Zulässigkeit der einstweiligen Anordnung gegen eine Norm des gemeinsamen Bundesausschusses im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
Der Antrag, dem Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung bis zur Vorlage einer rechtskräftigen Entscheidung in einem
Hauptsacheverfahren zu untersagen, Nr. 31 der Anlage III der Arzneimittelrichtlinie (AM-RL) in der seit dem 1. April 2009
geltenden Fassung zu veröffentlichen sowie ihm aufzugeben, Nr. 31 der Anlage III AM-RL in der geltenden Fassung auf der Internetseite
zur AM-RL zu entfernen, hat keinen Erfolg.
1.) Der Senat behandelt das vorliegende Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in Übereinstimmung mit dem für
das Vertragsarztrecht zuständigen 6. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) als eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts im
Sinne von §
31 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG; vgl. etwa Urteil vom 31. Mai 2006, B 6 KA 13/05 R; Urteil vom 6. Mai 2009, B 6 KA 1/08 R; Urteil vom 3. Februar 2010, B 6 KA 31/09 R, jeweils zitiert nach juris). Zwar ist in der Rechtsprechung verschiedener Senate des Bundessozialgerichts (inzwischen) umstritten,
nach welchen Kriterien die besondere Zuständigkeit einer Kammer bzw. eines Senats für Angelegenheiten des Vertragsarztrechts
(§§
10 Abs.
2,
31 Abs.
2 SGG) von der allgemeinen Zuständigkeit einer Kammer bzw. eines Senats für Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung
(§
51 Abs.
1 Nr.
2 SGG) abzugrenzen ist. Im Interesse der Gewährung effektiven Rechtsschutzes folgt der Senat bis zu einer abschließenden höchstrichterlichen
Klärung oder einer Klarstellung durch den Gesetzgeber wie schon bisher der Auffassung des 6. Senats des Bundessozialgerichts
und fasst den vorliegenden Streit von Krankenhausträgern gegen den Gemeinsamen Bundesausschuss unter das Vertragsarztrecht
(vgl. insoweit schon Beschluss des Senats vom 27. August 2010, L 7 KA 11/10 KL ER, zitiert nach juris [Otobacid ®]).
2.) Für die Streitigkeit ist der Senat erstinstanzlich zuständig. Der Eilantrag richtet sich wie die Klage im Verfahren L 7 KA 125/09 KL unmittelbar "gegen Entscheidungen und Richtlinien" des Antragsgegners im Sinne von §
29 Abs.
4 Nr.
3 SGG, nämlich gegen einen Verbindlichkeit entfaltenden Beschluss im Sinne von §§
91 Abs.
6,
92 Abs.
1 Satz 2 Nr.
6 SGB V zur Verordnungsfähigkeit der von der Antragstellerin vertriebenen Arzneimittel Monapax® Saft und Monapax® Tropfen.
a) Der Zuständigkeit des Senats für die Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung steht auch nicht
entgegen, dass der Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit der im Antrag genannten Richtlinie inzwischen im Revisionsverfahren
vor dem BSG anhängig ist (unter dem Aktenzeichen B 6 KA 29/10 R). Nach §
86b Abs.
2 Satz 1 Satz 1
SGG sind einstweilige Anordnungen durch das Gericht der Hauptsache zu erlassen. §
86b Abs.
2 Satz 3
SGG bestimmt zum Gericht der Hauptsache das Gericht des ersten Rechtszuges und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig
ist, das Berufungsgericht. Bei einer Anwendung der letztgenannten Vorschrift ist der Senat nach der Legaldefinition des Gerichts
der Hauptsache durch die zitierte Vorschrift als Gericht des ersten Rechtszuges zuständig für das vorliegende Verfahren; das
BSG kann dagegen danach niemals Gericht der Hauptsache sein.
b) Dies gilt allerdings nur so lange, wie der Senat für Entscheidungen über die Wirksamkeit von Richtlinien des Antragsgegners
in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes weiterhin - wie auch im vorliegenden Verfahren - auf §
86b SGG und nicht auf eine analoge Anwendung von §
47 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) zurückgreift, was er in seinem Beschluss vom 26. Januar 2011 angekündigt hat, wenn sich zeigen sollte, dass effektiver Rechtsschutz
und sinnvolle Ergebnisse im Bereich der Normenkontrolle nur über eine allgemein verbindliche Entscheidung zu erreichen sein
sollten (vgl. zu Vorstehendem LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. Januar 2011, L 7 KA 79/10 KL ER, [Perinatalzentrum Level 1]). Denn nach §
47 Abs.
6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen; es ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt,
dass Gericht im Sinne des §
47 Abs.
6 VwGO grundsätzlich das Oberverwaltungsgericht ist, nach Einlegung der Revision während der Dauer des Revisionsverfahrens aber
das Bundesverwaltungsgericht wird (BVerwG, Beschluss vom 18. Mai 1998, 4 VR 2/98, zitiert nach juris). Bei einer analogen Anwendung des §
47 Abs.
6 VwGO wäre deshalb konsequenter Weise auch das BSG für die Entscheidung im vorliegenden vorläufigen Rechtsschutzverfahren zuständig;
von diesem Weg sieht der Senat allerdings (noch) ab.
3.) Soweit sich der Antrag auf die Untersagung der Veröffentlichung der von der Antragstellerin angegriffenen Nr. 31 der Anlage
III AM-RL gegenüber dem Antragsteller richtet, fehlt hierfür schon ein rechtlich schutzwürdiges Interesse. Denn der Antragsgegner
hat diese Richtlinie schon im Jahre 2009 veröffentlicht. Die Publikation einer Rechtsvorschrift ist als Voraussetzung ihres
Inkrafttretens ein einmaliger Akt. Deshalb fehlt der Antragstellerin für dieses Begehren schon das Rechtsschutzbedürfnis.
4.) Soweit sich die Antragstellerin mit ihrem Begehren auf vorläufigen Rechtsschutz darüber hinaus gegen die Aufrechterhaltung
der Veröffentlichung von Nr. 31 der Anlage III AM-RL wenden sollte, scheitert dieser Antrag ebenso wie der zusätzlich geltend
gemachte Anspruch auf eine Entfernung der Nr. 31 der Anlage III AM-RL in der geltenden Fassung auf der Internetseite zur AM-RL
jedenfalls am fehlenden Anordnungsanspruch: Eine solche Maßnahme würde nämlich die Wirkung der Beschlüsse und Urteile ausschließlich
zwischen den Beteiligten (" inter-partes", vgl. §
141 Abs.
1 Nr.
1 SGG) überschreiten und bei einer Beendigung der Veröffentlichung der Nr. 31 der Anlage III AM-RL in der geltenden Fassung sowie
der entsprechenden Information auf der Internetseite zur AM-RL eine Wirkung inter-omnes herbeiführen, die weder §
86b SGG noch §
141 SGG zulassen. Entscheidungen mit Verbindlichkeit nicht nur für die Beteiligten, sondern auch für Dritte sind im
SGG derzeit nicht vorgesehen; erst recht fehlt im
SGG eine Rechtsgrundlage für die hier begehrte Publikation. Auch wenn der Rechtsschutz im Bereich der Normenkontrolle gegenüber
dem bereits zitierten §
47 VwGO damit defizitär ist, hält der Senat - wie bereits dargelegt - in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (noch) an einer
nur zwischen den Beteiligten wirkenden Entscheidung nach §
86b SGG fest, weil eine solche Entscheidung in einer Art.
19 Abs.
4 GG (wohl) noch entsprechenden Weise die Gewährung von Individualrechtsschutz auch im Bereich der Normenkontrolle gewährleistet
(in diesem Sinne: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. Januar 2011, L 7 KA 79/10 KL ER, [Perinatalzentrum Level 1]).
5.)Hiervon ist im vorliegenden Verfahren auch nicht mit Blick auf Art.
19 Abs.
4 GG deshalb abzuweichen, weil der Senat die angegriffene Rechtsvorschrift mit seinem (noch nicht rechtkräftigen) Urteil vom 17.
März 2010 (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17. März 2010, L 7 KA 125/09 KL [Monapax®] - zitiert nach juris) für rechtswidrig und nichtig gehalten hat. Stattgebende Feststellungsurteile sind (im
vorläufigen Rechtsschutzverfahren wie im Hauptsacheverfahren) nicht vollstreckbar und werden erst mit Eintritt der Rechtskraft
zwischen den Beteiligten verbindlich (vgl. etwa Kopp/Schenke,
VwGO, 14. Auflage, §
47 RdNr. 141f.). Aus der Tatsache, dass die Verbindlichkeit des stattgebenden Urteils des Senats (für die Beteiligten) auf den
Eintritt der Rechtskraft hinausgeschoben wird, folgt unter Beachtung des Art.
19 Abs.
4 GG, dass die Antragstellerin grundsätzlich die Möglichkeit haben muss, auch schon vor diesem Zeitpunkt um vorläufigen Rechtsschutz
nachzusuchen, andererseits aber auch, dass auch in einem solchen Fall dieser Rechtsschutz nur dann zu gewähren ist, wenn unter
Beachtung der gegenläufigen Interessen des Antragsgegners der Eintritt schwerwiegender Nachteile durch die Anwendung der Richtlinie
bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes abgewehrt werden muss.
6.) a) Unter Beachtung dieser Grundsätze ist im Rahmen der Prüfung des Anordnungsgrundes zu beachten, dass die von der Antragstellerin
angegriffene Richtlinie der Sicherstellung des therapeutischen Nutzens, der medizinischen Notwendigkeit und insbesondere der
Wirtschaftlichkeit des Arzneimitteleinsatzes nach §
92 Abs.
1 Satz 1 i.V.m. §
12 Abs.
1 SGB V und damit einem der nach §
2 Abs.
1 Satz 1
SGB V maßgeblichen Grundsätze des
SGB V dient. Die Durchsetzung des Wirtschaftlichkeitsgebots insbesondere beim Arzneimitteleinsatz steht im Zentrum der Bemühungen
des Antragsgegners zur Sicherung der finanziellen Stabilität der GKV und der Aufrechterhaltung der Beitragssatzstabilität,
weil die Kosten für Arzneimittel seit Jahren ständig steigen. Selbst wenn die Einsparungen durch den Ausschluss von Monapax®
Saft und Tropfen aus der Versorgung der in §
34 Abs.
1 Satz 5
SGB V genannten Kinder und Jugendlichen gemessen an den Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zur Arzneimittelversorgung
gering erscheinen, sind sie jedoch für das System der GKV wichtig, solange der Fehlbetrag nicht anderweit kompensiert werden
kann. Allen Maßnahmen zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit durch den Antragsgegner kommt im Hinblick auf das Gemeinwohl grundsätzlich
gleich großes Gewicht zu. Denn erst die Summe aller Einsparungen kann eine Ausweitung der Kosten der Arzneimittelversorgung
vermeiden; anderenfalls müssten sich die Krankenkassen auf Mehrausgaben einstellen und hierauf gegebenenfalls mit Beitragserhöhungen
oder mit Einsparungen bei anderen Leistungen reagieren (vgl. zu den Grundsätzen der hier dargestellten Kriterien die Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts: BVerfG, Beschlüsse vom 14. Januar 2003, 1 BvQ 51/02; vom 15. Januar 2003, 1 BvQ 53/02; vom 22. Mai 2001, 2 BvQ 48/00, alle zitiert nach juris).
Zusätzlich fällt ins Gewicht, dass bei einer Umsetzung des Urteils des Senats vor dem Eintritt der Rechtskraft nach einem
Unterliegen der Antragstellerin im Revisionsverfahren die für die Krankenkassen entstehenden Mehrkosten nicht beizutreiben
wären: Denn im Falle der Außervollzugsetzung der streitigen Richtlinie dürften die Vertragsärzte jedenfalls Monapax® Tropfen
den in §
34 Abs.
1 Satz 5
SGB V genannten Kindern und Jugendlichen verordnen, die damit einen nicht wieder rückgängig zu machenden Anspruch auf die Versorgung
mit dem Arzneimittel besäßen.
b) Demgegenüber fallen die zu erwartenden Nachteile für die Antragstellerin weitaus weniger schwer ins Gewicht: Zwar könnten
die in §
34 Abs.
1 Satz 5
SGB V genannten Kinder und Jugendlichen bei einem vorübergehenden Verordnungsausschluss bis zum Eintritt der Rechtskraft nicht
mit Monapax® Tropfen zu Lasten der GKV versorgt werden. Nach einem entsprechenden Hinweis in der mündlichen Verhandlung vor
dem Senat bei der Verhandlung der Hauptsache haben die Vertreter der Antragstellerin aber darauf hingewiesen, dass von dem
genannten Personenkreis ohnehin im wesentlichen Monapax® Saft nachgefragt werde. Monapax® Saft ist jedoch in der GKV derzeit
ohnehin nicht verordnungsfähig: Denn dieses Arzneimittel verfügt nur über eine Zulassung kraft Verfahrensrechts und seine
Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit sind nach dem AMG nicht belegt (vgl. den Tatbestand des Urteils des Senats vom 17. März 2010; grundsätzlich dazu: BSG, Urteil vom 27. September
2005, - B 1 KR 6/04 R, [Wobe-Mugos], BSG, Urteil vom 6. Mai 2009, B 6 KA 3/08 R, [Wobe-Mugos], zitiert jeweils nach juris). Erwachsene Versicherte haben nach §
34 Abs.
1 Satz 1
SGB V ohnehin keinen Anspruch auf Versorgung mit Monapax®, so dass die Antragstellerin nur hinsichtlich einer Darreichungsform
für einen kleinen Kreis der Versicherten mit Einbußen rechnen muss. Dass diese ihre Existenz gefährden würden oder auch nur
bezüglich des Gesamtumsatzes erheblich ins Gewicht fielen, hat sie nicht einmal schlüssig dargelegt, geschweige denn nach
§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO) glaubhaft gemacht. Schließlich bliebe ihr die Möglichkeit, im Falle eines (rechtskräftig festgestellten) rechtswidrigen
Verordnungsausschlusses von Monapax® Tropfen ihre Ansprüche im Wege der Amtshaftungsklage geltend zu machen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG in Verbindung mit §
154 Abs.
1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §
197 a Abs.
1 Satz 1
SGG in Verbindung mit §§ 52 Abs. 1 und Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Der Senat hat den Wert des Verfahrensgegenstandes abweichend von seiner sonstigen Rechtsprechung nicht auf die Hälfte des
Streitwertes des Hauptsacheverfahrens, sondern ein Drittel dieses Wertes festgesetzt, weil nur der Zeitraum des bereits anhängigen
Revisionsverfahrens betroffen ist.
Dieser Beschuss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, §
177 SGG.