Begründung der Beschwerde gegen die Ablehnung eines Antrags auf Besorgnis der Befangenheit im sozialgerichtlichen Verfahren
Ausschluss des Ehegatten von der Anwesenheit bei einer psychiatrischen Begutachtung
Gründe
I.
Streitig ist, ob dem Antrag der Klägerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Bf.) auf Ablehnung es gerichtlichen Sachverständigen
Dr. C. wegen Besorgnis der Befangenheit statt zu geben ist.
Die Bf. begehrt im Klageverfahren vor dem Sozialgericht München (Az.: S 25 SB 1179/11) die Feststellung eines Grads der Behinderung von 100 statt 50. Der Beklagte und Beschwerdegegner (im Folgenden: Bg.) lehnte
dies mit Bescheid vom 15. Juni 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2011 ab.
Das Sozialgericht hat aktuelle Befundberichte eingeholt und mit Beweisanordnung vom 5. März 2012 den Arzt für Neurologie und
Psychiatrie Dr. Dipl.-Psych. C. mit der Erstellung eines Gutachtens nach ambulanter Untersuchung beauftragt. Die Beiziehung
eines Dolmetschers für die albanische Sprache wurde genehmigt.
Mit Schriftsatz vom 17. April 2012 hat der Prozessbevollmächtigte der Bf. erstmals mitgeteilt, dass deren Ehemann diese zu
dem Begutachtungstermin (am 22. Mai 2012) begleiten und bei der Begutachtung anwesend sein werde. Der Sachverständige hat
am 24. April 2012 telefonisch gegenüber dem Sozialgericht mitgeteilt, dass mit der Anwesenheit des Ehemannes der Bf. kein
Einverständnis bestehe. Dies sei bei einer Begutachtung nicht üblich und vorliegend auch nicht erforderlich. Auf die Gesprächsnotiz
der Kammer wird verwiesen.
Die Bf. hat den Sachverständigen am 3. Mai 2012 wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Der generelle Ausschluss einer
Vertrauensperson stelle einen Verstoß gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens dar. Gerade bei einer psychiatrischen Untersuchung
sei die Anwesenheit einer Vertrauensperson gerechtfertigt. Sie hat auf einen Beschluss des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz
vom 23. Februar 2006 (Az.: L 4 B 33/06 SB) verwiesen. Dr. C. habe keine überzeugende Begründung für den Ausschluss der Vertrauensperson vorgetragen.
Das Sozialgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 26. Juni 2012 zurückgewiesen. Es liege kein Grund vor, der geeignet sei,
Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen. Der Umstand, dass Dr. C. den Ehemann der Bf.
zu der Untersuchung nicht zulassen wolle, sei nicht geeignet, seien Befangenheit zu begründen. Zutreffend führe Dr. C. aus,
dass dies bei einer Begutachtung nicht üblich sei. Bei einer psychiatrischen Untersuchung, bei der bei der Anamneseerhebung
auch detailliert auf die Lebensumstände des zu Untersuchenden eingegangen werde, sei die Anwesenheit des Ehepartners weder
erforderlich noch hilfreich, da möglicherweise ein sich Öffnen dadurch behindert werde. Im Übrigen hat das Sozialgericht auf
den Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 5. Oktober 2011 (Az.: L 13 SF 359/11 B) verwiesen.
Zur Begründung der hiergegen eingelegten Beschwerde hat die Bf. ausgeführt, der Sachverständige sei verpflichtet, qualifizierte
Gründe für die Ablehnung der Anwesenheit einer Vertrauensperson schriftlich darzulegen. Der Grundsatz des Anspruchs auf ein
faires Verfahren verpflichte auch den Sachverständigen zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten
Situation.
Der Senat hat eine Stellungnahme des Dr. C. vom 24. September 2012 eingeholt. Abgelehnt werde nicht die Anwesenheit einer
weiteren Person generell, sondern von Personen, die im Rahmen der ausführlichen psychiatrischen Anamneseerhebung mit betroffen
sein könnten (wie z.B. Angehörige). Er hat hierzu aus der Begutachtungsliteratur (Widder/Geizig, Lehrbuch Begutachtung in
der Neurologie, 2. Aufl. 2011) zitiert.
Die Bf. hat demgegenüber dargelegt, dass ein fremder Dritter wie z.B. eine ihm nicht bekannte Dolmetscherin keine Vertrauensperson
sei. Hilfsweise werde die Gestattung der Anwesenheit einer anderen Vertrauensperson nach Wahl der Bf. bei der Untersuchung
beantragt.
II.
Nach §
118 Abs.
1 SGG sind im sozialgerichtlichen Verfahren über die Ablehnung eines Sachverständigen die Vorschriften der
Zivilprozessordnung (
ZPO) anzuwenden. Nach §
406 Abs.
2 S. 1, 411 Abs.
1 ZPO ist der Ablehnungsantrag bei dem Gericht oder dem Richter, von dem der Sachverständige ernannt ist, zwei Wochen nach Verkündung
oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung zu stellen - zu einem späteren Zeitpunkt nach §
406 Abs.
2 S. 2
ZPO nur dann, wenn der Antragsteller Gründe nennen kann, dass er die Befangenheit ohne sein Verschulden erst zu einem späteren
Zeitpunkt geltend machen konnte. Dies ist vorliegend der Fall, da sich der Befangenheitsantrag auf die Ablehnung der mit Schreiben
vom 17. April 2012 beantragten Anwesenheit des Ehegatten bei der Untersuchung stützt. Der Sachverständige hat dies mit Telefonat
vom 24. April 2012 abgelehnt, so dass der Befangenheitsantrag vom 3. Mai 2012 als fristgemäß anzusehen ist.
Nach §§
406 Abs.
1 S. 1, 42 Abs.
1 und
2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen
die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen. Der Grund, der das Misstrauen rechtfertigt, muss bei objektiver
und vernünftiger Betrachtungsweise vom Standpunkt der Partei aus vorliegen. Rein subjektive Vorstellungen und Gedankengänge
des Antragsteller scheiden aus (Thomas/Putzo,
ZPO, 30. Aufl., §
42 Rdnr. 9).
Der Ausschluss des Ehegatten der Bf. stellt nicht ohne Weiteres einen Verstoß gegen ein faires Verfahren oder einen verfassungswidrigen
Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Bf. nach Art.
2 Abs.
1 Grundgesetz (
GG) oder gar deren Menschenwürde nach Art.
1 GG dar. Im sozialgerichtlichen Verfahren besteht kein Zwang, sich einer Begutachtung zu unterziehen. Die Bf. muss eine Begutachtung
ohne Anwesenheit ihres Ehemanns nicht dulden und kann die Begutachtung ablehnen. Es obliegt dann der Kammer, zu entscheiden,
ob die Weigerung der Mitwirkung rechtliche Folgen wie z.B. die Umstellung des Gutachtensauftrages auf eine Begutachtung nach
Aktenlage, ein Vorgehen wegen Verweigerung der Mitwirkung nach §§
60 ff des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (
SGB I) oder eine Beweislastenscheidung auslöst bzw. ob die Untersagung der Anwesenheit einer Vertrauensperson bei der Untersuchung
verhältnismäßig war. Denkbar wäre beispielsweise auch der Ausschluss der Vertrauensperson nur bei Teilen der Untersuchung.
Davon zu unterscheiden ist jedoch die hier streitige Frage, ob eine Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen besteht.
Der Senat verkennt nicht, dass eine körperliche - auch psychiatrische - Untersuchung durch einen ärztlichen Sachverständigen
einen Eingriff in das Grundrecht nach Art.
2 Abs.
1 GG darstellt, weshalb eine Begleitung durch eine Vertrauensperson bei der Untersuchung gerechtfertigt sein kann (z.B. LSG Rheinland-Pfalz,
a.a.O.).
Dem steht jedoch die vom Grundsatz der gerichtlichen Untersuchungsmaxime nach §
103 SGG geforderte Erstellung eines verwertbaren Sachverständigengutachtens, hier gemäß §
106 SGG von Amts wegen, gegenüber. Der Sachverständige ist gehalten, gemäß der Beweisanordnung ein entsprechendes Fachgutachten (hier
nach ambulanter Untersuchung) zu erstellen. Vor diesem Hintergrund stellt die Ablehnung der Anwesenheit des Ehegatten der
Bf. als Vertrauensperson im Rahmen der psychiatrischen Untersuchung, insbesondere im Rahmen der Anamnese, durch den Sachverständigen
keinen Grund dar, gegen dessen Unvoreingenommenheit Bedenken zu rechtfertigen. Vor allem die psychiatrische Anamnese betrifft
nämlich wesentlich auch das persönliche Umfeld des zu Begutachtenden. Es kann für die Erstellung wesentlicher Teile des psychiatrischen
Gutachtens wie der Anamnese, der psychopathologischen Exploration oder bei der Durchführung testpsychologischer Verfahren
erforderlich sein, dass der Sachverständige allein mit der Bf. - unter Beiziehung eines Dolmetschers und ggf. auf Wunsch einer
weiblichen Angestellten der Praxis - das Gespräch führt und die Untersuchung durchführt. Das Verhältnis zu der Vertrauensperson
kann hier eine Bedeutung haben, wie das Sozialgericht zutreffend ausführt. Dabei handelt es sich um eine (Vorab-)Abwägung
des Sachverständigen nach Sichtung der vom Sozialgericht übersandten Akten, die in seinem fachlichen Ermessen steht. Der Entscheidung
liegt eine medizinisch-fachliche Frage zugrunde, wie der Sachverständige dem Gutachtensauftrag gerecht zu werden gedenkt;
sie allein rechtfertigt kein Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit. Sofern sich der Sachverständige wie vorliegend Dr.
C., gestützt auf die in der vom Senat eingeholten Stellungnahme zitierte Begutachtungsliteratur, auf allgemein anerkannte
Kriterien für die psychiatrische Begutachtung richtet, kann dieses Verhalten nicht zur Besorgnis der Befangenheit gereichen
(so im Ergebnis auch: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.02.2010, Az.: L 31 R 1292/09 B).
Soweit die Bf. hilfsweise die Beiziehung einer anderen Vertrauensperson ihrer Wahl beantragt, wäre der Antrag zunächst zu
konkretisieren und mit dem Sachverständigen abzustimmen. Ein unmittelbarer Zusammenhang zum vorliegenden Antrag auf Ablehnung
des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit besteht insoweit jedenfalls nicht.
Das Sozialgericht hat damit zutreffend den Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen Dr. Dipl.-Psych. C. abgelehnt. Die Beschwerde
war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.