Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Pflegegeld der Pflegestufe I für den Zeitraum ab März 2005.
Der 1926 geborene Kläger beantragte im März 2005 bei der Beklagten Pflegegeld. Diese holte daraufhin das MDK-Gutachten der
Ärztin W vom 28. September 2005 ein, die eine erhebliche Pflegebedürftigkeit verneinte: Der tägliche Hilfebedarf in der Grundpflege
betrage 5 Minuten; der Zeitbedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung umfasse 64 Minuten pro Tag. Dem Gutachten folgend
lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 20. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. November 2005
ab.
Mit der bereits am 9. November 2005 vor dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt.
Das Sozialgericht hat das Gutachten der Allgemeinmedizinerin Dr. B vom 8. März 2006 mit ergänzender Stellungnahme vom 12.
Juli 2006 eingeholt, die einen täglichen Zeitaufwand für die Grundpflege von 26 Minuten und für die hauswirtschaftlichen Verrichtungen
von mehr als 45 Minuten ermittelt hat.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 31. Januar 2008 abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt,
dass der Kläger nicht erheblich pflegebedürftig sei. Zutreffend habe die Gutachterin den täglichen Hilfebedarf in der Grundpflege
für das Duschen/Baden mit 15 Minuten, das Kämmen/Rasieren mit 6 Minuten, die mundgerechte Zubereitung der Nahrung mit 2 Minuten,
das Aufstehen/Zubettgehen mit 1 Minute und das An-/Auskleiden mit 2 Minuten, also insgesamt 26 Minuten, festgestellt. Die
Behandlung des Fußpilzes und der Kopfhaut sei keine Verrichtung der Grundpflege, sondern der Behandlungspflege. Beim Verlassen
bzw. Wiederaufsuchen der Wohnung sei nur derjenige Hilfebedarf zu berücksichtigen, der unmittelbar für die Aufrechterhaltung
der Lebensführung zu Hause notwendig sei. Hierzu gehören Arztbesuche, wenn sie wenigstens einmal pro Woche anfielen. Selbst
wenn man zugunsten des Klägers unterstellte, dass diese Voraussetzung zutreffe, seien allenfalls täglich 9 Minuten zu berücksichtigen,
die auch bei Hinzurechnung eines Hilfebedarfs von weiteren 4 Minuten für das An-/Ausziehen der Stützstrümpfe den für die Zuerkennung
von Pflegegeld erforderlichen Zeitaufwand von 45 Minuten nicht erreichten.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt. Er hat zunächst vorgetragen, jeweils mindestens einmal pro Woche
einen Arzt aufgesucht zu haben und zur Krankengymnastik gegangen zu sein.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachten der Arbeitsmedizinerin Dr. F vom 14. Februar 2009, ergänzt durch
die Stellungnahme vom 25. Mai 2009, die eine erhebliche Pflegebedürftigkeit des Klägers nicht hat feststellen können.
Unter Vorlage diverser medizinischer Unterlagen bringt der Kläger vor, dass sich seine Leiden verschlimmert hätten. Verschiedene
Operationen ständen an; seine Schmerzen seien unerträglich. Er müsse zweimal im Monat einen Internisten aufsuchen. Im ersten
Quartal 2009 habe er 24 Physiotherapieanwendungen erhalten. Im Oktober 2009 hat er mitgeteilt, monatlich zehnmal einen Arzt
und Therapeuten aufgesucht zu haben.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Januar 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.
Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. November 2005 zu verpflichten, ihm ab März 2005 Pflegegeld der
Pflegestufe I zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen
der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge
der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 31. Januar 2008 abgewiesen. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom
20. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. November 2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht
in seinen Rechten. Denn er hat keinen Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I.
Voraussetzung ist nach §
37 Abs.
1 SGB XI u. a., dass der Anspruchsteller pflegebedürftig ist und mindestens der Pflegestufe I zugeordnet werden kann. Pflegebedürftigkeit
liegt hierbei nach §
14 Abs.
1 SGB XI vor, wenn der Betroffene wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen
und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs
Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedarf, die nach §
14 Abs.
3 SGB XI in der Unterstützung, in der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens oder
in der Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme dieser Verrichtungen besteht. Als gewöhnliche
und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im vorgenannten Sinne gelten nach §
14 Abs.
4 SGB XI im Bereich der Körperpflege, der neben den Bereichen der Ernährung und der Mobilität zur Grundpflege gehört, das Waschen,
Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren und die Darm- oder Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung das mundgerechte
Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung, im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden,
Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sowie im Bereich der hauswirtschaftlichen
Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen.
Die Zuordnung zur Pflegestufe I setzt nach §
15 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1, Abs.
3 Satz 1 Nr.
1 SGB XI voraus, dass der Betroffene bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus
einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der
hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft
ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt,
hat hierbei wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten zu betragen, wobei auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten
entfallen müssen.
Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers nicht erfüllt. Denn es lässt sich nicht feststellen, dass sein Grundpflegebedarf
wöchentlich im Tagesdurchschnitt mehr als 45 Minuten betrug. Dies hat das Sozialgericht unter Verwertung der im Verwaltungs-
und im Klageverfahren erhobenen ärztlichen Feststellungen überzeugend dargelegt. Auf die zutreffende Begründung des angefochtenen
Urteils vom 31. Januar 2008 wird nach §
153 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) Bezug genommen.
Das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren und die weiteren medizinischen Ermittlungen des Senats rechtfertigen keine
abweichende Entscheidung: Der Hilfebedarf des Klägers in der Grundpflege übersteigt wöchentlich im Tagesdurchschnitt nicht
45 Minuten.
Im Bereich der Körperpflege (§
14 Abs.
4 Nr.
1 SGB XI) hat er einen Zeitbedarf von insgesamt 20 Minuten: Nach den ausführlichen und überzeugenden Ausführungen der gerichtlichen
Sachverständigen Dr. F im Gutachten vom 14. Februar 2009 sind 15 Minuten für die Hilfestellung beim Duschen mit Waschen des
Kopfhaares angemessen. Die Gutachterin hat dargelegt, es sei davon auszugehen dass bei schon längerer Zeit bestehenden Einschränkungen
der rechten Schulte trotz Rechtshändigkeit die linke Hilfshand zwischenzeitlich durch Anpassung, Gewöhnung und Training den
Funktionswert einer Haupthand gewonnen hat. Deshalb kann der Kläger mit dem gesunden linken Arm-Handsystem den Körper einseifen
und mit Wasser abspülen. Notwendig bleiben Handreichungen von Waschutensilien. Da Überkopfbewegungen des rechten Armes nicht
möglich sind, ist Hilfe beim Waschen der Haare angebracht. Beim Rasieren besteht wegen der Ungeschicklichkeit der linken Hand
ein Hilfebedarf im Sinne einer Nachrasur, die in einem Umfang von 5 Minuten berücksichtigungsfähig ist. Ein Hilfebedarf beim
Kämmen ist nicht erkennbar, da der linke Arm des Klägers ausreichend beweglich ist.
Nach den Feststellungen der Sachverständigen, denen der Senat sich anschließt, benötigt der Kläger im Bereich der Ernährung
(§
14 Abs.
4 Nr.
2 SGB XI) für das mundgerechte Zubereiten der Nahrung angesichts der vollen Funktionsfähigkeit der linken Hand und der Behelfsmöglichkeiten
mit der rechten Hand Hilfeleistungen in einem Umfang von täglich maximal 6 Minuten. Bei der Nahrungsaufnahme besteht kein
Hilfebedarf.
Im Bereich der Mobilität (§
14 Abs.
4 Nr.
3 SGB XI) ist zum einen ein Bedarf von täglich 1 Minute für das Stehen/Wannentransfer zu berücksichtigen, der beim Duschen des Klägers
anfällt. Zum anderen sind 6 Minuten täglich für das An- und Auskleiden anzusetzen. Zwar kann der Kläger, wie die Gutachterin
ausgeführt hat, legere Kleidung (T-Shirt und Jogginghose) allein an- und ausziehen. Beim Bedienen von Verschlüssen ist jedoch
Hilfestellung angezeigt. Auch benötigt der Kläger einmal täglich Hilfe beim An- und Ausziehen der Stützstrümpfe, welches als
verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahme nach §
15 Abs.
3 Satz 3
SGB XI in die Grundpflege einzubeziehen ist, da die konkrete Hilfeleistung mit der betreffenden Katalogverrichtung des §
14 Abs.
4 Nr.
3 SGB XI in einen sachlichen Zusammenhang steht (vgl. BSG SozR 3-2500 §
37 Nr.).
Der Zeitaufwand für die genannten Leistungen der Grundpflege von insgesamt 33 Minuten täglich wird auch bei Berücksichtigung
des von dem Kläger vorgetragenen Hilfebedarfs beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung nicht maßgebend, d.h. auf über
45 Minuten, angehoben.
Die Hilfe bei der Mobilität außerhalb der eigenen Wohnung ist nur dann zu berücksichtigen, wenn sie erforderlich ist, um das
Weiterleben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen, also Krankenhausaufenthalte und die stationäre Pflege in einem Pflegeheim
zu vermeiden. Als Maßnahme der Grundpflege anerkannt worden ist demgemäß die Hilfe durch Begleitung bei durchschnittlich wenigstens
einmal wöchentlich anfallenden Arztbesuchen. Gleiches gilt für die Begleitung zum Krankengymnasten, wenn die Maßnahme ärztlich
verordnet ist (siehe etwa BSG, Urteil vom 26. November 1998, B 3 P 20/97 R, SozR 3-3300 § 14 Nr. 9). Vorliegend sucht der Kläger seinen eigenen Angaben zufolge regelmäßig nur zweimal im Monat einen
Internisten zur Blutuntersuchung auf. Allerdings hat er im ersten Quartal 2009 24 Physiotherapieanwendungen wahrgenommen.
Es ist fraglich, ob die Einschätzung der Arbeitsmedizinerin Dr. F in ihrem Gutachten vom 14. Februar 2009, dass es sich hierbei
um eine zeitlich befristete Behandlungsmaßnahme und nicht um einen auf Dauer anfallenden Hilfebedarf handele, nicht zeitlich
überholt ist, da der Kläger im Oktober 2009 von weiteren therapeutischen Behandlungen berichtet hat. Dies kann jedoch offen
bleiben, da auch unter Zugrundelegung der Annahme, dass der Kläger zweimal wöchentlich einen Physiotherapeuten aufsucht, ein
weiterer Hilfebedarf im Bereich der Mobilität von nur 4 Minuten täglich besteht. Der Kläger wird von seiner Ehefrau zum Wagen
begleitet und zu der Praxis gefahren, die in ca. 3 Minuten zu erreichen ist. Nach der Behandlung holt sie ihn wieder mit dem
Wagen ab. Die Sachverständige hat die Begleitung des Klägers wegen dessen erhöhter Sturzgefahr für nachvollziehbar gehalten;
hingegen hat sie die Anwesenheit einer Pflegeperson während der Fahrt, der Wartezeit und der Behandlungszeit aus medizinischer
Sicht als nicht erforderlich eingeschätzt. Dieser Wertung ist hinsichtlich der Notwendigkeit der Begleitung zum Wagen zu folgen,
da das von dem Kläger bewohnte Gebäude zwar über einen Fahrstuhl verfügt, dieser jedoch von der Hauseingangstür nur über sechs
Stufen zu erreichen ist. Der zeitliche Aufwand der Begleitung von der Wohnung des Klägers zum Wagen ist mit 2 Minuten anzusetzen.
Da davon auszugehen ist, dass der Kläger auf dem Weg vom Wagen zur Praxis seines Physiotherapeuten ebenfalls der Begleitung
bedarf, sind hierfür weitere 2 Minuten zu veranschlagen. Für den Hinweg ist auch die Fahrzeit von 3 Minuten - also insgesamt
ein zeitlicher Aufwand von 7 Minuten - zu berücksichtigen. Die Begleitung des Klägers durch eine Pflegeperson während der
Fahrt mag zwar nicht aus medizinischen Gründen notwendig sein. Da er auf dem Weg zum Wagen und zur Praxis auf Hilfe angewiesen
ist, ist jedoch die Begleitung während der Fahrt aus praktischen Erwägungen erforderlich. Entsprechendes gilt für den Rückweg
von der physiotherapeutischen Behandlung nach Hause. Auch hier besteht ein Zeitaufwand von 7 Minuten. Eine - grundsätzlich
zu berücksichtigende (vgl. das Urteil des Senats vom 28. Mai 2009, L 27 P 39/08, bei Juris) - Wartezeit der Pflegeperson in der Praxis fällt im vorliegenden Fall nicht an, da der Kläger nach Abschluss
der Behandlung von seiner Ehefrau abgeholt wird. Bei zwei Besuchen der Praxis in der Woche ergibt sich insgesamt ein Zeitaufwand
von 28 Minuten wöchentlich, d.h. von 4 Minuten täglich.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) sind nicht erfüllt.