Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Leistungsausschluss für Studenten bei einem Urlaubssemester
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes um Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach
dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.03.2010 bis zum 31.08.2010.
Der 1986 geborene Antragsteller und Beschwerdegegner (im Folgenden Beschwerde- gegner) ist seit dem 01.10.2007 an der Hochschule
für Wirtschaft, Technik und Kultur L (HTWK) immatrikuliert. Ausweislich einer Bescheinigung der HTWK vom 07.10.2009 über die
Beurlaubung vom Studium wurde er für das Wintersemester 2009/2010 (Zeitraum 01.09.2009 bis 28.02.2010) vom Studium beurlaubt.
Grund hierfür sei die Vorbereitung auf eine Prüfung.
Am 13.10.2009 beantragte der Beschwerdegegner bei der Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden Beschwerdeführerin)
die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II. Er gab an, er habe das Urlaubssemester beantragt, da er im Grundstudium statt
wie erlaubt drei Prüfungen vier Prüfungen offen habe und somit die Prüfungen der Nachfolgesemester nicht ablegen könne. Die
offenen Prüfungen seien durch Krankheit und wegen einer fehlenden Zulassung zu einer Prüfung, die im Urlaubssemester nachgeholt
werde, entstanden. Da ihm die Beratungsstelle an der HTWK geraten habe, ein Urlaubssemester zu nehmen, habe er es beantragt.
Im Urlaubssemester bekomme man keine Förderung nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz (
BAföG). Die Förderung durch
BAföG sei jedoch wegen der offenen Prüfungen ohnehin ausgesetzt und werde nach Erreichen des Leistungsstandes wieder einsetzen.
Eben diesen Leistungsstand werde er in dem Urlaubssemester erreichen. Dies sei möglich, da er weiterhin den Semesterbeitrag
zahlen müsse und somit auch Prüfungen ablegen sowie Vorlesungen weiterhin besuchen könne. Leistungen nach dem SGB II habe
er beantragt, um seine Miete und Lebenshaltungskosten decken zu können.
Die Beschwerdeführerin lehnte den Antrag mit Bescheid vom 20.10.2009 ab. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch
auf Leistungen nach dem SGB II lägen nicht vor, weil der Beschwerdegegner während seines Urlaubssemesters weiterhin sein Studium
betreibe. Er hole offene Prüfungen nach, besuche Vorlesungen und zahle den Semesterbeitrag. Der Beschwerdegegner legte hierauf
einen Bescheid des Amtes für Ausbildungsförderung des Studentenwerks L vom 16.10.2009 vor, wonach Leistungen nach dem
BAföG wegen Fehlens der gesetzlichen Voraussetzungen nach §
15 Abs.
2 BAföG für den Bewilligungszeitraum Oktober 2009 bis Februar 2010 abgelehnt wurden. In Kalendermonaten, für die der Auszubildende
beurlaubt sei, bestehe kein Anspruch auf Ausbildungsförderung.
Mit dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.10.2009 führte der Beschwerdegegner aus, er sei für den Arbeitsmarkt frei verfügbar.
Er müsse jedoch den Semesterbeitrag bezahlen, um dann nach dem Urlaubssemester weiter studieren zu dürfen. Weiterhin habe
er die Möglichkeit, sich für offene Prüfungen anzumelden, um diese nachholen zu können. Die Vorlesungen dürfe er in dieser
Zeit nicht besuchen, jedoch habe er erklärt, dass er an Vorlesungen teilnehmen werde, da dies manchmal geduldet werde. Die
Vorbereitung zur Weiterführung seines Studiums finde komplett in seiner Freizeit statt. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.03.2010
wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
Am 15.04.2010 beantragte der Beschwerdegegner wiederum die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II. Dem Antrag war eine
Erklärung des Beschwerdegegners beigefügt, er gebe eine Erklärung zu den Gründen der Beurlaubung vom Studium nicht ab, da
eine solche nicht erforderlich sei. Ferner legte er eine Bescheinigung der HTWK vom 14.10.2010 über die Beurlaubung vom Studium
für das Sommersemester 2010 (Zeitraum 01.03.2010 bis 31.08.2010) vor. Als Grund der Beurlaubung ist auf der Bescheinigung
vermerkt "sonstige Gründe". Der Antrag wurde mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 27.04.2010 abgelehnt. Nach Aktenlage
ergebe sich kein neuer Tatbestand hinsichtlich der Beurlaubung vom Studium. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdegegner
sein Studium entsprechend seinem Antrag vom 27.08.2009 auch jetzt weiterhin betreibe, weil er sich weigere, eine Begründung
für die Beurlaubung vom Studium abzugeben.
Am 28.05.2010 stellte der Beschwerdegegner beim Sozialgericht Leipzig (SG) einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit dem Begehren, ihm vorläufig monatlich 551,03 EUR zu bezahlen. Er habe, abgesehen
vom abgezweigten Kindergeld, zuletzt für August 2009
BAföG erhalten und lebe im Übrigen von der Inanspruchnahme seiner Kreditkarte und der Überziehung seiner Konten. Dem Antrag war
eine eidesstattliche Versicherung des Beschwerdegegners vom 19.05.2010 beigefügt, in welcher er versichert hat, er habe seit
dem Sommersemester 2009 die HTWK nicht mehr besucht und insbesondere an keinen Veranstaltungen teilgenommen. Er beabsichtige,
sein Studium im Wintersemester 2010/2011 fortzusetzen. Grund für die Pause sei, dass er ab dem Wintersemester 2009/2010 keine
BAföG-Leistungen mehr erhalten habe, weil er die Prüfungen in Produktions- und Anlagenwirtschaft, Baumechanik, Wirtschaftsstatistik
und Grundlagen Baubetrieb nicht bis zum Ende des dritten Fachsemesters erfolgreich abgelegt habe.
BAföG-Leistungen werde er erst wieder erhalten können, wenn er die Prüfungen absolviert habe. Derzeit habe er noch 70,00 EUR Bargeld
und seine Konten seien bereits mit fast 9.000,00 EUR im Minus. An Einnahmen könne er nur mit Kindergeld rechnen.
Das SG hat am 14.06.2010 einen Beschluss erlassen, mit welchem die Beschwerdeführerin verpflichtet worden ist, dem Beschwerdegegner
für die Zeit vom 01.03.2010 bis zum 31.08.2010 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch in Höhe von monatlich 551,00
EUR zu zahlen. Der Anordnungsanspruch sei gegeben, weil der Beschwerdegegner während seiner Beurlaubung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit
Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II habe. Bei seinem Hochschulstudium handele es sich zwar dem Grunde nach
um eine förderungsfähige Ausbildung. Im Rahmen des
BAföG förderungsfähig, und zwar bereits dem Grunde nach, sei jedoch eine Ausbildung nur dann, wenn eine Ausbildungsstätte besucht
werde oder wenn die Ausbildung an einer Ausbildungsstätte durchgeführt werde. Hieraus folge, dass der Beschwerdegegner keinen
Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II habe, soweit er eine Ausbildungsstätte besuche.
Umgekehrt sei demnach eine Ausbildung, die an keiner Ausbildungsstätte betrieben werde, nicht förderungsfähig. Ein solcher
Fall sei die Beurlaubung. An der Grundvoraussetzung für eine Förderung nach dem
BAföG, nämlich dem Besuch einer Ausbildungsstätte, fehle es, wenn und solange der Auszubildende von der Ausbildungsstätte beurlaubt
sei. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beziehe sich auf den inzwischen außer Kraft getretenen § 26 Bundessozialhilfegesetz (BSHG), der nahezu wortgleich und inhaltlich identisch mit § 7 Abs. 5 SGB II sei. Da beide Vorschriften auch den gleichen Zweck verfolgten, nämlich die Ausbildungsgeförderten aus dem Kreis
der Sozialhilfe bzw. Alg-II-Berechtigten auszuschließen, könnten nach Auffassung der Kammer die zu § 26 BSHG ergangenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes für die Auslegung des § 7 Abs. 5 SGB II uneingeschränkt herangezogen werden. Dies führe dazu, dass § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II einem Anspruch auf Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit der Beurlaubung nicht entgegenstehe. Die HTWK habe die Voraussetzungen für
eine Beurlaubung bejaht. Sofern der Beschwerdegegner die beiden Urlaubssemester zur Prüfungsvorbereitung habe nutzen wollen,
liege hierfür ein wichtiger Grund für eine Beurlaubung im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2b der Immatrikulationsordnung
der HTWK vom 31.03.2010 (ImmaO) vor. Soweit die Voraussetzungen für eine Beurlaubung nach der Immatrikulationsordnung vorlägen,
habe dies zur Folge, dass es am Besuch einer Ausbildungsstätte fehle. Damit fehle es an der Förderungsfähigkeit im Rahmen
des
BAföG. Deshalb finde §
7 Abs.
5 SGB II keine Anwendung. Der Beschwerdegegner habe einen ungedeckten Bedarf von März 2010 bis August 2010 in Höhe von 551,00
EUR monatlich. Insoweit sei auch der Anordnungsanspruch für eine vorläufige Leistung gegeben.
Gegen die ihr am 14.06.2010 zugegangene Beschwerde hat die Beschwerdegegnerin am 13.07.2010 Beschwerde eingelegt und zur Begründung
im Wesentlichen ausgeführt, das Urlaubssemester diene vorliegend allein der zeitlichen Streckung des Studiums, da der Beschwerdegegner
zunächst die Ablegung von insgesamt vier Prüfungen als Grund für das Urlaubssemester angegeben habe und da Prüfungen Leistungen
seien, die in der Regelstudienzeit zu erbringen seien. Somit sei gerade keine Unterbrechung, sondern eine Fortführung der
Ausbildung gegeben. Soweit das SG meine, es fehle an einem Besuch der Ausbildungsstätte, werde verkannt, dass die Prüfungen den Kern der von einem Studenten
zu erbringenden Studienleistungen darstellten und nach Zeit und Ort auf Bestimmung der Hochschule abzulegen seien, also sehr
wohl an einer Ausbildungsstätte. Hiernach sei es für die Entscheidung nach dem SGB II nicht sachgerecht, die Ausbildung des
Antragstellers in förderfähige und nicht förderfähige Abschnitte aufzuspalten. Dies sei schon mit dem Grundsatz unvereinbar,
dass es für § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II nur auf die Förderfähigkeit einer Ausbildung dem Grunde nach ankomme, also alle individuellen
Besonderheiten wie z. B. die Überschreitung der Höchstförderdauer außer Betracht zu bleiben hätten und die Ausbildung nur
als Ganzes als förderfähig oder nicht förderfähig einzustufen sei. Im Übrigen wolle § 7 Abs. 5 SGB II eine zeitweise indirekte
Ausbildungsförderung durch Leistungen nach dem SGB II gerade vermeiden.
Der Beschwerdeführer beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 14.06.2010 aufzuheben und den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes
vom 27.05.2010 abzulehnen.
Der Beschwerdegegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er habe in den beiden Urlaubssemestern keine Veranstaltungen der HTWK besucht und keine Prüfungen abgelegt. Die Auffassung,
dass es sich bei einem Urlaubssemester um eine abstrakt förderfähige Ausbildung bzw. bei der Urlaubsgewährung um einen individuellen
BAföG-Ausschlussgrund handele, werde nicht geteilt. Derjenige, der sich im Urlaubssemester befinde, befinde sich gerade nicht in
der Ausbildung. Die bloße Möglichkeit, Prüfungen abzulegen, könne nicht unter dem Begriff der Ausbildung subsumiert werden.
Von einem individuellen bzw. persönlichen
BAföG-Ausschlussgrund könne keine Rede sein, da ausnahmslos kein Student im Urlaubssemester
BAföG-Leistungen beziehen könne. Die Erwägung, dass man
BAföG-Leistungen beziehen könne, wenn kein Urlaubssemester vorliege, überspanne den Begriff der abstrakten Förderfähigkeit.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten
der Beschwerdeführerin verwiesen.
Nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG können die Gerichte auf Antrag, der gemäß §
86b Abs.
3 SGG bereits vor Klageerhebung zulässig ist, zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu sind gemäß
§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i. V. m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch
der Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache gesichert werden
soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Außerdem kann das Gericht dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend
grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Ast. nicht schon in vollem Umfang das gewähren, was er im Hauptsacheverfahren
erreichen kann. Die summarische Prüfung kann sich insbesondere bei schwierigen Fragen auch auf Rechtsfragen beziehen (Keller
in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl., §
86b RdNr. 16c; vgl. hierzu auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.12.2008 - L 9 B 192/08 KR ER), wobei dann die Interessen- und Folgenabwägung stärkeres Gewicht gewinnt (Binder in Hk-
SGG, 2. Aufl., §
86b RdNr. 42). Zu berücksichtigen ist insoweit, dass dann, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare,
anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden
können und wenn sich das Gericht in solchen Fällen an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren will, die Sach- und
Rechtslage abschließend geprüft werden muss. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht
möglich, ist aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05). Letzteres bestätigend hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 25.02.2009 - 1 BvR 120/09 weiter ausgeführt, dass das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition umso
weniger zurückgestellt werden darf, je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen
Rechtsschutzes verbunden sind. Art
19 Abs.
4 Grundgesetz verlange auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders
nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in
der Lage wäre.
Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn sich aus den glaubhaft gemachten Tatsachen ergibt, dass es die individuelle Interessenlage
des Antragstellers unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar
betroffener Dritter unzumutbar erscheinen lässt, den Antragsteller zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren
zu verweisen (Finkelnburg u.a., Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl. 2008, RdNr. 108 m.w.N.; ähnlich:
Krodel, NZS 2002, 234 ff). Ob die Anordnung derart dringlich ist, beurteilt sich insbesondere danach, ob sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile
oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen, ebenso schwer wiegenden Gründen nötig erscheint. Dazu müssen Tatsachen
vorliegen bzw. glaubhaft gemacht sein, die darauf schließen lassen, dass der Eintritt des wesentlichen Nachteils im Sinne
einer objektiven und konkreten Gefahr unmittelbar bevorsteht (vgl. Keller, aaO., § 86b RdNr. 27a).
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr verhalten sie sich in einer Wechselbeziehung
zueinander, in welcher die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden
Nachteils (des Anordnungsgrundes) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich
aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (HessLSG, Beschluss vom 29.09.2005 - L 7 AS 1/05 ER; Keller, aaO., § 86b RdNrn. 27 und 29 m.w.N). Ist eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet,
so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes
Recht nicht vorhanden ist. Ist eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen
an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem
Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes nicht möglich ist, hat das Gericht im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten
der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist.
Gemessen hieran hat der Beschwerdegegner einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Nach summarischer Prüfung erfüllt
er zwar die Voraussetzungen des § 19 i.V.m. § 7 Abs. 1 SGB II, da er das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch
nicht vollendet hat. Er ist auch erwerbsfähig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 8 Abs. 1 SGB II), hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz
1 Nr. 3, § 9 SGB II) und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB
II). Von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ist er aber gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II als
Auszubildender ausgeschlossen.
Nach §
7 Abs.
5 Satz 1 SGB II haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des
BAföG dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dem Grunde nach förderungsfähig
in diesem Sinne ist eine Hochschulausbildung nach Ansicht des Senates auch dann, wenn ein an einer Hochschule Eingeschriebener
(an einer Universität Immatrikulierter) ein Urlaubssemester - aus welchem Grunde auch immer - absolviert (a.A. Sächs.LSG,
Beschluss vom 13.01.2010 - L 2 AS 762/09 B ER - nicht veröffentlicht -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.02.2008 - L 25 B 146/08 AS ER, RdNr. 7; SG Leipzig, Beschluss vom 05.11.2009 - S 9 AS 3293/09 ER, RdNr. 22, beide zitiert nach Juris). Hierbei folgt der Senat der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG), soweit
dieses in seiner Entscheidung vom 01.07.2009 (Az. B 4 AS 67/08 R, RdNr. 14) in einem Verfahren, in welchem der Kläger zwar immatrikuliert war (im streitgegenständlichen Zeitraum im 32.
Fach- und 29. Hochschulsemester, wobei er sich seit mehreren Semestern in der Phase des Abschlusses des Hauptstudiums befand),
es nicht für maßgeblich erachtet hat, in welchem Umfang die Hochschule tatsächlich besucht wurde, sondern wegen der Immatrikulation
an der Hochschule das Vorliegen einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung bejaht hat.
Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 25.08.1999 - 5 B 153/99, 5 PKH 53/99) steht dem nach Auffassung des Senates nicht entgegen. Soweit bezüglich dieser Entscheidung in der Datenbank
Juris als "Orientierungssatz" formuliert ist, es fehle an der Grundvoraussetzung für eine Förderung nach dem
BAföG, dem Besuch einer Ausbildungsstätte, wenn und solange der Auszubildende von der Ausbildungsstätte beurlaubt sei und deshalb
stehe 26 Bundessozialhilfegesetz - der fast wortgleich mit § 7 Abs. 5 SGB II war - einem Anspruch auf Sozialhilfe nicht entgegen, betrifft dies nach den Gründen der Entscheidung eine Fallgestaltung,
in welcher eine Beurlaubung wegen Pflege und Erziehung eines Kindes der dortigen Klägerin erfolgt war, weswegen eine Missbrauchsbefürchtung
nicht gerechtfertigt sei (aaO., RdNr. 3). Hinzu kommt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung des BVerwG während der Zeit einer
Beurlaubung von der Hochschule ein Betreiben des Studiums in der Regel nicht möglich war und jedenfalls Studien- und Prüfungsleistungen
grundsätzlich nicht erbracht werden konnten (z.B. § 16 Abs. 3 Satz 1 Sächsisches Hochschulgesetz (SächsHG) in der Fassung
vom 11.06.1999), während jedenfalls im Freistaat Sachsen die Hochschulen Studierenden nunmehr sogar ermöglichen sollen, Studien-
und Prüfungsleistungen an der Hochschule, an der die Beurlaubung ausgesprochen wurde, zu erbringen (§ 20 Abs. 3 SächsHSG in
der seit 10.12.2008 geltenden Fassung). Diese Möglichkeit wird von den Sächsischen Hochschulen auch genutzt (vgl. hierzu SächsLSG,
Beschluss vom 28.06.2010 - Az. L 7 AS 337/10 B ER, RdNr. 17m.w.N.). Dass auch das Amt für Ausbildungsförderung des Studentenwerks L. nicht davon ausgeht, dass der Anspruch
auf Leistungen nach dem
BAföG während eines Urlaubssemesters deswegen entfällt, weil eine Hochschule i.S.d. §
2 Abs.
1 Nr.
6 BAföG nicht besucht würde, ergibt sich im Übrigen aus der Begründung des Bescheides dieses Amtes, mit welchem die Versagung von
Leistungen aufgrund eines Urlaubssemesters nicht mit dem Fehlen der Voraussetzungen §
2 Abs.
1 Nr.
6 BAfÖG begründet wird, sondern auf §
15 Abs.
2 BAföG verwiesen wird.
Hiernach ist nach der heutigen Sach- und Rechtslage im Unterschied zu dem vom BVerwG entschiedenen Fall die Missbrauchsbefürchtung
gerechtfertigt.
Die Förderfähigkeit einer Hochschulausbildung führt hiernach bei gegebener Immatrikulation zum Ausschluss der Leistungen nach
dem SGB II, ohne dass es darauf ankäme, ob das Studium betrieben wird. Hierzu hat der erkennende Senat bereits in seinem Beschluss
vom 29.06.2010 (L 7 AS 756/09 B ER; m.w.N.) Folgendes ausgeführt:
"Die Ausschlussregelung ist auf die Erwägung zurückzuführen, dass bereits die Ausbildungsförderung nach dem
BAföG auch die Kosten des Lebensunterhalts umfasst und deshalb im Grundsatz die Grundsicherung nicht dazu dient, durch Sicherstellung
des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach anderweitig förderungsfähigen Ausbildung zu ermöglichen.
Die Ausschlussregelung soll die nachrangige Grundsicherung davon befreien, eine - versteckte - Ausbildungsförderung auf zweiter
Ebene zu ermöglichen (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 67/08 R, RdNr. 13). [ ] Bei einem Hochschulstudium handelt es sich um eine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung im Sinne
des §
2 Abs.
1 Nr.
6 BAföG. Allein die Förderungsfähigkeit der Ausbildung dem Grunde nach zieht die Folge des §
7 Abs. 5 Satz 1 SGB II nach sich. Individuelle Versagensgründe, die im Verhältnis zum Träger der Förderungsleistung eingetreten
sind, bleiben außer Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 06.09.2007 - B 14/7b AS 36/06 R, RdNr. 15 ff. m.w.N.) Dies gilt auch dann, wenn die Ausbildung tatsächlich nicht betrieben wird."
Hieran hält der Senat fest. Während der Zeit der Beurlaubung bleiben die Rechte und Pflichten des Studenten gemäß § 22 SächsHSG
mit Ausnahme der Verpflichtung zum ordnungsgemäßen Studium unberührt; es wird Studenten gemäß § 20 Abs. 3 SächsHSG sogar ermöglicht,
Studien- und Prüfungsleistungen an der Hochschule, an der die Beurlaubung ausgesprochen wurde, zu erbringen. Somit sind die
Studierenden nach den hochschulrechtlichen Bestimmungen durch eine Beurlaubung vom Studium gerade nicht daran gehindert, einzelne
Studien- und Prüfungsleistungen abzulegen: Sie können also trotz Beurlaubung im Grunde ihr Studium weiter vorantreiben oder
fortsetzen, ohne dass dieser Zeitraum auf die abgelegten Fachsemester angerechnet würde. Die hochschulrechtliche Möglichkeit,
den Studienablauf flexibel zu gestalten, kann umgekehrt aber nicht dazu führen, dass entgegen dem gesetzgeberischen Anliegen
der Ausschlussregelung des § 7 Abs. 5 SGB II für eine an sich förderfähige Ausbildung an einer Hochschule Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach dem SGB II erbracht werden, obwohl die Ausbildung auch während des genehmigten Urlaubssemesters
rechtmäßig bzw. praktisch zulässig dadurch betrieben werden kann, dass einzelne Studien- und Prüfungsleistungen an der betreffenden
Hochschule erbracht werden dürfen.
In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG (z.B. Urteil vom 01.07.2009, aaO.) kommt es somit auf die abstrakte Förderfähigkeit
der Ausbildung an, nicht auf die Frage, ob die Ausbildungsstätte tatsächlich besucht wird. Denn von der Beschwerdeführerin
kann auch nicht verlangt werden, dass sie dies im Einzelfall ermittelt, weil derartige Ermittlungen nicht mit den behördlichen
Möglichkeiten und Gegebenheiten im Rahmen der Massenverwaltung im Einklang stehen. Hinzu kommt, dass anders als die anderen
Hilfebedürftigen, die keine nach
BAföG förderfähige Ausbildung verfolgen, die beurlaubten Studierenden auch nicht für die Vermittlung in ein Beschäftigungsverhältnis
zur Verfügung stehen, gerade weil sie sich noch in der (Hochschul-)Ausbildung befinden.
Die vom 2. Senat des SächsLSG in Bezug genommene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 25.08.1999 -
5 B 153/99) zu der § 7 Abs. 5 SGB II entsprechenden Vorschrift des Bundessozialhilfegesetzes kann hier auch deshalb nicht ohne weiteres
Geltung beanspruchen, weil im aufeinander abgestimmten Regelungsgefüge des SGB II die Härtefallregelung des § 7 Abs. 5 Satz
2 SGB II dazu dient, unerwünschte Ergebnisse im Einzelfall abzumildern. Es liegt insoweit nahe, das erforderliche sozialstaatliche
Korrektiv bei der Anwendung des § 7 Abs. 5 SGB II in dieser Regelung für besondere Härtefälle zu erblicken und als abschließend
anzusehen. Damit wird zudem der Gleichklang mit den Vorschriften des
BAföG deutlich, wonach Leistungen zur Ausbildungsförderung ebenfalls teilweise als Darlehen gewährt werden (vgl. §
17 Abs.
2,
3 BAföG). Somit hat der Beschwerdegegner keinen Anspruch auf die Regelleistung einschließlich der Kosten der Unterkunft und Heizung.
Er war nicht exmatrikuliert, sondern ausweislich der Immatrikulationsbescheinigung auch während des Urlaubssemesters immatrikuliert.
Er hat auch keinen Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts in Form eines Darlehens nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB
II. Danach können in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, allerdings nur als Darlehen und
nicht als Beihilfe oder Zuschuss gewährt werden. Liegt ein besonderer Härtefall vor, hat die Verwaltung in Ausübung pflichtgemäßen
Ermessens Art und Umfang der Leistungsgewährung zu prüfen. Im Hinblick auf das "Ob" der Leistungsgewährung wird alsdann im
Regelfall von einer Ermessensreduktion auf Null auszugehen sein (vgl. Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, Stand Februar 2007,
§ 7 RdNr. 93; so wohl auch Brühl/Schoch in Münder, SGB II, 2. Aufl. 2007, § 7 RdNr. 103).
Bei dem Begriff des "besonderen Härtefalls" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Ausfüllung in vollem
Umfang der rechtlichen Überprüfung durch das Gericht unterliegt (vgl. zum Vorliegen einer besonderen Härte im Rahmen von §
9 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 3 KfzHV auch BSG, Urteil vom 08.02.2007 - B 7a AL 34/06 R). Die Verwaltung hat keinen Beurteilungsspielraum; ihr steht auch keine
Einschätzungsprärogative zu (vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 30.10.2001 - B 3 P 2/01 R, BSGE 89, 44). Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschlüsse vom 28.06.2010 und 29.06.2010, aaO.) kann von einem besonderen Härtefall
ausgegangen werden, wenn der Lebensunterhalt während der Ausbildung durch Förderung auf Grund von BAföG/SGB III-Leistungen
oder anderen finanziellen Mittel - sei es Elternunterhalt oder Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit - gesichert war, die
nun kurz vor Abschluss der Ausbildung entfallen. Gleiches gilt für den Fall der Unterbrechung der bereits weit fortgeschrittenen
und bisher kontinuierlich betriebenen Ausbildung auf Grund der konkreten Umstände des Einzelfalls wegen einer Behinderung
oder Erkrankung. Denkbar ist auch, dass die nicht mehr nach den Vorschriften des
BAföG oder der §§
60 bis
62 SGB III geförderte Ausbildung objektiv belegbar die einzige Zugangsmöglichkeit zum Arbeitsmarkt darstellt (vgl. BSG, Urteil vom 06.09.2007
- B 14/11b AS 36/06 R, RdNr. 21-24; BSG, Urteil vom 06.09.2007 - B 14/7b AS 28/06 R).
Die Voraussetzungen für die Annahme eines Härtefalls sind vorliegend weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Der Beschwerdegegner
befand sich vielmehr wie viele andere Studenten auch in der Situation, dass er - nach seinem Vortrag - erforderliche Prüfungen
nicht zum vorgeschriebenen Zeitpunkt abgelegt hatte und auch deshalb ein Anspruch auf Leistungen nach dem
BAföG nicht bestand (§§
9,
48 Abs.
1 BAföG). Dies allein rechtfertigt aber noch nicht die Annahme einer besonderen Härte.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Diese Entscheidung ist endgültig, §
177 SGG.