §
13 Abs
2 SGB V nicht gewählt. Nach §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V haben Versicherte Anspruch auf Erstattung von Kosten für eine notwendige, selbstbeschaffte Leistung, wenn die Krankenkasse
eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Variante 1) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt
hat und dem Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind (Variante 2). Ein Anspruch nach
§
13 Abs
3 Satz 1
SGB V setzt in beiden Regelungsalternativen einen entsprechenden Primärleistungsanspruch voraus, also einen Sach- oder Dienstleistungsanspruch
des Versicherten gegen seine Krankenkasse und geht in der Sache nicht weiter als ein solcher Anspruch; er setzt daher voraus,
dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder
Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG 24.09.1996, 1 RK 33/95, BSGE 79, 125 = SozR 3-2500 § 13 Nr. 11; BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190 = SozR 42500 § 13 Nr. 12; BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, BSGE 98, 26 - SozR 4-2500 § 27 Nr. 12).
Eine unaufschiebbare Leistung lag nicht vor. Unaufschiebbarkeit verlangt, dass die beantragte Leistung im Zeitpunkt ihrer
tatsächlichen Erbringung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubes mehr
besteht, um vor der Beschaffung die Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten (BSG 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R, BSGE 96, 170, SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 13 mwN). Unaufschiebbar kann danach auch eine zunächst nicht eilbedürftige Behandlung werden,
wenn der Versicherte mit der Ausführung so lange wartet, bis die Leistung zwingend erbracht werden muss, um den mit ihr angestrebten
Erfolg noch zu erreichen oder um sicherzustellen, dass er noch innerhalb eines therapeutischen Zeitfensters die benötigte
Behandlung erhalten wird (BSG 08.09.2015, 1 KR 14/14 R, KrV 2015, 254). Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass der Klägerin ein Zuwarten aus medizinischen
Gründen nicht mehr zumutbar gewesen ist. Der Senat schließt sich den Ausführungen des SG an. Es deutet nichts darauf hin, dass die Behandlung der seit Jahren bestehenden Adipositas gerade im Dezember 2014 derart
zwingend erforderlich und dringend gewesen ist, dass ein Abwarten der Entscheidung der Krankenkasse über den von der Klägerin
am 02.12.2014 versandten Antrag wurde, unzumutbar gewesen wäre. Dies wird auch durch die Einlassung der Klägerin im Termin
zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vom 15.03.2016 bekräftigt, in dem diese auf die Frage, warum die Operation am 22.12.2014
durchgeführt worden sei, angegeben hat, dass man diesen Termin wegen der Feiertage gewählt habe, um nicht so lange bei der
Arbeit auszufallen (Bl 73 SG-Akte). Zudem datierte der dem Antrag beigefügte Arztbrief des M.-Hospitals S., in dem der Klägerin zur Gewichtsreduktion
die Durchführung einer Sleeve-Gastrektomie vorgeschlagen wurde, bereits vom 12.06.2014 und der anschließende Geschehensablauf
lässt eine besondere Dringlichkeit nicht erkennen.
Auch ein Erstattungsanspruch gemäß §
13 Abs
3 Satz 1 Variante 2
SGB V liegt nicht vor. Danach gilt: Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind "dadurch" Versicherten für
die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit
die Leistung notwendig war. Der Erstattungsanspruch reicht, wie in der Rechtsprechung des BSG geklärt ist, nicht weiter als ein entsprechender - primärer - Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst
beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu
erbringen haben (BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 11 mwN). Der Anspruch ist demgemäß gegeben, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs
rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang
zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbst beschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung
eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (BSG 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R, BSGE 105, 170 SozR 4-2500 § 36 Nr 2 mwN). Der Versicherte darf sich insbesondere nicht - unabhängig davon, wie die Entscheidung der Krankenkasse
ausfallt - von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung festgelegt haben (BSG 16.12.2008, B 1 KR 2/08 R SozR 4-2500 § 13 Nr 20). Da die Klägerin bereits vor der Antragstellung am 03.12.2014 \226 eine frühere telefonische Antragstellung ist nicht
nachgewiesen \226 den OP-Termin vereinbart hatte (vgl Bl 28 Senatsakte), hatte sie sich bereits auf eine bestimmte Art der
Krankenbehandlung festgelegt. Zwischen der Ablehnungsentscheidung der Beklagten und der Selbstbeschaffung und Kostenentstehung
besteht der erforderliche Ursachenzusammenhang nicht.
Die Klägerin kann sich auch nicht auf die Genehmigungsfiktion des §
13 Abs
3a SGB V berufen. Der Eintritt der Genehmigungsfiktion und insbesondere der hier geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch scheitert
daran, dass die Operation bereits am 22.12.2014 (stationäre Aufnahme am 21.12.2014) und somit zu einem Zeitpunkt durchgeführt
wurde, zu dem die maßgeblichen Fristen des §
13 Abs
3a SGB V noch nicht abgelaufen waren.
Nach §
13 Abs
3a Satz 1
SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang
oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach
Antragseingang zu entscheiden. Hält die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich, hat sie diese unverzüglich
einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Nach §
13 Abs
3a Satz 5
SGB V hat die Krankenkasse, sofern sie Fristen nach Satz 1 nicht einhalten kann, dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung
der Gründe rechtzeitig schriftlich mitzuteilen. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach
Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung
selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (Satz 7).
Vorliegend kann offenbleiben, ob gemäß §
13 Abs
3a Satz 1
SGB V eine Frist von 3 oder von 5 Wochen für den bei der Beklagten am 03.12.2014 eingegangenen Antrag zur Anwendung kommt, denn
die Klägerin hat sich bereits am 22.12.2014 die Leistung selbst beschafft, also sogar noch vor Ablauf einer dreiwöchigen Frist.
Der geltend gemachte Anspruch auf Kostenerstattung setzt aber voraus, dass sich Leistungsberechtigte eine erforderliche Leistung
"nach Ablauf der Frist" selbst beschaffen (§
13 Abs
3a S 7
SGB V). Die Frist begann am Folgetag nach Eingang des Antrags am 03.12.2014, also am Donnerstag, den 04.12.2015 (§
26 Abs
1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X] iVm §
187 Abs
1 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) und hätte nach 3 Wochen am 24.12.2014 und nach 5 Wochen am 07.01.2015 geendet (§ 26 Abs 1 und 3 SGB X iVm §
188 Abs
2 BGB).
Ein isolierter Anspruch aus §
13 Abs
3a S 6
SGB V, losgelöst von Satz 7 der Norm besteht entgegen der Ansicht der Klägerin nicht, da das Binnensystem der Norm bezweckt, in
einem ersten Schritt einen Naturalleistungsanspruch zu fingieren und darauf aufbauend nach Fristablauf die Realisierung des
Anspruches mittels Selbstbeschaffung zu ermöglichen (vgl BSG 08.03.2016, B 1 KR 25/15 R, BSGE 121, 40, SozR 4-2500 § 13 Nr 33 RdNr 20). Durch den Eintritt der Fiktion verwandelt sich ein hinreichend inhaltlich bestimmter Antrag
in den Verfügungssatz des fingierten Verwaltungsakts, gerichtet auf Gewährung eines Naturalleistungsanspruchs auf eine bestimmte
Krankenbehandlung iS von §
27 SGB V (vgl BSG 11.07.2017, B 1 KR 26/16 R, KrV 2017, 207, für BSGE und SozR 4 vorgesehen, juris RdNr 8, 18). Wenn die begehrte Krankenbehandlung schon vor Fristablauf
selbst beschafft wird, erledigt sich der auf eine Naturalleistung gerichtete Antrag. Der Eintritt der Genehmigungsfiktion
(§
13 Abs
3a S 6
SGB V) ist in der Erstattungsregelung (§
13 Abs
3a S 7
SGB V) verkürzend mit den Worten "nach Ablauf der Frist" vorausgesetzt. Ein Naturalleistungsanspruch nach §
13 Abs
3a S 6
SGB V kann daher nicht mehr entstehen, wenn die Leistung schon Ablauf der maßgeblichen Frist selbstbeschafft wird, denn §
13 Abs
3a S 7
SGB V setzt tatbestandsmäßig eine Befugnis zur Selbstbeschaffung voraus, die sich als Rechtsfolge aus Satz 6 der Norm ergibt. "Nach
Fristablauf" kann eine Befugnis zur Selbstbeschaffung nur entstehen, wenn der Antrag bis dahin noch offen gewesen und die
Leistung noch nicht selbst beschafft ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 Abs
2 Nr
1 und
2 SGG).