Übernahme der für ein Gutachten im sozialgerichtlichen Verfahren verauslagten Kosten auf die Staatskasse
Gründe:
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf.) wendet sich gegen die Ablehnung des Antrags auf Übernahme der durch
die Beauftragung des Dr. H. entstandenen Kosten auf die Staatskasse.
Der Bf. begehrte in dem Hauptsacheverfahren vor dem Sozialgericht München im Rahmen eines Antrags nach § 48 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) die Anerkennung weiterer Folgen der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung (
BKV) sowie die Gewährung einer Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 v.H.
Das Sozialgericht hat ein orthopädisch-chirurgisches Gutachten des Dr. B. vom 31. Juli 2007 eingeholt, der die funktionellen
Auswirkungen der Lendenwirbelsäulen-(LWS-) Veränderungen als allenfalls gering angesehen und die MdE auf 10 v.H. eingeschätzt
hat. Der auf klägerischen Antrag nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) gehörte Orthopäde und Chirurg Dr. M. H. hat in seinem Gutachten vom 26. Mai 2008 die Ansicht vertreten, dass die MdE auf
20 v.H. einzustufen sei. Bei der aktuellen Untersuchung sei eine deutliche Einschränkung der Beweglichkeit der Lenden- und
Brustwirbelsäule erkennbar gewesen. Ein MRT vom 15. Mai 2008 zeige hochgradige Verschleißschäden von Bandscheiben und Wirbelgelenken,
die an mehreren Stellen zur Kompression von Nervenwurzeln führten. Es liege der Befund einer claudicatio spinalis nahe. Die
funktionellen Auswirkungen auf den Wirbelsäulenabschnitt seien mittelgradig.
Dr. B. hat demgegenüber in einer ergänzenden Stellungnahme vom 6. Juli 2008 an seiner Bewertung festgehalten.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 31. März 2009 abgewiesen und sich zur Begründung auf das Gutachten des Dr.
B. gestützt. Dem Gutachten des Dr. H. sei nicht zu folgen, da auch der Sachverständige einräume, dass eine sichere Diagnostik
hinsichtlich der Erkrankung des Bf. insbesondere im Hinblick auf eine Spinalkanalstenose nicht geführt werden könne.
Im hiergegen gerichteten Berufungsverfahren hat der Senat - zugleich in dem Verfahren L 2 U 106/09, das auf Gewährung von Übergangsleistungen gerichtet war - gemäß §
109 SGG ein Gutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. A. vom 12. November 2010 eingeholt; der Bf. hat die Berufung
in der mündlichen Verhandlung vom 28. September 2011 zurückgenommen.
Den Antrag des Bf., die Kosten für das Gutachten des Dr. H. vom 26. Mai 2008 auf die Staatskasse zu übernehmen, hat das Sozialgericht
mit Beschluss vom 23. Juni 2009 abgelehnt. Dieses Gutachten habe nicht wesentlich zur Sachaufklärung beigetragen, zumal das
vom gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. B. eingeholte Gutachten bereits ausführlich und überzeugend gewesen sei.
Zur Begründung der hiergegen gerichteten Beschwerde, die am 3. Juli 2009 beim Sozialgericht eingegangen ist, hat der Bf. ausgeführt,
dass das Gutachten trotz des klageabweisenden Urteils wesentlich zur Aufklärung des Sachverhalts und zur konkreten Erledigung
des Rechtsstreits beigetragen habe.
II. Die Beschwerde ist zulässig und teilweise begründet.
Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang die Kosten einer Begutachtung nach §
109 SGG von dem Antragsteller zu tragen sind, steht im Ermessen des Gerichts. Die Ermessensentscheidung ist im Beschwerdeverfahren
beschränkt darauf nachprüfbar, ob die Voraussetzungen und die Grenzen des Ermessens vom Sozialgericht richtig bestimmt und
eingehalten sind (a.A.: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl. §
109 Rdnr. 22 m.w.N. - volle Ermessensausübung durch das Sozialgericht).
Die Übernahme der für ein Gutachten nach §
109 SGG verauslagten Kosten auf die Staatskasse im Wege einer "anderen Entscheidung" ist gerechtfertigt, wenn das Gutachten die Aufklärung
objektiv gefördert und somit Bedeutung für die gerichtliche Entscheidung gewonnen hat bzw. hätte. Dabei spielt weder der Ausgang
des Verfahrens noch die Frage eine Rolle, ob das Gutachten die Erledigung des Rechtsstreits ohne Urteil gefördert und damit
dem Rechtsfrieden gedient hat. Entscheidend ist vielmehr, ob durch das Gutachten beispielsweise neue beweiserhebliche Gesichtspunkte
zu Tage getreten sind oder die Leistungsbeurteilung auf eine wesentlich breitere und für das Gericht und die Prozessbeteiligten
überzeugendere Grundlage gestellt wurde.
Diese Voraussetzungen liegen bei dem Gutachten des Dr. H. nur teilweise vor. Allerdings vertrat Dr. B. die Ansicht, dass die
funktionellen Auswirkungen der LWS-Veränderungen "allenfalls gering" seien und keine Instabilität vorliege, so dass der Sachverständige
die MdE lediglich auf 10 v.H. einschätzte. Aus dem Gutachten des Dr. H. werden hingegen mittelgradige funktionelle Auswirkungen
in dem betroffenen Wirbelsäulenabschnitt deutlich. Dies deckt sich mit der Bewertung des Dr. Fischer, der vom Sozialgericht
in einem früheren Verfahren mit der Gutachtenserstellung beauftragt worden war und in seinem Gutachten vom 23. März 2000 ebenfalls
mittelgradige funktionelle Auswirkungen der LWS-Veränderung diagnostiziert hatte.
Der Senat teilt jedoch andererseits die Ansicht des Sozialgerichts in dem Urteil vom 31. März 2009, dass dem Gutachten des
Dr. H. darüber hinaus nicht zu folgen war, insbesondere da eine gesicherte Diagnostik hinsichtlich einer Spinalkanalstenose
nicht geführt werden konnte.
In Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts war somit die Hälfte der Kosten des Gutachtens auf die Staatskasse zu übernehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 Abs.
1 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar und ergeht kostenfrei (§
183 SGG).