Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im sozialgerichtlichen Verfahren wegen Versäumnis der Klagefrist; Sorgfaltspflicht juristisch
nicht geschulter Privatpersonen
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente bzw. Beitragserstattung der von ihrem Ehemann geleisteten
Beiträge hat. Streitig ist dabei im Wesentlichen der Erhalt des Erstattungsbetrages und die Einhaltung der Klagefrist.
Die 1948 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige mit Wohnsitz in der Türkei. Sie ist Witwe des am 17.05.2008 verstorbenen
S. (Versicherter). Dieser war in der Zeit vom 25.11.1968 bis 28.02.1983 in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt
und kehrte anschließend in die Türkei zurück. Mit Bescheid vom 05.11.1985 wurden dem Versicherten auf Antrag vom 20.09.1985
Beiträge in Höhe von 28.094,27 DM erstattet.
Die Klägerin beantragte am 21.07.2008 Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes. Mit Bescheid vom 16.12.2008
lehnte die Beklagte den Antrag ab. Dem verstorbenen Ehemann seien die zur deutschen Rentenversicherung entrichteten Beiträge
mit Bescheid vom 05.11.1985 erstattet worden. Damit seien keine auf die Wartezeit anrechnungsfähigen Zeiten mehr vorhanden.
Dagegen erhob der Sohn der Klägerin als deren Bevollmächtigter Widerspruch mit der Begründung, die Beitragserstattung sei
niemals ausbezahlt worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 04.03.2009 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Der
Widerspruchsbescheid wurde am 04.03.2009 abgesandt und dem in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaften Bevollmächtigten bekannt
gegeben. In der Rechtsmittelbelehrung verwies die Beklagte auf die Möglichkeit zur Klageerhebung innerhalb eines Monats beim
Sozialgericht Bayreuth. Dagegen hat der Bevollmächtigte der Klägerin mit einem am 15.04.2009 bei der Beklagten eingegangenen
Schreiben Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben. Mit Verfügung vom 20.05.2009 hat das SG unter Fristbestimmung und Darlegung gebeten, warum gegen den Widerspruchsbescheid vom 04.03.2009 nicht früher Klage erhoben
worden sei. Hierzu hat sich die Klägerin nicht geäußert.
Mit Gerichtsbescheid vom 17.07.2009 hat das SG die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Klage sei binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben,
§
87 Abs
1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Bei Prüfung eines Vorverfahrens beginne die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides, §
87 Abs
2 SGG. Der Widerspruchsbescheid vom 04.03.2009 sei nach Aktenlage am gleichen Tag zur Post gegeben worden. Gemäß § 37 Abs 2 Satz 1 SGB X gelte er als am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, also am 07.03.2009. Damit habe die Frist zur Klageerhebung
am 07.04.2009 geendet. Die Klägerin sei im Widerspruchsbescheid ordnungsgemäß über die Klagemöglichkeit gemäß §
66 SGG belehrt worden. Die Dreimonatsfrist gelte nicht bei Zustellung an einen inländischen Bevollmächtigten. Aufgrund der vom Bevollmächtigten
vorgelegten Urkunde sei die Beklagte befugt gewesen, den Widerspruchsbescheid dem Bevollmächtigten bekanntzugeben, § 37 Abs 1 Satz 1 SGB X. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, §
67 SGG. Die Klägerin habe trotz Aufforderung durch das Gericht sich nicht dazu geäußert, warum nicht rechtzeitig Klage erhoben worden
sei.
Zur Begründung der am 12.08.2009 beim Bayer. Landessozialgericht eingelegten Berufung hat der Bevollmächtige der Klägerin
vorgetragen, gegen den Widerspruchsbescheid sei nicht früher Klage erhoben worden, da die von ihm vertretene Klägerin (seine
Mutter) erst noch Nachforschungen hinsichtlich der Beitragserstattungen durch Nachfrage bei der türkischen Bank habe durchführen
müssen. Übersetzungen, Telefonate, Unterlagen hätten zu einem zeitlichen Engpass geführt. Dies sei alles für seine Mutter
sehr anstrengend gewesen. Seine Mutter habe sich in Deutschland persönlich um Beitragserstattung kümmern wollen, dies sei
aber aufgrund psychischer Problematik (Tod des Ehemannes) nicht möglich gewesen.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 17.07.2009 sowie
den Bescheid der Beklagten vom 16.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2009 aufzuheben und die Beklagte
zu verurteilen, der Klägerin Hinterbliebenenrente zu zahlen, hilfsweise die von ihrem Ehemann für den Zeitraum vom 25.11.1968
bis 28.02.1983 zur deutschen Sozialversicherung entrichteten Beiträge zu erstatten.
Mit Beschluss vom 11.01.2010 wurde die Streitsache dem Berichterstatter übertragen.
Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§
143,
144,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG-), aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Insoweit wird gemäß §
153 Abs
2 SGG in vollem Umfang auf die Entscheidungsgründe des Sozialgerichts verwiesen. Das nun in der Berufung vorgebrachte Vorbringen,
die Klagefrist sei wegen weiterer Ermittlungen der Mutter versäumt worden, führt nicht zur Wiedereinsetzung. Gemäß §
67 Abs
1 SGG ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche
Verfahrensfrist einzuhalten. Ein Verschulden liegt dann vor, wenn der Beteiligte nicht diejenige Sorgfalt angewendet hat,
die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist. Das
Versäumnis der Verfahrensfrist muss auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch einen sachgerecht Prozessführenden nicht
vermeidbar gewesen sein. Dabei haben juristisch nicht geschulte Privatpersonen ebenfalls eine Sorgfaltspflicht, müssen die
Rechtsmittelbelehrung beachten und sich notfalls erkundigen. Im vorliegenden Falle war der Rechtsmittelbelehrung eindeutig
zu entnehmen, dass innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Klage zu erheben sei. Allein an der Übersendung der Klageschrift
waren weder die Klägerin noch der Prozessbevollmächtigte durch eigene weitere Ermittlungen gehindert. Dabei ist weiter zu
berücksichtigen, dass ein Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden des Vertretenen gleichsteht (§
73 SGG iVm §
85 ZPO).
Nach alledem war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß §
160 Abs
2 Nrn 1 und 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor.