Fortführung und Neuentscheidung eines Verfahrens nach einer zulässigen und begründeten Anhörungsrüge
Gründe:
I. Streitig ist die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe für ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin wandte sich gegen einen Verwaltungsakt, mit dem eine Eingliederungsvereinbarung
ersetzt wurde (Eingliederungsverwaltungsakt) und gegen eine dreimonatige Absenkung ihrer Regelleistung.
Die Antragstellerin wurde durch Eingliederungsverwaltungsakt vom 09.03.2011 verpflichtet, ab 29.03.2011 an der Maßnahme Aktivierungshilfen
teilzunehmen. Mit zwei Bescheiden vom 11.04.2011 wurde das Arbeitslosengeld II der Antragstellerin für die Monate Mai, Juni
und Juli 2011 um 60 vom Hundert der Regelleistung abgesenkt, weil die Antragstellerin an der Maßnahme nicht teilnahm. Die
Widersprüche wurden durch einen Widerspruchsbescheid zurückgewiesen. Dagegen wurde Klage erhoben, die durch Urteil vom 31.09.2011,
S 6 AS 623/11, abgewiesen wurde. Dagegen ist unter dem Aktenzeichen L 7 AS 899/11 eine Berufung anhängig.
Bereits am 25.05.2011 stellte die bevollmächtigte Rechtsanwältin der Antragstellerin beim Sozialgericht Augsburg einen Antrag
auf einstweiligen Rechtsschutz und beantragte zugleich die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Die Erklärung zu den persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnissen werde umgehend nachgereicht. Eine weitere Äußerung der Antragstellerin erfolgte im Eilverfahren
nicht. Mit Beschluss vom 25.07.2011 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ab. Im selben Beschluss
wurde die Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussicht abgelehnt. Der Beschluss wurde der Antragstellerin
am 01.08.2011 zugestellt.
Am 31.08.2011 hat die Antragstellerin Beschwerde gegen den Beschluss vom 27.07.2011 eingelegt und beantragt, der Antragstellerin
für das erstinstanzliche Eilverfahren und für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren. Mit Beschluss vom 22.12.2011,
L 7 AS 722/11 B PKH, wies das Landessozialgericht die Beschwerde gegen die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe zurück. Es könne
dahin gestellt bleiben, ob im erstinstanzlichen Verfahren eine hinreichende Erfolgsaussicht bestanden habe, weil das Sozialgericht
Prozesskostenhilfe schon deswegen ablehnen konnte, weil die anwaltlich vertretene Antragstellerin bis zur Beendigung des erstinstanzlichen
Eilverfahrens keine Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen (PKH-Erklärung) vorgelegt habe. Der Beschluss
wurde der Bevollmächtigten der Antragstellerin laut Empfangsbekenntnis am 02.01.2012 zugestellt.
Am 16.01.2012 hat die Antragstellerin gegen den Beschluss vom 22.12.2011 Anhörungsrüge erhoben. Die PKH-Erklärung sei dem
Sozialgericht mit Schreiben vom 01.06.2011 vorgelegt worden. Das Beschwerdegericht hat die Klageakte S 6 AS 623/11 samt PKH-Teilakte beigezogen. In diesem Klageverfahren hatte die Antragstellerin die PKH-Erklärung mit Schreiben vom 01.06.2011
vorgelegt. Danach verfügte sie über kein einsetzbares Vermögen und bezog laufend Arbeitslosengeld II.
II. Die Anhörungsrüge ist zulässig und begründet. Das Beschwerdeverfahren L 7 AS 722/11 B PKH ist fortzuführen.
Die Anhörungsrüge ist gemäß §
178a Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft, weil gegen den Beschluss vom 22.12.2011 wegen §
177 SGG kein anderer Rechtsbehelf gegeben ist. Sie wurde gemäß §
178a Abs.
2 SGG schriftlich und innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis des Beschlusses vom 22.12.2011 erhoben. Die angegriffene Entscheidung
wurde bezeichnet und das Vorliegen der in §
178a Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG genannten Voraussetzungen dargelegt.
Die Anhörungsrüge ist auch begründet, weil das Gericht den Anspruch der Antragstellerin auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher
Weise verletzt hat. Für die Entscheidungserheblichkeit genügt, dass die Möglichkeit bestanden hat, dass die gerügte Entscheidung
für den betroffenen Beteiligten günstiger ausgefallen wäre.
Die Antragstellerin hatte zwar in dem erstinstanzlichen Eilverfahren keine PKH-Erklärung vorgelegt, jedoch in dem parallelen
Klageverfahren. Die PKH-Teilakte des Klageverfahrens stand im Beschwerdeverfahren nicht zur Verfügung. Es ist davon auszugehen,
dass das Sozialgericht die PKH-Erklärung für das Klageverfahren auch für das Eilverfahren hätte heranziehen müssen und damit
eine Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen fehlender PKH-Erklärung nicht möglich war. Hätte das Beschwerdegericht
die Antragstellerin zur fehlenden PKH-Erklärung angehört, wäre dieser Sachverhalt aufgeklärt worden. Weil die bisherige Begründung
der Zurückweisung der Beschwerde somit nicht zutreffend war, besteht die Möglichkeit, dass die Beschwerde für die Antragstellerin
günstiger ausfällt.
III. Der gerügte Beschluss vom 22.12.2011 wird gemäß §
178a Abs.
5 Satz 4
SGG i. V. m. §
343 Satz 2
Zivilprozessordnung (
ZPO) aufgehoben. Die Voraussetzungen der Gewährung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Eilverfahren nach §
73a SGG i. V. m. §§
114 ff
ZPO liegen vor.
Das Beschwerdeverfahren wird gemäß §
178a Abs.
5 Sätze 1 bis 3
SGG aufgrund der zulässigen und begründeten Anhörungsrüge in die Lage zurückversetzt, in der es sich unmittelbar vor dem Beschluss
vom 22.12.2011 befand. Es ist demnach eine erneute Prüfung der Beschwerde gegen die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe
erforderlich.
Die Antragstellerin ist ausweislich der - auch im Berufungsverfahren L 7 AS 899/11 - vorgelegten PKH-Erklärung nach wie vor vermögenslos und unterschreitet die Einkommensgrenzen nach §
115 Abs.
1 ZPO.
Der erstinstanzliche Eilantrag hatte zum maßgeblichen Zeitpunkt auch eine hinreichende Erfolgsaussicht. Abzustellen ist auf
den Zeitpunkt der Entscheidungsreife des PKH-Antrags. Diese ist gegeben, wenn ein vollständiger PKH-Antrag vorliegt und regelmäßig
der Gegner Gelegenheit zur Stellungnahme nach §
118 Abs.
1 ZPO hatte (vgl. BayLSG, Beschluss vom 20.09.2010, L 7 AS 611/10 B PKH). Dieser Zeitpunkt lag hier etwa Mitte Juni 2011. Zu diesem Zeitpunkt bestand eine hinreichende Erfolgsaussicht. Der
strittige Eingliederungsverwaltungsakt vom 09.03.2011 begründete eine Teilnahmepflicht für die am 29.03.2011 beginnende Maßnahme.
Da die Antragstellerin diese Maßnahme nicht antrat, erfolgte der Pflichtverstoß am 29.03.2011. Nach § 77 Abs. 12 SGB II ist
§ 31 SGB II in der bis 31.03.2011 geltenden Fassung weiterhin anwendbar für Pflichtverstöße, die vor dem 01.04.2011 begangen
werden. Damit ist § 31 SGB II in der alten Fassung anwendbar. Für diese ist umstritten, ob die Absenkung nach § 31 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1b SGB II auch möglich ist, wenn statt einer Eingliederungsvereinbarung ein Eingliederungsverwaltungsakt vorliegt
(vgl. Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 31 Rn 13a).
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war abzulehnen, weil für das Bewilligungsverfahren
selbst keine Prozesskostenhilfe zu gewähren ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig,
Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, §
73a Rn. 2b). Dies gilt auch für das zugehörige Beschwerdeverfahren. Das PKH-Verfahren dient nicht unmittelbar der "Rechtsverfolgung"
im Sinn von §
114 Satz 1
ZPO; es handelt sich um ein separates Verfahren zur Prüfung, ob die Rechtsverfolgung finanzieller Unterstützung bedarf (so BayLSG,
Beschluss vom 07.05.2010, L 17 U 133/10 B PKH und schon BGH, Beschluss vom 30.05.1984, VIII ZR 298/83 = NJW 1984, S. 2106). Einen Antrag auf Prozesskostenhilfe kann der Betroffene selbst stellen und ggf. zuvor Beratung nach dem Beratungshilfegesetz in Anspruch nehmen.
V. Eine Kostenentscheidung unterbleibt im Beschwerdeverfahren gemäß §
73a SGG in Verbindung mit §
127 Abs.
4 ZPO.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.