Anspruch auf Versorgung mit Zahnimplantaten aus der gesetzlichen Krankenversicherung bei extremen Würgereiz
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 28. Januar 2011, das seinen Antrag, die
Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn mit implantatgestütztem Zahnersatz zu versorgen,
abgelehnt hat, ist gemäß §§
172 Abs.
1,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässig, aber unbegründet. Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch i.S.d. §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG glaubhaft gemacht; die Antragsgegnerin ist nicht verpflichtet, ihn mit Zahnimplantaten zu versorgen.
1.) Nach §
27 Abs.
1 Satz 1 und Satz 2 Nr.
2 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (
SGB V) haben Versicherte Anspruch auf zahnärztliche Behandlung. Nach §
28 Abs.
2 Satz 1
SGB V umfasst die zahnärztliche Behandlung die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-,
Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist; sie umfasst auch konservierend-chirurgische
Leistungen und Röntgenleistungen, die im Zusammenhang mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen erbracht
werden. Nicht zur zahnärztlichen Behandlung gehören gemäß §
28 Abs.
2 Satz 9
SGB V implantologische Leistungen, es sei denn, es liegen seltene vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) in Richtlinien nach §
92 Abs.
SGB V festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vor, in denen die Krankenkasse diese Leistung einschließlich
der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbringt.
2.) Der GBA hat in Nummer VII Ziffer 1-4 der Richtlinie für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche
Versorgung (Behandlungsrichtlinie) vom 4. Juni 2003/24. September 2003 (Bundesanzeiger 2003, Seite 24 966), in Kraft getreten
am 1. Januar 2004, zuletzt geändert am 1. März 2006 (Bundesanzeiger 2006, S. 4466), in Kraft getreten am 18. Juni 2006 diese
Ausnahmeindikationen festgelegt. Gemäß VII Ziffer 2 der Behandlungsrichtlinie liegen Ausnahmeindikationen für Implantate und
Suprakonstruktionen im Sinne von §
28 Abs.
2 Satz 9
SGB V in den nachfolgend aufgeführten besonders schweren Fällen vor. Bei Vorliegen dieser Ausnahmeindikationen besteht Anspruch
auf Implantate zur Abstützung von Zahnersatz als Sachleistung nur dann, wenn eine konventionelle prothetische Versorgung ohne
Implantate nicht möglich ist. In den Fällen von Satz 4 Buchstaben a) bis c) gilt dies nur dann, wenn das rekonstruierte Prothesenlager
durch einen schleimhautgelagerten Zahnersatz nicht belastbar ist.
Besonders schwere Fälle liegen vor
a) bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten, die ihre Ursache
- in Tumoroperationen,
- in Entzündungen des Kiefers,
- in Operationen infolge von großen Zysten (z.B. große follikuläre Zysten oder Keratozysten),
- in Operationen infolge von Osteopathien, sofern keine Kontraindikation für eine Implantat-Versorgung vorliegt,
- in angeborenen Fehlbildungen des Kiefers (Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten, ektodermale Dysplasien) oder
- in Unfällen haben,
b) bei dauerhaft bestehender extremer Xerostomie, insbesondere im Rahmen einer Tumorbehandlung
c) bei generalisierter genetischer Nichtanlage von Zähnen,
d) bei nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich (z. B. Spastiken).
Bei extraoralen Defekten im Gesichtsbereich nach Tumoroperationen oder Unfällen oder infolge genetisch bedingter Nichtanlagen
ist die operative Deckung der Defekte das primäre Ziel. Ist eine rein operative Rehabilitation nicht möglich und scheidet
die Fixierung von Epithesen zum Defektverschluss durch andere Fixierungsmöglichkeiten aus, so ist eine Verankerung von Epithesen
durch Implantate angezeigt.
3.) Diese Voraussetzungen sind beim Antragsteller nicht erfüllt. Nach den Feststellungen des Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen
Dr. Dr. J vom 16. August 2010, des Chefarztes der Klinik für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie im Unfallkrankenhaus B Prof. Dr.
Dr. H vom 30. März 2010 und des Gutachters des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e.V. (MDK)
Dr. Dr. M vom 23. Dezember 2010 leidet der Antragsteller an keiner der vom GBA festgelegten Ausnahmeindikationen, bei denen
ein Anspruch auf Versorgung mit Implantaten besteht. Vielmehr liegt bei dem Antragsteller ein extremer Würgereiz vor (ICD
J39.2), der nach seinen Angaben seit einer Verletzung seiner Stimmlippe im Jahre 2008 besteht. Dieser Würgereiz kann jedoch
den genannten Ausnahmeindikationen nicht zugeordnet werden. Er gehört insbesondere nicht zu den willentlich nicht beeinflussbaren
muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich, wie sie bei den in der Ausnahmeindikation benannten Spastikern auftritt
(so Hessisches LSG, Urteil vom 2. Juli 2009, L 1 KR 197/07; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Februar 2010, L 16 B 44/09 KR, in diesem Sinne auch BSG, Beschluss vom 20. April 2004, B 1 KR 1/03 B; alle zitiert nach juris). Bei diesen ist typischerweise die Lippe bzw. die vordere Zunge in der Öffnungsbewegung durch eine
motorische Unruhe destabilisiert, während bei dem Antragsteller die vegetativ oder psychomotorisch bedingte Störung dem Bereich
des Atmungssystems zuzuordnen ist, mithin dem Halsbereich.
4.) Die Ausnahmeindikationen des GBA können auch nicht erweiternd ausgelegt werden, um den Fall des Antragstellers zu erfassen.
Die in den o. g. Richtlinien festgelegten Ausnahmeindikationen sind eng zu interpretieren und lassen eine Auslegung über den
Wortlaut hinaus nicht zu (BSG, SozR 3-2500 § 28 Nr. 5). Schon gar nicht lässt sich im vorliegenden Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes feststellen, dass die Richtlinien wegen eines Verstoßes gegen höherrangiges Recht rechtswidrig und nichtig
sind, weil sie den Fall eines extremen Würgereizes nicht erfassen, zumal der MDK-Gutachter eine auf dieses Gebrechen des Antragstellers
zugeschnittene Versorgung durch herausnehmbaren Zahnersatz in Form einer gaumenfreien teleskopierenden Konstruktion für möglich
hält.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).