Absenkung eines Grades der Schädigungsfolge
Posttraumatische Belastungsstörung
Vergleich der tatsächlichen Verhältnisse
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Absenkung des bei ihm festgestellten Grades der Schädigungsfolge (GdS).
Mit Bescheid vom 22. März 2002 hatte der Beklagte bei dem Kläger, der als Elfjähriger von einem unbekannt gebliebenen Mann
körperlich misshandelt und sexuell missbraucht worden war, eine posttraumatische Belastungsstörung als Schädigungsfolge anerkannt,
und zwar hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen im Sinne des §
1 Opferentschädigungsgesetz (
OEG) nach einem Grad der Schädigungsfolge (seinerzeit noch als MdE, Minderung der Erwerbsfähigkeit, bezeichnet) von 40. Dieser
Entscheidung lag das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. D vom 16. Januar 2002 zugrunde.
Im Nachprüfungsverfahren holte der Beklagte das Gutachten der Ärztin für Psychiatrie Dr. M vom 27. Februar 2007 ein, die nach
Untersuchung des Klägers eine chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung mit einem GdS von 30 feststellte. Der Schweregrad
sei nunmehr in den unteren Bereich der stärker behindernden Störungen einzuordnen, da mit Unterstützung die soziale Eingliederung
weitgehend gelinge und der Leidensdruck im Verlauf der Störung abgenommen habe. Gleichwohl teilte der Beklagte dem Kläger
mit Schreiben vom 27. März 2007 mit, dass die Untersuchung keine Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse ergeben habe,
die eine Neufeststellung des Versorgungsanspruchs bedinge.
2012 leitete der Beklagte ein weiteres Nachprüfungsverfahren ein. In dem hierbei erstatteten Gutachten nach Aktenlage vom
19. November 2012 schlug der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K vor, als Schädigungsfolge weiterhin unverändert eine
chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung mit einem GdS von 30 anzuerkennen. Daraufhin setzte der Beklagte mit Bescheid
vom 15. Januar 2013 bei dem Kläger den GdS mit Wirkung ab 1. März 2013 auf 30 herab und änderte die Bezeichnung der Schädigungsfolge
in chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung. Den Widerspruch des Klägers wies er mit Widerspruchsbescheid vom 11.
März 2013 zurück.
Hiergegen hat der Kläger bei dem Sozialgericht Berlin Anfechtungsklage erhoben. Neben Befundberichten hat das Sozialgericht
das Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. St vom 23. Januar 2014 eingeholt, der die Schädigungsfolgen
mit einem GdS von 30 bewertet hat. Hierbei hat er - fast wortgleich - die Begründung der Vorgutachterin Dr. M herangezogen.
Dem Gutachten folgend hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 7. Oktober 2014 mit der Begründung zurückgewiesen, bei
dem Kläger liege nunmehr lediglich ein GdS von 30 vor.
Mit der Berufung gegen diese Entscheidung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung
des Sachverständigengutachtens der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie T vom 17. Juli 2016.
Der Kläger beantragt seinem schriftlichen Vorbringen zufolge,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. Oktober 2014 sowie den Bescheid des Beklagten vom 15. Januar 2013 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 11. März 2013 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, dass die angefochtene Entscheidung zutreffend sei.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt
der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung
gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Klägers im Termin verhandeln und entscheiden (vgl. §
153 Abs.
1 in Verbindung mit §
110 Abs.
1 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz -
SGG-).
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Denn der angegriffene Herabsetzungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt
den Kläger in seinen Rechten.
Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bescheides ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X), wonach ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dessen
Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben ist. Hierbei sind
die zum Zeitpunkt der Aufhebung bestehenden tatsächlichen Verhältnisse mit jenen, die zum Zeitpunkt der letzten behördlichen
Entscheidung vorhanden gewesen sind, zu vergleichen.
Die von der Beklagten mit dem hier angefochtenen Bescheid teilweise aufgehobene Entscheidung über die Feststellung eines GdS
von 40 ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Der Senat hat allerdings auch nach weiterer Sachverhaltsaufklärung im Berufungsverfahren
nicht die Überzeugung gewinnen können, dass sich die maßgeblichen Verhältnisse in dem zwischen der ursprünglichen Festsetzung
des GdS von 40 und der Herabsetzung auf 30 liegenden Zeitraum geändert hätten. Vorliegend erscheint es nicht ausgeschlossen,
dass die von den verschiedenen Sachverständigen vorgenommene differierende Einstufungen des GdS bei dem Kläger nicht - wie
erforderlich - auf einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse beruhen, sondern auf gutachterliche unterschiedliche Bewertungen
zurückzuführen sind, ohne dass sich die gesundheitliche Zustand des Klägers geändert hätte. Die Einschätzung der Gutachterin
Dr. M im Gutachten vom 27. Februar 2007, "mit Unterstützung" gelinge die soziale Eingliederung des Klägers nunmehr "weitgehend",
lässt nicht erkennen, aus welchen Gründen der Schweregrad dessen psychischer Erkrankung in den unteren Bereich der stärker
behindernden Störungen einzuordnen ist. Die von ihr angeführte Ausbildung zur Gastronomiefachkraft hat später aus Gründen,
die auf die psychische Erkrankung des Klägers zurückzuführen sind, zu keiner Festanstellung geführt. Auch ist nicht zu erkennen,
inwieweit der Umstand, dass der damals zwanzigjährige Kläger noch immer bei seiner Mutter lebte, für dessen soziale Eingliederung
sprechen sollte. Die weitere Einschätzung der Gutachterin, dass der Leidensdruck im Verlauf der Störung abgenommen habe, lässt
sich aus Darlegungen im Gutachten nicht erschließen. Eine nach der Feststellung des GdS von 40 eingetretene Änderung des Gesundheitszustands
des Klägers im Sinne einer Verbesserung seiner psychischen Erkrankung ergibt sich auch nicht aus dem Gutachten des Arztes
für Neurologie und Psychiatrie Dr. K vom 19. November 2012, der die Schädigungsfolgen "weiterhin unverändert" mit einem GdS
von 30 bewertet hat. Im Übrigen ist dieser Gutachter im Gegensatz zu der der Ärztin für Psychiatrie Dr. M ausdrücklich von
einem zunehmenden Leidensdruck auf den Kläger ausgegangen. Auch dem im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachten des
Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. S vom 23. Januar 2014 kann eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nicht
entnommen werden. Seine - fast wortgleich - aus der Begründung der Vorgutachterin Dr. M übernommene Einschätzung, dass mit
Unterstützung die soziale Eingliederung weitgehend gelungen sei und der Leidensdruck im Verlauf der Störung abgenommen habe,
ist schon deshalb nicht überzeugend, weil der Gutachter sie nicht begründet hat. Für die Annahme, dass bereits im Zeitpunkt
der ursprünglichen Festsetzung der GdB bei dem Kläger lediglich 30 betragen habe, eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen
also nicht eingetreten ist, spricht, dass die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie T in dem durch den Senat eingeholten
Sachverständigengutachtens der vom 17. Juli 2016 ausdrücklich zu dem Schluss gelangt ist, dass im März 2002 die posttraumatische
Belastungsstörung des Klägers mit einem GdS von 30 zu bewerten gewesen sei. Für darüber hinausgehende Versuche, die mehr als
14 Jahre zurückliegenden Vorgänge aufzuklären, sieht der Senat keine Rechtfertigung. Die verbleibenden Zweifel gehen zu Lasten
des Beklagten, da ihn die materiell Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen der (teilweisen) Aufhebung des Bescheides
trifft.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) sind nicht erfüllt.