Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Vergleichs zum Abschluss des Verfahrens vor dem beklagten Beschwerdeausschuss.
Der Kläger nimmt seit 1984 mit einer hausärztlichen Einzelpraxis in Darmstadt an der vertragsärztlichen Versorgung teil.
Mit Schreiben vom 1. November 2010 teilte die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in Hessen (im Folgenden: Prüfungsstelle)
dem Kläger die Eröffnung eines Verfahrens der Wirtschaftlichkeitsprüfung bezogen auf einzelne Leistungsbereiche für die Quartale
I/2007 bis IV/2007 mit (Bl. 124 der Verwaltungsakte). Sie forderte den Kläger zu einer substantiierten Stellungnahme auf,
worauf der Kläger nicht reagierte. Mit Bescheid vom 20.Juni 2011 (Bl. 152 der Verwaltungsakte), korrigiert durch Schreiben
vom 19. August 2011 (Bl. 160 der Verwaltungsakte) setzte die Prüfungsstelle hinsichtlich der Quartale I/2007 bis IV/2007 Honorarabänderungen
in Höhe von 34,50 Euro (I/2007), 52,70 Euro (II/2007), 45,00 Euro (III/2007) bzw. 68,70 Euro (IV/2007) pro Fall gegen ihn
fest, insgesamt 93.528,90 Euro brutto.
Hiergegen erhob der Kläger am 18. Juli 2011 Widerspruch (Bl. 153 der Verwaltungsakte), den er knapp begründete und mit Schreiben
vom 14. August 2011 (Bl. 170 der Verwaltungsakte) und vom 15. Januar 2012 (Bl. 204 der Verwaltungsakte) und weiteren undatiert
übersandten Unterlagen (Bl. 213 der Verwaltungsakte) vertiefend ergänzte.
Mit Faxschreiben vom 27. Februar 2012 (Bl. 216 der Verwaltungsakte), beim Beklagten eingegangen am 28. Februar 2012, führte
der Kläger aus:
"Hiermit bestätige ich Ihnen meine Teilnahme an der Anhörung am 29.02.2012. Herr C. von der KV Darmstadt, Pallaswiesenstraße
174 hat mir geraten einen Rechtsanwalt mitzubringen deshalb werde ich Herrn D. mitbringen.
VOLLMACHT
Hiermit erteile ich Herrn D. die Vollmacht mich als Rechtsbeistand Zu begleiten bei der persönlichen Anhörung in der nicht-öffentlichen
Sitzung des Beschwerdeausschusses der Ärzte und Krankenkassen in Hessen am Mittwoch den 29.02.2012 um 15:30 Uhr im Sitzungszimmer
1.03 der KV Hessen." [Anm.: Orthographie aus Original unverändert übernommen].
An der Sitzung des Beklagten am 29. Februar 2012 nahmen der Kläger persönlich sowie Herr Rechtsanwalt D. teil. In der vom
Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses und dem Schriftführer unterzeichneten Niederschrift über diese Sitzung (Bl. 217 der
Verwaltungsakte) wurde u. a. Folgendes protokolliert:
"Im Einvernehmen aller Beteiligten wird folgende einvernehmliche Regelung getroffen:
1. In Abweichung des Bescheides der Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Hessen - Kammer Süd - vom 20.06.2011, korrigiert
am 19.08.2011, verpflichtet sich Doktor A. für die Quartale I/07 bis IV/07 ein Honorarregressbetrag in Höhe von netto 20.000,00
EUR (zwanzigtausend Euro) zu bezahlen.
2. Es wird eine Ratenzahlung in 8 Teilraten à 2.500,00 EUR (zweitausendfünfhundert Euro) zugestanden. Die erste Rate in Höhe
von 2.000,00 EUR netto soll mit der Restzahlung für das 2. Quartal 2012 verrechnet werden.
3. Es besteht Einvernehmen darüber, dass außergerichtliche Kosten - insbesondere Anwaltskosten - nicht erstattet werden.
4. Es besteht Einvernehmen darüber, dass hiermit die gesamten im Rahmen des Widerspruchsverfahrens und der Honorarabrechnung
2007 offenen Beträge abgegolten sind.
Laut vorgelesen und genehmigt."
Die Sitzungsniederschrift übersandte der Beklagte mit Schreiben 16. März 2012 an Rechtsanwalt D. (Bl. 220 der Verwaltungsakte).
Mit Schreiben vom 15. August 2012 (Bl. 235 der Verwaltungsakte), eingegangen beim Beklagten am 18. August 2012, rügte der
Kläger, dass ihm weder die Niederschrift über die Sitzung vom 29. Februar 2012 übersandt worden sei noch konkrete Angaben
erfolgt seien, weswegen der Regress durchgeführt werde bzw. die Absprache erfolgt sei. Rechtsanwalt D. habe kein Mandat gehabt,
ihn zu vertreten, sondern sei als Zeuge der Qualität und der mangelnden Validität des Prüfungsverfahrens zu mündlichen Verhandlung
erschienen. Er führte weiter aus, dass er den Regressbetrag von 20.000 Euro für das Jahr 2007 für überzogen halte.
Mit Schreiben vom 24. Oktober 2013 (Bl. 239 der Verwaltungsakte) teilte die Beigeladene zu 1) dem Kläger mit, dass Rechtsanwalt
D. über die Entscheidung des Beklagten vom 29. Februar 2012 informiert worden sei. Für die Quartale I/2007 bis IV/2007 sei
ein Kürzungsbetrag in Höhe von insgesamt 20.000 Euro netto festgesetzt, verbunden mit der Vereinbarung, dass der Betrag über
acht Quartale zu je 2.500 Euro zu erstatten sei. Sie werde das Honorarkonto des Klägers mit ersten Rate im Quartal III/2013
belasten.
Mit Schreiben, das sowohl auf den 4. November 2013 als auch auf den 7. November 2013 datiert ist (Bl. 243 der Verwaltungsakte),
kritisierte der Kläger die kassenärztliche Vereinigung und die Krankenkassen. Wörtlich heißt es im Schreiben: "Hiermit widerspreche
ich erneut diesen Prüfungs- und Schlichtungsbeschlüssen und der Durchführung für die Quartale 1-4 für 2007 und 2008." Er führt
sodann im Einzelnen zu den von ihm erbrachten Leistungen im vorgenannten Zeitraum und zu weiteren Verfahren aus.
Mit Schreiben vom 14. November 2013 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass er in der Sitzung im Beisein einer rechtskundigen
Person der Honorarkürzung zugestimmt habe, und übersandte eine Ausfertigung der Sitzungsniederschrift.
Mit Schreiben vom 21. Oktober 2014 (Bl. 15 des Ergänzungsbandes der Verwaltungsakte) wies der Kläger den Beklagten darauf
hin, dass das Verfahren nicht einvernehmlich durchgeführt worden sei. Sein Rechtsanwalt sei von ihm nur als Zeuge hinzugezogen
worden und nicht als "Verteidiger"; dieser habe am Ende der Sitzung auf die Bitte des "Richters" am Ende der Verhandlung sich
zu äußern auch ganz deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er sich sehr wundere, über das Verfahren, wie es in Deutschland wohl
durchgeführt werde. Erst am 14. November 2013 habe er den Beschluss des "Schlichtungsausschusses" auf wiederholte Mahnung
erhalten. Durch die Verzögerung sei sein Konto völlig fehlbelastet worden, so dass er nochmals Widerspruch einlege. Ihm sei
jetzt klar geworden, dass der "Richter" mit seiner Fehlaussage, es würde teurer werden, wenn er dieser 2000,00 Euro-Kürzung
nicht zustimme, ihn wirkungsvoll genötigt habe, das heißt, ihn mit einer Fehldarstellung, der er Vertrauen geschenkt habe,
ihn betrogen habe. Der Beschluss vom 29. Februar 2012 müsse daher ungültig erklärt werden. Mit Schreiben vom 16. Januar 2015
(Bl. 27 des Ergänzungsbandes der Verwaltungsakte) wiederholte der Kläger sein Begehren und führte unter Bezugnahme auf die
mit übersandten Anlagen näher zu den von ihm erbrachten Leistungen, gesundheitspolitischen Aspekten und weiteren Themen aus.
In der Sitzung am 29. April 2015, an der der Kläger persönlich teilnahm, erklärte der Kläger unter anderem, dass er Rechtsanwalt
D. nur als Rechtsbeistand zu Begleitung im Termin am 29. Februar 2012 Vollmacht erteilt habe und ihm der Vorsitzende in der
damaligen Sitzung, in der der Vergleich geschlossen worden sei, eine höhere Honorarkürzung in Aussicht gestellt habe, falls
es nicht zum Vergleichsabschluss käme. Diese Aussage sei falsch gewesen. Deshalb akzeptiere er die einvernehmliche Regelung
nicht.
Mit Beschluss vom 29. April 2015 (Bl. 36 des Ergänzungsbandes der Verwaltungsakte), ausgefertigt am 22. September 2015 (Bl.
50-55 des Ergänzungsbandes der Verwaltungsakte), stellte der Beklagte fest, dass das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid
der Prüfungsstelle vom 20. Juni 2011, korrigiert am 19. August 2011, durch die in der Sitzung am 29. Februar 2012 vereinbarte
einvernehmliche Regelung abgeschlossen worden sei; soweit der Widerspruch aufrechterhalten werde, werde er zurückgewiesen.
Das Verfahren über den Widerspruch vom 17. Juli 2011 sei durch die in der Sitzung vom 29. Februar 2012 getroffene Regelung
erledigt. Die formalen Voraussetzungen des § 54 SGB X für eine wirksame Vereinbarung seien erfüllt. Mit der Regelung sei in zulässiger Weise ein Sachverhalt, über dessen Ausgang
Ungewissheit bestanden habe, zum Zeitpunkt des erzielten Einvernehmens einer abschließenden Klärung zugeführt worden. Die
Regelung sei wirksam, es sei unerheblich, wann die Niederschrift über die Sitzung vom 29. Februar 2012 dem Kläger übersandt
worden sei. Seine Geschäftsstelle sei auch berechtigt gewesen, die Niederschrift dem bevollmächtigten Rechtsanwalt zu übersenden;
dies ergebe sich aus entsprechender Anwendung von §§ 13, 37 SGB X, es gebe auch keine ausdrückliche Beschränkung des Umfangs der Bevollmächtigung. Nichtigkeitsgründe i. S. v. § 58 SGB X lägen nicht vor, auch sei die getroffene einvernehmliche Regelung nicht wegen eines möglichen Irrtums über die Vergleichsgrundlage,
wegen Willensmängeln oder wegen Täuschung oder Drohung nichtig. Der Kläger habe sich allenfalls in einem unbeachtlichen Motivirrtum
befunden.
Am 20. Oktober 2015 hat der Kläger beim Sozialgericht Marburg Klage erhoben.
Der Kläger hat den streitgegenständlichen Beschluss für unrechtmäßig gehalten, weil sich die seinerzeitige Bevollmächtigung
des Rechtsanwalts D. lediglich auf dessen Mitbringen durch ihn - den Kläger - in den Sitzungstermin bezogen habe. Es habe
auch kein Einvernehmen vorgelegen. Er hat sich weiter gegen die Zustellung der Niederschrift über den Vergleichsabschluss
in der Sitzung des Beklagten am 29. Februar 2012 an seinen seinerzeitigen Rechtsanwalt anstatt an ihn selbst gewandt.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass der Vergleich wirksam zu Stande gekommen und nicht durch Anfechtung nichtig
sei. Des Weiteren komme es nicht auf die Unvoreingenommenheit seines Vorsitzenden an.
Die Beigeladene zu 1) hat sich den Ausführungen des Beklagten angeschlossen.
Mit Gerichtsbescheid vom 3. April 2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Weil der Kläger keinen Antrag gestellt
habe, sei sein Begehen nach §
123 SGG auszulegen, danach begehre er die Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 22. September 2015 auf den Beschluss vom 29.
April 2015 und die Verpflichtung des Beklagten, seinen Widerspruch vom 18. Juli 2011 neu zu bescheiden.
Diese Klage sei zulässig, aber unbegründet. Dem Beschwerdeausschuss komme neben der Entscheidungskompetenz in den jeweiligen
materiell-rechtlichen Fragen als Annexkompetenz zum einen auch die Berechtigung zu, vergleichsweise Einigungen zur Beendigung
des Verfahrens zu treffen. Zum anderen habe er die Kompetenz, prozessuale (Vor-)Fragen im Beschlusswege zu entscheiden, so
etwa über die Zulässigkeit des jeweiligen Widerspruchs oder - wie vorliegend - die Feststellung zu treffen, dass ein Verfahren
seine Erledigung gefunden hat. Die vorliegende Feststellung des Beschwerdeausschusses sei auch inhaltlich nicht zu beanstanden.
Denn die das Verwaltungsverfahren beendende Vereinbarung zwischen dem Beklagten und dem Kläger sei rechtswirksam und nicht
durch die vom Kläger erhobene Anfechtung seiner Willenserklärung rückwirkend unwirksam geworden. Vorliegend sei der Kläger
keinem Inhalts-, sondern einem unbeachtlichen Motivirrtum unterlegen. Es liege auch keine arglistige Täuschung durch den Beklagten
vor. Hierbei könne als wahr unterstellt werden, was der Kläger in der Sitzung vom 29. April 2015 ausgeführt habe, nämlich,
dass der Vorsitzende des Beklagten ihm seinerzeit in der Sitzung des Vergleichsabschlusses mitgeteilt habe, er würde ohne
Vergleich mit einer höheren Honorarkürzung zu rechnen habe. Es lasse sich nämlich keinerlei Feststellung darüber treffen,
ob diese Aussage, bei der es sich im Übrigen erkennbar um eine prognostische Einschätzung des Vorsitzenden gehandelt habe,
falsch gewesen sei oder nicht. Dem beklagten Gremium komme nach allgemeiner Auffassung ein besonders weiter Beurteilungsspielraum
bei der Festsetzung von Regressbeträgen zu (vgl. statt vieler: Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 28.11.2007, L 6/7
KA 624/03). Dass die Kassenärztliche Vereinigung Hessen, also die Beigeladene zu 1), eine andere Prognose der zu erwartenden
Regresssumme getroffen habe, wie der Kläger mitgeteilt habe, stehe ihr frei, sei aber allenfalls als Meinungsäußerung dieser
Körperschaft zu werten.
Auch der weitere Vortrag hinsichtlich der Einbeziehung des Rechtsanwalts D. in das Verwaltungsverfahren ändere an diesem Ergebnis
nichts. Dies gelte zunächst für seine Teilnahme an der Sitzung. Es komme dabei vorliegend nicht auf die Frage an, inwieweit
das als Vollmacht bezeichnete Schreiben vom 27. Februar 2012 dem Juristen eine Vertretungsmacht für den Kläger einräume. Letztgenannter
selbst habe nämlich entweder die entsprechende Willenserklärung abgegeben oder müsse sich die Abgabe der Willenserklärung
durch den Rechtsanwalt in seinem Namen zurechnen lassen. Wie aus dem Protokoll der Sitzung nämlich ersichtlich sei, habe sich
der Kläger selbst in die Diskussion eingebracht. Der Vorsitzende habe im Verlauf der Sitzung die einvernehmliche Regelung
vorgelesen und diese sei entweder, was aus dem Protokoll nicht hervorgehe, vom Kläger, vom Rechtsanwalt oder von beiden genehmigt
worden. Weitere Ermittlungen in dieser Hinsicht seien aber nicht erforderlich. Denn falls der Kläger selbst die Genehmigung
entäußert habe, komme der Anwesenheit des Rechtsanwalts im Hinblick auf die Abgabe der Willenserklärung keine weitergehende
rechtliche Bedeutung zu, ohne dass dies näherer Erläuterungen bedürfe. Falls hingegen der Rechtsanwalt in Anwesenheit des
Klägers allein die Genehmigung geäußert habe, liege entweder ein Fall der unmittelbaren Bevollmächtigung durch das Schreiben
27. Februar 2012 oder ein Fall der konkludenten Bevollmächtigung durch das Schreiben in Verbindung mit dem Erscheinen, gemeinsam
mit dem Rechtsanwalt in der Sitzung, oder ein Fall der Duldungsvollmacht vor. In allen drei Fällen sei die Abgabe der Willenserklärung
im Namen des Klägers erfolgt.
Es entspreche nach zivilrechtlichen Grundsätzen, die hier Anwendung fänden (vgl. etwa OVG Münster, Beschluss vom 09.07.2003,
18 B 2172/02), der allgemeinen Auffassung, dass Willenserklärungen von vermeintlichen Bevollmächtigten ohne tatsächliche Vertretungsbefugnis
den scheinbaren Vollmachtgeber rechtlich binden. Es handele sich um einen Fall der Vertrauenshaftung, die ihre Grundlage in
§
242 BGB, also dem Grundsatz von Treu und Glauben, habe (BeckOK BGB/Schäfer
BGB §
167 Rn. 14, beck-online). Der hier vorliegende Unterfall der Duldungsvollmacht liege vor, wenn der Vertretene das Auftreten des
unbefugten Dritten als Vertreter wissentlich geschehen lasse und der Geschäftsgegner diese Duldung dahin verstehe und nach
Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte auch dahin werten dürfe, dass der Handelnde Vollmacht habe (BeckOK
BGB/Schäfer
BGB §
167 Rn. 15, beck-online, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des BGH). Im Gegensatz zu Anscheinsvollmacht könne
schon ein einmaliges Gewährenlassen durch den vermeintlichen Vollmachtgeber die Duldungsvollmacht begründen, wenn das Dulden
wissentlich geschehe (OLG Frankfurt, Beschluss vom 10.05.2005, 9 U 73/05, OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.04.2013, I-5 U 127/12). Gerade dies sei vorliegend der Fall. Denn der Kläger habe anhand des Verlaufs der Sitzung erkennen müssen, dass eine rechtsverbindliche
Vereinbarung zwischen ihm und dem Beklagten geschlossen werde und habe diesen Ablauf wissentlich geschehen lassen.
Gegen den ihm am 5. April 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 2. Mai 2017 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht
eingelegt.
Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, nur vordergründig und formal gehe es um die Wirkung der protokollierten Vereinbarung
des Beschwerdeausschusses vom 29. Februar 2012. Die Ausführungen zur Irrtumsanfechtung in der erstinstanzlichen Entscheidung
setze jedoch voraus, dass es in der Sitzung des Beklagten vom 29. Februar 2012 überhaupt zu einem abschließend regelnden Vergleich
mit Bindungswirkung auch für ihn - den Kläger - gekommen sei. Dies sei nicht der Fall. Der Beklagte selbst habe der Vereinbarung
vom 29. Februar 2012 keine abschließende und bindende Regelung beigemessen, denn anders sei das Schreiben des Beklagten vom
16. März 2012 nicht zu verstehen, in dem es unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Verhandlung am 29. Februar 2012 heiße,
dass es ihm - dem Kläger - anheimgestellt bzw. ihm die Gelegenheit gegeben werde, das Verhandlungsergebnis unter Verzicht
auf die förmliche Zustellung eines Bescheides als verbindlich anzuerkennen. Eine Genehmigung habe er jedoch nicht erteilt,
vielmehr habe er fristwahrend gegen den Bescheid vom 20. Juni 2011 am 18. Juli 2011 Widerspruch eingelegt. Es fehle an einem
formalen Verfahrensabschluss. Auf die Anwesenheit eines anwaltlichen Bevollmächtigten könne es in diesem Zusammenhang nicht
ankommen. Ebensowenig auf die Frage der Anfechtung, da schon keine verbindliche Erklärung abgegeben worden sei, es vielmehr
noch seiner Genehmigung bedurft habe, die zu keinem Zeitpunkt erteilt worden sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 3. April 2017 und den Bescheid des Beklagten vom 22. September 2015 aufzuheben
und festzustellen, dass das Verfahren über den Widerspruch gegen den Bescheid der Prüfungsstelle Ärzte und Krankenkassen in
Hessen vom 20. Juni 2011, korrigiert durch Bescheid vom 19. August 2011, nicht durch den Vergleich vom 29. Februar 2012 erledigt
worden ist.
Der Beklagte beantragt,
1. Den Rechtsstreit zu vertagen, hilfsweise
2. die Berufung zurückzuweisen,
3. Für den Fall des Unterliegens die Revision zuzulassen.
Er trägt vor, dass die Vereinbarung nicht durch Anfechtung unwirksam geworden sei. Es bedürfe auch bei einer vergleichsweisen
Beendigung des Widerspruchsverfahrens keines Bescheides. Er habe eine Annexkompetenz zu vergleichsweisen Einigungen und zur
Entscheidung über prozessuale Fragen im Beschlusswege. § 22 Abs. 4 Prüfvereinbarung regele, dass die Beteiligten über die
anderweitige Erledigung des Widerspruchsverfahrens eine formlose Nachricht erhielten. Bei dem Schreiben vom 16. März 2012
handele es sich um ein Begleitschreiben zur Versendung der Niederschrift über die vergleichsweise Einigung in der Sitzung
am 29. Februar 2012. Bei der Verwendung des standardmäßigen Textes handele es sich um ein redaktionelles Versehen, der Text
habe keine Geltung für eine Erledigung des Verfahrens durch eine einvernehmliche Regelung und sei nur versehentlich verwendet
worden, hieraus könne keine Verpflichtung hergeleitet werden, im Falle einer vergleichsweisen Einigung einen Bescheid zu erstellen.
Der Inhalt des Vergleiches sei nach der Niederschrift über die Sitzung am 29. Februar 2012 genehmigt worden.
Die Beigeladenen stellen keine Anträge.
Die Beigeladene zu 1) schließt sich den Ausführungen des Beklagten an.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf die Gerichts- und die Verwaltungsakten des Beklagten, die Gegenstand
der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Auch dem Vertagungsantrag des Beklagten war nicht stattzugeben. Eine Vertagung zur ausreichenden Gewährung rechtlichen Gehörs
und zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung ist geboten, wenn anzunehmen ist, dass dem auf Vertagung antragenden Beteiligten
infolge unterbliebener Vertagung die Möglichkeit abgeschnitten wird, sich sachgemäß und erschöpfend zu äußern, weil er im
Termin mit einer Tatsachen- oder Rechtsfrage konfrontiert wird, mit der er nicht zu rechnen brauchte und sich nicht "aus dem
Stand" auseinanderzusetzen vermag. Es reicht aber nicht aus, dass - wie hier die Frage der Formnichtigkeit des Vergleichsvertrags
im Verfahren vor dem Sozialgericht - ein bestimmter Gesichtspunkt im unmittelbar vorangehenden Verfahren nicht angesprochen
worden ist. Vielmehr kommt es darauf an, ob der Beteiligte auch aufgrund sonstiger naheliegender Erkenntnisquellen nicht auf
den Gedanken kommen konnte, dass es darauf ankommen würde (BSG, Beschluss vom 27. September 2011 - B 4 AS 42/11 B -, Rn. 10, juris; BSG, Beschluss vom 11. Oktober 2006 - B 9a VJ 4/06 B). Dies war hier nicht der Fall, denn zunächst handelt es sich bei der Frage
der Formnichtigkeit des Vergleichsvertrags im vorliegenden Fall um eine reine Rechtsfrage; der ihr zugrundeliegende Sachverhalt
war ausführlich bereits Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens. Und des Weiteren hat der Beklagte selbst im angefochtenen
Beschluss sich mit den formalen Erfordernissen von § 58 SGB X auseinandergesetzt, so dass bereits bei der Lektüre der zur Überprüfung anstehenden Entscheidung der Gedanke der Prüfung
der Formnichtigkeit naheliegt.
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.
Die Klage ist begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 22. September 2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen
Rechten, denn das Beschwerdeverfahren gegen den Bescheid der Prüfungsstelle Ärzte und Krankenkassen in Hessen (Prüfungsstelle)
vom 20. Juni 2011, korrigiert durch Bescheid vom 19. August 2011, ist nicht durch den Vergleich vom 29. Februar 2012 erledigt
worden. Der Vergleichsvertrag vom 29. Februar 2012 ist nichtig.
Das Verfahren über den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid der Prüfungsstelle vom 20. Juni 2011 ist entgegen der Auffassung
des Beklagten nicht durch den Vergleich in der Sitzung des Beklagten vom 29. Februar 2012 erledigt worden.
Der in der Sitzung des Beklagten vom 29. Februar 2012 geschlossene Vergleich stellt einen öffentlich-rechtlichen Vertrag im
Sinne von § 53 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - dar, wonach ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts
durch Vertrag begründet, geändert oder aufgehoben werden kann (öffentlich-rechtlicher Vertrag), soweit Rechtsvorschriften
nicht entgegenstehen (Satz 1). Insbesondere kann die Behörde, anstatt einen Verwaltungsakt zu erlassen, einen öffentlich-rechtlichen
Vertrag mit demjenigen schließen, an den sie sonst den Verwaltungsakt richtet (Satz 2).
Damit durfte der Beklagte statt durch Verwaltungsakt zu handeln mit dem Kläger einen Vertrag schließen, er war insbesondere
berechtigt, einen Vergleichsvertrag i. S. v. § 54 Abs. 1 SGB X abzuschließen. Danach kann ein öffentlich-rechtlicher Vertrag im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 2 SGB X, durch den eine bei verständiger Würdigung des Sachverhalts oder der Rechtslage bestehende Ungewissheit durch gegenseitiges
nachgeben beseitigt wird (Vergleich), geschlossen werden, wenn die Behörde den Abschluss des Vergleichs zur Beseitigung der
Ungewissheit nach pflichtgemäßem Ermessen für zweckmäßig hält.
Nachdem die Schriftform vertraglich nicht abdingbar ist (Nielsson in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 56 SGB X [Stand: 1. Dezember 2017], Rn. 83), konnten die Beteiligten auf das Formerfordernis auch nicht anderweitig verzichten; hierfür
bestehen im Übrigen auch keine Anhaltspunkte.