Tatbestand:
Streitig ist (große) Witwenrente.
Die 1951 in der Türkei geborene Klägerin schloss dort am 00.00.1973 mit dem 1950 in der Türkei geborenen und am 00.00.2008
in C verstorbenen I H (im Folgenden: Versicherter) nach türkischem Recht die Ehe. Die Eheleute kamen 1975 in die Bundesrepublik
Deutschland, und lebten fortan in C. Aus der Ehe gingen der Sohn H1 (geboren 1982, verstorben 1992) und drei Töchter (geboren
1984, 1987 und 1989) hervor. Auf Antrag der Klägerin wurde die Ehe in Deutschland nach türkischem Recht geschieden (Urteil
des Amtsgerichts C vom 19.5.1995).
Anfang 1997 beschlossen die Eheleute, ihre Ehe fortzuführen, und reisten in die Türkei, um ihre Scheidung anerkennen zu lassen
und danach dort erneut zu heiraten. Die zuständigen türkischen Behörden wiesen darauf hin, dass die deutsche Ehescheidung
nach türkischem Recht nicht wirksam sei, solange keine förmliche Anerkennung vorliege. Sie seien daher nach türkischem Recht
weiter rechtswirksam verheiratet. Das gewünschte Ergebnis einer wirksamen Ehe liege damit nach türkischem Recht bereits vor.
Die türkischen Behörden bestätigten am 31.7.1997 das Fortbestehen der am 00.00.1973 geschlossenen Ehe, indem sie ein neues
Familienbuch ausstellten und das Personenstandsregister entsprechend aktualisierten. In Deutschland lebten die Klägerin und
der Versicherte fortan (wieder) als Eheleute zusammen und wurden von deutschen Behörden als Eheleute behandelt: Noch 1997
beantragten sie bei der Stadt C die Einbürgerung. Die Stadt C sagte ihnen nach Abschluss der Prüfung die Einbürgerung für
den Fall zu, dass die Entlassung aus der türkischen Staatsbürgerschaft nachgewiesen werde (an die "Eheleute I und I1 H" gerichtetes
Schreiben vom 12.12.1997 mit Einbürgerungszusicherung vom gleichen Tag). Nachdem das türkische Innenministerium der Klägerin
und dem Versicherten die Zustimmung zur Ausbürgerung aus der Türkei als "Verheiratete" erteilt hatte, beschied die Stadt C
die "Eheleute I und I1 H" dahingehend, dass ihren Anträgen auf Einbürgerung entsprochen werde (Bescheid vom 19.11.1999). Die
Steuerklasse des Versicherten wurde ab September 1997 von 1 (geschieden) auf 3 (verheiratet, nicht dauerhaft getrennt lebend)
geändert; der Klägerin wurde später für ihre vom 1.8.2002 bis zum 31.12.2003 ausgeübte Beschäftigung die Steuerklasse 5 (verheiratet,
nicht dauerhaft getrennt lebend) bescheinigt. Das Finanzamt C-Mitte veranlagte die Klägerin und den Versicherten als Eheleute
(vorgelegte Bescheide über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag für 2001 und 2003). Die Klägerin war nach Aufgabe ihrer
Berufstätigkeit ab dem 1.5.2004 wieder bis zum 00.00.2008 über den Versicherten bei der BKK vor ORT gesetzlich gegen Krankheit
familienversichert (zuvor bereits vom 8.10.1992 bis 19.5.1995). Nach dem Tod des Versicherten stellte das Amtsgericht C der
Klägerin (als "Ehefrau") und den Töchtern einen gemeinschaftlichen Erbschein aus.
Der Versicherte verstarb am 00.00.2008, ohne zuvor eine Rente bezogen zu haben. Noch im gleichen Monat beantragte die Klägerin
Witwenrente. Auf der beigefügten Sterbeurkunde des Standesbeamten der Stadt C war bescheinigt, dass sie mit dem Versicherten
im Zeitpunkt des Todes verheiratet war. Nach Hinweis der Beklagten auf die erfolgte Scheidung trug die Klägerin vor, der Versicherte
und sie hätten darauf vertraut, dass die Auskünfte der türkischen Behörden zum Fortbestand der Ehe zutreffen. Sie hätten im
Jahr 1997 vor dem türkischen Standesbeamten erneut die Erklärung abgegeben, die Ehe miteinander eingehen zu wollen; diese
Erklärung sei in das neu ausgestellte türkische Familienbuch eingetragen worden. Anschließend habe man über zehn Jahre bis
zum Tod des Versicherten als Ehepaar zusammengelebt. Ihr Vertrauen auf den Fortbestand der Ehe sei durch die deutschen Behörden
bestätigt worden. Eine etwaige Formunwirksamkeit der Ehe sei jedenfalls nach deutschem Recht geheilt.
Die Beklagte bat das Standesamt der Stadt C unter Hinweis auf die Scheidung um Berichtigung der Sterbeurkunde. Das Standesamt
berichtigte im Rahmen einer handschriftlichen "Folgebeurkundung" am 22.1.2009 auf der Sterbeurkunde den Familienstand des
Versicherten in "geschieden".
Die Beklagte lehnte ab, Witwenrente zu gewähren: Die Klägerin sei nicht die Witwe des Versicherten. Die 1973 geschlossene
Ehe sei im Mai 1995 rechtskräftig geschieden worden, eine erneute Eheschließung sei nicht erfolgt. Auf das Fehlen einer gegebenenfalls
nach türkischem Recht erforderlichen Anerkennung des Scheidungsurteils komme es nicht an, ebenso wenig auf das neue türkische
Familienbuch, in dem lediglich die bereits 1973 geschlossene Ehe erneut dokumentiert worden sei (Bescheid vom 31.3.2008; Widerspruchsbescheid
vom 5.10.2009).
Mit ihrer noch im Oktober 2009 erhobenen Klage hat die Klägerin den Anspruch auf Witwenrente weiter verfolgt. Da es ihr aufgrund
der nach türkischem Recht noch bestehenden Ehe sowohl in der Türkei als auch in Deutschland unmöglich gewesen sei, erneut
zu heiraten, müsse die türkische Ehe auch in Deutschland als rechtswirksam angesehen und unter den Schutz des
Grundgesetzes gestellt werden.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 31.3.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.10.2009 aufzuheben und die Beklagte
zu verurteilen, ihr Witwenrente ab dem 00.00.2008 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Entscheidend sei die nach der deutschen Rechtsordnung erfolgte rechtskräftige Scheidung. Verhalten bzw. Auskünfte türkischer
Behörden könnten kein gegenteiliges schutzwürdiges Vertrauen begründen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Es hat angenommen, die in Deutschland nach deutschem Verfahrensrecht erfolgte Scheidung sei maßgeblich,
weil der Inlandsbezug "der hier streitigen Angelegenheit" gegenüber dem Auslandsbezug überwiege (Urteil vom 16.7.2010).
Mit ihrer Berufung vom 11.8.2010 trägt die Klägerin vor, entgegen der Auffassung des SG überwiege nicht der Inlands- sondern der Auslandsbezug. Der Versicherte und sie hätten dem Einwohnermeldeamt der Stadt C
bei einer Vorsprache beide Familienbücher und das Scheidungsurteil vorgelegt. Dort habe man ihnen gesagt, der Sachverhalt
werde geprüft; anschließend seien sie ohne Beanstandung als verheiratetes Ehepaar eingebürgert worden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Dortmund vom 16.7.2010 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 31.3.2008
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.10.2009 zu verurteilen, ihr ab dem 00.00.2008 große Witwenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.
Der Senat hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung angehört.
Nachfragen des Gerichts bei der Stadt C haben ergeben, dass dort die Ausländer- oder Einbürgerungsakten des Versicherten und
der Klägerin nicht mehr vorliegen. Auch Unterlagen zu früheren Änderungen des Melderegisters seien nicht mehr vorhanden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge der
Beklagten verwiesen. Sämtliche Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist begründet. Zu Unrecht hat das SG die ablehnende Entscheidung der Beklagten bestätigt. Die Klägerin ist durch den Bescheid der Beklagten vom 31.3.2008 (in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.10.2009, §
95 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)) beschwert, §
54 Abs
2 Satz 1
SGG. Dieser Bescheid ist rechtswidrig, weil die Klägerin Anspruch auf große Witwenrente ab dem 00.00.2008 hat. Die Klägerin ist
die Witwe des Versicherten, weil sie im Zeitpunkt seines Todes nach dem hier maßgeblichen türkischen Recht wirksam mit ihm
verheiratet war. Die am 19.5.1995 nach deutschem (Verfahrens-)Recht erfolgte Scheidung (sog. "hinkende Scheidung", vgl. auch
Bundessozialgericht (BSG) Urteil vom 22.11.1994, Aktenzeichen (Az) 8 RKn 8/94) ist dagegen nicht maßgeblich.
Nach §
46 Abs
2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI) haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tode des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit
erfüllt hat, ua Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet haben. Diese Voraussetzungen sind vorliegend
erfüllt. Der Versicherte hatte am 00.00.2008 die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren gemäß §
50 Abs
1 SGB VI erfüllt. Die Klägerin hatte im Zeitpunkt des Todes des Versicherten auch das 45. Lebensjahr vollendet. Schließlich war sie
zu diesem Zeitpunkt die Witwe des Versicherten.
Witwe eines Versicherten wird eine Frau, wenn zwischen ihr und dem Versicherten im Zeitpunkt seines Todes eine rechtsgültige
Ehe bestanden hat (BSGE 83, 200ff = SozR 3-2600 § 46 Nr 2; 45, 180f = SozR 2200 § 1264 Nr 1; Köbl in: Schulin (Hrsg). Handbuch
des Sozialversicherungsrechts. Band 3 Rentenversicherungsrecht. München 1999, § 28 A III Rdnr 9 mwN). Dagegen wird die überlebende
Partnerin einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft von diesem Begriff nicht erfasst (BSGE 53, 137f = SozR 2200 § 1264 Nr 5).
Ebenso wenig genügt das nacheheliche Zusammenleben geschiedener Ehegatten (Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr. Handbuch der Rentenversicherung.
3. Aufl. Stand September 2010. §
46 SGB VI RdNr 14). In Fällen, in denen - wie hier - keine familiengerichtliche Entscheidung über das Bestehen einer wirksamen Ehe
vorliegt (dazu: KG FamRZ 2006, 1863-1865, vgl bis zum 30.6.1998 §§ 606f, 631ff, 638
ZPO, bis zum 31.8.2009 §§ 606f, 632
ZPO und seither §§ 98, 107 FamFG), kann die Witweneigenschaft als Vorfrage bei der Prüfung des Anspruchs auf Witwenrente geklärt werden (BSGE 83, 200ff =
SozR 3-2600 § 46 Nr 2; BSGE 45, 180f = SozR 2200 § 1264 Nr 1; BSGE 33, 219f = SozR Nr 5 zu § 1264
RVO). Da das Sozialversicherungsrecht keinen eigenen Ehebegriff kennt, ist grundsätzlich an die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen
anzuknüpfen (BSGE 83, 200ff = SozR 3-2600 § 46 Nr 2). Ohne Belang ist die auf Veranlassung der Beklagten erfolgte nachträgliche
handschriftliche Änderung des Personenstandsregisters, weil diese gerade nicht aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung über
die Frage des (Fort-)Bestehens einer Ehe erfolgte, sondern (wie die von der Beklagte im Widerspruchsverfahren eingeholte Auskunft
des Landesamts für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin vom 8.6.2009) allein auf die frühere Scheidung abstellt, deren
Auswirkungen gerade streitig sind.
Die Witweneigenschaft der Klägerin ergibt sich allerdings entgegen ihrer Auffassung nicht bereits aus der familienrechtlichen
(Form-)Vorschrift des §
1310 Abs
3 des
Bürgerlichen Gesetzbuches (
BGB). Denn die Klägerin und der Versicherte haben 1997 vor der zuständigen türkische Behörde gerade nicht förmlich erklärt, die
Ehe (erneut) miteinander schließen zu wollen. Sie hatten nach dem Vortrag der Klägerin lediglich die Absicht, dies nach Anerkennung
ihrer Scheidung zu tun. Dazu ist es jedoch nicht mehr gekommen, nachdem sie erfahren hatten, dass das Eheversprechen vom 00.00.1973
weiter wirksam ist und eine erneute Eheschließung weder möglich noch nötig ist. Auf weitere Rechtsfragen zu §
1310 Abs
3 BGB kommt es schon deshalb nicht an.
Vorliegend ist die Klägerin aber Witwe des Versicherten, weil die nach türkischem Recht wirksam geschlossene und bis zum Tode
des Versicherten fortbestehende Ehe (jedenfalls) sozialversicherungsrechtlich nicht wirksam durch das deutsche Scheidungsurteil
vom 19.5.1995 aufgelöst worden ist. Die gestaltende Wirkung des deutschen Scheidungsurteils kommt hier nicht zum Tragen, weil
es an der Anerkennung der Scheidung nach dem maßgeblichen türkischen Eherecht fehlt. Im Gegenteil haben die türkischen Behörden
ausdrücklich das Fortbestehen der Ehe bestätigt. Auf dieser Grundlage haben die Klägerin und der Versicherte als Eheleute
zusammengelebt und sind von deutschen Behörden auch als solche behandelt worden.
Wird eine im Ausland geschlossene Ehe in Deutschland nach dem für die Eheschließung maßgeblichen Recht geschieden, die Scheidung
aber in dem Staat, in dem die Ehe geschlossen wurde, nicht (ohne Weiteres) anerkannt, ergibt sich für das innerstaatliche
Recht ein Geltungskonflikt. Dabei ist denkbar, dass (1) das Scheidungsurteil ohne Anerkennung des Staates, nach dessen Recht
die Ehe geschlossen, keine Wirkung entfaltet, (2) das Scheidungsurteil absolute internationale Gestaltungswirkung entfaltet
oder (3) die fehlende Anerkennung im Staat der Eheschließung nur ein Verfahrenserfordernis ist, das die Gestaltungswirkung
jedenfalls im Inland nicht hindert (vgl zum Meinungsstreit in der juristischen Fachliteratur BSGE 83, 200ff = SozR 3-2600
§ 46 Nr 2 mit zahlreichen Nachweisen). Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) hat dagegen einer am Einzelfall orientierten
differenzierten Betrachtungsweise den Vorzug gegeben (BGHZ 41, 136ff; FamRZ 1972, 360f; und 1982, 651ff). Dem ist das BSG mit der Maßgabe gefolgt, dass entscheidend auf die Auslegung der für die Hauptfrage (hier: Besteht ein Anspruch auf Witwenrente?)
maßgeblichen Norm abzustellen sei, also hier des §
46 SGB VI (BSGE 83, 200ff = SozR 3-2600 § 46 Nr 2). Zu Recht weist das BSG in diesem Zusammenhang darauf hin, dass auf die Unterhaltsersatzfunktion der Witwenrente abzustellen ist, die vom (nachwirkenden)
Schutz des Art
6 Abs
1 GG (Schutz der - auch ausländischen - Ehe) erfasst wird (BSG aaO. unter Hinweis auf BVerfGE 62, 323ff = SozR 2200 § 1264 Nr 6 und BVerfG FamRZ 1998, 811ff). Da es bei der Witwenrente um die Versorgung des überlebenden Partners gehe, also um eine
Frage existentieller Bedeutung, seien den Gesichtspunkten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes besondere Bedeutung
beizumessen (BSG aaO.; BSGE 43, 238ff = SozR 2200 § 1268 Nr 9).
Nach diesen Grundsätzen ist hier die 1973 in der Türkei geschlossene, 1997 erneut in der Türkei als wirksam bestätigte und
bis zum Tod des Versicherten nach türkischem Recht wirksam gebliebene Ehe maßgeblich für die Beurteilung der Witweneigenschaft
der Klägerin. Damit steht in Einklang, dass nach deutschem Verfassungsrecht mit Art
6 Abs
1 GG unvereinbar ist, bestimmte Ehen durch Verweigerung sozialer Leistungen zu benachteiligen, die für andere Ehen selbstverständlich
sind (BVerfGE 28, 324, 361) bzw. Ehen nur deshalb von einer solchen Leistung auszuschließen, weil sie als "hinkende Ehe" nur nach einer ausländischen
Rechtsordnung wirksam seien (BVerfGE 62, 323ff = SozR 2200 § 1264 Nr 6). Es macht dabei nach Auffassung des Senats keinen
Unterschied, ob die alleinige Geltung der ausländischen Ehe darauf beruht, dass sie im Inland nicht anerkennungsfähig ist
(sog. "hinkende Ehe"), oder darauf, dass die im Inland nach ausländischem Recht erfolgte Auflösung der Ehe im Ausland nicht
anerkannt worden ist (sog "hinkende Scheidung"). In beiden Fällen unterfällt die nach ausländischen Recht wirksame Ehe in
Deutschland ungeachtet der Staatsangehörigkeit der Eheleute dem Schutz des Art
6 Abs
1 GG (vgl BVerfG aaO.). Ohne Belang ist, dass die Klägerin seit 1999 deutsche Staatsangehörige ist. Für die zu Recht allein streitige
Frage des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe im Zeitpunkt des Todes des Versicherten ist entscheidend, dass es sich bei
der vorliegend zu beurteilenden Ehe (im Zeitpunkt der Eheschließung im Jahre 1973 bzw. der Bestätigung der Wirksamkeit der
Ehe im Jahre 1997) um eine Ehe türkischer Staatsbürger nach türkischem Recht handelte.
In der Sache folgt der Senat der vom BSG entwickelten "differenzierten Betrachtungsweise" (BSGE 83, 200ff = SozR 3-2600 § 46 Nr 2), hält aber das Abstellen auf einen überwiegenden Auslands- oder Inlandsbezug allein nicht für ein taugliches Abgrenzungskriterium,
weil derartige Sachverhalte typischerweise Inlands- und Auslandsbezug aufweisen und die Stärke dieser Bezüge sich - wie das
angefochtene Urteil zeigt - objektiv kaum sinnvoll voneinander abgrenzen lässt. Der Senat hält deshalb für entscheidend, (1)
unter welches rechtliche Regime die Ehepartner ihre Ehe gestellt haben, (2) ob die Ehepartner zum maßgeblichen Zeitpunkt (nicht
nur wie Eheleute, sondern) als Eheleute (vgl die Formulierung in §
1310 Abs
3 BGB) zusammengelebt haben und (3) welchen Familienstand die deutschen Behörden im Rahmen öffentlich-rechtlicher Rechtsverhältnisse
bescheinigt bzw bestätigt haben. Dabei kann durch ein Verhalten deutscher Behörden auch dann schutzwürdiges Vertrauen begründet
bzw. unterhalten werden, wenn kein zurechenbarer Rechtsschein gesetzt wurde. Hier führen alle drei Kriterien dazu, maßgeblich
auf die wirksame türkische Eheschließung abzustellen.
(1) Die Klägerin und der Versicherte haben ihre Ehe unter das Regime des türkischen Rechts gestellt. Sie haben 1973 nach diesem
Recht geheiratet und die spätere Fortsetzung der Ehe ausdrücklich erneut unter das Regime des türkischen Rechts gestellt,
als sie sich 1997 mit dem Ziel in ihre türkische Heimat begeben haben, dort erneut zu heiraten. Soweit sich die Eheleute 1995
in Deutschland nach deutschem Recht scheiden ließen, haben sie das deutsche Recht nur als "dienendes" Verfahrensrecht gewählt.
Die Scheidung selbst erfolgte entsprechend den Kollisionsregeln des deutschen Rechts (Art 17 Abs 1 S 1, 14 Abs 1 Nr 1 Einführungsgesetz zum
BGB -
EGBGB) nach türkischem Recht. Nach türkischem Recht ist die Ehe aber trotz der Scheidung wirksam geblieben. Denn nach dem türkischen
Gesetz über das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht Nr 2675 vom 20.5.1982 (IPR-Gesetz, Resmi Gazete v 22.5.1982)
bedarf eine ausländische Scheidung in der Türkei der Anerkennung, die unter das ausländische Urteil zu schreiben und vom türkischen
Richter mit Amtssiegel und Unterschrift zu versehen ist, Art 40 IPR-Gesetz (vgl Ansay, Zur Scheidung von Türken in der Bundesrepublik
Deutschland nach Inkrafttreten des neuen IPR-Gesetzes in StAZ 1983, 29f). Seit 2003 sind dafür in der Türkei Familiengerichte
zuständig (Art 4 b) des Gesetzes Nr 4787 über die Einrichtung, die Zuständigkeit und das Verfahren der Familiengerichte v
9.1.2003, Resmi Gazete Nr 24997 v 18.1.2003). Eine solche Anerkennung ist nach dem zutreffenden Hinweis der türkischen Behörden,
dass sie nach dortigem Recht weiter verheiratet seien, nicht erfolgt. Vielmehr haben die Klägerin und der Versicherte durch
ihre Entscheidung, auf der Grundlage der 1973 geschlossenen Ehe weiter als Eheleute zusammenzubleiben, erneut das türkische
Recht als für ihre Ehe prägend angesehen und den ursprünglichen Plan einer Anerkennung der Scheidung und anschließenden erneuten
Eheschließung aufgegeben. Anders als im vom BSG aaO. entschiedenen Fall haben die Klägerin und der Versicherte damit nach der Scheidung ausdrücklich erneut das türkische
Recht als für ihre Ehe maßgeblich gewählt.
(2) Ebenfalls anders als dort haben sie diese Ehe im Folgenden auch "gelebt", also als Eheleute zusammengelebt. Nach dem -
glaubhaften - Sachvortrag der Klägerin ist zweifelhaft, ob zwischen den Eheleuten vor oder nach der Scheidung überhaupt eine
räumliche Trennung stattgefunden hat. Maßgeblich ist aber nur, dass sie nach der Rückkehr aus der Türkei im Sommer 1997 bis
zum Tod des Versicherten als Eheleute zusammengelebt haben. Daran hat der Senat in Anbetracht der jeweils gleichen Wohnanschriften
(I-Straße 00; E-Straße 00 bzw später 000, jeweils in C), der gemeinsam beantragten und vollzogenen Einbürgerung, der gemeinsamen
Steuererklärungen, der bei den jeweiligen Arbeitgebern vermerkten Steuerklassen, der Familienversicherung und - was die innere
Haltung betrifft - der glaubhaften Angaben der Klägerin im Verwaltungsverfahren und im Termin zur mündlichen Verhandlung keine
Zweifel.
(3) Schließlich haben die deutschen Behörden (wohl auf der Grundlage des neuen, 1997 ausgestellten Familienbuches) die Klägerin
und den Versicherten ab 1997 (wieder) als Eheleute behandelt und damit Vertrauen darauf geschaffen oder bestärkt, dass die
Klägerin und der Versicherte auch nach deutschem Recht (weiter oder wieder) als Eheleute gelten und für die Anerkennung ihrer
Ehe nichts weiter unternehmen müssen. Dies spiegelt insbesondere das Verhalten der das Personenstandsregister für die Familie
H führenden (kreisfreien) Stadt C wider, die die "Eheleute H" eingebürgert hat, ihnen die jeweiligen für Eheleute geltenden
Steuerklassen bescheinigt und auf der Sterbeurkunde des Versicherten die Klägerin als seine Ehefrau bezeichnet hat. Nach den
glaubhaften Angaben der Klägerin haben sie und der Versicherte dort sogar das (neue) Familienbuch und das Scheidungsurteil
vorgelegt, ohne dass dies zu einer Änderung des Personenstandsregisters geführt hat. Entsprechend haben sich auch die zuständigen
Finanzbehörden und die gesetzliche Krankenkasse BKK vor Ort verhalten. Gleichermaßen ergibt sich dies aus der Angabe auf dem
Erbschein, in dem die Klägerin von dem "gleichen" Amtsgericht C als Ehefrau des Versicherten bezeichnet wird, das 1995 das
Scheidungsurteil erlassen hat. Selbst die posthumen Bescheinigungen (Sterbeurkunde; Erbschein) bekräftigen, dass für die Klägerin
und den Versicherten zuvor keine Veranlassung bestand, ihren Status als "Ehepaar auch nach deutschem Recht" in Zweifel zu
ziehen. Dieser Vertrauensschutz begründet nicht etwa eine Rechtsscheinhaftung iS eines zurechenbar gesetzten Rechtsscheins,
auf den der Adressat nachweislich konkret vertraut hat (entsprechend dem im Privatrecht von Canaris entwickelten Modell: Claus-Wilhelm
Canaris. Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht. München 1971. §§ 39-42, S. 491ff). Dies setzte voraus, dass der Rechtsschein
einer tatsächlich nicht bestehenden Ehe gesetzt wird (etwa durch eine Fehleintragung im Personenstandsregister). Vorliegend
- und das ist entscheidend - bestand aber eine nach türkischem Recht wirksame und deshalb auch nach deutschem (Verfassungs-)Recht
geschützte Ehe.
Dabei darf der Senat zur Abrundung seiner Überzeugung die Angaben der Klägerin berücksichtigen, obwohl es sich bei der Anhörung
eines Beteiligten nicht um eine förmliche Beweiserhebung (iS einer im
SGG nicht vorgesehenen Beteiligtenvernehmung, vgl §
118 Ab 1 S 1
SGG, der nicht auf §§ 445ff
ZPO verweist) handelt. Dies beruht auf dem auch im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz, dass die Angaben des Antragstellers
zugrunde gelegt werden können, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen, wenn Unterlagen nicht vorhanden
oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind (vgl §
15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung). Das ist hier der Fall, weil der Stadt C einschlägige
Verwaltungsvorgänge nicht mehr vorliegen. Diesen mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts hat das BSG de facto auch in Fallkonstellationen des §
46 Abs
2a SGB VI zugelassen (vgl etwa BSGE 103, 99ff = SozR 4-2600 §
46 Nr 6).
Das Ergebnis trägt der "existenziellen" (BSGE 83, 200ff = SozR 3-2600 § 46 Nr 2; BSGE 43, 238ff = SozR 2200 § 1268 Nr 9) Unterhaltsersatzfunktion
des Witwenrentenanspruchs Rechnung, weil die Klägerin nach dem festgestellten Sachverhalt darauf vertraut hat und vertrauen
durfte, dass sie im Falle des Vorversterbens des Versicherten als Witwe durch Leistungen der Gesetzlichen Rentenversicherung
abgesichert ist.
Der Beginn der Rente folgt aus §
99 Abs
2 S 2
SGB VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183 S 1, 193 Abs
1 Satz 1
SGG.
Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 160 Abs 2 Nr 1SGG. Er hält für
klärungsbedürftig, nach welchen Rechtsgrundsätzen die Fallkonstellation der sog. "hinkende Scheidung" zu entscheiden ist.