Tatbestand
Streitig ist die Gewährung einer Verletztenrente auf unbestimmte Zeit aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab dem 1. Mai
2020.
Der Kläger ist 1974 geboren und war als Stromzählermonteur beschäftigt. Am 4. Mai 2017 erlitt er bei seiner Tätigkeit einen
Starkstromunfall mit 380 Volt. Insbesondere waren die Hände betroffen. Im Durchgangsarztbericht vom selben Tage heißt es:
„Minimale oberflächliche Strommarke an der Fingerbeere des rechten Daumens, keine neurologischen Auffälligkeiten. …unauffälliger
physikalischer Befund an Herz und Lungen… internistische Untersuchung, Beratung, Indikation zur internistischen Aufnahme zur
Überwachung. Der stationäre Aufenthalt wurde durch den Patienten gegen ärztlichen Rat abgelehnt.“ Im Nachschaubericht vom
12. Juni 2017 heißt es: „Bei der heutigen Vorstellung demonstrierte Herr A. an den Finger- Akren Fotografien mit einer Durchblutungsstörung
im Sinne eines Morbus Raynaud. Bei der Untersuchung zeigten sich z. Zt. die Finger unauffällig durchblutet, der Radialis-
und Ulnarispuls ist beidseits kräftig palpabel. Weiterhin berichtet Herr A. über einen neu diagnostizierten Bluthochdruck.
Bei der Kontrolle zeigt sich erheblich erhöhter Blutdruck von 170/110 mmHg. Das Raynaud-Phänomen an den Händen wäre möglicherweise
auf den Stromunfall zurückzuführen, die arterielle Hypertonie jedoch nicht.“ Der Beratungsarzt Dr. D. führte am 16. August
2017 aus, es sei nachweislich nach der Stromexposition nicht zu einer kardialen Dekompensation gekommen. Bei der Reaktion
an den Fingern handele es sich vermutlich um einen unfallunabhängigen Morbus Raynaud. Zur Sicherheit werde die weitere Überprüfung
durch einen Neurologen empfohlen. Die Beklagte holte daraufhin ein fachärztliches neurologisches Gutachten ein, welches Dr.
A1 unter dem 2. Februar 2018 erstellte. Dieser stellte eine sensible inkomplette axonale Schädigung des nervus medianus rechts
und des nervus medialis rechts als unfallbedingten Gesundheitsschaden fest. Die MdE bewertete er mit 10 vom Hundert und empfahl
eine Kontrolle in einem Jahr.
Vom 21. Januar 2018 bis zum 26. Juli 2018 absolvierte der Kläger eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme. Im Entlassungsbericht
des Reha-Zentrums R. in B. ist vermerkt, der Kläger habe über eine herabgesetzte Sensibilität der Finger D1 bis D3 an beiden
Händen berichtet. Motorische Defizite hätten sich nicht gefunden. Die Gefühlsstörung habe sich während des stationären Aufenthalts
als behandlungsresistent erwiesen. Am 4. Dezember 2018 erstellte der Neurologe Dr. K. ein erstes Rentengutachten und kam zu
der Einschätzung, es bestünden sensible Ausfallsymptome in den Endästen des nervus medianus, ulnaris und radialis beidseits,
einhergehend mit einem Crampus-Syndrom im Bereich der Hand und der Unterarme in Verbindung mit einer symptomatischen Raynaud-Symptomatik.
Bei der Untersuchung habe sich ein sensibles Defizit im Bereich der Finger I-V beidseits ab Fingermittelgelenk dorsal und
volar gezeigt. Die Erkrankung sei auf den Stromunfall zurückzuführen, das Erstschadensbild sei mittels einer Strommarke nachweisbar.
Die Erkrankung bedinge eine MdE um 20 v.H. bis zum Ende des dritten Unfalljahres, dann solle eine Nachuntersuchung erfolgen.
Mit Bescheid vom 26. Februar 2019 erhielt der Kläger eine Rente als vorläufige Entschädigung für den Zeitraum ab 15. Oktober
2018 (erster Tag der Arbeitsfähigkeit) nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vom Hundert (V.H.). Als Folgen
des Arbeitsunfalls erkannte die Beklagte eine Störung der Sensibilität und der Feinmotorik mit zeitweiser Verkrampfung beider
Hände und Kraftminderung aller Finger beider Hände sowie zeitweiser Verkrampfung der Brustmuskulatur nach Stromunfall und
weiterer Nervenschädigungen an.
Ein kardiologisches Gutachten des Professor W. vom 10. Mai 2019 ergab, dass der bestehende Bluthochdruck des Klägers anhand
der Literatur nicht als Unfallfolge wahrscheinlich gemacht werden könne. Internistischerseits bestehe keine MdE infolge des
Unfalls.
Unter dem 6. Februar 2020 fertigte Dr. K. ein weiteres Gutachten zur Feststellung einer Dauerrente. Zusammenfassend führte
der Gutachter aus, dass die neurologischen Defizite zweifelsohne rückläufig seien und keine Muskelatrophie vorliege. Hinsichtlich
der Sensibilitätsstörungen habe der Kläger angegeben, diese breitere sich bis Mitte der Hand aus, es würden Einbußen der Oberflächensensibilität
angegeben, ebenso der Schmerz- und Temperaturempfindung und der Kalt-Warm-Empfindung. Die gesamte neurophysiologische Diagnostik
habe keine axonale oder demyelinisierende Läsion ergeben, so dass die angegebenen sensiblen Störungen sich im Rahmen der neurophysiologischen
Diagnostik nicht hätten bestätigen lassen. Beide Hände zeigten deutliche Gebrauchsspuren. Die MdE sei nunmehr mit 10 v.H.
einzuschätzen.
Mit Bescheid vom 3. März 2020 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente auf unbestimmte Zeit ab und entzog die vorläufige
Rente mit Ablauf des 30. April 2020. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 2020)
Das Sozialgericht hat auf die hiergegen erhobene Klage hin Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt und Beweis erhoben
durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens, welches der Chirurg und Unfallchirurg Dr. T. am 1. Oktober
2020 nach Aktenlage erstattet hat. Dr. T. ist zu dem Ergebnis gekommen, dass als Gesundheitsstörung bei dem Kläger infolge
des Unfallereignisses eine minimale Strommarke an der Fingerbeere des rechten Daumens ohne Zeichen einer darüber hinausgehenden
systemischen Schädigung nach Einwirkung von Strom vorliege. Insbesondere im Notfallbericht des Klinikums A2 sei darauf hingewiesen
worden, dass weder eine neurologische Ausfallsymptomatik noch eine kardiale Problematik aufgetreten sei. Bei der Vorstellung
bei Dr. F. am 12. Juni 2017 sei der Kläger beschwerdefrei gewesen. Die vom Kläger beklagten Gesundheitsstörungen wie Empfindungsstörungen,
attackenartige Durchblutungsstörungen und ein Crampus Syndrom im Sinne plötzlich auftretender Krämpfe in umschriebenen Muskelgruppen
seien in der Literatur nicht als Folgen einer Stromeinwirkung benannt. Für das Raynaud Syndroms gelte, dass dessen Pathogenese
nicht vollständig geklärt sei, es liege aber in den meisten Fällen eine Fehlregulation durch den sympathischen Teil des autonomen
Nervensystems zu Grunde. Bereits hierdurch werde deutlich, dass ein wissenschaftlicher Zusammenhang zwischen dieser Erkrankung
und einer Stromexposition nicht herstellbar sei. Eine MdE sei seit 1. April 2020 nicht mehr feststellbar.
Mit Gerichtsbescheid vom 4. Januar 2021 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich im Wesentlichen dem Gutachten
des Dr. K. angeschlossen. Ob es sich bei dem bei dem Kläger wohl vorliegenden Raynaud Syndrom um eine Unfallfolge handele,
könne dahinstehen, denn eine rentenberechtigende MdE werde durch die Funktionseinschränkung nicht mehr begründet.
Der in T. ansässige Kläger hat gegen den am 7. Januar 2021 zugestellten Gerichtsbescheid am 19. Februar 2021 Berufung eingelegt,
mit welcher er sinngemäß unter Bezugnahme auf das Elfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) rügt, er sei nicht in seinem Wohnbereich
untersucht worden. Auch seien die Gutachten, welche ihm eine MdE von 20 v.H. bescheinigt hätten, im November 2020 bestätigt
worden. Seine Version des Gutachtens des Dr. A1 von 2018 weise im Übrigen eine MdE von 20 v.H. aus.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 4. Januar 2021 und den Bescheid der Beklagten vom 3. März 2020 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juni 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Verletztenrente
aufgrund des Unfallereignisses vom 4. Mai 2017 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und trägt ergänzend vor, dass als Folge der Einwirkungen durch elektrischen
Strom zunächst kardiale Erkrankungen wie Herzrhythmusstörungen und Herzkammerflimmern in der Literatur genannt werden. Jedoch
sei beim Kläger der Befund an Herz und Lunge nach dem Unfall unauffällig gewesen. Auch eine neurologische Symptomatik in unmittelbarem
zeitlichen Zusammenhang mit dem Ereignis sei nicht dokumentiert. Dr. A1 sei zu den unterschiedlichen MdE-Bewertungen befragt
worden, habe sich aber nicht geäußert, deshalb sei ein weiteres Gutachten des Dr. K. eingeholt worden, welchem man ja seinerzeit
auch gefolgt sei.
Der Kläger hat einen Befundbericht der Universitätsklinik R. vom 29. März 2021 vorgelegt, in welchem ausgeführt ist, der behandelnde
Orthopäde des Klägers habe im November 2020 ein Ganglion im Bereich des linken Handgelenks diagnostiziert, dieser Verdacht
habe sich jedoch nicht bestätigt, es handele sich vielmehr um eine Gefäßfehlbildung im Sinne eines Lymphangioms.
Der Senat hat daraufhin eine ergänzende Stellungnahme des Dr. T. eingeholt, welcher am 27. Mai 2021 ausgeführt hat, die Befunde
der Universitätsklinik R. sprächen für ein Ganglion und den Verdacht auf eine Gefäßanomalie, dies seien Gesundheitsschäden,
welche keine Unfallfolgen darstellten. Die im Gutachten getroffenen Aussagen hätten daher unverändert Gültigkeit.
Durch Beschluss vom 14. Juni 2021 hat der Senat die Berufung der Berichterstatterin zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen
Richtern übertragen.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der
ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 22. September 2021 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten und
Unterlagen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts, über die die Berichterstatterin zusammen mit den ehrenamtlichen
Richtern an Stelle des Senats entscheiden konnte (§ 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz – SGG –), ist nach §§ 143, 144 SGG statthaft
und zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.
Sie ist jedoch unbegründet. Zu Recht und mit der zutreffenden Begründung, auf die nach eigener Überprüfung der Sach- und Rechtslage
gemäß § 153 Abs. 2 SGG unter Absehen einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, hat das Sozialgericht
die Klage abgewiesen. Lediglich ergänzend sei darauf hingewiesen, dass vorliegend nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit
festzustellen ist, dass der beim Kläger vorrangig bestehende Morbus Raynaud auf das Unfallereignis zurückzuführen ist. Zwar
ist hierfür kein Vollbeweis erforderlich, denn mit diesem sind lediglich die tatsächlichen Grundlagen der Kausalzusammenhänge,
also zum einen diejenigen Tatsachen, aus denen sich der Zurechnungszusammenhang zwischen der schadenstiftenden Verrichtung
bzw. der schädigenden Einwirkung und der versicherten Tätigkeit ergibt, und zum anderen die schädigende Einwirkung und schließlich
der Gesundheits(erst)schaden bzw. die Krankheit festzustellen. Jedoch ist auch für den Ursachenzusammenhang zwischen Krankheit
und schädigendem Ereignis wenigstens eine hinreichende Wahrscheinlichkeit zu fordern, es müssen also mehr Gesichtspunkte für
einen ursächlichen Zusammenhang sprechen als dagegen, wobei die bloße Möglichkeit allerdings nicht genügt.
Wie die Beklagte zu recht vorträgt, werden allgemein als Folgen von Stromschlägen im Niederstrombereich bis 1000 Volt in der
Literatur Atemstörungen, Herzrhythmusstörungen und Verbrennungen, nicht jedoch ein Morbus Raynaud oder ein Crampus-Syndrom
benannt. Zugleich ist die Genese des Morbus Raynaud weitgehend ungeklärt. Insoweit wird Bezug genommen auf die Ausführungen
des Gutachters Dr. T., die nachvollziehbar und schlüssig sind und denen sich der Senat in vollem Umfang anschließt. Dr. T.
durfte sein Gutachten auch auf Anforderung des Gerichts nach Aktenlage erstellen, nachdem die gesundheitlichen Beeinträchtigungen
des Klägers feststanden. Die vom Kläger genannte Vorschrift aus dem Bereich der sozialen Pflegeversicherung folgt den Besonderheiten
dieses Rechtsgebietes, welches eine Begutachtung in der Häuslichkeit der pflegebedürftigen Person in aller Regel notwendig
macht und welche auf die gesetzliche Unfallversicherung nicht übertragbar ist. Dass möglicherweise weder die Folgen von Stromunfällen
noch die Genese des Morbus Raynaud bislang vollständig wissenschaftlich aufgearbeitet und geklärt sind, kann der Berufung
nicht zum Erfolg verhelfen, denn die bloße Möglichkeit eines Ursachenzusammenhanges genügt, wie dargelegt, nicht. Davon, dass
wenigstens eine überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhanges besteht, vermochte sich der Senat auch in Anbetracht
der insoweit fehlenden Bestätigung durch die im Verfahren gehörten medizinischen Sachverständigen nicht überzeugen, wobei
auch der Senat hierbei das Gutachten des DR. A1 aus dem Jahre 2018 außer Betracht lassen konnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des
§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.