Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung wegen Erkrankung der Herzkranzgefäße des Versicherten
Kodierung einer Aortenklappenstenose als vergütungspflichtige Nebendiagnose
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.
Die bei der Beklagten krankenversicherte G. (im Weiteren: Versicherte) befand sich vom 15. bis zum 20. August 2011 in stationärer
Behandlung im Krankenhaus der Klägerin. Sie litt an einer Erkrankung der Herzkranzgefäße.
Die Klägerin stellte der Beklagten für die Behandlung Kosten in Höhe von 5.239,00 EUR in Rechnung. Die Beklagte beglich die
Rechnung zunächst und beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MD) mit der Prüfung des Falls.
In seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 19. Februar 2012 kam der MD zu dem Ergebnis, dass die Nebendiagnose I35.0 (Aortenklappenstenose)
nicht zu kodieren sei. Im Ergebnis sei daher die DRG F49E (Invasive kardiologische Diagnostik außer bei akutem Myokardinfarkt,
mehr als 2 Belegungstage, ohne äußerst schwere CC, Alter > 14 Jahre, ohne kardiales Mapping, ohne komplexen Eingriff) und
nicht die DRG F49B (Invasive kardiologische Diagnostik außer bei akutem Myokardinfarkt, mehr als 2 Belegungstage, mit äußerst
schweren CC, ohne komplexen Eingriff) zugrunde zu legen.
Daraufhin rechnete die Beklagte am 24. Januar 2013 in Höhe von 2.819,81 EUR gegen eine unstreitige Forderung der Klägerin
aus einem anderen Behandlungsfall auf.
Am 3. März 2015 hat die Klägerin hiergegen Klage erhob, da sie die Nebendiagnose zu Recht kodiert habe. Die Versicherte habe
eine relevant eingeschränkte LV-Pumpfunktion (linksventrikuläre Pumpfunktion) gehabt. Bei unklarem Herzgeräusch sei es daher
erforderlich gewesen, eine Echokardiographie durchzuführen. Dabei habe sich eine leichtgradige Aortenklappenstenose gezeigt,
die neben regelmäßigen echokardiographischen Kontrollen auch eine medikamentöse Anpassung erforderlich gemacht habe.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Die Aortenklappenstenose, die sich im Rahmen der Echokardiographie bei Aufnahme der
Versicherten am 15. August 2011 als Befund dargestellt habe, habe keine klinische Bedeutung im Sinne einer therapeutischen
Konsequenz gehabt und auch nicht zu weiterer Diagnostik geführt. Die durchgeführte Echokardiographie sei nicht wegen eines
unklaren nachgewiesenen Herzgeräusches durchgeführt worden, sondern bereits aufgrund der festgestellten Kardiomyopathie mit
relevant eingeschränkter LV-Pumpfunktion erforderlich gewesen. Eine medikamentöse Anpassung sei nicht erfolgt.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Facharztes für Innere Medizin Dr.
W..
In dessen Gutachten vom 21. Januar 2016 ist der Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen, dass sich in der Ultraschalluntersuchung
des Herzens eine leichtgradige Verengung der Herzklappe zwischen linker Hauptkammer und Hauptschlagader, also eine Aortenklappenstenose
leichten Grades gezeigt habe, wobei eine Herzklappenverengung zusammen mit einer erheblichen Kontraktionsminderung der linken
Herzhauptkammer die exakte Einschätzung des Schweregrades der Herzklappenstenose erschwere. Eine Herzklappenstenose habe aber
Bedeutung für die Durchführung der medikamentösen Behandlung der festgestellten erheblichen Herzleistungsschwäche, da es durch
eine zu starke medikamentöse Herabsetzung der sogenannten Nachlast zu einem übermäßigen Abfall des arteriellen Mitteldrucks
mit nachfolgender Verschlechterung der Herzkranzgefäßdurchblutung kommen könne. Dabei spiele auch eine Aortenklappenstenose
eine wesentliche Rolle. Die streitige Nebendiagnose führe vor allem zu einer verstärkten Überwachung der Herzinsuffizienztherapie.
Daher sei es gerechtfertigt, die Nebendiagnose I 35.0 zu kodieren.
Die Beklagte hat hiergegen eingewandt, dass eine Aortenklappenstenose medikamentös nicht behandelbar sei. Therapeutisch bestehe
allein die Möglichkeit einer Operation mit Einsetzen einer neuen Herzklappe. Die Aortenklappenstenose sei zwar für die medizinische
Dokumentation und die ärztliche Kommunikation von Bedeutung, hier habe diese alleine dazu geführt, dass der Schweregrad der
Erkrankung zur Kenntnis genommen worden sei. Dies erfülle aber nicht die Definition einer Nebendiagnose. Es handele sich vielmehr
um einen Nebenbefund, der nach den Deutschen Kodierrichtlinien nicht zu kodieren sei.
Das Sozialgericht hat eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen eingeholt. Darin hat der Sachverständige festgestellt,
dass eine Aortenklappenstenose auch dann Auswirkungen auf die Therapie haben könne, wenn es nicht um die Frage einer operativen
Korrektur gehe. Die pathophysiologischen Zusammenhänge zwischen sogenanntem arteriellen Mitteldruck und Herzmuskeldurchblutung
seien im Gutachten dargestellt. Bei der Behandlung einer Herzschwäche würden häufig Medikamente verwendet, die die sogenannte
Nachlast senkten. Dadurch komme es zu einer Erniedrigung des Mitteldrucks mit der Folge einer verschlechterten Herzmuskeldurchblutung.
Dies führe zu einer weiteren Verstärkung der Herzleistungsminderung. Um dieses Problem sei es bei der Beurteilung gegangen,
ob die Nebendiagnose der Aortenklappenstenose behandlungsrelevant gewesen sei. Dies sei nach Einschätzung des Sachverständigen
der Fall gewesen. Es sei nicht um die Frage einer operativen Korrektur der Herzklappenverengung gegangen. Die Diagnose einer
Aortenklappenstenose hätte also nach seiner Einschätzung eindeutig Konsequenzen hinsichtlich der therapeutischen Überlegungen
gehabt und sei daher als Nebendiagnose zu kodieren.
Die Beklagte hat an ihrer Rechtsauffassung unter Verweis auf ein neueres MD Gutachten festgehalten. Therapeutische Überlegungen
führten nicht zur Abrechnungsfähigkeit der streitigen Nebendiagnose.
Mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 11. September 2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die nach §
54 Abs.
5 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthafte und auch sonst zulässige Leistungsklage in der Sache ohne Erfolg bleibe. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf
Zahlung von 2.819,81 EUR gegen die Beklagte.
1. Streitgegenstand sei hier nicht mehr der ursprüngliche Anspruch der Klägerin auf Zahlung des Behandlungsfalles der Versicherten.
Denn diese Forderung habe die Beklagte beglichen. Im Streit stehe vielmehr, ob die Beklagte berechtigt gewesen sei, mit einem
öffentlichen-rechtlichen Erstattungsanspruch aus dem Behandlungsfall des Versicherten gegen eine spätere, unstreitige Forderung
der Klägerin aus einem anderen Behandlungsfall aufzurechnen. Eine solche Aufrechnung sei nach §
69 Abs.
1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch Gesetzliche Krankenversicherung (
SGB V) i.V.m §§
387 ff.
Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) grundsätzlich möglich.
2. Der Beklagten habe eine solche öffentlich-rechtliche Erstattungsforderung aus §
69 Abs.
1 Satz 3
SGB V i.V.m §
812 Abs.
1 Satz 1, 1. Alt.
BGB in Höhe der Klagesumme zugestanden. Denn die Vergütung für die Behandlung des Versicherten sei in Höhe der Klagesumme rechtsgrundlos
erfolgt. Berechtigte Einwendungen der Klägerin seien nicht ersichtlich.
Die Zahlung der Vergütung für die Behandlung des Versicherten sei ohne Rechtsgrund erfolgt. Anspruchsgrundlage für den Vergütungsanspruch
der Klägerin sei §
109 Abs.
3 Satz 3
SGB V, § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) i.V.m. der hier maßgeblichen Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2011 (FPV 2011)
sowie dem Vertrag Allgemeine Bedingungen Krankenhausbehandlung vom 19. Dezember 2002 zwischen der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft
e.V. und unter anderem der Beklagten (Vertrag nach §
112 SGB V).
Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Krankenhausvergütung seien dem Grunde nach unstreitig erfüllt. Die Zahlungsverpflichtung
einer Krankenkasse entstehe – unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten
kraft Gesetzes, wenn die Versorgung – wie hier – in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt werde und im Sinne von §
39 Abs.
1 Satz 2
SGB V erforderlich sei.
Streitig sei vorliegend aber die DRG, von der die Vergütungshöhe abhänge. Nach der von der Klägerin zugrunde gelegten DRG
F49B (Invasive kardiologische Diagnostik außer bei akutem Myokardinfarkt, mehr als 2 Belegungstage, mit äußerst schweren CC,
ohne komplexen Eingriff) ergebe sich – einschließlich der hier unstreitigen Zuschläge – ein Betrag von 5.239,00 EUR. Die von
der Beklagten angenommene DRG F49E (Invasive kardiologische Diagnostik außer bei akutem Myokardinfarkt, mehr als 2 Belegungstage,
ohne äußerst schwere CC, Alter > 14 Jahre, ohne kardiales Mapping, ohne komplexen Eingriff) führe zu einem um 2.819,81 EUR
geringeren Erlös.
Nach Auffassung der Kammer sei die Behandlung des Versicherten auf Grundlage der DRG I10E abzurechnen, denn entgegen der Auffassung
der Klägerin sei als Nebendiagnose I35.0 nicht zu kodieren.
In der Deutschen Kodierrichtlinie in der zum Behandlungszeitpunkt geltenden Version 2011 sei die Nebendiagnose (D003i) definiert
als:
„Eine Krankheit oder Beschwerde, die entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose besteht oder sich während des Krankenhausaufenthaltes
entwickelt.” Für Kodierungszwecke müssen Nebendiagnosen als Krankheiten interpretiert werden, die das Patientenmanagement
in der Weise beeinflussen, dass irgendeiner der folgenden Faktoren erforderlich ist:
therapeutische Maßnahmen
diagnostische Maßnahmen
erhöhter Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand
Bei Patienten, bei denen einer dieser erbrachten Faktoren auf mehrere Diagnosen ausgerichtet ist, können alle betroffenen
Diagnosen kodiert werden.“
Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt. Zwar habe der Sachverständige die Kodierung der Klägerin im Ergebnis bestätigt.
Dies habe er jedoch damit begründet, dass eine Aortenklappenstenose Bedeutung für die medikamentöse Behandlung der festgestellten
erheblichen Herzleistungsschwäche habe, weil eine verstärkte Überwachung der Herzinsuffizienztherapie erforderlich sei. Die
behandelnden Ärzte hätten bei ihren therapeutischen Überlegungen zu berücksichtigen, dass es durch eine zu starke medikamentöse
Herabsetzung der Nachlast zu einer Verschlechterung der Herzkranzgefäßdurchblutung kommen könne.
Nach Auffassung der Kammer sei zwar nachvollziehbar, dass die Aortenklappenstenose den Fall zusätzlich kompliziert und dementsprechend
zu einem erhöhten Aufwand bei der Therapieplanung durch die Ärzte geführt habe. Dies erfülle jedoch nicht die Voraussetzungen
einer Nebendiagnose im Sinne der oben genannten Definition. Danach rechtfertigten zusätzliche Überlegungen der behandelnden
Ärzte die Kodierung einer Nebendiagnose nicht. Dementsprechend sei auch die Schlussfolgerung des Sachverständigen nicht zutreffend,
denn seine Feststellungen ließen sich nicht unter die Definition der Nebendiagnose subsumieren. Dass die Aortenklappenstenose
das Patientenmanagement in der Weise beeinflusst habe, dass weitere therapeutische oder diagnostische Maßnahmen bzw. ein erhöhter
Betreuungs-, Pflege-und/oder Überwachungsaufwand erforderlich gewesen sei, sei nicht ersichtlich und ergebe sich auch nicht
aus dem Sachverständigengutachten. Auch auf Nachfrage habe der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme lediglich
bestätigt, dass die Diagnose einer Aortenklappenstenose Konsequenzen hinsichtlich der therapeutischen Überlegungen gehabt habe. Dass diese Überlegungen auch – so wie es die Definition der Nebendiagnose erfordere - in therapeutische Maßnahmen
umgesetzt worden wären, habe er nicht festgestellt. Insbesondere sei die von der Klägerin angeführte medikamentöse Anpassung
offenbar nicht erfolgt. Auch sei für den streitgegenständlichen Krankenhausaufenthalt keine echokardio-graphische Kontrolle
dokumentiert. Aus der Krankenakte ergebe sich vielmehr, dass diese erst während des darauffolgenden Krankenhausaufenthaltes
am 5. September 2011 erfolgt sei.
Schließlich sei auch nicht erkennbar, dass einer der das Patientenmanagement beeinflussenden Faktoren zumindest auch auf die
Diagnose der Aortenklappenstenose ausgerichtet gewesen wäre. Der Sachverständige habe in seinem Gutachten ausgeführt, dass
die Aortenklappenstenose bei der Echokardiographie festgestellt worden sei. Dementsprechend sei diese Maßnahme nicht auf die
Aortenklappenstenose ausgerichtet gewesen.
Das Urteil ist der Klägerin am 25. November 2019 zugestellt worden. Am 27. Dezember 2019 – am ersten Werktag nach den Weihnachtsfeiertagen
– hat sie die vorliegende Berufung erhoben. Die Aortenklappenstenose habe therapeutische Maßnahmen veranlasst. Bereits medizinische
Überlegungen, ob und gegebenenfalls welche therapeutischen Konsequenzen aus einem Befund zu ziehen seien, stellten einen Ressourcenverbrauch
dar. Überdies sei in Reaktion auf den streitigen Befund die ASS Medikation verändert worden und zwar zum einen durch die Dosierung,
zum anderen aber auch die Verteilung der Applikation über den Tag. Darüber hinaus sei auch das Medikament N. auf 10 mg erhöht
worden. S. und R. seien überhaupt erst im Laufe des Aufenthaltes angesetzt worden. Der Gutachter habe zu Recht darauf hingewiesen,
dass es um die Senkung der Nachlast gegangen sei; dies habe dazu geführt, dass man den Blutdruck habe senken müssen. Diese
Aufgabe habe das Medikament R. als ACE-Hemmer zur Behandlung einer arteriellen Hypertonie gehabt. Eine Senkung des Blutdrucks
führe auch zu einer Senkung des arteriellen Mitteldrucks und damit der Nachlast. Der Gutachter habe auch ausgeführt, dass
die fragliche Nebendiagnose zu einer verstärkten Überwachung der Herzinsuffizienztherapie geführt habe. Dies stelle einen
Ressourcenverbrauch dar. Mit Schriftsatz vom 18. Mai 2021 hat die Klägerin den Zinsanspruch auf die Zeit ab dem 25. Januar
2013 begrenzt und den darüberhinausgehenden Zinsanspruch zurückgenommen.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichtes vom 11. September 2019 die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.819,81
EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent seit dem 25. Januar 2013 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil des Sozialgerichts und betont noch einmal, dass die Stenose das
Patientenmanagement nicht in der für eine Kodierung notwendigen Weise beeinflusst habe.
Der Senat hat den Sachverständigen daraufhin unter Hinweis darauf, dass therapeutische Überlegungen für die Kodierung als
Nebendiagnose nicht ausreichten, um ergänzende Stellungnahme zu seinem Gutachten gebeten, insbesondere mit Blick auf einen
möglichen, konkreten Ressourcenverbrauch für die streitige Nebendiagnose. Der Sachverständige hat daraufhin ergänzt, dass
derartige Herzklappenveränderungen auch bei Behandlungen mit anderen Erkrankungen zu Überlegungen mit entsprechenden Auswirkungen
auf den Überwachungsaufwand führten. Bei der Patientin habe eine stärkergradige Herzschwäche medikamentös behandelt werden
müssen. Dazu seien unter anderem auch Entwässerungsmedikamente (hier: S.) sowie Medikamente, die zur Entlastung des Herzens
über eine Beeinflussung der Kontraktionsvorgänge (ACE-Hemmer, hier R. und Betarezeptorenblocker hier N., Erhöhung der Dosis
von 2,5 auf 5 mg), die die Herzschwäche verminderten, verwendet worden. Diese Medikamente könnten aber den Blutdruck stärker
senken als beabsichtigt. Dadurch falle der Mitteldruck in der Hauptschlagader ab mit der Folge einer zunehmenden Verschlechterung
der Herzmuskeldurchblutung bei schon vorbestehender Verengung durch die Herzkranzgefäß-erkrankung und eingeschränkter Herzleistung
mit der Folge einer weiteren Verschlechterung der Herzleistung. Zur Therapieeinleitung sei daher auch ein erhöhter Überwachungsaufwand
vor allem in Form einer intensivierten Blutdrucküberwachung notwendig. Dieses sei in der Krankenakte durch ärztliche Anordnung
am 17. August 2011 dokumentiert, wonach Medikamente zur Behandlung der Herzschwäche in zunächst niedriger Dosierung angesetzt
worden seien. Es seien dreimal tägliche Blutdruckkontrollen angeordnet worden, die auch am 17. August 2011 durchgeführt worden
seien. Nachdem ein weiterer Blutdruckabfall nicht festgestellt worden sei, sei am 18. August 2011 die Dosis des N. von 2,5
auf 5 und am 19. August dann auf 10 mg unter fortgesetzten Blutdruckkontrollen erhöht worden. Der Blutdruck sei jeweils stabil
gewesen und im Vergleich zum Therapiebeginn am 19. August sogar um 10 mm Hg angestiegen. Dies sei ein Hinweis auf die medikamentös
verursachte Besserung der Herzleistungsfähigkeit. Der Sachverständige erkenne darin einen (durch die Aortenklappenstenose
verursachten) erhöhten Überwachungsaufwand. Nach seiner Einschätzung sei danach die streitbefangene Nebendiagnose zu kodieren,
da sie eine entsprechende Maßnahme im Patientenmanagement verursacht habe.
Auf Nachfrage hat der Sachverständige noch ergänzt, dass der zusätzliche Überwachungsaufwand durch mehrfache Blutdruckmessungen
nach Therapieintensivierung nicht nur wegen der ausgeprägten Herzschwäche der Patientin, sondern auch wegen der Aortenklappenstenose
erforderlich gewesen sei um eine verschlechterte Herzmuskeldurchblutung durch übermäßigen Abfall des Blutdrucks mit daraus
folgender Verminderung des Aortenmitteldrucks zu erkennen. Die Blutdruckmessungen hätten nicht der Diagnose einer Aortenklappenstenose,
sondern der Erkennung einer verschlechterten Herzmuskeldurchblutung durch übermäßige medikamentöse Blutdrucksenkung als Folge
der Aortenklappenstenose bei gleichzeitiger fortgeschrittener Herzleistungsschwäche gedient.
Die Beklagte ist dem noch einmal entgegengetreten. Der Medizinische Dienst hat dazu ausgeführt, eine auch nur leichtgradige
Aortenklappenstenose sei hier nicht belegt. Selbst wenn diese vorgelegen hätte, seien sämtliche Maßnahmen in der Klinik der
Klägerin Folge der Therapie der Herzinsuffizienz gewesen. Eine medikamentöse Behandlung der Stenose gebe es nicht. Die dokumentierten
Blutdruckkontrollen hätten der Überwachung der medikamentösen Therapie der durch den Herzinfarkt verursachten Herzinsuffizienz
gedient. Die behauptete Stenose habe sich auch anlässlich des im Anschluss stattgefundenen Aufenthalts der Versicherten am
5. September 2011 nicht belegen lassen. Danach habe lediglich eine Vorstufe als Verkalkung der Klappe im Sinne einer Sklerose
ohne Fehlfunktion vorgelegen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Rechtsstreits im schriftlichen Verfahren zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte, der Verwaltungsakte der Beklagten
sowie der Krankenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat auch Erfolg.
Streitig ist allein die Frage, ob die Diagnose I35.0 (Aortenklappenstenose) als Nebendiagnose kodiert werden kann, da diese
Diagnose im System der Krankenhausabrechnung zu der von der Klägerin in Ansatz gebrachten DRG und damit zu der begehrten Erlöshöhe
der Krankenhausabrechnung führt.
Letztlich überzeugt die im Berufungsverfahren ergänzte Einschätzung des Sachverständigen bei juristischer Bewertung des Sachverhaltes
im Unterschied zur Beurteilung durch das Sozialgericht, welches die Klage abgewiesen hat. Der Sachverständige hat im Berufungsverfahren
seine Begutachtung auf Nachfragen des Gerichts weiter konkretisiert und vertieft. Daraus ergibt sich mit hinreichender Überzeugungskraft,
dass einer der in der DKR 2011 aufgeführten Faktoren, jedenfalls derjenige des erhöhten Überwachungsaufwands, möglicherweise
aber auch die Medikamentengabe zumindest auch wegen der Aortenklappenstenose erforderlich war.
Zunächst dürfte die Diagnose I35.0 zu Recht festgestellt worden sein. Zwar bezweifelt der im Auftrag der Beklagten beurteilende
MD dies erstmals im Berufungsverfahren, nachdem er zunächst nur darauf verwiesen hatte, dass diese Diagnose keine therapeutischen
Maßnahmen bzw. diagnostischen Kontrollen zur Folge gehabt habe und deshalb nicht kodiert werden dürfe. Überzeugend ist jedoch,
dass der Sachverständige wiederholt ausführt, dass die Echokardiographie (Ultraschalluntersuchung) eine degenerative Veränderung
der Klappe zwischen linker Hauptkammer und Hauptschlagader mit einer leichtgradigen Aortenklappenstenose ergeben habe. Dies
ergibt sich auch aus der Krankenakte der Klägerin, in der sich als Ergebnis der nach Aufnahme der Versicherten durchgeführten
Echokardiografie vom 15. August 2011 unter „Beurteilung“ eine „leichtgradige AS“ (Aortenklappenstenose) und dieser Befund
sich auch noch einmal im vorläufigen Arztbrief vom 18. August 2011 als Ergebnis der Echokardiografie vom 15. August 2011 findet.
Der Hinweis des MD, dass sich bei dem Folgeaufenthalt der Versicherten im September 2011 nur eine sklerotische Veränderung
der Aortenklappe, jedoch keine Stenose ergeben habe, verfängt nicht, da es auf die Ex-ante-Sicht des Arztes während der fraglichen
Behandlung bzw. den Erkenntnisstand am Ende der stationären Behandlung ankommt und spätere Erkenntnisse (so diese überhaupt
überzeugen können) keinen Einfluss haben können.
Die streitige Diagnose dürfte im Rahmen des DRG-Systems als Nebendiagnose in der Fassung der DKR 2011 auch bereits kodierbar
gewesen sein. Verstünde man die Fassung der DKR 2011 jedoch so, dass der seit 2010 angefügte Satz „ Bei Patienten, bei denen einer dieser erbrachten Faktoren auf mehrere Diagnosen ausgerichtet ist, können alle betroffenen
Diagnosen kodiert werden“, sich nur auf Nebendiagnosen bezöge, käme es vorliegend darauf an, ob hinreichend nachgewiesen ist, dass einer der aufgeführten
Faktoren alleine zur Behandlung der Aortenklappenstenose erforderlich war. Nach Auffassung der Beklagten gehen die von der
Klägerin vorgetragenen therapeutischen Maßnahmen bzw. der erhöhte Überwachungsaufwand vollständig in der Behandlung der Herzinsuffizienz
auf; eine Beeinflussung des Patientenmanagements in Bezug auf die fragliche Nebendiagnose sei nicht erkennbar. Versteht man
die Fassung D003i in der DKR von 2010 (in dieser Fassung gültig bis 2012) so, wie die Fassung ab 2013 weiter konkretisiert
worden ist, dann käme es bereits für diesen Fall nicht darauf an, ob einer der aufgeführten Faktoren alleine für die Aortenklappenstenose
erforderlich war. Diese Auslegungsfrage ist auch entscheidungserheblich, denn der Sachverständige hat auch im Berufungsverfahren
letztlich nicht überzeugend dargelegt, dass ein therapeutischer und/oder Überwachungsaufwand alleine aufgrund der streitigen
Nebendiagnose I35.0 festzustellen ist. Bereits vor dem Sozialgericht hatte der Sachverständige sich in seinem ergänzenden
Gutachten missverständlich – einschränkend – dahingehend geäußert, dass die fragliche Nebendiagnose Konsequenzen hinsichtlich
der therapeutischen Überlegungen gehabt habe. In dem Hauptgutachten vor dem Sozialgericht hatte er ausgeführt, dass eine Herzklappenstenose
sehr wohl Bedeutung für die Durchführung der medikamentösen Behandlung der bei der Patientin vorliegenden erheblichen Herzleistungsschwäche
gehabt habe. Durch eine zu starke medikamentöse Herabsetzung der sogenannten Nachlast komme es zu einem übermäßigen Abfall
des arteriellen Mitteldrucks mit nachfolgender Verschlechterung der Herzkranzgefäßdurchblutung. Dabei spiele auch eine Herzklappenstenose
eine wesentliche Rolle. Daher sei es auch gerechtfertigt, diese Diagnose, die vor allem zu einer verstärkten Überwachung der
Herzinsuffizienztherapie habe führen müssen, mit dem fraglichen Code zu kodieren. Bei den ergänzenden Gutachten vor dem Berufungsgericht
erkennt Dr. W. zwar einen zusätzlichen Überwachungsaufwand durch mehrfache Blutdruckmessungen, ergänzt aber zugleich, dass
dies nicht nur wegen der ausgeprägten Herzschwäche, sondern auch wegen der Aortenklappenstenose erforderlich gewesen sei,
um eine verschlechterte Herzmuskeldurchblutung durch übermäßigen Abfall des Blutdrucks mit daraus folgender Verminderung des
Aortenmitteldrucks zu erkennen.
Aus alldem lässt sich nicht ableiten, dass die therapeutischen Maßnahmen oder der zusätzliche Überwachungsaufwand alleine
der Behandlung der Aortenklappenstenose zuzuordnen waren, sondern in Kombination von beiden Krankheiten erforderlich waren.
Aus diesen Ausführungen lässt sich nicht ableiten, dass die fraglichen Aufwände ohne die Hauptdiagnose der atherosklerotischen
Herzkrankheit: Drei Gefäß-Erkrankung (I25.13) durchgeführt worden wären. Der Sachverständige betont immer wieder, dass die
fragliche Behandlung in Ansehung der Herzerkrankung der Versicherten notwendig gewesen sei und die fragliche Nebendiagnose
ein Element bei der Festlegung von Art und Umfang der Behandlungsmaßnahmen dargestellt habe. Seinen Ausführungen ist nicht
zu entnehmen, dass Teile der Medikamentengabe oder des Überwachungsaufwands alleine auf die Aortenklappenstenose zurückzuführen
wären. Hingegen lässt er keinen Zweifel daran, dass sowohl therapeutische Maßnahmen in Form der Medikamentengabe mit Blick
auf die sog. Nachlast als auch eine intensivierte Blutdrucküberwachung bei der Versicherten aufgrund der Kombination der Haupt-
wie auch der Nebendiagnose erforderlich waren.
Legte man die D003i der DKR in der Fassung von 2011 daher (im Unterschied zu deren Fassung von 2013) so aus, dass sich die
D003i nur auf Nebendiagnosen bezieht und nicht auf die hier vorliegende Konstellation, bei der die fraglichen Faktoren sowohl
auf die Haupt- wie auf die Nebendiagnose (HD=I25.13 Atherosklerotische Herzkrankheit: Drei-Gefäß-Erkrankung und Nebendiagnose=I35.0
Aortenklappenstenose) ausgerichtet sind, würde die Berufung erfolglos bleiben, da es an einem zusätzlichen Aufwand alleine
in Bezug auf die Nebendiagnose fehlt. Legte man die DKR in der Fassung von 2011 hingegen so aus, dass sie bereits in dem Sinne
zu verstehen ist wie die Version von 2013, diese also nur eine Konkretisierung der alten Fassung darstellt, wäre die Berufung
erfolgreich. Letzteres ist hier der Fall.
Die DKR ist in der hier interessierenden Passage im Laufe der Zeit mehrfach geändert worden. Unverändert blieb der folgende
einleitende Text zur Nebendiagnose:
„Für Kodierungszwecke müssen Nebendiagnosen als Krankheiten interpretiert werden, die das Patientenmanagement in der Weise
beeinflussen, dass irgendeiner der folgenden Faktoren erforderlich ist:
therapeutische Maßnahmen
diagnostische Maßnahmen
erhöhter Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand“
Bis zu Version der DKR 2008 endete der maßgebliche Text hiermit. In der Version der DKR 2010 ist an dieser Stelle wie folgt
ergänzt worden:
„Bei Patienten, bei denen einer dieser erbrachten Faktoren auf mehrere Diagnosen ausgerichtet ist, können alle betroffenen
Diagnosen kodiert werden.“
In der Fassung der DKR 2013 (die bis heute unverändert gilt) ist die fragliche Passage dann wiederum geändert und in ihrer
Anwendung weiter konkretisiert worden, indem nun betont wird, dass es ohne Bedeutung ist, ob die erbrachten Faktoren auf die
Hauptdiagnose und die Nebendiagnose oder auf mehrere Nebendiagnosen ausgerichtet sind. Hier heißt es dann wie folgt:
„Bei Patienten, bei denen einer dieser erbrachten Faktoren auf mehrere Diagnosen (entweder Hauptdiagnose und Nebendiagnose(n)
oder mehrere Nebendiagnosen) ausgerichtet ist, können alle betroffenen Diagnosen kodiert werden. Somit ist es unerheblich,
ob die therapeutische(n)/diagnostische(n) Maßnahme(n) bzw. der erhöhte Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand auch
in Bezug auf die Hauptdiagnose geboten waren.“
Im hier zu entscheidenden Fall gilt die Fassung der DKR 2011. In Bezug auf die Fassung 2013 hatte der Senat sich bereits
klar im Sinne der umfassenden Kodierbarkeit positioniert (vgl. Urteil vom 24.10.2019, L 1 KR 51/18 , juris) und dieselben Aufwände für unterschiedliche (Neben- und/oder Haupt-) Diagnosen für nebeneinander kodierbar erklärt.
Die Fassung D003i der DKR von 2011 ist im gleichen Sinn auszulegen.
Gegen diese Auslegung spricht zwar eine systematische Betrachtung der Regelung, denn die Formulierung findet sich im Kapitel
D003i unter der Überschrift „Nebendiagnosen“ und könnte damit ausschließlich auf diese gemünzt sein. Im Unterschied dazu steht
die Auslegung nach dem Wortlaut, denn bei der fraglichen Regelung findet sich nur die Formulierung „mehrere Diagnosen“ und
damit sind grds. alle Diagnoseformen, gleichgültig ob Haupt- oder Nebendiagnosen, erfasst, denn sonst hätte auch nur „Nebendiagnosen“
formuliert werden können. Die Deutschen Kodierrichtlinien enthalten in deren Anhang B–Zusammenfassung der Änderungen allerdings
zu jeder neuen Version eine Erläuterung der Änderungen. Hieraus ergibt sich für die vorliegende Fallgestaltung erkennbar der
Wunsch der Vertragspartner, bei Vertragsschluss die fragliche Formulierung in dem Sinn verstanden wissen zu wollen, dass unter
Diagnosen bereits in der Version ab 2010 beide Diagnoseformen, Haupt- und Nebendiagnose gemeint waren. Im Anhang B der DKR
2010 (derjenigen Fassung, bei der die erste erweiternde Änderung der fraglichen Passage in der D003i vorgenommen wurde) findet
sich zu D003i und dem neu angefügten fraglichen Satz keine Erläuterung. Zu der Version der DKR 2013 ist dann allerdings eine
Erläuterung aufgenommen worden. Denn im maßgeblichen Anhang B zur Version 2013 (derjenigen, bei der klar zum Ausdruck kommt,
dass zwischen Aufwänden für Haupt- und/oder Nebendiagnosen nicht unterschieden werden soll), findet sich die folgende Formulierung:
„D003i Nebendiagnosen
Klarstellung, dass Nebendiagnosen auch dann verschlüsselt werden können, wenn eine Maßnahme mehreren Diagnosen (entweder Hauptdiagnose
oder Nebendiagnose(n) oder mehrere Nebendiagnose(n)) zugeordnet werden kann. Es ist damit unerheblich, ob die therapeutische(n)/diagnostischen
Maßnahme(n) bzw. der erhöhte Betreuungs-, Pflege- und /oder Überwachungsaufwand auch in Bezug auf die Hauptdiagnose geboten
waren.“
Durch das Wort Klarstellung wird deutlich, dass die Vertragspartner dieses umfassende Verständnis der Kodierbarkeit von Nebendiagnosen
auch bereits in der Vorgängerversion der Jahre 2010 bis 2012 als vereinbart verstanden wissen wollten.
Der Sachverständige hat mehrfach betont, dass sowohl die Medikamentengabe als auch der Überwachungsaufwand sowohl durch die
Hauptdiagnose der I25.13 Atherosklerotische Herzkrankheit: Drei-Gefäß-Erkrankung als auch durch die Nebendiagnose I35.0 Aorten-klappenstenose,
wenn letztere auch nur leichtgradig vorlag, bedingt waren. Dann ist eine Kodierung der Nebendiagnose aber unabhängig davon,
dass der fragliche Aufwand auch wegen der Hauptdiagnose entstanden ist, möglich, weil er ebenso der Nebendiagnose zuzuordnen
ist. Eine klare Zuordnung der Aufwände ist dem Gutachten hingegen nicht zu entnehmen und mglw. medizinisch auch gar nicht
möglich. Bei dem dargelegten Verständnis der DKR Version 2011 ist dies aber auch nicht notwendig. Die fraglichen Faktoren
waren nach dem insoweit eindeutigen Gutachten des Sachverständigen durch beide Diagnosen/Erkrankungen des Herzens erforderlich
und wurden auch fraglos erbracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a SGG i.V.m. §
154 Abs.
1 VwGO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.