Verfahren nach § 7a SGB IV sowie Betriebsprüfungen nach §§ 28p und 28q SGB IV
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner gegen einen
Beitragsbescheid erhobenen Klage.
Die Antragsgegnerin führte vom 01.07.2019 bis 23.06.2020 bei dem Antragsgegner eine Betriebsprüfung gemäß § 28p Abs. 1 für
den Zeitraum 01.01.2015 bis 31.12.2018 durch. Mit Schreiben vom 30.03.2010 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zur
der beabsichtigten Entscheidung an, eine abhängige Beschäftigung der Frau M. Sch. festzustellen und Sozialversicherungsbeiträge
in einer Gesamthöhe von 31.304,88 € nachzufordern.
Hierauf erfolgte unter dem 21.04.2020 eine Stellungnahme durch den vom Antragsteller beauftragten Steuerberater T. A. unter
Vorlage einer Vollmacht für das Betriebsprüfungsverfahren.
Mit Bescheid vom 23.06.2020 stellte die Antragsgegnerin fest, dass Frau M. Sch. im Zeitraum vom 01.01.2015 bis 31.12.2018
in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zu dem Antragsteller stand. Mit weiterem Bescheid vom gleichen Tag forderte die
Antragsgegnerin eine Nachzahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 31.304,88 €.
Mit Schreiben vom 15.07.2020 wurde hiergegen Widerspruch eingelegt. Das Schreiben ist auf einem Briefbogen des Steuerberaters
T. A. verfasst und benennt diesen unterhalb der Datumsangabe als Sachbearbeiter. Am Ende des Dokuments steht der Text „A.
Steuerberater“, darüber die Unterschrift „i.A. S.“. Eingangs des Schreibens findet sich die Formulierung: „… namens und im
Auftrag unseres o.g. Mandanten legen wir gegen Ihren Bericht bzw. Bescheid des Datums 23.06.2020 über die durchgeführte Prüfung
… Einspruch ein und beantragen die Aussetzung der Vollziehung.“ Zur Begründung wurde zunächst in formeller Hinsicht geltend
gemacht, dass der Bescheid erst am 15.07.2020 wirksam bekanntgegeben worden sei. Eine Übersendung sei nicht an den Bevollmächtigte,
sondern nur an den Antragsteller persönlich erfolgt, welcher den Bescheid erst heute vorgelegt habe. Weiter wurde auf die
Ausführungen im Schreiben vom 21.04.2020 Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 16.07.2020 bat die Antragsgegnerin den Steuerberater A. um Klarstellung, gegen welchen der Bescheide vom
23.06.2020 sich der Widerspruch richte. Weiter wurde um Vorlage einer neuen Vollmacht gebeten, da die Betriebsprüfung mit
Erteilung der Bescheide vom 23.06.2020 abgeschlossen sei.
Nach einer telefonischen Rücksprache wurde mit Schreiben vom 23.07.2020, eingegangen am 24.07.2020, klargestellt, dass sich
der Einspruch gegen beide Bescheide richte. Weiter wurde eine umfassende Vollmacht für den Steuerberater T. A. in Bezug auf
„alle Angelegenheit der Sozialversicherung“ vorgelegt, welche sich ausdrücklich auch auf das Einlegen von Rechtsbehelfen bezog.
Auch dieses Schreiben war mit „i.A. S.“ unterzeichnet. Gleiches gilt für ein weiteres am 28.07.2020 eingegangenes Schreiben
vom 24.07.2020, mit welchem die Beschwerde vertiefend begründet wurde.
Unter dem 20.08.2020 wies die Antragsgegnerin den Steuerberater A. darauf hin, dass der Widerspruch nicht rechtswirksam eingelegt
und auch kein rechtswirksamer Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt worden sei. Das Schreiben vom 15.07.2020 sei
von der Sachbearbeiterin Frau S. „im Auftrage“ unterschrieben worden. Somit sei das Schreiben nicht von einem entsprechend
bevollmächtigten Steuerberater unterzeichnet. Dies sei berufsrechtlich unzulässig. Gemäß § 57 Abs. 1 StBerG hätten Steuerberater ihren Beruf u.a. „eigenverantwortlich“ d.h. höchstpersönlich auszuüben. Daher müssten Steuerberater
oder Steuerbevollmächtigte Widersprüche selbst unterschreiben. Lasse es der Berater zu, dass ein Mitarbeiter, der nicht Steuerberater
oder Steuerbevollmächtigter sei, solche Schreiben unterzeichne, verstoße der Berater gegen seine Pflicht zur eigenverantwortlichen
Berufsausübung (LG Hannover, Urteil vom 11.11.2013, 44 StL 8/13; LG Bremen, Urteil vom 27.05.2014, StL 1/12).
Der Steuerberater A. nahm hierzu mit Schreiben vom 24.08.2020 Stellung, welches von ihm persönlich unterzeichnet war. Er teile
die von der Antragsgegnerin dargelegte Auffassung nicht. Die zitierten Urteile beträfen andere Sachverhalte. Im vorliegenden
Fall weise das Widerspruchsschreiben eindeutig ihn, Steuerberater T. A., als Bearbeiter aus. Das Schreiben sei von ihm diktiert
worden. Das Diktat liege vor. Lediglich die Abschrift sei durch die Sekretärin, Frau S., erfolgt und in seinem Auftrag als
Botin übersandt worden. Es sei keine eigene Willensbildung durch Frau S. erfolgt, sondern lediglich die Abschrift seines Diktates
und damit seines Willens an die Antragsgegnerin übertragen worden. Es liege daher kein Fall einer Pflichtverletzung zur Eigenverantwortlichkeit
nach § 57 StBerG vor. Zur Vollständigkeit werde darauf hingewiesen, dass der Widerspruch zwar schriftlich erfolgen müsse, eine Unterschrift
aber nicht erforderlich sei.
Mit Widerspruchsbescheiden vom 29.10.2020 wies die Antragsgegnerin die Widersprüche gegen die Bescheide vom 23.06.2020 als
unzulässig zurück und lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Der Widerspruch sei unzulässig, da er nicht dem
Schriftformerfordernis aus §
84 Abs.
1 S. 1
SGG entspreche. Zur näheren Begründung wurden die Ausführungen aus dem Schreiben vom 20.08.2020 wiederholt.
Der Antragsteller erhob, vertreten durch den Steuerberater A., gegen beide Bescheide am 27.11.2020 Klage zum Sozialgericht
Neubrandenburg.
Unter dem 19.01.2021 hat der Antragsteller im Hinblick auf die Beitragsnachforderung ergänzend einen Antrag auf vorläufiger
Rechtsschutz gestellt. Zur Begründung wurde auf die Klagebegründung im Hauptsacheverfahren S 7 BA 36/20 Bezug genommen. Dort wurde zum einen die bisherige Argumentation vertieft, dass die Bearbeitung des gesamten Vorganges ausschließlich
durch den Steuerberater T. A. vorgenommen worden sei. Frau S. habe als Sekretärin lediglich das Diktat zu Papier gebracht.
Damit habe diese keine eigene Willensbildung bzw. Bearbeitung vorgenommen. Mit ihrer Unterschrift habe diese lediglich bestätigt,
dass diese Willensbildung des Berufsträgers so auch abschließend eine entsprechende Außenwirkung habe entfalten sollen. Unabhängig
davon sei die Unterschrift durch Frau S. auch wegen einer Verhinderung aufgrund einer temporären Sportverletzung des Berufsträgers
erfolgt. Dies sei allerdings unschädlich, da es letztlich auf die tatsächliche Willensbildung als Ausdruck der Eigenverantwortlichkeit
durch den Berufsträger ankomme und die ledigliche Übermittlung der abschließenden Willensbildung durch Frau S. als einfache
Hilfsleitung zulässig sei. Dies sei vom Berufsträger im Diktat angeordnet worden.
Soweit die Antragsgegnerin dem Steuerverfahrensrecht ein Erfordernis zur Unterzeichnung durch den Steuerberater selbst entnehme
und dies auf die Einlegung von Rechtsbehelfen im Sozialversicherungsrecht übertragen wolle, sei dies unzutreffend. Die Voraussetzungen
für Rechtsbehelfe in Steuersachen seien in §
357 Abs.
1 AO definiert. Nach Satz 2 dieser Norm genüge es, wenn aus dem Einspruch hervorgehe, wer ihn eingelegt habe. Es werde weder vom
Steuerpflichtigen selbst noch von seinem Bevollmächtigten eine Unterschrift gefordert.
Der Antragsteller hat nach Auslegung des Sozialgerichts beantragt,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 27.11.2020 – S 7 BA 36/20 – gegen den Betriebsprüfungs- und Beitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 23.06.2020 in Gestalt ihres Widerspruchsbescheides
vom 29.10.2020 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag auf Anordnung des einstweiligen Rechtsschutzes als unbegründet zurückzuweisen.
Sie hat an ihrer Auffassung festgehalten, dass der Widerspruch unzulässig sei, da dieser nicht durch einen Steuerberater als
Berufsträger persönlich unterzeichnet, sondern nur von dessen Mitarbeiterin „im Auftrag“ unterschrieben worden sei. Diese
für Steuersachen bestehende Rechtslage müsse erst recht für Widersprüche gegen Entscheidungen der Sozialversicherungsträger
im Rahmen von Betriebsprüfungen gelten, zumal die dortige Vertretung durch Steuerberater nach Maßgabe des Rechtsdienstleitungsgesetzes
und der BSG-Rechtsprechung schon als solches nicht unproblematisch sei.
Mit Schreiben vom 19.03.2021 hat das Sozialgericht die Beteiligten auf das Urteil des BSG vom 16.11.2000 hingewiesen. Das BSG habe hierin ausgeführt, dass zur Wahrung der Schriftform nicht zwingend eine Unterschrift erforderlich sei. Zwar werde dem
Schriftformerfordernis grundsätzlich durch die eigenhändige Unterschrift Rechnung getragen, da dies das typische Merkmal sei,
um den Urheber eines Schriftstücks und seinen Willen festzustellen, die niedergeschriebene Erklärung in Verkehr zu bringen.
Jedoch seien in der Rechtsprechung insoweit zahlreiche Ausnahmen anerkannt. Aus der Gesamtschau der hierzu ergangenen Entscheidungen
werde deutlich, dass dem Bedürfnis der Rechtssicherheit ausnahmsweise auch auf eine andere Weise genügt werden könne. Insbesondere
reiche es aus, wenn sich aus dem bestimmenden Schriftsatz für sich allein oder in Verbindung mit beigefügten Unterlagen die
Urheberschaft und der Wille, das Schreiben in Verkehr zu bringen, hinreichend sicher ergeben, ohne dass hierüber Beweis erhoben
werden müsste.
Nach diesen Maßstäben sei im vorliegen Fall klar erkennbar, dass der Widerspruch vom 15.07.2020 auf dem Willen des Auftraggebers
R. S. (siehe seine Vollmachten vom 04.05. und 22.07.2020) beruhe und von seinem Steuerberater T. A. erstellt worden sei, was
insbesondere der Briefbogen nahelege. Zwar trage dieses Schreiben nicht seine eigene Unterschrift, sondern die Unterschrift
„i.A.“ (= im Auftrag) „S.“. Insoweit handele es sich aber um die bloße technische/mechanische Umsetzung - also ohne eigenen
inhaltlichen Spielraum - eines Arbeitsauftrages (Fertigen eines Schreibens nach Diktat) des Steuerberaters A. an seine Sekretärin
Frau S.; dem Grunde nach vergleichbar etwa mit dem Auftrag, einen Brief zur Post zu bringen oder in den nächsten Briefkasten
zu werfen. Anhaltspunkte dafür, dass Frau S. fahrlässig oder gar vorsätzlich das betreffende Diktat von Herrn A. fehlerhaft
umgesetzt haben könnte, seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Nachdem das Sozialgericht in einem weiteren Hinweisschreiben angekündigt hatte, den Steuerberater A. gemäß §
73 Abs.
3 SGG als nicht vertretungsbefugt zurückzuweisen, hat dieser das Mandat niedergelegt und der Antragsteller den Rechtsstreit selbst
fortgeführt.
Mit Beschluss vom 24.06.2021 hat das Sozialgericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Beitragsbescheid angeordnet.
Zur Begründung wurde insbesondere folgendes ausgeführt:
Nach summarischer Prüfung bestünden ernsthafte Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides der Antragsgegnerin
vom 23.06.2020 in Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 29.10.2020. Diese resultierten daraus, dass die Antragsgegnerin
im letztgenannten Bescheid den Widerspruch des Antragstellers zu Unrecht als unzulässig zurückgewiesen habe. Zur Vermeidung
unnötiger Wiederholungen nehme die Kammer insoweit vollinhaltlich auf ihr Hinweisschreiben vom 19.03.2021 Bezug.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass das Gericht in seinem Hinweisschreiben vom 17.05.2021 im Einzelnen ausgeführt
habe, warum es beabsichtige, den ehemaligen Prozessbevollmächtigten des Antragstellers, Herrn Steuerberater Dipl. Kfm. T.
A. sowohl im Eil- wie auch in den beiden Klageverfahren zurückzuweisen. Denn nach §
73 Abs.
3 Satz 2
SGG seien Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Diese aus Gründen
der Rechtssicherheit erforderliche Regelung gelte entsprechend für das Verwaltungsverfahren, wie sich auch im Umkehrschluss
aus § 13 Abs. 7 Satz 2 SGB X ergebe, wonach Verfahrenshandlungen des zurückgewiesenen Bevollmächtigten oder Beistandes, die dieser nach der Zurückweisung
vornimmt, unwirksam seien.
Die Antragsgegnerin hat gegen den am 29.06.2021 zugestellten Beschluss am 12.07.2021 Beschwerde eingelegt. Sie wiederholt
ihre Argumentation hinsichtlich der Unzulässigkeit des Widerspruches.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 24.06.2021 aufzuheben und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden
Wirkung abzulehnen.
Der Antragssteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er beruft sich ergänzend auf das Vorliegen einer unbilligen Härte wegen der durch die Corona-Restriktionen entstandenen Einnahmeausfälle.
II.
Die Beschwerde der Antragsgegner ist zulässig und begründet.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts liegen die Voraussetzungen für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach §
86b Abs.
1 Nr.
2 SGG nicht vor. Voraussetzung hierfür wäre eine überwiegende Erfolgsaussicht im Hauptsacheverfahren. Eine solche besteht hier
schon deshalb nicht, weil der Widerspruch gegen die streitigen Bescheide zu Recht als unzulässig zurückgewiesen wurde und
die Bescheide daher bestandskräftig geworden sind.
Die Unzulässigkeit des Widerspruches ergibt sich zwar nicht, wie von der Antragsgegnerin geltend gemacht, aus dem Umstand,
dass der Steuerberater A. gegen seine berufsrechtliche Pflicht zur eigenverantwortlichen Berufsausübung verstoßen hätte. Denn
selbst wenn sich die Vertretung des Antragstellers außerhalb der Vorgaben des Berufsrechts des Steuerberaters bewegt haben
sollte, ändert dies nichts an der Wirksamkeit der Vollmacht und der aufgrund dieser vorgenommenen Rechtshandlungen. Wie bereits
das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, kann bei einer Vertretung durch nicht hierzu berechtigte Personen lediglich eine
Zurückweisung für die Zukunft erfolgen, ohne dass dies die Wirksamkeit der bisherigen Rechtshandlungen tangieren würde.
Die Wiederspruch ist aber deshalb unzulässig, weil er nicht formwirksam eingelegt worden ist. Gemäß §
84 Abs.
1 SGG ist der Widerspruch ist binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt bekanntgegeben worden ist, schriftlich, in elektronischer
Form oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Die Schriftform erfordert dabei
gemäß §
126 Abs.
1 BGB grundsätzlich eine eigenhändige Unterschrift (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, §
84 Rn. 3). Eine dem §
357 Abs.
1 S. 2
AO vergleichbare Ausnahmevorschrift, wonach lediglich erkennbar sein muss, wer den Einspruch eingelegt hat, enthält §
84 SGG nicht. Zwar sind in der Rechtsprechung für die prozessuale Wirksamkeit schriftlicher Erklärungen Ausnahmen vom Erfordernis
der eigenhändigen Unterschrift anerkannt. Dies setzt jedoch voraus, dass sich im Einzelfall aus dem Schriftsatz selbst oder
in Verbindung mit den eingereichten Anlagen hinreichend sicher (d.h. ohne Rückfragen und Beweiserhebung) die Urheberschaft
und der Wille ergeben, das Schreiben in Verkehr zu bringen (Schmidt aaO; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt,
SGG, §
151 Rn. 5).
Dies war zur Überzeugung des Senates aber weder bei dem Widerspruchsschreiben vom 15.07.2020 noch bei den weiteren innerhalb
der Widerspruchsfrist eingegangenen Schriftsätzen der Fall.
Soweit das Sozialgericht auf einen aus den erteilten Vollmachten erkennbaren Willen des Antragstellers abstellt, ist dieser
für die Wahrung der Schriftform nicht von Bedeutung, da der Antragsteller offensichtlich nicht Verfasser des Widerspruchsschreibens
sowie der weiteren vorgerichtlichen Schriftsätze war. Darüber hinaus ist auch aus keiner der Vollmachten ein auf die Einlegung
eines Widerspruches gerichteter Wille zu entnehmen. Insbesondere die nachgereichte Vollmacht bezieht sich allgemein auf alle
Angelegenheiten des Sozialrechts ohne nähere Zweckbestimmung. Maßgeblich ist daher allein der aus dem Widerspruchsschreiben
erkennbare Wille des vom Antragsteller bevollmächtigten Steuerberaters T. A., welcher nach dem Vortrag des Antragstellers
Verfasser des Widerspruchsschreibens gewesen ist.
Ebenfalls unerheblich sind die vom Sozialgericht gewürdigten Tatsachen, welche sich aus dem nachträglich Vortrag des Antragstellers
ergeben, nämlich hinsichtlich der Stellung der Unterzeichnerin Frau S. als Sekretärin, den von Herrn A. erteilten Anweisungen
und den Gründen für die nicht selbst geleistet Unterschrift. Denn all dies ergibt sich weder aus dem Widerspruchsschriftsatz
selbst noch aus den weiteren innerhalb der Widerspruchsfrist eingegangenen Schriftsätzen, wobei zugunsten des Antragstellers
davon ausgegangen werden kann, dass der Lauf der Widerspruchsfrist erst am 15.07.2020 begonnen hat. Diese Umstände sind daher
nicht „ohne Rückfragen und Beweiserhebung“ bekannt geworden und daher bei der Würdigung der Einhaltung der Schriftform nicht
zu berücksichtigen.
Das maßgebliche Schreiben vom 15.07.2020 lässt zur Überzeugung des Senates nicht mit hinreichender Sicherheit den inhaltlichen
Urheber erkennen. Zwar spricht für eine Urheberschaft des Steuerberaters A., dass das Schreiben auf seinem Briefbogen verfasst
wurde und er auch als Sachbearbeiter benannt ist. Zweifel an der eigenen Bearbeitung durch ihn ergeben sich jedoch aus dem
bei der Unterschrift verwendeten Zusatz „i.A.“ für „im Auftrag“. Zwar kommt es häufiger vor, dass Schriftsätze von Rechtsanwälten
und Steuerberatern nicht von diesen selbst unterzeichnet werden können und daher eine andere Unterschrift tragen. Diese ist
dann aber regelmäßig mit einem Zusatz versehen, der den Grund hierfür angibt, wie zum Beispiel eine Abwesenheit oder anderweitige
Verhinderung an der Unterschrift. Die Formulierung „im Auftrag“ lässt eine solche Verhinderung nicht erkennen. Vielmehr findet
diese Formulierung regelmäßig dann Verwendung, wenn eine Angelegenheit dem Beauftragten zur eigenständigen Erledigung übertragen
worden ist. Auch die im Einleitungssatz verwendete Formulierung „wir“ weist auf die potentielle Urheberschaft mindestens einer
weiteren in Betracht kommenden Person hin.
Selbst wenn man aber davon ausginge, dass die Urheberschaft des allein bevollmächtigten Steuerberaters A. noch mit hinreichender
Sicherheit feststellbar wäre, ließe sich jedenfalls eine Freigabe des Schreibens durch den Verfasser zur Versendung an das
Gericht nicht erkennen. Üblicherweise erfolgt die Fertigung von Schriftstücken durch Rechtsanwälte und Steuerberater in der
Weise, dass diese Schreiben zunächst durch den Berufsinhaber diktiert, dann durch eine Kanzleikraft geschrieben, anschließend
durch den Verfasser korrekturgelesen und mit seiner Unterschrift freigegeben und letztlich wieder durch einen beauftragten
Mitarbeiter versandt werden. Dies dürfte nach den Ausführungen der Antragstellerseite auch der übliche Ablauf bei dem Steuerberater
A. gewesen sein. Die Freigabe und damit die Willensäußerung, das Schreiben in Verkehr zu bringen, erfolgt daher regelmäßig
durch den Sachbearbeiter selbst. Sofern dies ausnahmsweise nicht möglich ist, erfolgt die Unterzeichnung - wie bereits dargestellt
- regelmäßig mit einem Hinweis auf die Verhinderung des Verfassers. Ein solcher Hinweis findet sich hier jedoch nicht. Vielmehr
erfolgte die Unterschrift und damit die Freigabe durch eine dem Empfänger unbekannte Person, ohne dass auch nur ansatzweise
erkennbar gewesen wäre, in welcher Funktion und mit welcher Qualifikation diese im Geschäftsbetrieb des Steuerberaters tätig
ist. Unter diesen Umständen war nicht in gleicher Weise wie bei einer Unterzeichnung durch den Verfasser selbst davon auszugehen,
dass das Schreiben tatsächlich mit seinem Willen in Verkehr gelangt ist.
Die vorstehenden Ausführungen gelten in gleicher Weise für sämtliche weiteren innerhalb der Widerspruchsfrist eingegangenen
Schreiben, so dass auch hiermit eine formgerechte Einlegung des Widerspruches nicht erfolgen konnte.
Zwar hat es die Antragsgegnerin versäumt, den Antragsteller bzw. seinen Bevollmächtigten zeitnah innerhalb der Widerspruchsfrist
darauf hinzuweisen, dass der Widerspruch formunwirksam ist um ihm so die Möglichkeit einer formgerechten Wiederholung zu geben.
Dieser Pflichtverstoß der Antragsgegnerin ändert allerdings zunächst nichts an Unzulässigkeit des Widerspruches, sondern begründet
lediglich einen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. Keller aaO, Rn. 5b). Der Antragsteller hat indes
weder einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt noch hat er die formunwirksame Verfahrenshandlung innerhalb
der Frist des § 27 Abs. 2 SGB X nachgeholt.
Letztlich vermögen auch die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs die
Versäumung der ordnungsgemäßen Einlegung des Widerspruchs nicht zu heilen. Es kann dahinstehen, ob diese überhaupt im Bereich
der Versäumung einer Rechtsmittel- oder Rechtsbehelfsfrist – und damit im originären Regelungsbereich der Vorschriften über
die Wiedereinsetzung in einem von diesen erfassten Fall – Anwendung finden können. Denn jedenfalls kann vor dem Hintergrund,
dass der rechtlich beratene Antragsteller keinen Wiedereinsetzungsantrag gestellt, sondern ausschließlich seine Rechtsansicht
verteidigt und zur gerichtlichen Überprüfung gestellt hat, nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden,
dass der Antragsteller sich bei einem rechtzeitigen Hinweis der Antragsgegnerin anders verhalten hätte.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.