Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen eine Regressforderung des Beklagten in Höhe von 798,46 € wegen der Verordnung des Präparates
Wobe Mugos E.
Dieses Arzneimittel war seit Mitte der 1970er Jahre entsprechend den damaligen arzneimittelrechtlichen Bestimmungen - damals
noch unter anderer Bezeichnung - im Verkehr (vgl. §§ 6ff Arzneimittelgesetz [AMG] vom 16. Mai 1961 mit späteren Änderungen). Der seinerzeitige pharmazeutische Hersteller teilte aus Anlass der Neuordnung
des Arzneimittelrechts von 1976 in seiner Anzeige vom Juni 1978 dem damals zuständigen Bundesgesundheitsamt mit, dass dieses
rektal zu verabreichende Arzneimittel bereits Mitte 1976 und auch noch Anfang 1978 auf dem deutschen Markt gewesen sei. Anwendungsgebiet
war die "Unterstützung der Langzeitbehandlung bei Entzündungen und Virusinfektion (z.B. Zoster) / Langzeitbehandlung bei malignen
Tumoren (prae- und postoperativ) / Zusatzbehandlung während der Strahlentherapie / Metastasenprophylaxe".
Die spätere neue Herstellerin, die M P GmbH & Co KG, beantragte im Dezember 1989 die Verlängerung der Zulassung, wobei sie
als Anwendungsform die orale Darreichung angab. Das nunmehr zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
(BfArM) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 9. Juni 1998 ab, weil wegen des Wechsels der Darreichungsform zwischen dem 1978
angezeigten und dem zur Nachzulassung anstehenden Arzneimittel keine Identität bestehe; eine Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit
erfolgte nicht. Im Klageverfahren blieb die Herstellerin ohne Erfolg (Oberverwaltungsgericht Berlin, rechtskräftiges Urteil
vom 7. April 2005, Az.: 5 B 8.03, veröffentlicht in Juris). Zum 1. September 2005 nahm die Herstellerin das Arzneimittel aus dem Verkehr. Derzeit wird Wobe
Mugos E als Nahrungsergänzungsmittel vermarktet.
Der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat mit Urteil vom 27. September 2005 (Az.: B 1 KR 6/04 R, veröffentlicht in Juris) entschieden, dass gesetzlich Versicherte die Versorgung mit Wobe Mugos E bereits nicht mehr beanspruchen
konnten, nachdem der Zulassungsantrag abgelehnt worden war. In diesem Urteil ist ausgeführt, für einen Versorgungsanspruch
reiche nicht aus, dass mangels Anordnung sofortiger Vollziehung noch eine Zulassungsfiktion bestanden habe (sog. Nachzulassungs-Status).
Aufgrund der aufschiebenden Wirkung sei zwar die Verkehrsfähigkeit im Sinne des AMG erhalten geblieben. Dies habe aber Versorgungsansprüche der Versicherten und Leistungspflichten der Krankenkassen nach dem
Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) nicht begründen können, weil diese eine Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nach dem allgemeinen
Stand der medizinischen Erkenntnisse auf der Grundlage zuverlässiger wissenschaftlich nachprüfbarer Aussagen voraussetzten.
Seit der Ablehnung der Zulassungsverlängerung durch den o.g. Bescheid vom 9. Juni 1998 sei ein Versorgungsanspruch zu verneinen.
Die Klägerin, Fachärztin für Allgemeinmedizin mit der Zusatzbezeichnung Naturheilverfahren, behandelte seit Mai 2000 die bei
der Beigeladenen zu 2) krankenversicherte, 1940 geborene und zwischenzeitlich verstorbene Versicherte E F (im Folgenden: die
Versicherte). Nach Angaben der Klägerseite wurde bei dieser 1995 ein Mammakarzinom rechts festgestellt. Trotz Mammaamputation
(bei 12 befallenen Lymphknoten) traten 1997 ein Lokalrezidiv und im November 2000 ausgedehnte multifokale Wirbelsäulenmetastasen,
Metastasen am linken Oberschenkelknochen und disseminierte Metastasen der occipitalen Schädelkalotte sowie eine Gehirnmetastase
(links frontal) auf. Im März 2001 kamen Lymphknotenmetastasen (links supraclaviculär) und im August 2001 Lebermetastasen hinzu.
Die Krebserkrankung wurde von hypochromer Anämie und Angstdepression - so die weiteren Angaben der Klägerin - begleitet.
Am 5. Oktober 2000 verordnete die Klägerin der Versicherten das Arzneimittel Phlogenzym und am 1. Dezember 2000 Wobe Mugos
E. Weil die Apotheke auf der Verordnung vom 5. Oktober 2000 die Pharmazentralnummer und den Preis für Wobe Mugos E hinzufügte,
erstreckte sich der Prüfantrag der Beigeladenen zu 2) auf die zweimalige Verordnung vom Wobe Mugos E. Obwohl die Klägerin
darauf hinwies, dass die Apotheke ein anderes als das von ihr verordnete Arzneimittel abgegeben und in Rechnung gestellt habe,
setzte der Prüfungsausschuss mit Bescheid vom 22. Oktober 2001 eine Schadensersatzverpflichtung von (2 x 284,50 DM, abzüglich
5 % Apothekenrabatt, abzüglich 20.- DM Zuzahlungen der Versicherten =) 520,55 DM fest. Darüber hinaus setzte er mit Bescheid
vom 20. März 2022 wegen der viermaligen Verordnung von Wobe Mugos E zwischen dem 11. Januar 2001 und dem 5. April 2001 eine
weitere Schadensersatzverpflichtung von 1.041,10 DM (532,31 €) fest. Der Beklagte hob zunächst mit Beschluss vom 17. Dezember
2002 beide Bescheide auf. Während des sich anschließenden, von der Beigeladenen zu 2) betriebenen Klageverfahrens (S 83 KA 67/03) hob der Beklagte auf Anregung des Sozialgerichts seinen o.g. Beschluss auf und wies die Widersprüche der Klägerin gegen
die beiden o.g. Bescheide des Prüfungsausschusses zurück (Beschluss vom 20. Juli 2006).
Gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts vom 20. Juni 2007, zugestellt am 7. August 2007, richtet sich die Berufung
der Klägerin vom 21. August 2007, zu deren Begründung sie u.a. vorbringt, die Versicherte sei durch Onkologen erfolglos mit
Arimidex und Tomixofen (gemeint offensichtlich: Tamixofen) sowie "in der Krebsklinik" mit proteolytischen Enzymen behandelt
worden. Die Nebenwirkungen der außerordentlich stark dosierten, zwischen April und August 2001 durchgeführten Chemotherapie
seien durch Wobe Mugos E spürbar gelindert worden. Die Verordnung von Wobe Mugos E habe zum Ziel gehabt, die weitere Ausbreitung
von Rezidiven und Metastasen zu verhindern und die Nebenwirkungen der 20 radioaktiven Bestrahlungen der Knochenmetastasen
zu reduzieren, welche bis zum 18. Dezember 2001 zusätzlich zur lokalen Bestrahlung des Beckens durchgeführt worden sei.
Die Prüffrist sei nicht eingehalten worden. Eine Regressfestsetzung scheide aus Gründen fehlenden Verschuldens aus. Eine verschuldensunabhängige
Haftung des Vertragsarztes sei völlig unverhältnismäßig und verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip sowie seine Grundrechte
aus Art.
2 Abs.
1 und Art.
12 Abs.
1 Grundgesetz (
GG). Es sei nicht zu erkennen, warum eine vorrangige Beratung nicht ausreichend gewesen wäre. Der Beklagte habe das ihm nach
§
106 Abs.
5 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) zustehende Ermessen nicht ausgeübt. Da die Krankenkassen zur Zeit der streitgegenständlichen Verordnungen die Auffassung
vertreten hätten, der Vertragsarzt und nicht sie hätten zu entscheiden, welche Arzneimittel verordnungsfähig seien und welche
nicht, seien Anträge von Ärzten oder Versicherten auf Übernahme der Kosten für Wobe Mugos E stets mit der Begründung abgelehnt
worden, sie dürften keine Arzneimittelverordnungen bewilligen oder genehmigen. Es sei daher unzulässig, ihr - der Klägerin
- eine Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 2006 entgegen zu halten, wenn im Jahre der streitgegenständlichen Verordnung seitens
der Krankenkasse eine gegenteilige Verwaltungspraxis ausgeübt worden sei. Die Voraussetzungen der sog. Nikolaus-Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) lägen vor. Sollte der Senat hiervon nicht überzeugt sein, möge er "der Beklagten" aufgeben,
die "Behandlungsunterlagen aus den Kliniken, in denen die streitgegenständliche Kassenpatientin behandelt" worden sei, ihm
vorzulegen.
Im Übrigen rügt die Klägerin die überlange Verfahrensdauer, derentwegen die Regressfestsetzung aufzuheben und das Verfahren
zu beenden sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Juni 2007 und den Bescheid des Beklagten vom 20. Juli 2006 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Beklagte im Hinblick auf die Verordnung des Arzneimittels Phlogenzym den
Bescheid vom 20. Juli 2007 in Höhe eines Betrages von 133,07 Euro aufgehoben. Insoweit haben die Beteiligten den Rechtsstreit
in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte
sowie die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts und der Bescheid des Beklagten vom 20. Juli 2006
sind, soweit sie nach den Hauptsachenerledigungserklärungen der Beteiligten noch Gegenstand des Rechtsstreits sind, nicht
zu beanstanden.
I) Rechtsgrundlage dieses Bescheids sind §
106 Abs.
2 und
3 SGB V in der vom 1. Januar 2004 bis zum 7. November 2006 geltenden, hier maßgeblichen Fassung i.V.m. § 25 ("Prüfung in besonderen
Fällen") der zwischen der Beigeladenen zu 1) und den (Landes-)Verbänden der Krankenkassen im Land Berlin abgeschlossenen Prüfvereinbarung
(PV) vom 20. Juni 2003.
Nach §
106 Abs.
2 Satz 1
SGB V wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung wird geprüft durch
1. arztbezogene Prüfung ärztlich verordneter Leistungen bei Überschreitung der Richtgrößenvolumen nach §
84 SGB V (Auffälligkeitsprüfung),
2. arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen auf der Grundlage von arztbezogenen und versichertenbezogenen
Stichproben, die mindestens 2 vom Hundert der Ärzte je Quartal umfassen (Zufälligkeitsprüfung).
Die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen können gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen
Vereinigungen über die in Satz 1 vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren (§
106 Abs.
2 Satz 4, 1. Halbsatz
SGB V). Nach Abs. 3 Sätze 1 und 3 dieser Vorschrift vereinbaren die in Absatz 2 Satz 4 genannten Vertragspartner Inhalt und Durchführung
u.a. der Prüfung der Wirtschaftlichkeit nach Absatz 2 gemeinsam und einheitlich. In den Verträgen ist auch festzulegen, unter
welchen Voraussetzungen Einzelfallprüfungen durchgeführt und pauschale Honorarkürzungen vorgenommen werden; festzulegen ist
ferner, dass der Prüfungsausschuss auf Antrag der Kassenärztlichen Vereinigung, der Krankenkasse oder ihres Verbandes Einzelfallprüfungen
durchführt.
Hierauf gestützt vereinbarten die o.g. Vertragspartner auf Landesebene in § 25 PV folgendes:
"1. Auf Antrag der Krankenkassen bzw. ihrer Verbände oder der KV Berlin prüfen die Prüfgremien auch, ob der Vertragsarzt in
Einzelfällen
a) unwirtschaftliche Behandlungsleistungen abgerechnet oder veranlasst hat,
b) unwirtschaftliche Verordnungen von Leistungen vorgenommen hat.
2. Die Anträge sind zu begründen und haben die Höhe der als unwirtschaftlich abgerechnet bzw. veranlasst vermuteten Kosten
anzugeben. Anträge sind nur zulässig, wenn die durch die Begründung geltend gemachte Unwirtschaftlichkeit mindestens 50,00
€ beträgt. Die Anträge sind innerhalb einer Frist von 9 Monaten nach Ablauf des Quartals zu stellen, in dem der vom Antrag
erfasste Sachverhalt aufgetreten ist.
3. Hält das Prüfgremium den Antrag für ganz oder teilweise begründet, setzt es den vom Vertragsarzt zu leisteten Erstattungsbetrag
fest."
II. Diesen Anforderungen genügt der Bescheid des Beklagten vom 20. Juli 2006.
1. Eine die Festsetzung eines Erstattungsbetrags rechtfertigende unwirtschaftliche Verordnung von Leistungen i.S.v. § 25 Nr.
1 Buchst. b) PV hat die Klägerin dadurch vorgenommen, dass sie der Versicherten in den Quartalen IV/00 bis II/01 Wobe Mugos
E verordnete, obwohl hierfür keine Leistungspflicht im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bestand.
a) Gemäß §§
27 Abs.
1 Satz 1 und Satz 2 Nr.
3,
31 Abs.
1 Satz 1
SGB V in der in den Jahren 2000 und 2001 geltenden, hier maßgeblichen Fassung haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen
Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach §
34 SGB V ausgeschlossen sind. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch des Versicherten unterliegt dabei allerdings den sich aus §§
2 Abs.
1 und
12 Abs.
1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Danach umfasst er nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität
und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Bezogen auf die Arzneimitteltherapie
bedeutet dies, dass es zu Qualität und Wirkungsweise eines Arzneimittels zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen
in dem Sinne geben muss, dass der Erfolg der Arzneimitteltherapie in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl
von Behandlungsfällen belegt ist. Es fehlt deshalb an der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Arzneimitteltherapie,
wenn das verwendete Mittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf und diese Zulassung gerade für
dasjenige Indikationsgebiet, in dem es im konkreten Fall eingesetzt werden soll, nicht erteilt worden ist (BSGE 93, 1 mit Nachweisen zur st. Rspr.).
Das von der Klägerin verordnete Arzneimittel Wobe Mugos E ist ein Fertigarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1 und 3 Arzneimittelgesetz (AMG) und bedarf daher der Zulassung nach § 21 Abs. 1 AMG. Als zulassungspflichtiges Arzneimittel hatte Wobe Mugos E im maßgeblichen Zeitpunkt jedoch weder in Deutschland noch EU-weit
die erforderliche Zulassung (BSG, Urteil vom 27. September 2005, aaO.).
b) Die Versicherte konnte die Behandlung mit Wobe Mugos E zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Verordnung auch nicht nach
den Grundsätzen des Off-label-use beanspruchen.
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (seit dem Urteil vom 19. März 2002, BSGE 89, 184) kann ein zugelassenes Arzneimittel grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet
verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt. Davon kann ausnahmsweise abgewichen werden, wenn es um die Behandlung
einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht,
keine andere Therapie verfügbar ist und auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden
Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Zweifellos handelte es sich im streitgegenständlichen
Behandlungsfall um eine schwerwiegende und lebensbedrohliche Erkrankung. Dahinstehen kann an dieser Stelle, ob und inwieweit
in diesem Krankheitsstadium eine andere Therapie zur Verfügung stand. Jedenfalls fehlt es an dem Nachweis, dass nach dem Stand
der wissenschaftlichen Erkenntnisse die begründete Aussicht bestand, mit der Verabreichung von Wobe Mugos E hätte ein Behandlungserfolg
erzielt werden können. Hierfür müssten Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten ließen, dass das bzw. die Arzneimittel
für die betreffende Indikation zugelassen werden könnten. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der
Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard
oder Placebo) veröffentlicht sind und einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines
Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem
neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und deshalb in den einschlägigen Fachkreisen
Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (BSG aaO.).
bb) Diese Voraussetzungen lagen bzgl. der Verordnung von Wobe Mugos E für die Behandlung des (metastasierten) Mammakarzinoms
nicht vor. Es ist keine einzige wissenschaftliche Arbeit ersichtlich oder von der Klägerin während des Verfahrens benannt
worden, die auf der Grundlage einer kontrollierten, randomisierten Doppelt-Blind-Studie einen Nachweis für einen positiven
Einfluss von Wobe Mugos E auf den Krankheitsverlauf des metastasierenden Mamma-Karzinoms erbringen konnte.
c) Eine Leistungspflicht der Beigeladenen zu 2) kommt auch nicht unter Berücksichtigung des Verfassungsrechts (vgl. BVerfGE
115, 25) in Betracht.
aa) Zwar folgt aus Art.
2 Abs.
1 Grundgesetz (
GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip regelmäßig kein verfassungsmäßiger Anspruch auf bestimmte Leistungen der Krankenbehandlung.
Es bedarf jedoch dann einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts,
wenn eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt,
bei der die Anwendung der üblichen Standardbehandlung aus medizinischen Gründen ausscheidet und andere Behandlungsmöglichkeiten
nicht zur Verfügung stehen (BVerfGE 115, 25; BSG, Urteil vom 27. März 2007, Az.: B 1 KR 17/06 R, veröffentlicht in Juris). Damit hat das BVerfG strengere Voraussetzungen umschrieben, als sie im Rahmen des Off-label-use
formuliert sind. Gerechtfertigt ist eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen daher nur,
wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt,
bei der nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf
innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Ähnliches kann für den
ggf. gleichzustellenden, akut drohenden und nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen
Körperfunktion gelten (BSG aaO.).
bb) Die Versicherte befand sich in den Quartalen IV/00 bis II/01 in einem lebensbedrohlichen Zustand.
cc) Der Nachweis, dass im Fall der Versicherten keine andere Behandlungsmöglichkeit bestand, ist nicht erbracht.
Im Verordnungszeitraum waren außer den bei der Versicherten nach dem klägerischen Vorbringen zum Einsatz gebrachten Antiöstrogenen
mit den Wirkstoffen Anastrozol (Handelsname Arimidex) und Tamoxifen weitere Antiöstrogene, z.B. mit den Wirkstoffen Aminoglutethimid
(Handelsname Orimeten), und sonstige Zytostatika, z.B. mit den Wirkstoffen Doxorubicin, Docetaxel, Paclitaxel, Vinblastin,
Fluorouracil, Cyclophosphamid, zur Behandlung des metastasierten Mammakarzinoms zugelassen. Zur Behandlung des (fortgeschrittenen)
Mammakarzinoms waren weitere Arzneimittel, z.B. mit den Wirkstoffen Lestrozol (Handelsname Femara), Formestan (Handelsname
Lentaron) und Mitomycin, zugelassen.
Welche dieser zugelassenen Behandlungsalternativen neben anastrozol- und tamoxifenhaltigen Arzneimitteln bei der Versicherten
zum Einsatz gebracht wurden oder welche Umstände dem ggf. entgegenstanden, ist dem Vorbringen der Klägerin nicht zu entnehmen.
Insoweit hätte es präziser Angaben der Klägerin bedurft, in welchen Zeiträumen welche konkrete Therapieform (ggf. mit Angaben
zur Dosierung) mit welchem konkreten Ergebnis bei der Versicherten angewandt wurde. Ohne solche Angaben ist es weder dem Beklagten
bzw. der Beigeladenen zu 2) noch dem Senat möglich, das Fehlen bzw. den erfolglosen Einsatz anderweitiger Behandlungsmöglichkeiten
positiv festzustellen.
dd) Selbst wenn keine andere Behandlungsmöglichkeit bestanden haben sollte, wäre ein Anspruch der Versicherten gegen die Rechtsvorgängerin
der Beigeladenen zu 2) auf Versorgung mit dem Arzneimittel Wobe Mugos E ausgeschlossen.
Zwar reichte es in solch einer Situation aus, dass das Arzneimittel eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende
Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht (BVerfGE 115,
25). Den Anforderungen, die durch das BSG (Urteil vom 04. April 2006, Az.: B 1 KR 7/05 R - "Tomudex" -, veröffentlicht in Juris) in Umsetzung dieser verfassungsgerichtlichen Entscheidung zusätzlich zu den allgemeinen
Voraussetzungen für einen Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln aufgestellt wurden, entspricht das Verhalten der Klägerin
jedoch nicht.
(1) Wobe Mugos E wurde der Versicherten entsprechend §
15 Abs.
1 SGB V ärztlich verordnet und nicht im Rahmen einer Arzneimittelstudie verabreicht.
(2) Offen bleiben kann, ob die vor der Behandlung mit Wobe Mugos E regelmäßig erforderliche abstrakte und konkret auf den
Versicherten bezogene Nutzen-Risiko-Analyse im vorliegenden Fall unter Beachtung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes
positiv ausfallen konnte (zum hierbei zu beachtenden Prüfungsmaßstab: BSG aaO.).
(3) Denn die Arzneimittel-Therapie wurde im vorliegenden Fall jedenfalls nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst dokumentiert.
Die Behandlung mit einem nicht in Deutschland und EU-weit zugelassenen Arzneimittel auf Kosten der GKV muss in Fällen der
streitigen Art regelmäßig durch einschlägig qualifizierte Ärzte durchgeführt werden. Bei der Anwendung von Arzneimitteln,
die toxische Nebenwirkungen erwarten lassen, kann zudem erforderlich sein, dass der behandelnde Arzt im Umgang mit entsprechenden
Arzneimitteln erfahren ist. Der behandelnde Arzt muss die Behandlung verantworten (vgl. §
15 Abs.
1 SGB V) und die Regeln der ärztlichen Kunst bei der Durchführung der Behandlung einhalten (vgl. §
28 Abs.
1 Satz 1
SGB V). Das setzt auch eine hinreichende Dokumentation der Behandlung und die Vornahme von Kontrollen und gebotenen Sicherheitsvorkehrungen
voraus (z.B. durch Überwachung geeigneter medizinischer Parameter oder Verordnung von stationärer Behandlung bei Realisierung
von Gefahren), um das Risiko für den Patienten gering zu halten und bei Bedarf schnell reagieren zu können (BSG aaO.).
Dass die Klägerin als Allgemeinmedizinerin mit der Zusatzbezeichnung Naturheilverfahren über die demnach erforderliche einschlägige
Qualifikation verfügt, kann der Senat zu ihren Gunsten unterstellen. Denn zumindest hat die Klägerseite nicht den Nachweis
erbracht, dass die maßgeblichen Parameter kontinuierlich im Zusammenhang mit jedem Termin, zu dem der Versicherten Wobe Mugos
E verordnet wurde, überprüft wurden. Nicht feststellbar ist außerdem, ob Wobe Mugos E entsprechend den Anweisungen des Herstellers
angewandt wurde. Wie die Behandlung im Einzelnen ärztlich dokumentiert wurde, ist gleichfalls unbekannt.
2) Einem auf § 25 PV gestützten Regress steht ein u.U. fehlendes Verschulden der Klägerin ebensowenig entgegen wie die aus
Klägersicht vorrangige Beratung oder ein Vertrauenstatbestand (BSG, Urteil vom 5. November 2008, Az.: B 6 KA 38/07 R, veröffentlicht in Juris, m.w.N.).
Unbeachtlich ist ferner, dass möglicherweise die Antragsfrist von 9 Monaten nach Ende des Verordnungsquartals (§ 25 Nr. 2
Satz 3 PV) nicht eingehalten wurde. Solche Fristen sind nicht zum Schutz des Arztes im Sinne eines Ausschlusses der Verfahrensdurchführung
normiert, sondern sie dienen - auch im Interesse des Arztes - der Verfahrensbeschleunigung, also dem Interesse an effektiver
Verfahrensdurchführung. Wird der Antrag zu spät gestellt, so ist damit dem Interesse an einer Verfahrensbeschleunigung nicht
Rechnung getragen. Daraus aber ein Hindernis für die Verfahrensdurchführung überhaupt abzuleiten, liefe der Zielrichtung der
Regelungen und im Übrigen auch dem hohen Rang des Wirtschaftlichkeitsgebots mit dem daraus folgenden Ziel möglichst effektiver
Verhinderung unwirtschaftlicher Behandlungs- oder Verordnungsweise zuwider. Dem Interesse des Vertragsarztes, nicht damit
rechnen zu müssen, dass noch nach Jahr und Tag ein Prüf- und Regressverfahren gegen ihn eingeleitet wird, dient eine andere
Frist, nämlich die generell für vertragsärztliche Prüf- und Regressverfahren bestehende Vier-Jahres-Frist (BSG, Urteil vom
3. Februar 2010, Az.: B 6 KA 37/08 R, veröffentlicht in Juris, m.w.N.). Hat mithin das Versäumen der Antragsfrist nicht die Wirkung eines Verfahrenshindernisses,
so kommt es vorliegend nicht darauf an, ob diese Frist in einem der Regressfälle überschritten wurde.
Die Schadensschwelle von 50.- € (§ 25 Nr. 2 Satz 2 PV) ist erreicht.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197 a Abs.
1 Satz 1, 2. Hs.
SGG i.V.m. §
154 Abs.
1 und
2, §
162 Abs.
3 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreites. Die Auferlegung von Kosten auch gegenüber der Beigeladenen zu 2) beruht
auf §
155 Abs.
4 VwGO, in dessen Rahmen u.a. auch Fehlverhalten im Verwaltungsverfahren (hier: grob sachwidriger Antrag bezüglich der Verordnung
von Phlogenzym) berücksichtigt werden darf (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer
Sozialgerichtsgesetz, 9.A., §
197a Rd. 18 m.w.N.).