Tatbestand
Unter den Beteiligten ist streitig, ob der Rechtsstreit durch Rücknahmefiktion in der Berufungsinstanz beendet worden ist.
In dem zu Grunde liegenden Verfahren hat sich die am 00.00.1993 geborene Klägerin mit der am 26.04.2018 bei dem Sozialgericht
Köln erhobenen Klage gegen die Versagung der von ihr im Oktober 2017 beantragten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende
nach dem Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB II) wegen fehlender Mitwirkung durch Bescheid vom 05.02.2018 und Widerspruchsbescheid vom 09.03.2018 sowie gegen die spätere
Ablehnung des Leistungsantrags wegen nicht nachgewiesener Hilfebedürftigkeit (Bescheid vom 19.06.2018, Widerspruchsbescheid
vom 01.08.2018) gewandt und einen zusätzlich Anspruch auf Zusicherung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 5 SGB II geltend gemacht. Die Klage hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 06.04.2020 abgewiesen.
Gegen diesen Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 05.05.2020 Berufung (Az. L 2 AS 701/20) eingelegt. Mit Verfügung vom 04.06.2020 hat der Berichterstatter des Senats der Klägerin rechtliche Hinweise erteilt und
sie aufgefordert, binnen einer bis zum 01.07.2020 gesetzten Frist bestimmte Angaben zu machen (unter anderem darüber, wovon
sie seit Antragstellung ihren Lebensunterhalt bestritten hat) und näher bezeichnete Unterlagen zur Klärung ihrer Bedürftigkeit
im Sinne des SGB II (unter anderem Auszüge der Konten ihrer Eltern) zum Verfahren zu reichen. Nachdem eine Reaktion darauf nicht erfolgte, hat
das Gericht die Klägerin mit Schreiben vom 19.08.2020 aufgefordert, das Verfahren zu betreiben. Weiterhin erfolgte der Hinweis,
dass gemäß §
102 Abs.
2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) die Klage als zurückgenommen gilt, wenn das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate ab Zugang der
Aufforderung nicht betrieben wird. Die Betreibensaufforderung ist dem Bevollmächtigten der Klägerin am 22.09.2020 mit Zustellungsurkunde
zugestellt worden.
Mit Schriftsatz vom 17.11.2020 hat der Bevollmächtigte der Klägerin die Ablehnung und Ausschließung des Berichterstatters
gemäß §
60 SGG beantragt, weil dieser nicht hinreichend neutral sei, um das Verfahren weiterführen zu können. Für den relevanten Prüfungszeitraum
habe die Klägerin vorgetragen, von der Hand in den Mund gelebt zu haben. Dies sei aktenkundig und hätte dem abzulehnen Richter
auffallen müssen. Der Klägerin sei nicht zuzumuten, Beweismittel beizubringen, welche die Rechtsansichten der Gegenseite stützten.
Wegen des verfolgten Anspruchs auf Zusicherung nach § 22 Abs. 5 SGB II sei entscheidend, ob die Klägerin diesen im Zeitpunkt der Antragstellung gehabt habe.
Mit Beschluss vom 17.12.2020 hat der Senat, ohne Mitwirkung des vom Ablehnungsgesuch betroffenen Berichterstatters, den Befangenheitsantrag
zurückgewiesen.
Erklärungen zu den in der Betreibensaufforderung bzw. in dem darin in Bezug genommenen Anschreiben des Gerichts, an die Klägerin
gerichteten Fragen und auch die Übersendung der von ihr erbetenen Nachweise über Bedürftigkeit erfolgten von Seiten der Klägerin
nicht. Mit Verfügung vom 23.12.2020 hat das Gericht das Verfahren als durch Rücknahme der Klage beendet ausgetragen.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit Eingabe vom 29.01.2021. Sie ist der Auffassung, das Verfahren sei nicht durch die Fiktion
einer Klagerücknahme beendet worden; die Berufung sei mithin weiterhin anhängig. Auch seien die Gründe für die Entscheidung
des Gerichts zur Richterablehnung nicht nachvollziehbar. Sie beantrage deswegen die Fortsetzung des Verfahrens und für den
Fall, dass das Gericht anderer Auffassung sein sollte, bitte sie um ein Urteil in der Sache.
Der Senat hat das Verfahren unter Vergabe eines neuen Aktenzeichens fortgesetzt.
Nach Lage der Akten beantragt die Klägerin,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 06.04.2020 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom
05.02.2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2018 sowie des Bescheides vom 19.06.2018 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 01.08.2018 zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld II vom 23.10.2017 an in gesetzlicher Höhe zu gewähren
sowie ihr eine Zusicherung für Bedarfe für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach einem Umzug zu erteilen.
Der Beklagte und die Beigeladene haben im fortgesetzten Verfahren keinen Antrag gestellt.
Die Gerichtsakten zu den Verfahren S 5 AS 1821/18, L 2 AS 701/20 und L 2 AS 224/21 haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte ohne Teilnahme der Beteiligten an der mündlichen Verhandlung durch Urteil entscheiden. Die Klägerin und die
Beigeladene sind in den ihnen zugestellten Terminsmitteilungen auf diese Möglichkeit hingewiesen worden. Der Beklagte und
der Bevollmächtigte der Klägerin haben sich ausweislich der in den Gerichtsakten befindlichen Telefonvermerke vom 15.06.2021
ebenfalls mit dieser Vorgehensweise ausdrücklich einverstanden erklärt.
Eine Sachentscheidung darüber, ob die von der Klägerin im Verfahren erhobenen Ansprüche bestehen, konnte nicht ergehen, weil
der Rechtsstreit durch Klagerücknahme beendet ist. Besteht Streit über die Wirksamkeit einer verfahrenserledigenden Erklärung
ist das Verfahren fortzusetzen. Bejaht das Gericht eine Klagerücknahme, stellt es dies durch Endentscheidung fest. Verneint
das Gericht eine Klagerücknahme oder hält es sie für unwirksam, entscheidet es in der Sache (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,/Schmidt,
Kommentar zum
Sozialgerichtsgesetz, 13. Aufl. 2020, §
102 Rn. 12). Eine Sachentscheidung konnte hier im fortgesetzten Verfahren nicht mehr ergehen, weil der Rechtsstreit als durch
Klagerücknahme erledigt gilt.
Von der Klägerin ist zwar eine Klagerücknahme nicht erklärt worden, die von ihr erhobene Klage gilt aber als zurückgenommen.
Gemäß §
102 Abs.
2 S. 1
SGG gilt die Klage als zurückgenommen, wenn von Klägerseite das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate
nicht betreiben wird. Mit der Aufforderung zum Betreiben des Verfahrens ist auf die Folgen des Nichtbetreibens einer Klage
hinzuweisen (§
102 Abs.
2 S. 3
SGG). Die Voraussetzungen dafür, dass die von der Klägerin am 26.04.2018 bei dem Sozialgericht Köln erhobene Klage als zurückgenommen
gilt, liegen vor.
Die Klägerin ist wirksam unter Fristsetzung und unter Hinweis auf die Folgen des Nichtbetreibens aufgefordert worden, das
Verfahren zu betreiben. Formelle Bedenken bestehen insoweit nicht. Die in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil
vom 01.07.2010 zum Az. B 13 R 58/09 R zu Rn. 48 ff. der Wiedergabe bei juris, sowie Urteil vom 04.04.2017, Az. B 4 AS 2/16 R zu Rn. 23 der Wiedergabe bei juris) herausgearbeiteten Voraussetzungen für eine wirksame Aufforderung sind erfüllt. Die
Betreibensaufforderung ist vom Richter verfügt und mit dem Namen (und nicht lediglich mit einer Paraphe) unterzeichnet worden.
In dem daraufhin erstellten und dem Bevollmächtigten der Klägerin zugestellten Schreiben wird der Richter (ebenfalls mit vollem
Namen) als Urheber der Erklärung des Gerichts ausgewiesen. Damit musste dem Empfänger des Schreibens bewusst sein, dass es
sich bei dem unterzeichneten Text nicht lediglich um einen Entwurf oder um ein Routine- bzw. Formschreiben der Geschäftsstelle
des Gerichts handelt und deshalb von einer Wichtigkeit für das Verfahren auszugehen ist. Die Betreibensaufforderung ist eine
prozessleitende Verfügung und ergeht nicht in Form eines Beschlusses. Innerhalb des Spruchkörpers ist dafür der Vorsitzende
oder, sofern ein Berichterstatter bestellt ist, dieser für prozessleitende Verfügungen zuständig (§
155 i.V.m. §
106 SGG).
Die Betreibensaufforderung hat die Fiktion einer Klagerücknahme ausgelöst, weil das Verfahren innerhalb der genannten Frist
von der Klägerin nicht betrieben worden ist. Die Einreichung des Ablehnungsgesuchs war dafür nicht ausreichend. Ein Betreiben
im Sinne von §
102 Abs.
2 S. 1
SGG liegt nur dann vor, wenn ein Vortrag zur Sache erfolgt. Dies ist hier jedoch nicht geschehen. Die für das Verfahren erforderlichen
weiterführenden Angaben der Klägerin zum Sachverhalt sind ebenso unterblieben wie die Einreichung von Belegen zum Nachweis
der Bedürftigkeit. Die Begründung zum Antrag auf Ablehnung des Berichterstatters diente auch einem gänzlich anderen Zweck.
Sie war auf Ausschluss eines Richters aber nicht auf Darlegung oder Nachweis von anspruchsbegründenden Tatsachen gerichtet.
Es bestanden im konkreten Einzelfall zudem hinreichende Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses an der
Fortführung des Verfahrens. In Bezug auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts folgt dies schon aus dem prozessualen
und auch aus dem vorprozessualen Verhalten der Klägerin. Sie hat zwar wiederholt geltend gemacht, ohne finanzielle Mittel
und deshalb dringend auf Grundsicherungsleistungen angewiesen zu sein, gleichzeitig aber das Verfahren nicht bzw.(anfänglich)
nur äußerst schleppend betrieben. Dies ist nicht nachvollziehbar, denn wer geltend macht, auf die Gewährung existenzsichernder
Leistungen angewiesen zu sein, von dem ist zu erwarten, dass er alles in seiner Macht Stehende unternimmt, diese Mittel möglichst
schnell zu erhalten, um damit die geltend gemachte finanziellen Notlage unverzüglich überwinden zu können. Von der Klägerin
ist auch in keiner Weise dargelegt worden, wovon sie in der Zeit seit der nunmehr deutlich über vier Jahre zurückliegenden
Antragstellung ihren Lebensunterhalt bestritten hat. Ihre Einlassung, ihr sei nicht zuzumuten, Beweismittel beizubringen,
die die Rechtsansichten der Gegenseite stützten, legt nahe, dass sie über ausreichende finanzielle Mittel zur Bestreitung
des Lebensunterhalts verfügte und aus diesem Grunde das Interesse an der Fortführung des Verfahrens verloren hat. Gleiches
gilt insbesondere auch für den von ihr aufrecht erhaltenen Antrag auf Erteilung einer Zusicherung gemäß § 22 Abs. 5 SGB II. Die in dieser Rechtsvorschrift enthaltene Sonderregelung für Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben,
findet auf die Klägerin seit Mai 2018 keine Anwendung mehr, sodass dieses Antragsbegehren ersichtlich ins Leere geht. Angaben
darüber, ob und gegebenenfalls wann sie die elterliche Wohnung verlassen hat, wurden von der Klägerin ebenfalls nicht gemacht.
Auch dieses prozessuale Verhalten ist ein gewichtiger Hinweis für einen Wegfall des Interesses an der Fortführung des Verfahrens.
Die weiteren Voraussetzungen für den Eintritt der Klagerücknahmefiktion liegen ebenfalls vor. Die Fiktion der Klagerücknahme
im Sinne von §
102 Abs.
2 S. 1
SGG kann noch im Berufungsverfahren eintreten. Dies folgt aus §
102 Abs.
2 S. 2 i.V.m. §
102 Abs.
1 S. 1
SGG. Ist eine Klagerücknahme noch im Berufungsverfahren möglich, ist kein Grund dafür ersichtlich, weshalb die Fiktion der Rücknahme
der Klage bei Wegfall des Rechtsschutzinteresses nicht auch im Berufungsverfahren eingreifen könnte (so auch das Bundessozialgericht
im bereits benannten Urteil vom 01.07.2010 zu den Rn. 35 ff. der Wiedergabe bei juris). Der Eintritt der Klagerücknahmefiktion
setzt schließlich nicht eine nach außen gerichteten Entscheidung des Gerichts durch Urteil oder Beschluss voraus (Bundessozialgericht,
Beschluss vom 20.05.2019 zum Aktenzeichen B 14 AS 66/18 B, zur Rn. 6 bei juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht.