Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen Regressforderungen des Beklagten in Höhe von insgesamt 6.730,38 € wegen der Verordnung des Präparates
Wobe Mugos E.
Dieses Arzneimittel war seit Mitte der 1970er Jahre entsprechend den damaligen arzneimittelrechtlichen Bestimmungen - damals
noch unter anderer Bezeichnung - im Verkehr (vgl. §§ 6ff Arzneimittelgesetz [AMG] vom 16. Mai 1961 mit späteren Änderungen). Der seinerzeitige pharmazeutische Hersteller teilte aus Anlass der Neuordnung
des Arzneimittelrechts von 1976 in seiner Anzeige vom Juni 1978 dem damals zuständigen Bundesgesundheitsamt mit, dass dieses
rektal zu verabreichende Arzneimittel bereits Mitte 1976 und auch noch Anfang 1978 auf dem deutschen Markt gewesen sei. Anwendungsgebiet
war die "Unterstützung der Langzeitbehandlung bei Entzündungen und Virusinfektion (z.B. Zoster) / Langzeitbehandlung bei malignen
Tumoren (prae- und postoperativ) / Zusatzbehandlung während der Strahlentherapie / Metastasenprophylaxe".
Die spätere neue Herstellerin, die Mucos GmbH & Co KG, beantragte im Dezember 1989 die Verlängerung der Zulassung, wobei sie
als Anwendungsform die orale Darreichung angab. Das nunmehr zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
(BfArM) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 9. Juni 1998 ab, weil wegen des Wechsels der Darreichungsform zwischen dem 1978
angezeigten und dem zur Nachzulassung anstehenden Arzneimittel keine Identität bestehe; eine Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit
erfolgte nicht. Im Klageverfahren blieb die Herstellerin ohne Erfolg (Oberverwaltungsgericht Berlin, rechtskräftiges Urteil
vom 7. April 2005, Az.: 5 B 8.03, veröffentlicht in Juris). Zum 1. September 2005 nahm die Herstellerin das Arzneimittel aus dem Verkehr. Derzeit wird Wobe
Mugos E als Nahrungsergänzungsmittel vermarktet.
Der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat mit Urteil vom 27. September 2005 (Az.: B 1 KR 6/04 R, veröffentlicht in Juris) entschieden, dass gesetzlich Versicherte die Versorgung mit Wobe Mugos E bereits nicht mehr beanspruchen
konnten, nachdem der Zulassungsantrag abgelehnt worden war. In diesem Urteil ist ausgeführt, für einen Versorgungsanspruch
reiche nicht aus, dass mangels Anordnung sofortiger Vollziehung noch eine Zulassungsfiktion bestanden habe (sog. Nachzulassungs-Status).
Aufgrund der aufschiebenden Wirkung sei zwar die Verkehrsfähigkeit im Sinne des AMG erhalten geblieben. Dies habe aber Versorgungsansprüche der Versicherten und Leistungspflichten der Krankenkassen nach dem
Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) nicht begründen können, weil diese eine Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nach dem allgemeinen
Stand der medizinischen Erkenntnisse auf der Grundlage zuverlässiger wissenschaftlich nachprüfbarer Aussagen voraussetzten.
Seit der Ablehnung der Zulassungsverlängerung durch den o.g. Bescheid vom 9. Juni 1998 sei ein Versorgungsanspruch zu verneinen.
Der Kläger, ein Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, behandelte seit November 1997 die bei der Beigeladenen zu 2)
krankenversicherte, 1946 geborene Versicherte C O (im Folgenden: die Versicherte). Nach Angaben der Klägerseite wurde bei
dieser im August 1997 ein invasives duktales Mammakarzinom (Stadium pT2(is) G3 R0 V0 L1 pNx(0/0), ER negativ, PR positiv,
cM0) festgestellt, welches zunächst mittels einer Chemotherapie (Vinorelbin) behandelt wurde. Nach einem Lokalrezidiv im Juli
1999 (Stadium rpT2 G3 R0 pN2(6/17) ER/PR positiv HER2-neu(3+) cM0) mit ausgeprägtem ipsilateralem Lymphknotenbefall, einer
ebenfalls noch im Juli 1999 durchgeführten Ablatio mammae und einer axilliären Lymphonodektomie rechts wurde die Chemotherapie
zwischen August und Dezember 1999 mit den Wirkstoffen Epirubicin und Docetaxel fortgesetzt. Ferner erhielt die Versicherte,
u.a. wegen weiterer axillärer Rezidive rechts im März 2002, November 2003 und Januar 2007,
- Lentaron im Rahmen einer endokrinen Therapie zwischen August 1999 und März 2002
- Arimidex zwischen April und November 2002
- Herceptin ab April 2002
- Aromasin zwischen November 2003 und Februar 2007
- Faslodex ab März 2007.
Im Februar 2007 wurde außerdem eine Radiatio der Thoraxwand durchgeführt. Bereits im April 1998 war nach den weiteren Angaben
des Klägers eine vaginale Hysterektomie mit beiden Adnexen wegen Beckenbodenschwäche / Partialprolaps erfolgt.
Wegen der insgesamt 41fachen Verordnung von Wobe Mugos E in der Zeit vom 16. Januar 2000 bis zum 20. Dezember 2000 setzte
der Prüfungsausschuss gegenüber dem Kläger Schadensersatzverpflichtungen "nach der § 14 Prüfvereinbarung" i.H.v. 5.866,05
DM (2.999,26 €) mit Beschluss vom 29. Mai 2001 und 5.135,23 DM (2.625,60 €) mit Beschluss vom 12. Dezember 2001 fest. Der
Beklagte wies die Widersprüche zurück (Beschlüsse vom 1. Oktober 2002).
Wegen der weiteren 8fachen Verordnung von Wobe Mugos E in der Zeit vom 3. Januar 2001 bis zum 28. Februar 2001 lehnte der
Prüfungsausschuss mit Beschluss vom 20. März 2002 "die Festsetzung von Maßnahmen" ab. Auf den Widerspruch der Beigeladenen
zu 2) hob der Beklagte mit einem weiteren Beschluss vom 1. Oktober 2002 diese Entscheidung auf und setzte gegenüber dem Kläger
eine Schadensersatzverpflichtung i.H.v. 1.105,52 € (2.162,21 DM) fest.
Gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 4. April 2007 (zugestellt am 8. Juni 2007), welches die gegen alle drei Beschlüsse
des Beklagten vom 1. Oktober 2002 gerichtete Klage abwies, richtet sich die Berufung des Klägers vom 15. Juni 2007, zu deren
Begründung er u. a. vorbringt, er habe Wobe Mugos E verordnet, um
- die schädlichen Nebenwirkungen von radioaktiver Bestrahlung, zytostatischer Chemotherapie zu heilen und zu lindern,
- die Begleitentzündungen von Krebs und Operation zu lindern und zu heilen,
- das Immunsystem zu stärken, damit die weitere Ausbreitung von Metastasen gehindert werden und
- die lebensgefährliche Toxizität der aggressiven antitumorösen Therapie abzusenken.
Ferner habe "der schlechte lebensgefährliche Allgemeinzustand durch eine Regelung des Immunsystems erreicht werden" sollen.
Die Prognose sei in Fällen eines Lokalrezidivs mit ausgeprägtem ipsilateralem Lymphknotenbefall extrem ungünstig, sodass "von
einer Lebensbedrohung ausgegangen werden [müsse], selbst wenn die Bedrohung nicht in der akuten Situation besteht, sondern
auf Grund der allgemeinen Wissenschaftlichen Erkenntnis hergeleitet wird". Es sei auch Aufgabe des Arztes, auf chronische
Entzündungszustände als typische Begleiterkrankungen von Krebspatienten einzuwirken und die Lebensqualität der Patienten zu
verbessern. Wissenschaftliche Studien, die einen Nachweis für die Wirksamkeit der unterschiedlichen chemotherapeutischen Ansätze
erbrächten, existierten nicht. Die Voraussetzungen der sog. Nikolaus-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) lägen
vor. Im Übrigen werde die überlange Verfahrensdauer gerügt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 04. April 2007 und die Bescheide des Beklagten vom 01. Oktober 2002 betreffend die
Versicherte O aufzuheben.
hilfsweise stellt er den Antrag aus dem Schriftsatz vom 15. Februar 2011 ("Die Patientin C O war erkrankt an:
- Invasiven duktalen Mammakarzinom
- Trotz Operation, Chemotherapie und radioaktiver Bestrahlung kam es 1999 zu einem Rezidiv und ausgeprägter Metastasierung
Für ein metastasierendes Mammakarzinom mit Rezidiv gibt es keine Behandlungsmethoden, deren Wirksamkeit (bei dieser Art von
Erkrankung) durch wissenschaftlich einwandfreie Statistiken gesichert ist.
Darum befand sich die Kassenpatientin in Lebensgefahr, so dass ein Behandlungsversuch mit Wobe-Mugos gerechtfertigt war.
Beweis: Sachverständigengutachten.")
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält - ebenso wie die Beigeladene zu 2) - das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte
sowie die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts und die Bescheide des Beklagten vom 1. Oktober
2002 sind nicht zu beanstanden.
I) Rechtsgrundlage dieses Bescheids sind §
106 Abs.
2 und
3 SGB V in der bis zum 30. Dezember 2003 geltenden, hier maßgeblichen Fassung i.V.m. § 14 ("Prüfung in besonderen Fällen / sonstiger
Schaden") der zwischen der Beigeladenen zu 1) und den (Landes-)Verbänden der Krankenkassen im Land Berlin abgeschlossenen
Prüfvereinbarung (PV) vom 10. Januar 1994.
Nach §
106 Abs.
2 Satz 1
SGB V wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung wird geprüft durch
1. arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten oder bei Überschreitung der
Richtgrößenvolumen nach §
84 SGB V (Auffälligkeitsprüfung),
2. arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen auf der Grundlage von arztbezogenen und versichertenbezogenen
Stichproben, die mindestens 2 vom Hundert der Ärzte je Quartal umfassen (Zufälligkeitsprüfung).
Die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen können gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen
Vereinigungen über die in Satz 1 vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren (§
106 Abs.
2 Satz 4, 1. Halbsatz
SGB V). Nach Abs. 3 Sätze 1 und 3 dieser Vorschrift vereinbaren die in Absatz 2 Satz 4 genannten Vertragspartner die Verfahren
zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit nach Absatz 2 gemeinsam und einheitlich. In den Verträgen ist auch festzulegen, unter welchen
Voraussetzungen Einzelfallprüfungen durchgeführt und pauschale Honorarkürzungen vorgenommen werden.
Hierauf gestützt vereinbarten die o.g. Vertragspartner auf Landesebene in § 14 PV folgendes:
"1. Der Prüfungsausschuss entscheidet auf Antrag einer Krankenkasse im Einzelfall über einen Anspruch auf Schadensersatz,
wenn der Vertragsarzt oder eine der Personen, für die er haftet, bei Erfüllung der vertragsärztlichen Pflichten die nach den
Umständen erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen hat. Unterschiedliche vertragliche Regelungen (Bundesmantelvertrag, Arzt-/Ersatzkassenvertrag)
finden Anwendung.
2. Der Antrag ist zu begründen und muss innerhalb einer Frist von 6 Monaten seit Bekanntwerden des Sachverhalts beim Prüfungsausschuss
vorliegen. Bei nicht verordnungsfähigen Präparaten beginnt die Frist mit dem Eingang der sortierten Rezepte bei der jeweiligen
Krankenkasse. Die Krankenkasse muss dem Antrag alle zur Beurteilung erforderlichen Unterlagen und die Nachweise zur Schadenshöhe
beifügen sowie die Höhe des Schadens benennen.
3. Hält die KV Berlin Regressansprüche gegen einen Vertragsarzt wegen der Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln,
die von der Versorgung ausgeschlossen sind, für berechtigt, wird sie den Vertragsarzt entsprechend informieren und den jeweiligen
Schadensbetrag bei Einverständnis des Vertragsarztes einbehalten und an die Krankenkasse abführen.
4. Der Antrag kann sich nur auf den Zeitraum der letzten, dem Antrag vorausgegangenen 2 Kalenderjahre erstrecken.
5. Ein Antrag ist ausgeschlossen, wenn der vermutete Schadensbetrag DM 100,00 nicht übersteigt. Dies gilt nicht für Anträge
betreffend ausgeschlossene Arznei-, Heil- und Hilfsmittel gemäß gesetzlicher oder vertraglicher Regelungen."
II. Diesen Anforderungen genügen die Bescheide des Beklagten vom 1. Oktober 2002.
1. Ein Schaden i.S.v. § 14 PV ist der Beigeladenen zu 2) dadurch entstanden, dass der Kläger in den Quartalen I/00 bis I/01
Wobe Mugos E für die Versicherte verordnete, obwohl hierfür keine Leistungspflicht im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV) bestand.
a) Gemäß §§
27 Abs.
1 Satz 1 und Satz 2 Nr.
3,
31 Abs.
1 Satz 1
SGB V in der in den Jahren 2000 und 2001 geltenden, hier maßgeblichen Fassung haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen
Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach §
34 SGB V ausgeschlossen sind. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch des Versicherten unterliegt dabei allerdings den sich aus §§
2 Abs.
1 und
12 Abs.
1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Danach umfasst er nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität
und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Bezogen auf die Arzneimitteltherapie
bedeutet dies, dass es zu Qualität und Wirkungsweise eines Arzneimittels zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen
in dem Sinne geben muss, dass der Erfolg der Arzneimitteltherapie in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl
von Behandlungsfällen belegt ist. Es fehlt deshalb an der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Arzneimitteltherapie,
wenn das verwendete Mittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf und diese Zulassung gerade für
dasjenige Indikationsgebiet, in dem es im konkreten Fall eingesetzt werden soll, nicht erteilt worden ist (BSGE 93, 1 mit Nachweisen zur st. Rspr.).
Das vom Kläger verordnete Arzneimittel Wobe Mugos E ist ein Fertigarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1 und 3 Arzneimittelgesetz (AMG) und bedarf daher der Zulassung nach § 21 Abs. 1 AMG. Als zulassungspflichtiges Arzneimittel hatte Wobe Mugos E im maßgeblichen Zeitpunkt jedoch weder in Deutschland noch EU-weit
die erforderliche Zulassung (BSG, Urteil vom 27. September 2005, aaO.).
b) Die Versicherte konnte die Behandlung mit Wobe Mugos E zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Verordnungen auch nicht
nach den Grundsätzen des Off-label-use beanspruchen.
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (seit dem Urteil vom 19. März 2002, BSGE 89, 184) kann ein zugelassenes Arzneimittel grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet
verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt. Davon kann ausnahmsweise abgewichen werden, wenn es um die Behandlung
einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht,
keine andere Therapie verfügbar ist und auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden
Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Zweifellos handelte es sich im streitgegenständlichen
Behandlungsfall um eine schwerwiegende und lebensbedrohliche Erkrankung. Dahinstehen kann an dieser Stelle, ob und inwieweit
in diesem Krankheitsstadium eine andere Therapie zur Verfügung stand. Jedenfalls fehlt es an dem Nachweis, dass nach dem Stand
der wissenschaftlichen Erkenntnisse die begründete Aussicht bestand, mit der Verabreichung von Wobe Mugos E hätte ein Behandlungserfolg
erzielt werden können. Hierfür müssten Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten ließen, dass das bzw. die Arzneimittel
für die betreffende Indikation zugelassen werden könnten. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der
Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard
oder Placebo) veröffentlicht sind und einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines
Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem
neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und deshalb in den einschlägigen Fachkreisen
Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (BSG aaO.).
bb) Diese Voraussetzungen lagen bzgl. der Verordnung von Wobe Mugos E für die Behandlung des (metastasierten) Mammakarzinoms
nicht vor. Es ist keine einzige wissenschaftliche Arbeit ersichtlich oder von der Klägerin während des Verfahrens benannt
worden, die auf der Grundlage einer kontrollierten, randomisierten Doppelt-Blind-Studie einen Nachweis für einen positiven
Einfluss von Wobe Mugos E auf den Krankheitsverlauf des metastasierenden Mamma-Karzinoms erbringen konnte.
c) Eine Leistungspflicht der Beigeladenen zu 2) kommt auch nicht unter Berücksichtigung des Verfassungsrechts (vgl. BVerfGE
115, 25) in Betracht.
aa) Zwar folgt aus Art.
2 Abs.
1 Grundgesetz (
GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip regelmäßig kein verfassungsmäßiger Anspruch auf bestimmte Leistungen der Krankenbehandlung.
Es bedarf jedoch dann einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts,
wenn eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt,
bei der die Anwendung der üblichen Standardbehandlung aus medizinischen Gründen ausscheidet und andere Behandlungsmöglichkeiten
nicht zur Verfügung stehen (BVerfGE 115, 25; BSG, Urteil vom 27. März 2007, Az.: B 1 KR 17/06 R, veröffentlicht in Juris). Damit hat das BVerfG strengere Voraussetzungen umschrieben, als sie im Rahmen des Off-label-use
formuliert sind. Gerechtfertigt ist eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen daher nur,
wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt,
bei der nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf
innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Ähnliches kann für den
ggf. gleichzustellenden, akut drohenden und nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen
Körperfunktion gelten (BSG aaO.).
bb) Die Versicherte befand sich in den Quartalen I/00 bis I/01 in einem lebensbedrohlichen Zustand.
cc) Der Nachweis, dass im Fall der Versicherten keine andere Behandlungsmöglichkeit bestand, ist nicht erbracht.
Im Verordnungszeitraum waren außer den bei der Versicherten nach dem klägerischen Vorbringen im Rahmen der Chemotherapie zum
Einsatz gebrachten Zytostatika mit den Wirkstoffen Epirubicin und Docetaxel Antiöstrogene, z.B. mit den Wirkstoffen Aminoglutethimid
(Handelsname Orimeten), und sonstige Zytostatika, z.B. mit den Wirkstoffen Doxorubicin, Paclitaxel, Vinblastin, Fluorouracil,
Cyclophosphamid, zur Behandlung des metastasierten Mammakarzinoms zugelassen. Zur Behandlung des (fortgeschrittenen) Mammakarzinoms
waren neben dem bei der Versicherten angewandten Arzneimittel Lentaron mit dem Wirkstoff Formentan weitere Arzneimittel, z.B.
mit den Wirkstoffen Lestrozol (Handelsname Femara) und Mitomycin, zugelassen.
Welche dieser zugelassenen Behandlungsalternativen neben epirubicin-, docetaxel- und formentanhaltigen Arzneimitteln bei der
Versicherten zum Einsatz gebracht wurden oder welche Umstände dem ggf. entgegenstanden, ist dem Vorbringen des Klägers nicht
zu entnehmen. Insoweit hätte es präziser Angaben des Klägers bedurft, in welchen Zeiträumen welche konkrete Therapieform (ggf.
mit Angaben zur Dosierung) mit welchem konkreten Ergebnis bei der Versicherten angewandt wurde. Ohne solche Angaben ist es
weder dem Beklagten bzw. der Beigeladenen zu 2) noch dem Senat möglich, das Fehlen bzw. den erfolglosen Einsatz anderweitiger
Behandlungsmöglichkeiten positiv festzustellen. Auffällig ist vor allem, dass mit Lentaron und Arimidex Arzneimittel, welche
bereits im o.g. Verordnungszeitraum zur Behandlung des metastasierten bzw. fortgeschrittenen Mammakarzinoms zugelassen waren,
parallel zu Wobe Mugos E bzw. erst im zeitlichen Anschluss daran zum Einsatz kamen. Der Kläger verordnete Wobe Mugos E also
gerade nicht im Sinne einer ultima-ratio-Therapie, sondern schon bevor feststand, dass die zugelassenen Behandlungsalternativen
bei der Versicherten erfolglos blieben.
Der Einwand des Klägers, es existierten keine wissenschaftliche Studien, die einen Nachweis für die Wirksamkeit der unterschiedlichen
chemotherapeutischen Ansätze erbrächten, greift nicht durch. Denn wenn Arzneimittel zur Behandlung von (bestimmten) Karzinomerkrankungen
- ggf. unter Einschränkungen - im Wege einer Chemotherapie durch das BfArM als zuständige Behörde zugelassen wird, setzt dies
nach den arzneimittelrechtlichen Vorschriften wissenschaftliche Studien hoher Qualität voraus. Sollte der Kläger hingegen
die Ergebnisse dieser Studien anzweifeln, würde dies doch nichts an der Tatbestandswirkung der die einzelnen Arzneimittel
betreffenden bestandskräftigen Zulassungsbescheide ändern: bis zu deren Aufhebung darf davon ausgegangen werden, dass das
zugelassene Arzneimittel die in der Fachinformation nach § 11a AMG genannten medizinischen Wirkungen erzielt.
dd) Selbst wenn keine andere Behandlungsmöglichkeit bestanden haben sollte, wäre ein Anspruch der Versicherten gegen die Beigeladene
zu 2) auf Versorgung mit dem Arzneimittel Wobe Mugos E ausgeschlossen.
Zwar reicht es in solch einer Situation aus, dass das Arzneimittel eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht
auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht (BVerfGE 115, 25). Den Anforderungen, die durch das BSG (Urteil vom 04. April 2006, Az.: B 1 KR 7/05 R - "Tomudex" -, veröffentlicht in Juris) in Umsetzung dieser verfassungsgerichtlichen Entscheidung zusätzlich zu den allgemeinen
Voraussetzungen für einen Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln aufgestellt wurden, entspricht das Verhalten des Klägers
jedoch nicht.
(1) Wobe Mugos E wurde der Versicherten entsprechend §
15 Abs.
1 SGB V ärztlich verordnet und nicht im Rahmen einer Arzneimittelstudie verabreicht.
(2) Offen bleiben kann, ob die vor der Behandlung mit Wobe Mugos E regelmäßig erforderliche abstrakte und konkret auf den
Versicherten bezogene Nutzen-Risiko-Analyse im vorliegenden Fall unter Beachtung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes
positiv ausfallen konnte (zum hierbei zu beachtenden Prüfungsmaßstab: BSG aaO.).
(3) Denn die Arzneimittel-Therapie wurde im vorliegenden Fall jedenfalls nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst dokumentiert.
Die Behandlung mit einem nicht in Deutschland und EU-weit zugelassenen Arzneimittel auf Kosten der GKV muss in Fällen der
streitigen Art regelmäßig durch einschlägig qualifizierte Ärzte durchgeführt werden. Bei der Anwendung von Arzneimitteln,
die toxische Nebenwirkungen erwarten lassen, kann zudem erforderlich sein, dass der behandelnde Arzt im Umgang mit entsprechenden
Arzneimitteln erfahren ist. Der behandelnde Arzt muss die Behandlung verantworten (vgl. §
15 Abs.
1 SGB V) und die Regeln der ärztlichen Kunst bei der Durchführung der Behandlung einhalten (vgl. §
28 Abs.
1 Satz 1
SGB V). Das setzt auch eine hinreichende Dokumentation der Behandlung und die Vornahme von Kontrollen und gebotenen Sicherheitsvorkehrungen
voraus (z.B. durch Überwachung geeigneter medizinischer Parameter oder Verordnung von stationärer Behandlung bei Realisierung
von Gefahren), um das Risiko für den Patienten gering zu halten und bei Bedarf schnell reagieren zu können (BSG aaO.).
Der Kläger verfügt als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe über die demnach erforderliche einschlägige Qualifikation.
Die Klägerseite hat jedoch nicht den Nachweis erbracht, dass die maßgeblichen Parameter kontinuierlich im Zusammenhang mit
jedem Termin, zu dem der Versicherten Wobe Mugos E verordnet wurde, überprüft wurden. Nicht feststellbar ist außerdem, ob
Wobe Mugos E entsprechend den Anweisungen des Herstellers angewandt wurde. Wie die Behandlung im Einzelnen ärztlich dokumentiert
wurde, ist gleichfalls unbekannt.
ee) Den vom Kläger hilfsweise beantragten Beweis musste der Senat nicht erheben. Der Beweisantrag ist ungeeignet, weil
- der Senat seiner Entscheidung ohnehin die vom Kläger unter Beweis gestellten Erkrankungen und die Lebensgefahr der Versicherten
zugrunde legt,
- die Tatsache, dass es - gegenwärtig - für ein metastasierendes Mammakarzinom mit Rezidiv keine Behandlungsmethoden gebe,
deren Wirksamkeit durch wissenschaftlich einwandfreie Statistiken gesichert ist, für den vorliegenden Rechtsstreit, in dem
die Rechtslage in den Quartalen I/00 bis I/01 zu beurteilen ist, ohne Belang ist,
- er zu unbestimmt ist, soweit er darauf gerichtet ist, "dass ein Behandlungsversuch mit Wobe-Mugos gerechtfertigt war"; hierbei
handelt es sich nicht um eine Tatsache, sondern um eine einem Beweis unzugängliche rechtliche Würdigung.
2) Einem auf § 14 PV gestützten Regress steht ein u.U. fehlendes Verschulden der Klägerin ebenso wenig entgegen wie eine ggf.
versäumte Antragsfrist, das Unterbleiben einer vorangehenden Beratung oder ein Vertrauenstatbestand (BSG, Urteil vom 5. November
2008, Az.: B 6 KA 38/07 R, veröffentlicht in Juris, m.w.N.).