Säumniszuschläge für Beitragsnachforderungen
Zweck der Festsetzung von Säumniszuschlägen
Gesetzlich standardisierter Mindestschadenausgleich
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten sind Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 41,00 EUR streitig.
Mit Bescheid vom 07.09.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.11.2016 forderte die Beklagte vom Kläger, der eine
Praxis für Psychiatrie und Psychotherapie betreibt, aufgrund einer Betriebsprüfung in der Praxis des Klägers einen Gesamtbetrag
von 252,41 EUR nach, worin neben Beitragsnachforderungen Säumniszuschläge in Höhe von 41,00 EUR enthalten waren.
Im Einzelnen wurden Beiträge wie folgt nachgefordert:
Januar 2014,
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14,94 EUR
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Februar 2014,
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14,94 EUR
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März 2014,
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14,94 EUR
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April 2014,
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14,94 EUR
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Mai 2014,
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14,94 EUR
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Juni 2014,
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14,94 EUR
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Juli 2014,
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14,94 EUR
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August 2014,
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14,94 EUR
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September 2014,
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14,94 EUR
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Oktober 2014,
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14,94 EUR
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November 2014,
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14,94 EUR
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Dezember 2014,
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14,94 EUR
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Dezember 2015,
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32,15 EUR
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Januar 2016,
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00,00 EUR
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Die Säumniszuschläge wurden von der Beklagten dergestalt berechnet, dass die aufgelaufenen Beitragsrückstände Monat für Monat
addiert wurden und dann anschließend aufgrund der Summe der aufgelaufenen Monate nach Überschreiten der 50-Euro-Grenze Säumniszuschläge
festgesetzt wurden, beginnend ab April 2014 mit 0,50 EUR bis Januar 2016 mit zuletzt 14,00 EUR, insgesamt 41,00 EUR.
Die ausschließlich gegen die festgesetzten Säumniszuschläge erhobene Klage wies das Sozialgericht München mit Urteil vom 24.10.2017
als unbegründet ab. Die von der Beklagten gewählte Berechnungsmethode, wonach die in den Monaten aufgelaufenen Beitragsrückstände
zusammengezählt und aufgrund des zusammengezählten Betrages die Säumniszuschläge für den jeweiligen Monat berechnet wurden,
sei rechtmäßig. Beitragsschulden aus mehreren Monaten seien für die Berechnung der Säumniszuschläge zusammenzurechnen und
anschließend die Rundungen vorzunehmen, genauso wie die Beklagte es gemacht habe. Die Berufung wurde im Urteil nicht zugelassen.
Auf die Zulassungsbeschwerde des Klägers ließ der Senat mit Beschluss vom 07.08.2018 (L 7 R 5179/17 NZB) die Berufung zu. Die Frage, wie Säumniszuschläge nach §
24 Abs.
1 Satz 1
SGB IV zu berechnen seien, sei entscheidungserheblich und von der Rechtsprechung nicht hinreichend geklärt (vgl. Segebrecht in Schlegel/Voelzke,
juris PK-
SGB IV, 3. Auflage 2016, §
24 SGB IV Rz. 38).
Die Klägerseite macht im Berufungsverfahren geltend, dass keine Säumniszuschläge hätten erhoben werden dürfen. Die nachberechneten
monatlichen Sozialversicherungsbeiträge lägen für jeden Nachberechnungsmonat unter der Geringfügigkeitsgrenze von 50,00 EUR.
Damit könne in keinem Monat ein Säumniszuschlag erhoben werden. Soweit die Beklagte die einzelnen Monatsbeiträge addiert habe
und nach Überschreiten von 50,00 EUR Säumniszuschläge berechnet habe, sei dies nicht zulässig. Im Steuerrecht sei eine Addition
von rückständigen Beiträgen unterschiedlicher Fälligkeiten nicht zulässig und nur für jeden einzelnen Monatsbetrag der jeweilige
Säumniszuschlag zu berechnen. Auch der Beitragsanspruch in der Sozialversicherung entstehe jeweils für jeden Monat gesondert.
Jeder Monatsbeitrag habe seine eigene Fälligkeit, die auch bestehen bliebe, wenn nachfolgende Beiträge ebenfalls nicht fristgerecht
entrichtet würden. Eine Addition mehrerer Beiträge mit verschiedenen Fälligkeiten sei ausgeschlossen, weil sonst der früher
fällig gewordene Beitrag seine eigenständige Fälligkeit verlieren würde. Würde die frühere Fälligkeit beseitigt, könnten für
die vorhergehenden Zeiträume keine Säumniszuschläge erhoben werden. In der einschlägigen Literatur (Zieglmeier in Kasseler
Kommentar §
24 SGB IV Rz 23) sei klargestellt, dass der rückständige Beitrag nicht eine neue Fälligkeit bedeute. Von der Rechtsprechung sei bisher
nicht explizit geklärt, welche Berechnungsmethode den gesetzlichen Anforderungen des §
24 Abs.
1 SGB IV entspräche. Mit der Neufassung von §
24 Abs.
1 Satz 1
SGB IV zum 01.01.1995 habe der Gesetzgeber für die Sozialversicherung eine Anpassung an das Steuerrecht (§
240 AO) vorgenommen. Der Gesetzgeber habe eine Angleichung an das Steuerrecht gewollt.
Der Kläger und Berufungskläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 24. Oktober 2017 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 07.09.2016 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 28.11.2016 insoweit aufzuheben als Säumniszuschläge in Höhe von 41,00 EUR vom Kläger nachgefordert
werden.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Klägerseite sei zuzustimmen, dass die von den Rentenversicherungsträgern praktizierte Verfahrensweise zur Berechnung der
Säumniszuschläge nicht mit dem Steuerrecht übereinstimme, wo für die Festlegung von Säumniszuschlägen jeder Monat einzeln
betrachtet werde. Eine Angleichung dieser beiden Verfahrensweisen zur Berechnung der Säumniszuschläge sei mit der Neufassung
des §
24 SGB IV vom Gesetzgeber aber auch nicht bezweckt worden. Mit der Neufassung sollte zwar - wie vom Beschwerdeführer ausgeführt - eine
Angleichung an die Vorschriften des Steuerrechts (§
240 AO) vorgenommen werden. Die Angleichung sollte aber gemäß den Gesetzesmaterialen nur in zwei Punkten erfolgen: Eine Angleichung
sei dahingehend erfolgt, dass die Erhebung des Säumniszuschlags künftig nicht mehr an das Ermessen der Einzugsstelle gebunden
ist. Eine Angleichung sei auch insoweit erfolgt, als es künftig keine zwei Arten von Säumniszuschlägen (laufender und einmaliger
Säumniszuschlag) mehr gibt. Anlässlich dieser Gesetzesänderung sei ein Wille des Gesetzgebers, auch die Berechnungsmethode
dem Steuerrecht anzupassen, nicht erkennbar. Damit eine einheitliche Rechtsanwendung gewährleistet sei, hätten die am gemeinsamen
Beitragseinzug beteiligten Spitzenverbände der Sozialversicherung am 09.11.1994 eine gemeinsame Verlautbarung zur Erhebung
von Säumniszuschlägen nach §
24 SGB IV im Rahmen des Gesamtsozialversicherungsbeitrags ab 01.01.1995 herausgegeben. Darin werde ausgeführt, dass keine Bedenken
bestünden, Beitragsschulden aus mehreren Monaten für die Berechnung der Säumniszuschläge zusammenzurechnen und anschließend
die Rundung vorzunehmen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach §
124 Abs.
2 SGG zugestimmt.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist nach der Zulassung durch den Senat, nachdem im Übrigen auch die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt
sind, zulässig.
Die Berufung ist jedoch unbegründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht München mit Urteil vom 24. Oktober 2017 die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 07.09.2016
in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.11.2016 zurückgewiesen, soweit die Klägerseite sich gegen die verhängten Säumniszuschläge
in Höhe von 41,00 EUR wendet.
1. Die Beklagte hat die Säumniszuschläge zutreffend nach §
24 Abs.
1 SGB IV festgesetzt.
Der Gesetzgeber wollte die bis zur Gesetzesänderung im Jahre 1995 geltende Berechnungsmethode durch die ab 01.01.1995 geltende
Neufassung von §
24 SGB IV durch das 2. SGBÄndG nicht verändern. Im Gesetzgebungsverfahren war zwar von einer Angleichung von §
24 SGB IV an das Steuerrecht die Rede. Die Diskussion beschränkte sich im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens jedoch darauf, dass die
Erhebung des Säumniszuschlages nicht mehr an die Einzugsstelle gebunden sein sollte und dass es keine zwei Arten von Säumniszuschlägen
(laufender und einmaliger Säumniszuschlag) mehr geben sollte. Insbesondere sollte die Erhebung von Säumniszuschlägen nicht
mehr in das Ermessen der Behörde gestellt sein (vgl. die Begründung im Gesetzentwurf BT-Drucks. 12/5187, S. 30.). Danach verfolgte
der Gesetzgeber nur eine "Angleichung" an das Steuerrecht und keine identische Regelung, also im Ergebnis nur eine punktuelle
Korrektur im Sozialversicherungsbereich (vgl. BSG, Urteil vom 17.05.2001, B 12 KR 32/00 R Rz 26 zur unterschiedlichen Beschränkung der Erhebung von Säumniszuschlägen im Steuerrecht und im Sozialversicherungsrecht).
Im Übrigen sind bei Säumniszuschlägen die unterschiedlichen Zielsetzungen der Rechtsmaterien als Grund dafür zu berücksichtigen,
dass die die Regelungen unterschiedlich zu beurteilen sind (vgl. BAG Großer Senat, Beschluss vom 07.03.2001, GS 1/00, zu Verzugszinsen nach dem
BGB und Säumniszuschlägen nach dem Steuerrecht und nach dem Sozialversicherungsrecht).
Dementsprechend wurde die Berechnungsmethode zu den Säumniszuschlägen, wie sie vor dem 2. SGBÄndG in der Sozialversicherung
angewendet wurde, auch weiterhin angewendet und von den Spitzenverbänden der Sozialversicherung am 09.11.1994 in einer gemeinsamen
Verlautbarung zur Erhebung von Säumniszuschlägen nach §
24 SGB IV im Rahmen des Sozialversicherungsbeitrages ab 01.01.1995 festgelegt. Dass die von der Beklagten gewählte Berechnungsmethode
der Vorschrift des §
24 Abs.
1 SGB IV nicht widerspricht, wurde auch nach der Gesetzesänderung zum 01.01.1995 durch die Rechtsprechung immer wieder bestätigt.
Die Berechnungen auf der Grundlage der Verlautbarung zur Erhebung von Säumniszuschlägen nach §
24 SGB IV im Rahmen des Gesamtsozialversicherungsbeitrags wurde von der Rechtsprechung durchgängig nicht beanstandet (vgl. etwa BSG, Urteil vom 17.05.2001, B 12 KR 32/00 R Rz 27; BSG, Urteil vom 12.02.2004, B 13 RJ 28/03 R zu LSG BW, Urteil vom 13.05.2003, L 9 RJ 2117/02, Rz 81)). Nicht das erstmalige Entstehen des Beitragsanspruchs bzw dessen Fälligkeit sind anspruchsbegründender Umstand für
die Säumniszuschläge, sondern das Vorliegen der Säumnis in jedem Monat (BSG, Urteil vom 29.08.2012, B 12 KR 3/11 R Rz 13). Ein Anspruch auf Säumniszuschläge entsteht für jeden Monat erstmalig; der Sachverhalt der Säumnis wird mit jedem
weiteren Monat jeweils neu verwirklicht (BSG aaO).
§
24 Abs.
1 Satz 2
SGB IV wurde von der Beklagten im Einklang mit dieser Rechtsprechung angewendet, indem die in den jeweiligen Monaten aufgelaufenen
Beiträge addiert und dann jeweils auf der Grundlage der Addition für die Monate Säumniszuschläge festgelegt wurden. An der
von der Beklagten auf Grundlage dieser angewendeten Berechnungsmethode dann konkret vorgenommenen Berechnung ist nichts zu
beanstanden; sie wurde auch von Klägerseite nicht in Frage gestellt in Höhe von 41,00 EUR.
2. Anders als die Klägerseite meint, konnte und durfte die Beklagte die Säumniszuschläge auch nicht wahlweise nach der im
Steuerrecht angewendeten Methode festsetzen.
Zwar wird in der Literatur vertreten (vgl. Segebrecht in Schlegel/Voelzke, juris PK-
SGB IV, 3. Auflage 2016, §
24 SGB IV Rz. 38), der Gesetzgeber habe in Bezug auf die Berechnungsmethode keine eindeutige Regelung getroffen und der die Säumniszuschläge
nach §
24 SGB IV festsetzenden Behörde stünde daher auch die Möglichkeit zu, die Säumniszuschläge alternativ wie im Steuerrecht zu berechnen.
Insoweit könnte die festsetzende Behörde möglicherweise den Umständen des Einzelfalls besser gerecht werden und schon bei
der Festsetzung der Säumniszuschläge einzelfallrelevante Umstände in Abwägung zu den Zielsetzungen der Säumniszuschläge berücksichtigten.
Die vom Gesetzgeber als zwingend vorgeschriebene Festsetzung von Säumniszuschlägen bezweckt, der Säumnis bei der Erfüllung
von Beitragspflichten entgegenzuwirken und den Trägern der Sozialversicherung einen gesetzlich standardisierten Mindestschadenausgleich
zu gewähren (vgl. BAG Großer Senat, Beschluss vom 07.03.2001, GS 1/00 Rz 40 mwN zur Rechtsprechung des BSG). Durch den Säumniszuschlag wird dem Verspätungsinteresse des Versicherungsträgers im Verhältnis zum Zahlungspflichtigen
Genüge getan (BAG aaO). Säumniszuschlägen kommt dabei eine Druckfunktion zu (vgl. etwa BSG, Urteil vom 17.05.2001, B 12 KR 32/00 R Rz 24) Mit den Säumniszuschlägen soll sichergestellt werden, dass die Sozialleistungsträger die entstandenen Beiträge zum
Fälligkeitstermin auch tatsächlich zur Erfüllung ihrer Leistungspflichten zur Verfügung haben und es soll ausgeschlossen werden,
dass sich der Beitragsschuldner durch rechtswidriges Verhalten ein zinsloses Darlehen verschafft oder durch verspätete Beitragszahlung
selbst einen Zinsvorteil erlangt; in dieser Doppelfunktion dienen Säumniszuschläge somit der Funktionsfähigkeit und der finanziellen
Stabilität der Sozialversicherung im Sinne eines überragend wichtigen Gemeinwohlbelangs und eines legitimen gesetzgeberischen
Ziels (BSG, Urteil vom 29.08.2012, B 12 KR 3/11 R Rz 25).
Auf der anderen Seite ist aus verfassungsrechtlichen Gründen im Einzelfall eine Korrektur übermäßig hart oder unbillig erscheinender
Folgen von gesetzlichen Regelungen wie dem Zwang zur Verhängung von Säumniszuschlägen notwendig, wobei allerdings nicht jegliche
hart oder unbillig erscheinende Folge korrigiert werden muss (BSG, Urteil vom 29.08.2012, B 12 KR 3/11 R Rz 39). In Bezug auf die Verhängung von Säumniszuschlägen hat der Gesetzgeber jedoch ausreichende Vorkehrungen getroffen,
um auftretende Härten zu vermeiden bzw. abzumildern (BSG aaO Rz 32), etwa indem §
24 Abs.
2 SGB IV bei unverschuldeter Unkenntnis von der Beitragspflicht Säumniszuschläge nicht erforderlich macht (BSG aaO Rz 32), eine niedrigere Verzinsung oder zinslose Stundung in Betracht kommen oder Erlass und Niederschlag der Beitragsforderung
oder auch nur der Säumniszuschläge möglich sind (BSG aaO Rz 34).
Diese Möglichkeiten, dem Einzelfall bei der Verhängung von Säumniszuschlägen gerecht zu werden, sind ausreichend (BSG aaO Rz 34). Einer zusätzlichen Möglichkeit, geringere oder gar keine - wie hier von der Klägerseite begehrt - Säumniszuschläge
aufgrund einer dem Steuerrecht folgenden Berechnungsweise zu verhängen, bedarf es daher nicht. Eine solche alternative Berechnung
würde im Übrigen auch dem vom Gesetzgeber mit dem 2. SGBÄndG verfolgten Regelungszweck widersprechen. Es wäre keine Verwaltungsvereinfachung,
wenn eine Behörde zwischen zwei Berechnungsmethoden wählen müsste und schon bei Berechnung der Säumniszuschläge sämtliche
Gesichtspunkte berücksichtigen müsste, die ansonsten erst nach der Feststellung der Höhe der Säumniszuschläge berücksichtigt
werden müssten. Zudem sollte die Entscheidung über Säumniszuschläge ermessensfrei ausgestaltet werden; die Auswahl zwischen
zwei Berechnungsmethoden hätte jedoch wieder eine vom Gesetzgeber offensichtlich nicht mehr gewünschte Ermessensentscheidung
zur Folge.
Im Ergebnis konnte die Beklagte bei der Erhebung von Säumniszuschlägen nicht zwischen zwei unterschiedlichen Verfahrensweisen
wählen, nämlich der von ihr gewählten Verfahrensweise, wie sie auch die Spitzenverbände der Sozialversicherung am 09.11.1994
in einer gemeinsamen Verlautbarung zur Erhebung von Säumniszuschlägen nach §
24 SGB IV im Rahmen des Sozialversicherungsbeitrages ab 01.01.1995 herausgegeben haben, und der Methode, wie sie von den Finanzbehörden
angewendet wird.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG.
Der Streitwert wird auf 41,00 EUR festgesetzt, was dem allein in Streit stehenden Betrag an Säumniszuschlägen entspricht.