Tatbestand
Gegenstand des Verfahrens ist die Erstattung von Kosten, die der Kläger (die Bezeichnung der Beteiligten aus dem erstinstanzlichen
Verfahren wird beibehalten) als Träger der Jugendhilfe in Form von Pflegegeldzahlungen (Erziehungsbeitrag und Unterhaltsbedarf)
und sonstigen einmaligen Beihilfen für den beigeladenen A. (G.) im Zeitraum vom 01.01.2008 bis zu dessen Volljährigkeit (12.04.2016)
erbracht hat. Der Anspruch richtet sich gegen den beklagten überörtlichen Träger der Sozialhilfe.
Der 1998 geborene G. ist körperlich (spastische Bewegungsstörung bei bilateraler Cerebralparese im Sinne einer schwersten
statomotorischen Behinderung mit Geh- und Stehunfähigkeit) und geistig (psychomentale Entwicklungsverzögerung) behindert.
Nach der Geburt in der 28. SSW wurden bei ihm eine Gehirnblutung und ein Hydrozephalus festgestellt. Es erfolgte eine Versorgung
mit Ventilen; neben der linksseitigen Spastik besteht eine Sehbeeinträchtigung. G. ist seit 15.02.2008 Inhaber eines Schwerbehindertenausweises
mit einem Grad der Behinderung von 100 und den Merkzeichen "B", "G", "H" (gültig ab 14.10.1999) und "aG". Die Mutter des Beigeladenen
verstarb bei seiner Geburt. Sein Vater, dem das Sorgerecht entzogen wurde (Beschluss des Amtsgerichts E-Stadt vom 09.05.2000),
verstarb im Jahre 2007. G. lebte seit seiner Geburt bei Pflegeeltern; die Pflegemutter ist die Halbschwester seiner verstorbenen
Mutter. Die Pflegeeltern wurden auf Betreiben des Jugendamtes des Klägers durch Beschluss des Amtsgerichts E-Stadt vom 09.05.2000
als Vormund bestellt.
In einem ärztlichen Attest vom 01.03.2000 wiesen die behandelnden Kinderärzte Dres. G. darauf hin, die Pflege von G. sei sehr
aufwendig. Er brauche regelmäßige krankengymnastische Übungen, die täglich auch zu Hause durchgeführt werden müssten. Die
Pflegemutter sei voll in die krankengymnastischen Maßnahmen sowie in die Frühfördermaßnahmen integriert. Für G. sei es sehr
wichtig, in einer Familie aufzuwachsen. Seit 2001 besuchte G. Einrichtungen des heilpädagogischen Förderzentrums (HPZ) E-Stadt.
Einem sonderpädagogischen Gutachten von Juni 2001 zufolge ist G. wegen der körperlichen Beeinträchtigungen, aber auch der
erheblichen kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigungen ein intensiv förderbedürftiges Kind, das in allen Lebens- und Lernbereichen
auf intensivste Hilfestellungen angewiesen sei. Im Herbst 2005 wurde G. im HPZ E-Stadt (Förderzentrum mit dem Förderschwerpunkt
geistige Entwicklung) eingeschult. Nachmittags besuchte er die angegliederte heilpädagogische Tagesstätte und erhielt dort
regelmäßig Krankengymnastik.
In den Hilfeplänen des Jugendamtes wurden als wesentliche Zielsetzungen die gezielte Förderung des G. hinsichtlich seiner
Behinderung und das Aufwachsen in stabilen familiären Beziehungen genannt. Ziel sei der Erhalt der Pflegefamilie, da sonstige
Alternative nur eine Heimunterbringung wäre (Hilfeplan vom 22.05.2002; Aktennotiz der Sozialpädagogin vom 08.09.2003). Im
Hilfeplan vom 09.11.2010 hieß es, die Pflegeeltern eigneten sich für G. das notwendige Fachwissen an und machten auch die
zusätzlichen stetigen Übungen zu Hause. Sie leisteten erheblichen pflegerischen Mehraufwand. Die erfreuliche Entwicklung von
G. sei diesem Engagement zu verdanken.
Mit Bescheid vom 19.03.2004 gewährte der Kläger den Pflegeeltern rückwirkend zum 01.09.2003 Hilfe zur Erziehung durch Übernahme
des Pflegegeldes für Vollzeitpflege gemäß § 27 i.V.m. § 33 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII). Weitere Bewilligungsbescheide ergingen am 23.03.2005, 15.06.2005, 17.06.2009, 28.12.2009, 26.03.2010, 18.06.2010 und 14.02.2012.
Seit dem 01.01.2011 trug der Beklagte die Kosten der Betreuung von G. in der heilpädagogischen Tagesstätte des HPZ E-Stadt
an fünf Tagen pro Woche als Eingliederungshilfemaßnahme (Bescheide vom 15.09.2010 und vom 25.11.2010).
Mit Schreiben vom 30.10.2009, beim Beklagten am 16.11.2009 eingegangen, beantragte der Kläger auf Grund des mit Wirkung vom
05.08.2009 neu eingefügten § 54 Abs. 3 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) beim Beklagten die Fallübernahme zum nächstmöglichen Zeitpunkt und meldete Kostenerstattung für die Zeit ab dem 05.08.2009
an. Der Beklagte bat den Kläger zunächst um weitere Übernahme der monatlichen Pflegepauschalen. Mit Schreiben vom 20.06.2012
lehnte der Beklagte eine Kostenerstattung schließlich ab und wies darauf hin, die Behinderungen des Beigeladenen seien nicht
so schwerwiegend, dass sie eine Unterbringung in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe erfordern würden. Tatbestandsvoraussetzung
des § 54 Abs. 3 SGB XII sei aber, dass durch die Unterbringung in der Pflegefamilie ein behinderungsbedingter Aufenthalt in einer stationären Einrichtung
der Behindertenhilfe vermieden oder beendet werde. Die Notwendigkeit der Aufnahme in eine Pflegefamilie sei hier aber durch
den Ausfall der Eltern erforderlich geworden; damit lasse sich keine Zuständigkeit des Beklagten nach § 54 Abs. 3 SGB XII begründen. Kinder mit vergleichbarem Behinderungsbild lebten bei ihren Eltern.
Der Kläger hat am 19.12.2012 Klage zum Sozialgericht Landshut (SG) auf Erstattung der Kosten ab 01.01.2008 und auf Fallübernahme erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, der geistig und
körperlich behinderte Beigeladene brauche erhebliche und durchgehende Unterstützung in allen lebenspraktischen Bereichen und
zwar in Form einer "rund-um-die Uhr-Betreuung". G. gehöre zum grundsätzlich leistungsberechtigten Personenkreis i.S.v. §
2 Abs.
1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IX). Ob andere Umstände für den Hilfebedarf mit ursächlich seien, habe keinen Einfluss auf die Eingliederungshilfe nach Maßgabe
des § 54 Abs. 3 SGB XII. Die Unterbringung in einer geeigneten Pflegefamilie sei Leistungsgegenstand der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII wie auch Inhalt der Jugendhilfe nach § 33 SGB VIII. Gemäß § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII lösten bei körperlich, geistig oder mehrfach behinderten Kindern kongruente Leistungspflichten den Vorrang der Eingliederungshilfe
nach dem SGB XII aus, wobei es hierfür auf den Schwerpunkt des Bedarfs nicht ankomme. Durch die Unterbringung in einer Pflegefamilie werde
die Unterbringung in einer vollstationären Einrichtung des Beklagten vermieden. Für den gesamten Hilfebedarf sei der Beklagte
vorrangig zuständig.
Der Beklagte hat auf die Klage erwidert, Eingliederungshilfe werde bereits geleistet für den Besuch der Schule im HPZ E-Stadt.
Eine Anwendung von § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII scheide aus, da deckungsgleiche Ansprüche nicht vorlägen. Die Unterbringung des Beigeladenen in einer Pflegefamilie sei nur
wegen des Versterbens der Eltern erfolgt. Die Pflegeeltern erbrächten über die Erziehungsleistung hinaus keine der Eingliederungshilfe
vergleichbare Leistungen. Der krankengymnastische Bedarf werde durch Fachkräfte sichergestellt; die Pflegeeltern verfügten
insoweit über keine entsprechende fachliche Qualifikation.
Das SG hat nach Anforderung von Befundberichten der behandelnden Ärzte ein sozialmedizinisches Sachverständigengutachten in Auftrag
gegeben. Die gerichtlich bestellte Sachverständige, Frau Dr. I. H., kam nach einem Hausbesuch am 03.03.2015 in ihrem Gutachten
vom 12.03.2015 sowie der ergänzende Stellungnahme vom 13.04.2015 zum Ergebnis, dass der Beigeladene auf Dauer körperlich,
geistig und seelisch behindert sei. Er sei in sämtlichen Bereichen auf Hilfe angewiesen. Die Pflege werde durch beide Pflegeeltern
übernommen; alleine könne diese die Pflegemutter nicht durchführen. Durch die Betreuung in der Pflegefamilie werde der Aufenthalt
des Beigeladenen in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe vermieden. Die Pflegefamilie habe von Anfang an
in umfangreicher Weise an den therapeutischen Maßnahmen mitgewirkt. Eine Alternative zur Unterbringung in der Pflegefamilie
oder einem Heim gebe es nicht, da der Betreuungsumfang erheblich größer sei, als er in einem ambulant betreuten Wohnen oder
einer betreuten Wohngemeinschaft gewährleistet sei. Dem ärztlichen Attest von Frau Dr. G. vom 01.03.2000 zufolge sei die Pflegemutter
auch in die krankengymnastischen Übungen und die Frühfördermaßnahmen integriert. Der Pflegevater achte immer wieder auf die
richtige physiologische Körperhaltung im Alltag. Die Pflegeeltern erbrächten sowohl hinsichtlich der auch vorliegenden seelischen
Behinderungen als auch bezüglich der orthopädischen Störungen therapeutische Leistungen.
Das SG hat mit Urteil vom 05.05.2015 der zuletzt auf unbezifferte Erstattung der Kosten ab 01.01.2008 gerichteten Klage stattgegeben
und den Beklagten verurteilt, dem Kläger für die Zeit ab 01.01.2008 die von ihm verauslagten Kosten für den Beigeladenen zu
erstatten mit Ausnahme der Kosten für die Sicherung des Lebensunterhalts sowie der Kosten für einmalige Beihilfen und Zuschüsse
in der Zeit bis 04.08.2009. Zur Begründung hat es im Wesentlichen auf die Entscheidung im Parallelverfahren S 11 SO 98/12
ES verwiesen. Dort wurde ausgeführt, es sei hier von einem Anspruch sowohl auf Jugendhilfeleistungen als auch auf Eingliederungshilfeleistungen
auszugehen. § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII setze lediglich das Bestehen konkurrierender Leistungsansprüche voraus. Es komme entgegen der Auffassung des Beklagten nicht
darauf an, dass seiner Ansicht nach der Schwerpunkt der Hilfeleistung im Besuch des HPZ E-Stadt gelegen und der Beklagte dafür
die Kosten der Eingliederungshilfe getragen habe, während in den Pflegefamilien mangels Qualifikation die erforderlichen therapeutischen
Leistungen nicht hätten erbracht werden können. Nach dem Gutachten der Sachverständigen müsse von einer geistigen und körperlichen
Behinderung ausgegangen werden, womit auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 Abs. 3 SGB XII vorlägen. Nach dem unmissverständlichen Gesetzestext sei allein das formale Kriterium der Gleichartigkeit der Leistungspflichten
für die Vorrangregelung des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII maßgeblich. Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 3 SGB XII setze nicht voraus, dass zusätzlich auch in der Pflegefamilie sonderpädagogische Leistungen der Wiedereingliederung erbracht
würden. Jede Unterbringung eines behinderten Kindes in einer Pflegefamilie sei Eingliederungshilfe. Diese Zuordnung habe typisierend
erfolgen sollen, ohne dass auf das unmittelbare Ausmaß der in der Pflegefamilie geleisteten Eingliederungshilfe abgestellt
werden müsse. Nach den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen stehe fest, dass der Beigeladene in einer vollstationären
Einrichtung der Behindertenhilfe hätte aufgenommen werden müssen, wenn er nicht in der Pflegefamilie aufgenommen worden wäre.
Der Anspruch sei auf die Zeit bis zur Volljährigkeit begrenzt, da der Wortlaut des § 54 Abs. 3 SGB XII von Kindern und Jugendlichen spreche.
Der Beklagte hat gegen das Urteil beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er seine
bisherigen Ausführungen ergänzt und vertieft und insbesondere ausgeführt, vorliegend sei nicht behinderungsbedingt eine vollstationäre
Maßnahme notwendig gewesen. Es sei erforderlich, dass in der Pflegefamilie qualifizierte Eingliederungshilfeleistungen erbracht
würden.
Der Beklagte beantragt daher,
das Urteil des SG Landshut vom 05.05.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des SG Landshut vom 05.05.2015 zurückzuweisen.
Der Kläger hat auf die Berufung erwidert, durch die optimale Förderung in der Pflegefamilie habe der Aufenthalt von G. in
einer vollstationären Einrichtung vermieden werden können. § 54 Abs. 3 SGB XII fordere nicht, dass auch in der Pflegefamilie sonderpädagogische Leistungen der Wiedereingliederung erbracht werden. Jede
erforderliche Unterbringung eines Kindes in einer Pflegefamilie sei zugleich Eingliederungshilfe. Bei den Pflegeeltern handele
es sich um geeignete Pflegepersonen, wie das Gutachten der Sachverständigen belege. Auf Nachfrage des Gerichts hat der Beigeladene
dargelegt, dass sich sein Vermögen im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum auf unter 2.600,- Euro belief. G. erhielt vom
Kläger in der Zeit vom 13.04.2016 bis 31.08.2017 Hilfe für junge Volljährige in der Pflegefamilie und ist seit 01.09.2017
vollstationär in einem Wohnheim der Behindertenhilfe auf Kosten des Beklagten untergebracht. Der Kläger hat noch mitgeteilt,
der Erstattungsanspruch belaufe sich für die Zeit von Januar 2008 bis Juli 2009 auf 1.683,30 Euro (verauslagte Kosten ohne
Kosten für die Sicherung des Lebensunterhalts und für einmalige Beihilfen und Zuschüsse) und für die Zeit von August 2009
bis April 2016 auf 34.968,48 Euro.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Verwaltungsakten
des Klägers und des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Beklagten ist überwiegend nicht begründet. Der Kläger hat für die Zeit vom 05.08.2009 bis 12.04.2016
einen Anspruch auf Erstattung der von ihm für den Beigeladenen aufgewendeten Kosten gegen den Beklagten. Für die Zeit vom
01.01.2008 bis 04.08.2009 bestand kein Anspruch des Klägers, da er diesen nicht innerhalb der zwölfmonatigen Ausschlussfrist
geltend gemacht hat. Insoweit war das Urteil des SG aufzuheben.
A. Gegen das Urteil des SG vom 05.05.2015 ist die nach §
151 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung statthaft, §
143 SGG. Sie ist nicht nach §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG ausgeschlossen, da die Erstattungsforderung den Beschwerdewert von 10.000,- Euro übersteigt.
Die Berufung ist auch gegen das hier ergangene Zwischenurteil über den Grund nach §
202 Satz 1
SGG i.V.m. §
304 Abs.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO) zulässig. Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist nach dem Urteil des SG vom 05.05.2015 eine Erstattung der vom Kläger für die Vollzeitpflege für den Beigeladenen aufgewendeten Kosten ab 01.01.2008
dem Grunde nach. Nach §
130 Abs.
1 Satz 1
SGG kann zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilt werden, wenn nach §
54 Abs.
4 oder 5
SGG eine Leistung in Geld begehrt wird, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Ein Grundurteil auf eine reine Leistungsklage nach
§
54 Abs.
5 SGG erledigt den Rechtsstreit zwar nicht abschließend, sondern ist ein Zwischenurteil. Rechtsgrundlage hierfür ist §
202 Satz 1
SGG i.V.m. §
304 Abs.
2 ZPO, nicht dagegen §
130 Abs.
2 SGG, da das Grundurteil nicht über einzelne Sach- oder Rechtsfragen, sondern über den Grund vorab entscheidet (vgl. Keller in:
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl. 2017, §
130, Rdnr. 4e). Das Zwischenurteil steht aber hinsichtlich der Rechtsmittel einem Endurteil gleich, vgl. §
202 Satz 1
SGG i.V.m. §
304 Abs.
2 ZPO, so dass die Berufung hiergegen statthaft ist. Der Rechtsstreit bleibt allerdings bei dem erkennenden Gericht bis zur Durchführung
des Nachverfahrens über die Höhe der Leistungen anhängig, sofern der Rechtsstreit nicht, z. B. nach Einigung der Beteiligten,
für erledigt erklärt wird (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt,
SGG, Kommentar, 12. Aufl. 2017, §
130, Rdnr. 4e). Dementsprechend ist auch die Höhe des Erstattungsanspruchs nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens (vgl. BSG, Urteil vom 25.09.2014 - B 8 SO 7/13 R).
B. Die Berufung ist teilweise begründet, soweit sie den Erstattungsanspruch des Klägers für den Zeitraum bis 04.08.2009 betrifft.
Für diesen Zeitraum ist der Beklagte wegen der Versäumung der Ausschlussfrist durch den Kläger nicht zur Erstattung verpflichtet,
so dass das Urteil des SG insoweit aufzuheben war. Im Übrigen ist die Berufung zurückzuweisen, da das SG den Beklagten für die Zeit ab 05.08.2009 (bis 12.04.2016) zu Recht zur Erstattung der dem Kläger für den Beigeladenen G.
entstandenen Kosten dem Grunde nach verurteilt hat.
In zeitlicher Hinsicht ist der Streitgegenstand durch den vom Kläger gestellten Antrag auf die Zeit vom 01.01.2008 bis 12.04.2016
(Volljährigkeit des Beigeladenen) beschränkt. Der Kläger hatte im erstinstanzlichen Verfahren Kostenerstattung bis längstens
12.04.2016 begehrt. Das SG verurteilte den Beklagten zur Kostenerstattung ab 01.01.2008 zwar ohne zeitliche Begrenzung. Bei ergänzender Betrachtung
der Urteilsgründe wird jedoch deutlich, dass die Verurteilung sich auf die Erstattung der Kosten bezog, die bis längstens
zur Volljährigkeit des Beigeladenen vom Kläger aufgewandt wurden bzw. noch aufzuwenden waren. Nur ergänzend wird seitens des
Senats darauf hingewiesen, dass das SG im Urteil vom 05.05.2015 den Beklagten nicht zukunftsoffen ab 01.01.2008 zur Erstattung dem Grunde nach hätte verurteilen
dürfen, da ein Grundurteil auch bei einer Klage auf eine Geldleistung nur für die Vergangenheit möglich ist (vgl. Keller in:
Meyer-Ladewig / Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, Kommentar, 12. Aufl. 2017, §
130, Rdnr. 2a unter Verweis auf Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Loseblattwerk, § 130, Rdnr. 10). Richtigerweise
hätte daher für die Zeit ab Urteilsverkündung in der mündlichen Verhandlung am 05.05.2015 die Verpflichtung des Beklagten
zur Übernahme des Falles in eigener Zuständigkeit festgestellt werden müssen, wie es der Kläger auch im Klageschriftsatz vom
19.12.2012 beantragt hatte (vgl. auch die Rechtsprechung des Senats zur Zulässigkeit eines Grundurteils im Erstattungsstreit
und zur Zulässigkeit einer Feststellungsklage hinsichtlich der Fallübernahme für die Zukunft: Bayerisches LSG, Urteil vom
20.12.2016 - L 8 SO 314/12). Für die Entscheidung im Rechtsmittelverfahren spielte diese Frage allerdings keine Rolle mehr,
da der Erstattungszeitraum bis 12.04.2016 im Zeitpunkt der Entscheidung über die Berufung abgelaufen war.
Statthafte Klageart ist eine echte Leistungsklage nach §
54 Abs.
5 SGG, da es sich um einen Beteiligtenstreit im Gleichordnungsverhältnis handelt.
1. Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch ist § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X: Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte,
soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis
erlangt hat. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung
eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre, vgl. § 104 Abs. 1 S. 2 SGB X.
a) Ein - grundsätzlicher vorgehender (vgl. Luik in: Schlegel/Voelzke, [...]PK
SGB IX, 2. Aufl. 2015, §
14 SGB IX, Rdnr. 124) - Erstattungsanspruch nach §
14 Abs.
4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IX) ist nicht gegeben, da diese Vorschrift den Erstattungsanspruch des zweitangegangenen Rehabilitationsträgers betrifft, der
aufgrund der Weiterleitung nach §
14 Abs.
1 SGB IX zuständig wurde. Zudem hat der Kläger die Leistungen der Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege erbracht, so dass
er nicht als Rehabilitationsträger im Sinne der §§
6 Abs.
1 Nr.
6,
5 Nr.
1,
2 oder 4
SGB IX tätig geworden ist. Dass der Kläger den Erstattungsanspruch mit Schreiben vom 30.10.2009 nach der Vorschrift des §
14 Abs.
4 SGB IX angemeldet hat, ist unerheblich, da die Anmeldung des Erstattungsanspruchs jedenfalls hinreichend konkret erfolgte (s. dazu
die noch folgenden Ausführungen unter Ziffer 2).
b) Ein Fall des § 103 Abs. 1 SGB X ist nicht gegeben, da der Anspruch der Pflegeeltern des G. auf Hilfen zu Erziehung nach §§ 27, 33, 39 SGB VIII nicht nachträglich entfallen ist.
c) Es liegt auch kein Fall von § 102 SGB X vor, bei dem ein aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig leistender Träger einen Erstattungsanspruch gegen den verpflichteten
Träger hat. Hierbei muss der Wille des die Erstattung begehrenden Leistungsträgers, entweder für einen anderen oder im Hinblick
auf die ungeklärte Zuständigkeit leisten zu wollen, nach außen erkennbar sein (vgl. Roos in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 102, Rdnr. 6). Zwar hatte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 13.01.2010 gebeten, die monatlichen Pflegepauschalen wegen
noch bestehenden Klärungsbedarfs durch den Verband der bayerischen Bezirke weiter zu übernehmen. Der Kläger hat die Leistungen
an die Pflegeeltern jedoch nicht vorläufig bewilligt, sondern endgültig.
2. Der Erstattungsanspruch für die Zeit ab 05.08.2009 wurde vom Kläger rechtzeitig innerhalb der Jahresfrist des § 111 Satz 1 SGB X angemeldet. Nach § 111 Satz 1 SGB X ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens 12 Monate nach Ablauf
des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Die Frist beginnt mit Ablauf des Leistungszeitraums,
§ 111 Satz 1 SGB X. Bei wiederkehrenden Leistungen ist der jeweilige Teilzeitraum (etwa Monat) erheblich, für den jeweils geleistet wird. In
diesem Fall entstehen für die jeweiligen Leistungsabschnitte Teil-Erstattungsansprüche (vgl. BSG, Urteil vom 22.08.2000 - B 2 U 24/99 R; BSG, Urteil vom 01.04.1993 - 1 RK 16/92; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.03.2016 - L 2 SO 67/14; Mutschler in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 1. Aufl. 2013, § 111 SGB X, Rdnr. 28; Becker in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand: Dezember 2013, § 111, Rdnr. 40; Kater in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 96. EL September 2017, § 111 SGB X, Rdnr. 39).
a) Der Kläger hat die Leistungen der Vollzeitpflege nach §§ 27, 33, 39 SGB VIII für G. laut den ergangenen Bewilligungsbescheiden monatlich bewilligt, so dass hier auf diese jeweiligen Teilzeiträume, für
die die Leistungen festgesetzt wurden, abzustellen ist. Die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs für die Zeit ab 05.08.2009
mit Schreiben vom 30.10.2009, beim Beklagten am 16.11.2009 eingegangen, erfolgte damit unproblematisch innerhalb der Zwölfmonatsfrist
des § 111 Satz 1 SGB X. Sie lässt auch die Umstände, die für das Entstehen des Erstattungsanspruchs maßgebend sind, erkennen und bezeichnet den
Zeitraum, für den Sozialleistungen erbracht und bewilligt wurden bzw. werden (vgl. Roller in: von Wulffen/Schütze, SGB X, Kommentar, 8. Aufl. 2014, § 111, Rdnr. 13). Dass der Kläger bei der Geltendmachung die falsche Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch benannt hat, ist
unerheblich, da an das Geltendmachen keine überzogenen formalen Anforderungen zu stellen sind; dem Schreiben des Klägers lassen
sich jedenfalls der Rechtssicherungswille und das Erstattungsbegehren sowie die wesentlichen Umstände des Erstattungsanspruchs
entnehmen (vgl. Mutschler in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 1. Aufl. 2013, § 111 SGB X, Rdnr. 17).
§ 111 Satz 2 SGB X ist vorliegend nicht einschlägig, da eine Entscheidung des Beklagten als erstattungspflichtiger Leistungsträger über den
Anspruch des Beigeladenen auf Eingliederungshilfeleistungen für die Vergangenheit nicht mehr zu ergehen hatte. Nach § 111 Satz 2 SGB X beginnt der Lauf der Frist frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung
des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine (richtigerweise: "dessen" Leistungspflicht, vgl. BSG, Urteil vom 10.05.2005 - B 1 KR 20/04 R) Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat. Sind aber Sachleistungen bereits erbracht worden, darf der erstattungspflichtige
Träger hierüber keine Entscheidung gegenüber dem Berechtigten mehr treffen, da insoweit die Erfüllungswirkung des § 107 SGB X gilt. Mangels Entscheidung wird die Frist nach Satz 2 dann nicht in Gang gesetzt (vgl. Mutschler in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 111 SGB X, Rdnr. 31, 33; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.03.2012 L 2 SO 67/14). So liegt der Fall hier. Der Bedarf des Beigeladenen
wurde durch die Leistungsbewilligung durch den Kläger bereits gedeckt, so dass im Verhältnis zum leistungsberechtigten Beigeladenen
die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X eingetreten ist. Diese besteht auch dann fort, wenn der Erstattungsanspruch nach § 111 SGB X ausgeschlossen ist, da sie nach dem Wortlaut des § 107 Abs. 1 SGB X ("soweit ein Erstattungsanspruch besteht") nicht von der Befriedigung des Erstattungsanspruchs im Einzelfall abhängig ist
(vgl. Becker in: Hauck/Noftz, SGB, Stand: April 2012, § 107 SGB X, Rdnr. 13; Roller in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 107, Rdnr. 5).
b) Eine Erstattung der Aufwendungen des Klägers, die vom 01.01.2008 bis zum 04.08.2009 angefallen sind, scheitert dagegen
an der Ausschlussfrist des § 111 SGB X, da der Kläger diese Aufwendungen erstmals mit Klageerhebung am 19.12.2012 geltend gemacht hat. § 111 SGB X begründet eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, so dass der Erstattungsanspruch nach Ablauf der Ausschlussfrist untergeht.
Die Versäumnis der Frist ist von Amts wegen zu beachten (vgl. BSG, Urteil vom 28.03.2000 - B 8 KN 3/98 U; BSG, Urteil vom 23.09.1997 - 2 RU 37/96; Roller in: von Wulffen/Schütze, SGB X, Kommentar, 8. Aufl. 2014, § 111, Rdnr. 16). Vorliegend hatte der Kläger seinen Erstattungsanspruch mit Schreiben vom 30.10.2009 (eingegangen beim Beklagten
am 16.11.2009) ausdrücklich nur für die Zeit ab 05.08.2009 angemeldet und gebeten, den Hilfefall zum nächstmöglichen Zeitpunkt
in eigener Zuständigkeit zu übernehmen. Dabei hat der Kläger konkret auf die neue Fassung des § 54 Abs. 3 SGB XII Bezug genommen, die zum 05.08.2009 in Kraft getreten ist. Erstmals mit Erhebung der Klage am 19.12.2012 beantragte der Kläger,
den Beklagten zur Kostenerstattung bereits ab 01.01.2008 zu verurteilen. Diese Geltendmachung lag weit außerhalb der Zwölfmonatsfrist
des § 111 Satz 1 SGB X.
3. Für die Zeit ab 05.08.2009 (bis 12.04.2016) hat der Kläger einen Erstattungsanspruch gegen den Beklagten nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
a) § 104 SGB X setzt voraus, dass gestufte Leistungspflichten mindestens zweier Leistungsträger nebeneinander bestehen und die Verpflichtung
eines der Leistungsträger der Leistungspflicht des anderen aus Gründen der System- oder Einzelanspruchssubsidiarität nachgeht
(vgl. BSG, Urteil vom 14.05.1985 - 4a RJ 13/84 und Urteil vom 25.01.1994 - 7 RAr 42/93; BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 - 5 C 30/12). Vorliegend ist das Konkurrenzverhältnis zwischen den Leistungen des Klägers als Jugendhilfeträger und des Beklagten als
dem für die Eingliederungshilfe zuständigen überörtlichen Sozialhilfeträger streitig. Der Beigeladene hatte vom 05.08.2009
bis 12.04.2016 im Hinblick auf seine Betreuung in der Pflegefamilie sowohl einen Anspruch auf Leistungen nach §§ 27, 33 SGB VIII gegen den Kläger als Jugendhilfeträger (s. dazu unter 3 b) als auch einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe
nach §§ 53 ff. SGB XII gegen den Beklagten (3c), der auch den Unterhaltsbedarf erfasst (3d). Wegen § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII war der Beklagte vorrangig zur Leistung verpflichtet (3e) und hat daher nach § 104 SGB X die Aufwendungen des Klägers dem Grunde nach zu erstatten.
b) Der Kläger hat an die Pflegeeltern des Beigeladenen rechtmäßig Leistungen der Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege
nach §§ 27, 33 und 39 SGB VIII erbracht (Bescheide vom 17.06.2009, 28.12.2009, 26.03.2010, 18.06.2010, 14.02.2012). Nach § 27 Abs. 1 SGB VIII besteht ein Rechtsanspruch der Personensorgeberechtigten auf Hilfe zur Erziehung, wenn eine dem Wohl des Kindes oder des
Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist.
Gemäß § 33 SGB VIII soll Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege entsprechend dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes oder des Jugendlichen
und seinen persönlichen Bindungen sowie den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie
Kindern und Jugendlichen in einer anderen Familie eine zeitlich befristete Erziehungshilfe oder eine auf Dauer angelegte Lebensform
bieten. Für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche sind geeignete Formen der Familienpflege zu schaffen
und auszubauen. Nach § 39 Abs. 1 SGB VIII wird dabei auch der notwendige Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses sichergestellt, der die
Kosten für den Sachaufwand sowie für die Pflege und Erziehung des Kindes oder Jugendlichen umfasst.
Liegt ein Erziehungsdefizit vor und ist die Vollzeitpflege geeignet und notwendig, um dieses Defizit zu beseitigen oder abzumildern,
besteht ein Rechtsanspruch der Personensorgeberechtigten auf diese Hilfe. Eine Geeignetheit und Notwendigkeit der Vollzeitpflege
ist insbesondere dann zu bejahen, wenn familienunterstützende ambulante Maßnahmen zur Beseitigung der defizitären Erziehungssituation
nicht mehr ausreichen und ein Verbleib des Kindes in der Herkunftsfamilie deshalb nicht möglich ist (vgl. Nellissen in: Schlegel/Voelzke,
jurisPK-SGB VIII, 1. Aufl. 2014, § 33, Rdnr. 19). Vorliegend waren beide leibliche Eltern des G. verstorben, so dass ein Erziehungsdefizit vorlag. Die Unterbringung
von G. bei den Pflegeeltern, die sich ausweislich der Hilfepläne fürsorglich um G. kümmerten und diesen optimal förderten,
war notwendig und geeignet, um dieses Defizit zu beseitigen. Dass diese Hilfe zur Erziehung vorliegend rechtmäßig erbracht
wurde, ist nicht anzuzweifeln und zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
c) Der Beigeladene hatte ab 05.08.2009 (bis 12.04.2016) auch einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe für die
Betreuung in der Pflegefamilie nach §§ 19 Abs. 3, 53, 54 Abs. 3 SGB XII gegen den Beklagten.
Sachlich zuständig für die Leistung der Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 3 SGB XII in der Fassung des Gesetzes zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Krankenhaus vom 30.07.2009 (BGBl. I S. 2495) war im streitgegenständlichen Zeitraum nach § 97 Abs. 2 Satz 1 SGB XII i.V.m. Art. 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGSG der Beklagte als überörtlicher Träger der Sozialhilfe.
aa) Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von §
2 Abs.
1 Satz 1
SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung
bedroht sind, Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, vor allem nach Art oder Schwere
der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Soweit der Zweck der Eingliederungshilfe
- nämlich insbesondere, dem behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern
(vgl. § 53 Abs. 3 Satz 2 SGB XII) - durch die Betreuung in einer Pflegefamilie erreicht werden kann, hat der nach §
2 Abs.
1 S. 1
SGB IX behinderte Mensch einen entsprechenden Anspruch auf diese Leistung gegenüber dem Träger der Sozialhilfe. Besondere Aufgabe
der Eingliederungshilfe ist es nach § 53 Abs. 3 SGB XII, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten
Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört es insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben
in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen
angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen.
Der Beigeladene gehört zum leistungsberechtigten Personenkreis, da er durch eine körperliche (§ 1 Nr. 1 Eingliederungshilfeverordnung (EinglHV)) und geistige (§
2 EinglHV) Behinderung im Sinne von §
2 Abs.
1 Satz 1
SGB IX wesentlich in seiner Fähigkeit eingeschränkt ist, an der Gesellschaft teilzuhaben. Er erfüllt die personenbezogenen Voraussetzungen
des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Im Gutachten vom 12.03.2015 hat die gerichtlich bestellte Sachverständige Dr. I. H. festgestellt, dass beim Kläger neben
einer erheblichen geistigen Behinderung und einer Sehstörung eine bilaterale Cerebralparese GMFCS Stufe IV vorliege, wobei
die Stufe IV bereits eine schwerste Behinderung mit Rollstuhlbedürftigkeit bedeute. Es bestehe keinerlei begründete Aussicht,
dass diese Gesundheitsstörungen ganz oder teilweise behoben werden könnten; es handele sich um einen Dauerzustand.
Der Teilhabebedarf des Beigeladenen ergibt sich aus den Feststellungen in den Hilfeplänen des Jugendamtes, den sonderpädagogischen
Gutachten, den Befundberichten der behandelnden Ärzte, aber auch den Feststellungen der Sachverständigen, wonach G. ein intensiv
förderbedürftiges Kind gewesen sei, das in allen Lebens- und Lernbereichen auf intensivste Hilfestellungen angewiesen sei.
Dass neben dem Teilhabebedarf die Unterbringung in der Pflegefamilie auch ein Teilhabepotential barg, ergibt sich ebenfalls
aus den Feststellungen sowohl der betreuenden Sozialpädagogen, der behandelnden Kinderärztin als auch der gerichtlich bestellten
Sachverständigen, wonach G. bei seinen Pflegeeltern optimal gefördert wurde, diese sich auch das notwendige Fachwissen aneigneten
und sich G. infolge der Fürsorge, Pflege und Betreuung durch seine Pflegeeltern positiv entwickelt hatte. Notwendig, aber
auch ausreichend ist es nach § 53 Abs. 3 Satz 1 SGB XII, wenn durch die Leistungen der Eingliederungshilfe die Behinderungsfolgen gemildert werden und in diesem Rahmen eine Teilhabe
ermöglicht wird. Dies ist hier der Fall. Dass es sich bei den erbrachten Leistungen in der Pflegefamilie um "niedrigschwellige"
handelt, nimmt ihnen nicht den Charakter einer Eingliederungshilfeleistung; das Gesetz stellt nur auf die Wesentlichkeit der
Behinderung, nicht den quantitativen oder qualitativen (Mindest-)Aufwand für die Hilfeleistung ab (vgl. BSG, Urteil vom 13.07.2017 - B 8 SO 1/16 R). Die gerichtlich bestellte Sachverständige Dr. H. hat in ihrem Gutachten festgestellt,
dass G. in sämtlichen Lebensbereichen auf intensive Hilfe angewiesen ist. Er werde von seinen Pflegeeltern optimal, auch im
therapeutischen Sinne gefördert. Nach den Feststellungen in den Hilfeplänen und Aktennotizen der die Familie betreuenden Sozialpädagogin
des Klägers stellten die Pflegeeltern nicht nur durch die Betreuung des G. in der Familie, sondern auch durch Kontakte zur
Kirchengemeinde, zu Freunden und zu einem der Brüder des Beigeladenen, was für diesen hohe Bedeutung hatte, dessen notwendigen
Bedarf an Teilhabe in der Gemeinschaft sicher. Der Beigeladene war unter Berücksichtigung seiner behinderungsbedingten Bedarfe
nur mit der Betreuung in der Pflegefamilie in der Lage, nach seinen Möglichkeiten am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen,
so dass die Maßnahme der Unterbringung in der Pflegefamilie als grundsätzlich geeignete und unentbehrliche zum Erreichen des
Eingliederungsziels anzusehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 20.09.2012 - B 8 SO 15/11 R).
bb) Für die Zeit ab 05.08.2009 waren auch die Voraussetzungen des § 54 Abs. 3 SGB XII erfüllt. Eine Leistung der Eingliederungshilfe ist danach auch die Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie, soweit
eine geeignete Person, die einer Erlaubnis nach § 44 SGB VIII bedarf, Kinder und Jugendliche über Tag und Nacht in ihrem Haushalt versorgt und dadurch der Aufenthalt in einer vollstationären
Einrichtung der Behindertenhilfe vermieden oder beendet werden kann.
aaa) Der Beigeladene wurde im streitgegenständlichen Zeitraum bei seinen Pflegeeltern über Tag und Nacht in deren Haushalt
versorgt. Zutreffend hat das SG entschieden, dass unter den in § 54 Abs. 3 SGB XII genannten Voraussetzungen der Gesetzgeber jede erforderliche Betreuung eines behinderten Kindes in einer Pflegefamilie typisierend
als Eingliederungshilfe normiert hat und dass die Norm nicht voraussetzt, dass neben der Unterbringung des Leistungsempfängers
während des Tages in einer Behindertentagesstätte zusätzlich auch in der Pflegefamilie qualifizierte Leistungen der Wiedereingliederung
erbracht werden müssen. Derartige spezielle Anforderungen sind dem Gesetz nicht zu entnehmen. Die Vorschrift setzt einen deutlich
darunter liegenden Maßstab für das Tätigwerden einer Pflegeperson in einer Pflegefamilie. Dies ergibt sich insbesondere aus
dem Zweck des Gesetzes. In der Gesetzesbegründung zur Einfügung des § 54 Abs. 3 SGB XII heißt es: "Anders als das SGB VIII enthält das SGB XII keine Regelung über die Vollzeitpflege in Pflegefamilien. Dies führt in der Praxis dazu, dass seelisch behinderte Kinder
oftmals in Pflegefamilien aufgenommen werden, während körperlich und geistig behinderte Kinder in der Regel in vollstationären
Einrichtungen der Behindertenhilfe betreut werden ... Der neue Leistungstatbestand "Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie"
stellt sicher, dass Leistungen der Eingliederungshilfe auch für die Betreuung körperlich und geistig behinderter Kinder und
Jugendlicher in einer Pflegefamilie gewährt werden. Damit wird erreicht, dass auch diese Möglichkeit als Alternative zur vollstationären
Betreuung in Anspruch genommen wird, wenn dies dem Wohl des Kindes entspricht." (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht zum
Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Krankenhaus, BT-Drs. 16/13417 vom 17.06.2009, S. 6). Nach
dem Gesetzeszweck sollte mit dieser Regelung neben der bis dato bevorzugten Unterbringung von geistig behinderten Kindern
in stationären Einrichtungen auch deren Unterbringung in Pflegefamilien ermöglicht werden, wenn es dem Wohle der betroffenen
Kinder entspricht. Es sollte erreicht werden, dass auch diese Möglichkeit der Unterbringung als Alternative zur vollstationären
Betreuung in Anspruch genommen wird, wenn es dem Wohle des Kindes dient. Beide Unterbringungsmöglichkeiten sollen also gleichberechtigt
nebeneinander ermöglicht werden. Damit sollte eine Gleichbehandlung mit seelisch behinderten Kindern und Jugendlichen erreicht
werden und zugleich die üblicherweise aus den unterschiedlichen Leistungszielen resultierende gespaltene Trägerschaft (Sozialhilfe
sowie Kinder- und Jugendhilfe) beendet werden (vgl. BSG, Urteil vom 25.09.2014 - B 8 SO 7/13 R). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird ergänzend auf die zutreffenden Ausführungen
im Urteil des SG vom 05.05.2015, S. 7, verwiesen, denen sich der Senat anschließt.
bbb) Der notwendige Eingliederungshilfebedarf des G. wurde durch die Pflegeeltern als geeignete Pflegepersonen im Sinne des
§ 54 Abs. 3 SGB XII gedeckt. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: "Als Pflegepersonen kommen insbesondere solche Personen in Betracht,
die im Hinblick auf ihre persönliche Eignung und ihre fachlichen Kenntnisse, aber auch die räumlichen Verhältnisse den spezifischen
Bedürfnissen körperlich bzw. geistig behinderter Kinder oder Jugendlicher gerecht werden können. Um das Wohl des Kindes oder
Jugendlichen in der Pflegefamilie zu gewährleisten, bedarf die Pflegeperson einer Erlaubnis nach § 44 SGB VIII." (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Krankenhaus,
BT-Drs. 16/13417 vom 17.06.2009, S. 6). Es wird seitens des Senats nicht verkannt, dass die Pflegeeltern des beigeladenen
G. im streitgegenständlichen Zeitraum bereits fortgeschritteneren Alters waren und laut der Einschätzung der begleitenden
Sozialpädagogin auch mitunter damit Schwierigkeit hatten, dem beigeladenen G. die notwendigen Grenzen zu setzen. Es finden
sich in den Aktennotizen und Hilfeplänen jedoch wiederholt Hinweise darauf, dass sich der Beigeladene gerade aufgrund der
Fürsorge und intensiven Betreuung der Pflegeeltern so gut entwickelt hatte und diese sich die notwendigen Fachkenntnisse im
Umgang mit den Behinderungen des Beigeladenen aneigneten, um seinem behinderungsbedingten Bedarf an Förderung und Entwicklung
gerecht zu werden. Vermerkt wurde auch der rege Austausch und die beste Zusammenarbeit zwischen den Pflegeeltern, dem Heilpädagogischen
Zentrum und der Kinderarztpraxis (vgl. Hilfepläne vom 13.06.2005, vom 22.05.2002, vom 09.11.2010 und vom 16.04.2012). Entscheidend
ins Gewicht fällt auch, dass durch den Verweis in § 54 Abs. 3 Satz 2 SGB XII auch die in § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII geregelten Ausnahmen zur Notwendigkeit einer Pflegeerlaubnis zum Tragen kommen (vgl. auch Voelzke in: Hauck/Noftz, SGB, Stand:
Juni 2015, § 54, Rdnr. 61). Einer Pflegeerlaubnis im Sinne des § 44 SGB VIII bedurften die Pflegeeltern als Verwandte des Beigeladenen bis zum dritten Grad nicht (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB VIII). Dies sind nach §
1589 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) Großeltern, Urgroßeltern, Onkel, Tanten, Geschwister, Neffen und Nichten. Da hierbei nicht zwischen halbbürtigen und vollbürtigen
Verwandten der Seitenlinie unterschieden wird (vgl. Staudinger/Thomas Rauscher,
BGB, 2011, §
1589, Rdnr. 9) fällt auch die Pflegemutter als Halbschwester der verstorbenen Mutter des Beigeladenen unter diese Regelung. Der
Gesetzgeber hat durch den Verweis auf § 44 SGB VIII zum Ausdruck gebracht, dass grundsätzlich auch Verwandte bis zum 3. Grad als geeignete Pflegepersonen im Sinne des § 54 Abs. 3 SGB XII in Betracht kommen. Vor diesem Hintergrund würde es die Anforderungen an solche Pflegeeltern weit überspannen, wenn man -
wie der Beklagte - forderte, dass diese ähnliche Qualifikationen wie die des Fachpersonals in Einrichtungen der stationären
Behindertenhilfe aufweisen müssen.
ccc) Zutreffend hat das SG auch ausgeführt, dass durch die Betreuung in der Pflegefamilie der Aufenthalt des Beigeladenen in einer vollstationären Einrichtung
der Behindertenhilfe vermieden wurde. Nicht notwendig ist bei dieser Betrachtung, dass eine Aufnahme in eine stationäre Einrichtung
konkret angedacht wird oder wurde. Vielmehr ist dem Zweck der genannten Vorschrift zu entnehmen, dass Fallgestaltungen, bei
denen aufgrund einer Prognose festgestellt werden kann, dass durch die Pflegeeltern der Aufenthalt in einer vollstationären
Einrichtung "abstrakt" verhindert werden kann, ebenfalls erfasst sind (vgl. VG Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 14.04.2014 -
3 K 13.870). Hieran hat der Senat aufgrund der Feststellungen der Sachverständigen Dr. H. und der vorliegenden ärztlichen
Atteste und Entwicklungsberichte keinen Zweifel. Im Sachverständigengutachten vom 12.03.2015 hat Frau Dr. H. ausgeführt, dass
G. - bis auf ein bis zwei Stunden, die er gelegentlich alleine gelassen werden könne - rund um die Uhr intensive Betreuung
benötige, da er in sämtlichen Lebensbereichen auf Hilfe angewiesen sei. Die Betreuungsleistungen durch die Pflegeeltern, die
den Beigeladenen optimal förderten, seien im Laufe der Zeit gleich umfangreich geblieben. Vorliegend gebe es keine Alternative
zur Unterbringung von G. in der Pflegefamilie oder in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe. Ein ambulant
betreutes Wohnen oder ein Wohnen in betreuten Wohngemeinschaften würde nach den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen
angesichts der mehrfachen Körper- und Geistesbehinderung des Beigeladenen nicht ausreichen, da der Betreuungsumfang erheblich
größer ist. Nach den Feststellungen des MDK Bayern sei die Pflegestufe II zuerkannt und es liege eine erheblich eingeschränkte
Alltagskompetenz vor (Pflegegutachten vom 14.08.2012). Auch seitens der Sozialpädagogin des Jugendamtes wurde mehrfach darauf
hingewiesen, dass eine Unterbringung des Beigeladenen in der Pflegefamilie weiterhin notwendig sei, da nur so die stationäre
Aufnahme in einer Behinderteneinrichtung vermieden werden könne (vgl. zuletzt Hilfeplan vom 08.10.2013). Ebenso zeigt die
Tatsache, dass G. während der Erkrankung seines Pflegevaters in der Zeit vom 12.08.2013 bis 01.09.2013 kurzzeitig im Kinderwohnhaus
Zwiesel (auf Kosten des Beklagten) untergebracht war, da die Pflegemutter allein nicht zur Betreuung in der Lage war, dass
Alternative zur Betreuung in der Pflegefamilie nur die Aufnahme in einer vollstationären Behinderteneinrichtung war. Schließlich
spricht auch die Unterbringung des G. seit 01.09.2017 in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe dafür, dass
durch die Betreuung bei den Pflegeeltern der Aufenthalt in einer solchen Einrichtung vermieden werden konnte.
d) Bei Erfüllung der Voraussetzungen ist der Beklagte nach § 104 Abs. 1 SGB X ab 05.08.2009 - wie das SG zutreffend festgestellt hat - auch insgesamt erstattungspflichtig. Wie sich aus der Änderung des § 28 Abs. 5 SGB XII zum 05.08.2009 - die im Hinblick auf § 54 Abs. 3 SGB XII erfolgte - ergibt, wonach die Unterbringung in einer Pflegefamilie zu einer abweichenden Bemessung der Regelsätze für den
notwendigen Lebensunterhalt führt, hat der Träger der Sozialhilfe auch für die mit der Unterbringung verbundenen Kosten zum
Lebensunterhalt als einem integralen Bestandteil der Maßnahme aufzukommen (vgl. BSG, Urteil vom 25.09.2014 - B 8 SO 7/13 R, Rdnr. 38).
e) Das Vorrang-Nachrang-Verhältnis im Sinne des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X ergibt sich vorliegend aus der Konkurrenzregelung des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII, der für junge Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung den Vorrang der Eingliederungshilfe regelt: Abweichend
von § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII, wonach die Leistungen nach dem SGB VIII denen nach dem SGB XII vorgehen, gehen Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für junge Menschen, die körperlich oder geistig oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach dem
SGB VIII vor. Ungeschriebene Voraussetzung dieser Konkurrenzregel ist, dass die Leistungen der Jugendhilfe und der Sozialhilfe gleich,
gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.09.1999
- 5 C 26/98; Urteil vom 02.03.2006 - 5 C 15/05; LSG NRW, Urteil vom 28.01.2013 - L 20 SO 170/11; BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 - 5 C 30/12).
Der Beigeladene ist unstreitig sowohl geistig als auch körperlich behindert und hat nach den obigen Ausführungen einen Anspruch
auf Eingliederungshilfe gegen den Beklagten nach §§ 19 Abs. 3, 53, 54 Abs. 3 SGB XII. Im Falle bestehender Mehrfachbehinderungen ist dabei nicht auf den Schwerpunkt der Behinderungen, sondern allein auf die
Art der miteinander konkurrierenden Leistungen abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.09.1999 - 5 C 26/98). Eine Differenzierung danach, ob der Schwerpunkt des Bedarfs oder Leistungszwecks eher auf der Jugendhilfe oder eher auf
der Eingliederungshilfe liegt, ist nicht zulässig. Für den Vorrang der Eingliederungshilfeleistungen nach dem SGB XII genügt bereits jede Überschneidung der Leistungsbereiche; es ist dafür nicht (weitergehend) erforderlich, dass der Schwerpunkt
des Hilfebedarfs bzw. -zwecks im Bereich einer der den Eingliederungsbedarf auslösenden Behinderungen liegt oder eine von
ihnen für die konkrete Maßnahme ursächlich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.02.2012 - 5 C 3/11). Leistungen nach den §§ 53 ff. SGB XII sind auch dann vorrangig, wenn die Leistungen zumindest auch auf den Hilfebedarf wegen geistiger oder körperlicher Behinderung
eingehen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 29.10.2015 - L 8 SO 122/12; Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 1. Aufl. 2014, § 10 SGB VIII, Rdnr. 91.1). Damit kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung, die Betreuung des Beigeladenen nicht in der Herkunftsfamilie,
sondern in einer Pflegefamilie vornehmen zu lassen, im Ausgangspunkt auf die Notwendigkeit zur Intervention durch das Jugendamt
wegen eines Erziehungsdefizits bei der Betreuung durch den Vater zurückgeht. Ausschlaggebend ist also nicht, dass sich die
Notwendigkeit zur Betreuung in der Pflegefamilie durch den Ausfall der leiblichen Eltern ergab, wie der Beklagte meint (vgl.
auch VG Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 14.04.2014 - 3 K 13.870). Entscheidend ist vielmehr allein, ob in der Pflegefamilie
neben dem erzieherischen Bedarf auch ein behinderungsbedingter Bedarf gedeckt wird oder nicht (vgl. Wiesner, SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 10, Rdnr. 38b; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2011 - L 20 SO 110/08).
Die Leistungsidentität verlangt zum einen, um im Erstattungsverhältnis eine Lastenverschiebung zu vermeiden, eine inhaltlich
rechtmäßige Leistungserbringung nach den für die eigene Leistung geltenden Vorschriften (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2013 - B 1 KR 50/12 R), zum anderen aber, dass die Voraussetzungen der Leistungserbringung auch durch den vorrangig Verpflichteten vorliegen (vgl.
BSG, Urteil vom 25.09.2014 - B 8 SO 7/13 R mit weiteren Nachweisen zur ergangenen Rechtsprechung). Gleichartigkeit der Leistungen
liegt vor, wenn die Gewährung der Sozialleistung durch den erstleistenden Träger zugleich auch eine Verpflichtung des in Anspruch
genommenen zweiten Trägers erfüllt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 - 5 C 30/12). Dies ist hier der Fall. Die in der Pflegefamilie erbrachte Vollzeitpflege ist sowohl Gegenstand der Eingliederungshilfe
nach §§ 53 ff. SGB XII als auch Jugendhilfeleistung nach §§ 27, 33, 39 SGB VIII. Beide Leistungen sind deckungsgleich. Die Unterbringung und Betreuung des G. in der Pflegefamilie war auf die Deckung des
gesamten, sich aus den verschiedenen Behinderungen des G. ergebenden Bedarfs gerichtet. Dadurch dass die Pflegeeltern nicht
nur den erzieherischen Bedarf gedeckt haben, sondern auch auf die geistigen und körperlichen Behinderungen des Beigeladenen
eingegangen sind, ist der Beklagte im Umfang der Bedarfsdeckung von seiner Leistungspflicht freigeworden (vgl. insoweit auch
SG Aachen, Urteil vom 28.03.2017 - S 20 SO 30/15; BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 - 5 C 30/12; VG München, Urteil vom 17.12.2014 - M 18 K 12.6247).
Für die Beurteilung der Leistungsidentität ist dabei ohne Bedeutung, wem der jeweilige Anspruch nach der Systematik des SGB VIII und des SGB XII zusteht; entscheidend ist nur, dass die Bedarfe derselben Person - vorliegend des Beigeladenen - gedeckt werden (vgl. BVerwG,
Urteil vom 19.10.2011 - 5 C 6.11; BSG, Urteil vom 25.09.2014 - B 8 SO 7/13 R). Mit Blick auf das Ziel des Kongruenzerfordernisses, zweckidentische Doppelleistungen
zu vermeiden, steht damit die Tatsache, dass Empfänger der Jugendhilfeleistungen die Pflegeeltern waren, während die Eingliederungshilfe
dem Beigeladenen G. zu gewähren war, der Annahme einer Gleichartigkeit der Leistung nicht entgegen (vgl. auch BVerwG, Urteil
vom 13.06.2013 - 5 C 30/12).
4. Gemäß § 104 Abs. 3 SGB X richtet sich der Umfang des Erstattungsanspruches nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften.
Da das SG vorliegend nur ein Zwischen-Grundurteil erlassen hat, ist eine Entscheidung über die genaue Höhe des Erstattungsanspruchs
nicht getroffen worden. Insoweit ist auch beim LSG der Rechtsstreit überhaupt nicht angefallen, so dass eine Entscheidung
über den Erstattungsanspruch der Höhe nach nicht zu ergehen hat. Insoweit bedarf es im Streitfalle ggf. eines Nachverfahrens
beim SG (vgl. BSG, Urteil vom 25.09.2014 - B 8 SO 7/13 R).
C. Die Kostenentscheidung des SG in Ziffer II. des Urteils vom 05.05.2015 war aufzuheben, da im ergangenen Grundurteil als Zwischenurteil nach §
202 Satz 1
SGG i.V.m. §
304 ZPO grundsätzlich nicht über die Kosten zu entscheiden ist. Denn vor Abschluss des Nachverfahrens steht nicht fest, in welchem
Umfang die eine oder andere Seite unterliegt, welche Kosten in der Instanz entstehen und wodurch diese verursacht worden sind
(vgl. BSG, Urteil vom 18.07.1989 - 10 RKg 22/88; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt,
SGG, Kommentar, 12. Aufl. 2017, §
130, Rdnr. 8; B. Schmidt in: Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, Kommentar, 12. Aufl. 2017, §
193, Rdnr. 2b). Über die Kosten kann daher erst dann entschieden werden, wenn das Nachverfahren abgeschlossen ist, sei es durch
Endurteil, Vergleich oder Erledigungserklärung der Beteiligten (vgl. BSG, Urteil vom 26.07.1994 - 11 Rar 115/93).
Im Rechtsmittelverfahren gegen ein Grundurteil ist dagegen über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden (vgl.
B. Schmidt in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer/Schmidt,
SGG, Kommentar, 12. Aufl. 2017, §
193, Rdnr. 2b). Nach §
197 a Abs.
1 Satz 1 3. Teilsatz
SGG i.V.m. §
155 Abs.
1 Satz 3
VwGO in entsprechender Anwendung können einem Beteiligten die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen
Teil unterlegen ist. Da der Beklagte mit der Berufung ganz überwiegend keinen Erfolg hatte - die Erstattungsforderung für
die Zeit von Januar 2008 bis Juli 2009 beträgt nach Angaben des Klägers 1.683,30 Euro; für die Zeit von August 2009 bis April
2016 beläuft sie sich auf 34.968,48 Euro -, waren ihm die Kosten des Berufungsverfahrens ganz aufzuerlegen.
D. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor. Das BSG hat bereits über die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Eingliederungshilfe in einer Pflegefamilie nach § 54 Abs. 3 SGB XII entschieden (vgl. BSG, Urteil vom 25.09.2014 - B 8 SO 7/13 R).