LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.05.2021 - 11 KA 39/19
Durchführung von Wirtschaftlichkeitsprüfungen in der vertragsärztlichen Versorgung
Rechtmäßigkeit der Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens bei der Verordnung
von Arzneimitteln – hier der modernen Glaukomtherapie
Eine Vereinbarung über Richtgrößen für Arznei- und Verbandmittel und Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung bei Überschreitung
der Richtgrößen überschreitet die Grenzen des Gestaltungsspielraumes nicht, wenn sie hinsichtlich der Verordnungskosten für
bestimmte Indikationsgebiete als Praxisbesonderheit eine "volle Anerkennung" vorsieht, für andere dagegen auf die Feststellung
eines Mehrbedarfes abstellt – hier für Kosten der modernen Glaukomtherapie.
Normenkette: ,
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,
,
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,
SGB X § 20
Vorinstanzen: SG Düsseldorf 13.02.2019 S 33 KA 13/14
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13. Februar 2019 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer schriftlichen Beratung wegen einer Überschreitung der Arzneimittel-Richtgrößensumme
in den Quartalen I/2010 bis IV/2010.
Der 1950 geborene Kläger ist als Facharzt für Augenkunde in Ratingen niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung
zugelassen. In den genannten Quartalen rechnete er zwischen 770 und 931 Behandlungsfälle ab, womit er die durchschnittlichen
Fallzahlen der Fachgruppe um 50,3% bis 60,5% unterschritt. Bei den Honoraranforderungen lagen Unterschreitungen der durchschnittlichen
Fallkosten der Fachgruppe von 5% bis 8% und bei der Anforderung von Sprechstundenbedarf von 50% bis 75% vor. Bei der Verordnung
von Arzneimitteln ergab sich bei einem Verordnungsvolumen von insgesamt 56.906,36 € eine Überschreitung der Richtgrößensumme
um 24.920,74 €, entsprechend einer prozentualen Überschreitung von 77,91%.
Die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Nordrhein (Prüfungsstelle) leitete mit Schreiben vom 2./4. Juli 2012 gegenüber
dem Kläger eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit seiner Verordnungsweise von Arzneimitteln nach Richtgrößen für die Quartale
I/2010 bis IV/2010 gemäß § 106 Abs. 5a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch ( SGB V) i.V.m. §§ 11, 12 der ab dem 1. Januar 2008 geltenden Prüfvereinbarung zwischen der Beigeladenen zu 6) und den Krankenkassen vom 1. Januar
2008 (Prüfvereinbarung [PV], Rheinisches Ärzteblatt 12/2007, S. 62) sowie deren für das Jahr 2010 gültigen Anlage 2 (Vereinbarung
über Richtgrößen für Arznei- und Verbandmittel 2010 - Richtgrößen für Arznei- und Verbandmittel und Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung
bei Überschreitung der Richtgrößen [Richtgrößenvereinbarung <RV>], Rheinisches Ärzteblatt 1/2010, S. 62) ein und gab dem Kläger
Gelegenheit zur Darlegung weiterer Praxisbesonderheiten. Entsprechende Anschreiben unter jeweiliger Fristsetzung zur Stellungnahme
binnen drei Wochen an den Kläger datieren auf den 23. Juli, den 9. August und den 27. August 2012, ohne dass der Kläger reagierte.
Alle Schreiben wurden - nach Aktenlage - jeweils per Einschreiben versandt.
Daraufhin setzte die Prüfstelle gegen den Kläger mit Bescheid vom 22. November 2012 wegen einer Überschreitung der Richtgrößensumme
um mehr als 25% eine schriftliche Beratung fest. Entsprechend den einschlägigen Vorschriften werde ein Prüfverfahren von Amts
wegen für das Jahr 2010 durchgeführt, wenn das (Brutto-)Verordnungsvolumen des Vertragsarztes innerhalb eines Kalenderjahres
die Richtgrößensumme des betreffenden Zeitraums um mehr als 15% überschreitet. Ein Verfahren zur Prüfung eines Pauschalregresses
werde darüber hinaus durchgeführt, wenn das (Brutto-)Verordnungsvolumen des Vertragsarztes die Richtgrößensumme des betreffenden
Zeitraums um mehr als 25% überschreite und aufgrund der vorliegenden Daten die Prüfungsstelle nicht davon auszugehen sei,
dass die Überschreitung in vollem Umfang durch Praxisbesonderheiten nach § 5 Abs. 3, 4 RV begründet sei. Für den Kläger habe
die Gegenüberstellung seiner Arzneikostensumme und der Richtgrößen ergeben, dass die o.g. Merkmale zuträfen, weshalb von der
Prüfungsstelle ein Prüfverfahren eingeleitet worden sei. Hierüber sei der Kläger informiert und zur Stellungnahme aufgefordert
worden. Die Übersichten über die Struktur der Arzneiverordnungskosten gemäß § 4 Abs. 4 RV (WP-Listen 05, 08 und 09), die Arzneimittelstatistik
- Praxisbesonderheiten sowie die Quartalsbilanz IV/2010 seien dem Kläger zur Verfügung gestellt worden. Die Abweichungen der
Fallzahlen sowie Rentner, Notfälle, Vertretung Fälle, Zuweisungen und Überweisungen seien den nachfolgenden Tabellen zu entnehmen:
Quartal
|
Abrechnungsfälle absolut
|
Abw. in %
|
Abweichung
|
Abrechnungsfälle
absolut
|
Anteil in %
|
Abweichung
|
|
Praxis
|
AG
|
|
|
Praxis
|
AG
|
Praxis
|
AG
|
in %
|
Fälle
|
I/2010
|
770
|
1.953
|
-60,57
|
Rentner
|
419
|
981
|
54,42
|
50,23
|
8,34
|
32
|
Notfälle
|
1
|
17
|
0,13
|
0,87
|
-85,06
|
-6
|
Vertreter
|
0
|
5
|
0
|
0,26
|
-100
|
-2
|
Zuweisungen
|
0
|
3
|
0
|
0,15
|
-100
|
-1
|
Überweisungen
|
502
|
1.259
|
65,19
|
64,46
|
1,13
|
6
|
|
II/2010
|
795
|
1.948
|
-59,19
|
Rentner
|
401
|
986
|
50,44
|
50,62
|
-0,36
|
-1
|
Notfälle
|
13
|
22
|
1,64
|
1,13
|
45,13
|
4
|
Vertreter
|
0
|
7
|
0
|
0,36
|
-100
|
-3
|
Zuweisungen
|
0
|
3
|
0
|
0,15
|
-100
|
-1
|
Überweisungen
|
482
|
1.230
|
60,63
|
63,14
|
-3,98
|
-20
|
|
III/2010
|
792
|
1.880
|
-57,87
|
Rentner
|
407
|
945
|
51,39
|
50,27
|
2,23
|
9
|
Notfälle
|
2
|
18
|
0,25
|
0,96
|
-73,96
|
-6
|
Vertreter
|
0
|
12
|
0
|
0,64
|
-100
|
-5
|
Zuweisungen
|
0
|
3
|
0
|
0,16
|
-100
|
-1
|
Überweisungen
|
500
|
1.157
|
63,13
|
61,54
|
2,58
|
13
|
|
IV/2010
|
931
|
1.874
|
-50,32
|
Rentner
|
467
|
959
|
50,16
|
51,17
|
-1,97
|
-9
|
Notfälle
|
9
|
16
|
0,97
|
0,85
|
14,12
|
1
|
Vertreter
|
0
|
7
|
0
|
0,37
|
-100
|
-3
|
Zuweisungen
|
0
|
3
|
0
|
0,16
|
-100
|
-1
|
Überweisungen
|
591
|
1.189
|
63,48
|
63,45
|
0,05
|
0
|
Das Gesamthonorar weiche wie folgt von den Werten der Arztgruppe ab (gewogene Werte aus der Gesamtübersicht vor Prüfung):
Quartal
|
Sparte
|
Honoraranforderung
|
Abweichung in
|
Praxis
|
FallØ nach Abr.fällen
|
insg.
|
Praxis
|
AG
|
Punkten
|
%
|
I/2010
|
Gesamtleistungen
|
529.615
|
684,2
|
718,7
|
-34,5
|
-5
|
II/2010
|
Gesamtleistungen
|
559.625
|
707,1
|
765,8
|
-58,7
|
-8
|
III/2010
|
Gesamtleistungen
|
575.170
|
727,9
|
767
|
-39,1
|
-5
|
IV/2010
|
Gesamtleistungen
|
657.460
|
711,2
|
767,7
|
-56,5
|
-7
|
Die der Prüfungsstelle vorliegenden außergebührenmäßigen Kosten seien der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen, hier Sprechstundenbedarfsstatistik:
Quartal
|
FallØ in der Praxis in €
|
FallØ der AG in €
|
Abw. in %
|
Abw. in € Fall
|
Fallzahl der Praxis
|
Abw. in €
|
I/2010
|
0,72
|
1,44
|
-50
|
-0,72
|
770
|
-554,4
|
II/2010
|
0,46
|
1,55
|
-70,32
|
-1,09
|
795
|
-866,55
|
III/2010
|
0,63
|
1,55
|
-59,35
|
-0,92
|
792
|
-728,64
|
IV/2010
|
0,39
|
1,61
|
-75,78
|
-1,22
|
931
|
-1.135,82
|
Gemäß § 3 Abs. 2 RV würden Überweisungen zu Auftragsleistungen (Zielaufträge) sowie Konsiliaruntersuchungen in der Quartalsbilanz
nicht berücksichtigt. Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KV) erstelle quartalsweise eine Morbiditätsstatistik, welche
den durchschnittlichen Anteil der Diagnosen von Patienten zeige, die in den Praxen der jeweiligen Arztgruppe behandelt würden.
Die Quartalsbilanzen Arzneimittelverordnungen erwiesen die Arzneiverordnungskosten und Abweichungen gegenüber den Richtgrößen
wie folgt aus:
Quartal
|
Versicherten-
status
|
Behandlungsfälle ohne
Zuweisungen
|
Richtgrößensumme
lt. QB in €
|
Arzneiverordnungskosten
in €
|
Abw. zur Richtgrößensumme
absolut in €
|
Abw. zur Richtgrößensumme in %
|
I/2010
|
AV
|
351
|
2.070,90
|
4.372,14
|
2.301,24
|
111,12
|
RV
|
419
|
5.585,27
|
7.542,11
|
1.956,84
|
35,04
|
Sum
|
770
|
7.656,17
|
11.914,25
|
4.258,08
|
55,62
|
|
II/2010
|
AV
|
394
|
2.324,60
|
5.694,86
|
3.370,26
|
144,98
|
RV
|
401
|
5.345,33
|
9.565,90
|
4.220,57
|
78,96
|
Sum
|
795
|
7.669,93
|
15.260,76
|
7.590,83
|
98,97
|
|
III/2010
|
AV
|
385
|
2.271,50
|
5.703,92
|
3.432,42
|
151,11
|
RV
|
407
|
5.425,31
|
8.787,73
|
3.362,42
|
61,98
|
Sum
|
792
|
7.696,81
|
14.491,65
|
6.794,84
|
88,28
|
|
|
IV/2010
|
AV
|
464
|
2.737,60
|
6.297,39
|
3.559,79
|
130,03
|
RV
|
467
|
6.225,11
|
8.942,31
|
2.717,20
|
43,65
|
Sum
|
931
|
8.962,71
|
15.239,70
|
6.276,99
|
70,03
|
|
Gesamt
|
AV+RV
|
3.288
|
31.985,62
|
56.906,36
|
24.920,74
|
77,91
|
Anlässlich der Überprüfung der vorgelegten Detail-Datenlieferungen (WP-Listen) werde festgestellt, dass die dort angeführten
Verordnungskosten für die Quartale I/2010 bis IV/2010 um 891,90 € höher lägen als die in den Quartalsbilanzen ausgewiesenen
Summen, wobei jedoch die Quartalsbilanzen Berechnungsgrundlage seien.
Gemäß § 5 RV seien im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung bei Überschreitung vereinbarter Richtgrößen Praxisbesonderheiten
nach Maßgabe der Abs. 2 bis 4 zu berücksichtigen. Vorliegend komme eine Berücksichtigung von Verordnungskosten gemäß § 5 Abs.
4 RV in Betracht. Danach seien die Mehrkosten aufgrund der Fall- bzw. Durchschnittswerte der Arztgruppe zu berücksichtigen.
Dies bedeute, dass pro unten genannter Praxisbesonderheiten ein durchschnittlicher Fallwert der Gruppe errechnet werde. Die
Berechnung der Mehrkosten einer Praxisbesonderheiten gegenüber der Gruppe erfolge wie folgt: Falldurchschnitt des Vertragsarztsitz
bei einer Symbolnummer minus Falldurchschnitt der Arztgruppe für diese Symbolnummer multipliziert mit der Behandlungsfallzahl
des Vertragsarztes, hier mit 3.288.
Symbol-nummer
|
|
Mehrkosten in €
|
90923
|
Moderne Glaukomtherapie (Brimonidin, Dorzolamid, Brinzolamid, Latanoprost, Travoprost und Bimatoprost, ggf. in Kombination
mit lokalen Betablockern), soweit lokalen Betablockern kontraindiziert sind oder keine oder nur unzureichende Wirkung zeigen
|
6.806,16
|
Verordnungssumme Vertragsarzt in €
|
28.267,91
|
Falldurchschnitt Vertragsarzt in €
|
8,60
|
Falldurchschnitt Arztgruppe in €
|
6,53
|
Weitere Praxisbesonderheiten gemäß § 5 Abs. 5 RV seien nicht zu berücksichtigen. Das geschehe nur dann, wenn der Vertragsarzt
nachweise, dass er der Art und Anzahl nach besondere von der Arztgruppentypik abweichende Erkrankungen behandelt habe und
hierdurch notwendige Mehrkosten entstanden seien. Das sei vorliegend nicht der Fall.
Nach Berücksichtigung der von der Prüfungsstelle ermittelten Abzüge ergeben sich folgende Abweichungen gegenüber der Richtgrößensumme:
Arzneiverordnungskosten in €
|
56.906,36 €
|
abzgl.
|
|
Verordnungskosten gem. § 5 Abs. 3 Richtgrößenvereinbarung in €
|
0
|
Verordnungskosten gem. § 5 Abs. 4 Richtgrößenvereinbarung in €
|
6.806,16
|
Verordnungskosten gem. § 5 Abs. 5 Richtgrößenvereinbarung in €
|
0
|
Verbliebene Arzneikosten in €
|
50.100,20
|
Abweichung ggü. der Richtgrößensumme
|
56,63%
|
|
Die Prüfungsstelle sehe den über eine 25-%ige Überschreitung der Richtgrößensumme hinausgehenden Betrag als unwirtschaftlich
an. Apothekenrabatt und Patientenzuzahlungen seien anteilig berücksichtigt (Index):
Verbliebene Arzneiverordnungskosten in €
|
50.100,20
|
abzgl.
|
|
Richtgrößensumme in € + 25%
31.985,62
7.996,41
|
39.982,03
|
Verbleibender Überschreitungsbetrag (Brutto) in €
|
10.118,18
|
Index Arzt: 71,84%/Index Arztgruppe 75,27%
Abzgl. günstigster Nettokostenindex: 71,84%
|
|
Regressbetrag Netto in €
|
7.268,89
|
Gemäß § 106 Abs. 5a Satz 3 SGB V habe bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25% der Vertragsarzt nach Feststellung durch die Prüfungsstelle
den sich daraus ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet
sei. Abweichend hiervon werde in § 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V geregelt, dass bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25% eine Beratung zu erfolgen habe.
In dem Prüfjahr 2010 werde unter Berücksichtigung der vorgenannten gesetzlichen Regelung von einer Festsetzung des Begriffsbetrages
abgesehen und eine schriftliche Beratung festgesetzt.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein (Schreiben vom 14. Januar 2013). Er sei erstmalig mit Schreiben vom 27. August
2012 über das Verfahren informiert worden. Die Postzustellung in Ratingen sei mitunter unzuverlässig. Es sei davon auszugehen,
dass aufgrund der verspäteten Zustellung die (dreiwöchige) Stellungnahmefrist bei Erlass des Prüfbescheides unterschritten
worden sei. Eine unwirtschaftliche Verordnungsweise habe nicht vorgelegen, vielmehr seien alle Verordnungen notwendig gewesen.
Unterschiede zur Vergleichsgruppe erklärten sich aus der Praxisstruktur, wobei es im Wesentlichen um die unter der Symbolnummer
90923 erfasste moderne Glaukomtherapie gehe. Seine Praxis sei um 40% bis 50% unterdurchschnittlich zur Vergleichsgruppe, umgekehrt
lägen die Verordnungskosten für die moderne Glaukomtherapie über den jeweiligen Richtgrößensummen. Grund dafür sei die seit
2009 von teilweise über 2.000 Behandlungsfällen gesunkene Anzahl der Behandlungsfälle und die Anzahl der in der Praxis verbliebenen
Glaukompatienten, deren Quote gemessen an der Gesamtfallzahlen überproportional sei. In jedem Verordnungsfall sei die moderne
Glaukomtherapie nach fachärztlichem Standard medizinisch notwendig und gesichert sowie eine andere Therapie nicht ausreichend
oder indiziert gewesen. Zur Stützung seines Vorbringens listete der Kläger die mit modernen Glaukommedikamenten behandelten
Patienten unter Erläuterung der Indikation auf und legte die Behandlungsdokumentationen vor.
Nach mündlicher Verhandlung wies der beklagte Beschwerdeausschuss den Widerspruch des Klägers unter Vertiefung der Ausführungen
der Prüfungsstelle als unbegründet zurück (Beschluss vom 19. Dezember 2013). Zur Begründung wiederholte er die Ausführungen
und tabellarischen Auflistungen der Prüfungsstelle. Ergänzend verwies er zu den Ausführungen des Klägers, wonach die Verordnung
der modernen Glaukommedikamente für jeden Patienten notwendig gewesen sei, darauf, dass die Mehrkosten der Arzneiverordnungen
zur modernen Glaukomtherapie bereits gemäß § 5 Abs. 4 RV unter der Symbolnummer 90923 in Abzug gebracht worden seien. Darüber
hinausgehende Praxisbesonderheiten seien nicht vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich. Praxisbesonderheiten gemäß §
5 Abs. 5 RV seien nicht zu berücksichtigen. Das geschehe nur dann, wenn der Vertragsarzt nachweise, dass er der Art und Anzahl
nach besondere, von der Arztgruppentypik abweichende Erkrankungen behandelt habe und hierdurch notwendige Mehrkosten entstanden
seien. Dabei habe er gemäß § 5 Abs. 6 RV für von ihm gesehene Praxisbesonderheiten darzulegen, aufgrund welcher besonderer,
der Art und Anzahl nach von der Typik in der Arztgruppe abweichende Erkrankungen er welche Arzneitherapien mit welchen (ggf.
geschätzten) Mehrkosten die Behandlungsweise veranlasst habe. Der Kläger könne diesen Nachweis mit den eingereichten Einzelfalldarstellung
nicht in der geforderten dezidierten Form erbringen. Da bei dem Kläger eine erstmalige Überschreitung des Richtgrößen-Volumens
um mehr als 25% festgestellt worden sei, habe eine individuelle Beratung zu erfolgen.
Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner am 20. Januar 2014 zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhobenen Klage gewandt und sein Begehren weiterverfolgt. Er habe entsprechend den Anforderungen der Rechtsprechung
des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW, Verweis auf Senat, Urteil vom 12. Dezember 2013 - L 11 KA 93/08) substantiiert und mit konkreten Behandlungsunterlagen nachgewiesen, dass eine Praxisbesonderheit vorliege. Es stehe fest,
dass die Zuordnung der streitbefangenen Arzneimittel in jedem Einzelfall medizinisch notwendig gewesen sei. Zu den ausführlich
schriftlich dargelegten und mit den Behandlungsunterlagen nachgewiesenen Praxisbesonderheiten verhalte sich der Bescheid jedoch
nur formelhaft. Es sei auch nicht richtig, dass die Verordnungen nach Ziff. 90923 bereits als Praxisbesonderheit berücksichtigt
worden sei. Die aus der notwendigen Verordnung innovativer Glaukommedikamente ausgelösten Kosten seien im Streitfall höher
als die statistisch ermittelten Pauschalen. Dies habe er bereits im Verwaltungsverfahren ausführlich dargestellt. Denn anders
als bei weiteren, in § 5 aufgeführten Krankheiten erkenne die Richtgrößenvereinbarung für die innovative Glaukomtherapie nach
Ziff. 90923 nur Durchschnittswerte als Praxisbesonderheit an. So stelle der Falldurchschnitt von 6,53 € nur 75,8% der tatsächlichen
Kosten von 8,60 € dar. Für die Widerlegung der vermuteten Unwirtschaftlichkeit komme es darauf an, in der sog. intellektuellen
Prüfung die Notwendigkeit jeder einzelnen Verordnung innovativer Glaukommedikamente darzustellen und nachzuweisen. Dass er
- der Kläger - den Nachweis von Praxisbesonderheiten mit den eingereichten Einzelfalldarstellungen nicht habe erbringen können,
sei falsch. In jedem der streitigen Fälle sei die Verordnung der innovativen Glaukommedikamente aufgrund der jeweiligen Erkrankung
und des individuellen Krankheitsverlaufs der benannten Patienten notwendig gewesen. Im Übrigen hat der Kläger sein Vorbringen
aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und geltend gemacht, nach Abzug der (tatsächlichen) Kosten für die Verordnung der
Glaukomtherapie werde die Richtgrößensumme nicht mehr um mehr als 25% überschritten.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 19. Dezember 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, über den Widerspruch des Klägers
gegen den Bescheid der Prüfungsstelle vom 22. November 2012 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat er auf die Ausführungen in seinem angefochtenen Bescheid verwiesen. Ergänzend hat er ausgeführt, dass die
moderne Glaukomtherapie als Praxisbesonderheit anerkannt worden sei. Zu Recht seien dann gemäß § 5 Abs. 4 RV lediglich die
Mehrkosten gegenüber der Arztgruppe von den Verordnungskosten des Klägers in Ansatz gebracht worden. Ein Anspruch auf Berücksichtigung
der gesamten Kosten bestehe nicht, denn die Vertragspartner hätten einen Gestaltungsspielraum, ob für bestimmte Indikationsgebiete
eine "volle Anerkennung" der Verordnungskosten vorgesehen oder ob auf eine Feststellung des Mehrbedarfs abgestellt werde (Verweis
auf Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 15. Juli 2015 - B 6 KA 30/14 R, Rn. 39). Von diesem Gestaltungsspielraum hätten die Vertragspartner in zulässiger Weise Gebrauch gemacht. Die Anerkennung
lediglich der Mehrkosten zur modernen Glaukomtherapie sei daher nicht zu beanstanden. Die Ausführungen des Klägers, dass die
Verordnung dieser Therapie für jeden Patienten erforderlich gewesen sei, stelle mithin keinen Vortrag dar, der zu einer weitergehenden
Anerkennung von Praxisbesonderheiten führe. Darüber hinaus habe der Kläger keine Praxisbesonderheiten dargelegt. Soweit er
auf die im Widerspruchsverfahren vorgelegten Unterlagen verweise, handele es sich dabei um alphabetisch sortierte Auszüge
aus den Patientenakten. Dadurch belege er keine weiteren Praxisbesonderheiten. Soweit der Kläger rüge, dass dem beklagten
Beschwerdeausschuss kein Augenarzt angehört habe bzw. ein solcher nicht konsultiert worden sei, könne er damit nicht durchdringen.
Er sei als vom Gesetzgeber fachkundig zusammengesetzte Einrichtung konzipiert, so dass er grundsätzlich selbst die erforderliche
medizinische Sachkunde besitze (Verweis auf BSG, Urteil vom 28. Juni 2000 - B 6 KA 36/98 R, Rn. 24). Auch eines Sachverständigengutachtens habe es nicht bedurft.
Die mit Beschluss vom 4. Mai 2015 am Verfahren beteiligten Beigeladenen zu 1) bis 8) haben keine Stellung genommen und keine
Anträge gestellt.
Mit Schreiben vom 22. Mai 2014 hat die Prüfungsstelle hinsichtlich der Arzneiverordnungstätigkeit in den Quartalen I/2010
bis IV/2010 den Kläger schriftlich beraten.
Das SG hat mit Urteil vom 13. Februar 2019 die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das dem Kläger am 14. März 2019 zugestellte Urteil hat er sich mit seiner am 11. April 2019 eingelegten Berufung gewandt.
Zur Begründung wiederholt er seinen bisherigen Vortrag.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13. Februar 2019 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 19. Dezember 2013
aufzuheben.
hilfsweise über seinen Widerspruch gegen den Bescheid der Prüfungsstelle vom 22. November 2012 unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Gerichts erneut zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Ergänzend verweist er darauf, dass das klägerische Verständnis einer
Praxisbesonderheit nicht mit der einschlägigen Rechtsprechung konform gehe (Verweis auf Senat, Beschluss vom 20. November
2013 - L 11 KA 81/13 B ER, Rn. 97). Angesichts dessen könne auch der Vortrag des Klägers, seine Praxis sei gegenüber anderen Vertragsärzten "apparativ
besonders ausgestattet", nicht überzeugen. Zudem übersehe er, dass im Fall der Arzneimittel-Richtgrößenprüfung die Abweichung
von der Richtgröße und nicht die einzelne Verordnung im Streit stehe. Beanspruche ein Vertragsarzt mehr verordnungsfähiges
Richtgrößenvolumen, müsse er folgerichtig eine von der Vergleichsgruppe abweichende Patientenklientel darlegen. Daran fehle
es vorliegend. Die eingereichten Listen seien ungeeignet, allenfalls plausibilisierten sie sein Vorgehen, ließen indes nicht
auf eine abweichende, nur in seiner Praxis anzufindende Morbiditätsstruktur schließen.
Der Senat hat die im Verfahren vorgelegten Behandlungsdokumentationen und einen Arztregisterauszug des Klägers beigezogen.
Mit Anhörungsmitteilung vom 7. April 2021 hat der Senat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass erwogen werde, die Berufung
des Klägers im Verfahren nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz ( SGG) zurückzuweisen. Auf den Inhalt der - den Beteiligten per Telefax übermittelten - Anhörungsmitteilungen wird verwiesen. Der
Kläger hat diesbezüglich mit Schriftsatz vom 10. Mai 2021, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, Stellung genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und den Inhalt der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Der Senat kann die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Düsseldorf vom 13. Februar 2019 durch Beschluss zurückweisen,
da die Berufsrichter sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halten. Im Rahmen
seiner Ermessensentscheidung (vgl. hierzu etwa BSG, Beschluss vom 30. Juli 2009 - B 13 R 187/09 B - juris) hat der Senat berücksichtigt, dass die im vorliegenden Rechtsstreit aufgeworfenen Fragen auf Grundlage höchstrichterlicher
Rechtsprechung beantwortet werden können und eine weitere Sachaufklärung durch das Gericht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung
nicht notwendig ist.
Die Beteiligten sind auch zu dieser Entscheidungsform gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGG); sie haben nach Zugang der Anhörungsmitteilung keine Aspekte aufgezeigt, die eine mündliche Verhandlung erforderlich erscheinen
lassen. Das gilt auch eingedenk der klägerischen Ausführungen im Schriftsatz vom 10. Mai 2021. Durch diese musste sich der
Senat insbesondere nicht zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen oder zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung gedrängt
sehen, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen im Einzelnen zeigt. Da der Schriftsatz keine neuen Tatsachen- oder Rechtsausführungen
enthält und, soweit er Beweisanträge enthält, diese bereits bekannt waren, bedurfte es auch keiner erneuten Anhörung.
II. Die am 11. April 2019 innerhalb eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Urteils bei dem LSG Nordrhein-Westfalen
schriftlich eingelegte Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13. Februar 2019 ist zulässig,
insbesondere ohne gerichtliche Zulassung statthaft (§§ 143, 144 SGG) sowie form- und fristgerecht erhoben worden (§ 151 Abs. 1; § 64 Abs. 1, Abs. 2; § 63 SGG).
III. Die Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil diese zwar zulässig (hierzu 1.), aber nicht begründet ist (hierzu 2.). Gleiches gilt
für den erhobenen Hilfsantrag (hierzu 3.).
1. Die Klage ist zulässig. Gegenstand der mit Hauptantrag geltend gemachten, statthaften Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGG) ist allein der ausgefertigte Beschluss des Beklagten vom 19. Dezember 2013 (st. Rspr. seit BSG, Urteil vom 9. März 1994 - 6 RKa 5/92 - BSGE 74, 59, 62; so auch BSG, Beschluss vom 10. Mai 2017 - B 6 KA 58/16 B - juris). Das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss ist ein "eigenständiges und umfassendes Verwaltungsverfahren in einer
zweiten Verwaltungsinstanz (BSG, Urteil vom 9. März 1994 - a.a.O.; BSG, Urteil vom 21. April 1993 - 14a RKa 40/91; Clemens in: jurisPK- SGB V, 3. Auflage, § 106 Rn. 442). Das hat zur Folge, dass eine Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Prüfungsstelle in der Regel unzulässig ist.
Ein nach der Rechtsprechung des BSG anerkannter Ausnahmefall in Gestalt eines "irreparablen Gesamtmangels" (vgl. BSG, Urteil vom 9. März 1994 - 6 RKa 5/92; Clemens a.a.O. § 106 Rn. 444), liegt hier nicht vor.
b) Die Klage ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht am 20. Januar 2014 binnen eines Monats nach der am 20.
Dezember 2013 bewirkten Zustellung der angefochtenen Entscheidung erhoben worden.
2. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Entscheidung des Beklagten vom 19. Dezember 2013 beschwert den Kläger nicht im
Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Beschluss ist rechtmäßig. Der Beklagte hat formell und materiell beanstandungsfrei eine schriftliche Beratung festgestellt.
a) Rechtsgrundlage für die Festsetzung schriftlichen Beratung wegen Überschreitung des Richtgrößenvolumens ist § 106 Abs. 5a Satz 3 SGB V (<a.F.> i.d.F. vom 17. Juli 2009) i.V.m. § 106 Abs. 5e Satz 1, 7 SGB V (i.d.F. vom 19. Oktober 2012) i.V.m. § 84 Abs. 6 SGB V (<a.F.> i.d.F. vom 15. Dezember 2008). Dabei ist grundsätzlich das im jeweiligen Prüfungszeitraum geltende Recht maßgeblich.
Dies gilt nicht hinsichtlich des hier anwendbaren und in § 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V normierten Grundsatzes der Beratung vor Regress, da nach § 106 Abs. 5e Satz 7 SGB V der Abs. 1 auch für Verfahren, die am 31. Dezember 2011 - wie vorliegend - noch nicht abgeschlossen waren, für anwendbar erklärt wird
(vgl. dazu: BSG, Urteil vom 22. Oktober 2014 - B 6 KA 3/14 R - BSGE 117, 149, Rn. 36ff.).
Nach § 106 Abs. 5a Satz 3 SGB V a.F. hat ein Vertragsarzt bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25% nach Feststellung durch die Prüfungsstelle
den sich daraus ergebenden Mehraufwand zu erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Abweichend
von § 106 Abs. 5a Satz 3 SGB V a.F. erfolgt bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent eine individuelle Beratung
nach § 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V a.F..
Nach § 84 Abs. 6 SGB V a.F. vereinbaren die Vertragspartner nach § 84 Abs. 1 SGB V - die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen sowie die kassenärztliche Vereinigung - bis zum 15. November
für das jeweils folgende Kalenderjahr zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung für das auf das Kalenderjahr bezogene
Volumen der je Arzt verordneten Arznei- und Verbandmittel (Richtgrößenvolumen) arztgruppenspezifische fallbezogene Richtgrößen
als Durchschnittswerte unter Berücksichtigung der nach § 84 Abs. 1 SGB V getroffenen Arzneimittelvereinbarung. Zusätzlich sollen die Vertragspartner die Richtgrößen nach altersgemäß gegliederten
Patientengruppen und darüber hinaus auch nach Krankheitsarten bestimmen (§ 84 Abs. 6 Satz 2 SGB V a.F.). Die Richtgrößen leiten den Vertragsarzt bei seinen Entscheidungen über die Verordnung von Arznei- und Verbandmittel
nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 84 Abs. 6 Satz 3 SGB V a.F.). Gemäß § 84 Abs. 6 Satz 4 SGB V a.F. löst eine Überschreitung des Richtgrößenvolumens eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 Abs. 5a SGB V unter den dort genannten Voraussetzungen aus.
b) Der Beschluss ist formell rechtmäßig.
aa) Der Beklagte ist für die durchgeführte Arzneimittelrichtgrößenprüfung zuständig (§ 106 Abs. 2 Nr. 1 SGB V a.F. i.V.m. §§ 3 und 8 Abs. 1 PV).
bb) Die nach § 24 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch (SGB X) erforderliche Anhörung ist erfolgt. Dem Kläger wurden nach § 106 Abs. 5a Satz 7 Halbsatz 2 SGB V a. F. die Prüfunterlagen inkl. Praxisbesonderheiten übersandt. Zumindest das letzte Schreiben vom 27. August 2012 hat der
Kläger nach eigenen Angaben auch erhalten, da dieses durch einen Boten in der Praxis übergeben worden ist. Dass insofern die
dreiwöchige Stellungnahmefrist vor Erlass des Bescheides der Prüfstelle vom 22. November 2012 unterlaufen worden sei, ist
nicht im Ansatz erkennbar. Der Kläger hat bereits nicht substantiiert vorgetragen, wann er das Schreiben erhalten haben will.
Selbst wenn die Anhörung ebenfalls wie - nach klägerischem Vortrag - der Bescheid der Prüfstelle erst nach einem Monat durch
den Boten übermittelt worden wäre (vgl. Widerspruchsschreiben des Klägers), mithin um den 27. September 2012, ist die dreiwöchige
Frist noch gewahrt gewesen. Letztlich stand dem Kläger die Möglichkeit offen, im Rahmen seines Widerspruchs gegenüber dem
Beklagten ausführlich Stellung zu nehmen, § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X.
cc) Die Prüfungsstelle hat grundsätzlich vor Festsetzung des Regressbetrages auf eine Vereinbarung im Sinne des § 106 Abs. 5a Satz 4 SGB V hinzuwirken (zur Hinwirkungspflicht der Prüfgremien: BSG, Urteil vom 15. Juli 2015 - B 6 KA 30/14 R - juris; BSG, Urteil vom 28. Oktober 2015 - B 6 KA 45/14 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 53). Das gilt vorliegend indes nicht, da kein Regressbetrag, sondern eine schriftliche Beratung festgesetzt
worden ist. Zu einer Regressierung kann es erst kommen, wenn eine schriftliche Beratung durchgeführt wurde, § 106 Abs. 5e Satz 2 SGB V.
c) Der Bescheid ist auch in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden.
aa) Tatbestandlich verlangt § 106 Abs. 5a Satz 3, Abs. 5e Satz 1 SGB V zunächst eine Richtgrößenüberschreitung von mehr als 25%. Eine solche ist gegeben.
(1) Die RV 2010 ist als öffentlich-rechtlicher Normsetzungsvertrag (BSG, Urteil vom 23. März 2011 - B 6 KA 9/10 R) in zeitlicher Hinsicht pünktlich (vgl. nur ex nunc-Wirkung BSG, Urteil vom 8. Februar 2011 - B 6 KA 12/11 R) im Rheinischen Ärzteblatt 1/2010 vom 1. Januar 2010, S. 62 ff. veröffentlicht worden.
(2) Der Beklagte hat den Kläger der richtigen Arztgruppe der Anlage B zur RV für das Jahr 2010 zugeordnet. Diese Anlage sah
für die Arztgruppe "Augenheilkunde" eine Richtgröße von 5,90 € (Allgemeinversicherte, also Mitglieder und Familienversicherte)
bzw. 13,33 € (Rentenversicherte) vor. Einwände dagegen hat der Kläger nicht erhoben.
(3) Der Beklagte hat in seinem Bescheid eine Richtgrößenüberschreitung von mehr als 25% dargelegt. Rechnerische Einwände gegen
die von dem Beklagten zugrunde gelegten Verordnungskosten für den Bereich der Arzneimittel hat der Kläger gleichfalls nicht
geltend gemacht.
(4) Der Beklagte hat dabei auch die Praxisbesonderheiten ordnungsgemäß berücksichtigt.
Seit dem 1. Januar 2004 verpflichtet § 106 Abs. 5a Satz 5 SGB V (i.d.F. des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14. November 2003 [BGBl I 2190]) die Vertragspartner zudem, in der Prüfungsvereinbarung
Maßstäbe für die Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten zu bestimmen. Bezogen auf den hier streitigen Zeitraum hat der
Beklagte nach Maßgabe des § 5 RV Praxisbesonderheiten zu untersuchen. Nach Absatz 1 Satz 1 dieser Bestimmung sind im Rahmen
der Wirtschaftlichkeitsprüfungen Praxisbesonderheiten nach Absatz 2 bis 4 zu prüfen. Die Anerkennung ist auf die ausreichende,
zweckmäßige und wirtschaftliche Menge unter Berücksichtigung des §§ 12 und 70 SGB V und der Arzneimittel-Richtlinien begrenzt, § 5 Abs. 1 Satz 2 RV.
Ebenso wie bei der Prüfung nach Durchschnittswerten besteht auch bei einer Richtgrößenprüfung ein gerichtlich nur eingeschränkter
Beurteilungsspielraum der Prüfgremien, soweit es um die Feststellung und Bewertung von Praxisbesonderheiten geht (BSG, SozR 4-2500 § 84 Nr. 2 Rn. 38). Die Kontrolle der Gerichte beschränkt sich darauf, ob das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt
wurde, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtiger und vollständig ermittelter Sachverhalte zugrunde liegt, ob die Verwaltung
die Grenzen eingehalten hat, die sich bei der Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs "Wirtschaftlichkeit" ergeben, und
ob sie ihre Subsumtionserwägungen so verdeutlicht hat, dass im Rahmen des Möglichen die zu treffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe
erkennbar und nachvollziehbar ist (stRspr. des BSG, vgl. BSGE 72, 214, 216; BSG, SozR 4-1500 § 141 Nr. 1, Rn. 20).
(a) Eine Praxisbesonderheit nach § 5 Abs. 2, 3 RV ist vorliegend nicht anzunehmen. Die dort niedergelegten Indikationen sind
nicht betroffen.
(b) Der Beklagte hat eine Praxisbesonderheit nach § 5 Abs. 2, 4 RV i.V.m. Anlage D zur RV bzgl. der modernen Glaukomtherapie
anerkannt, denn diese ist in der genannten Anlage unter die Symbolnummer 90923 einzuordnen.
(aa) Dabei hat die Prüfungsstelle die von der Arztgruppentypik abweichenden Mehrkosten regelmäßig als Praxisbesonderheit zugrunde
zu legen. Die Mehrkosten sind aufgrund der Fall- bzw. Durchschnittswerte der Vergleichsgruppe zu berücksichtigen. Die Anerkennung
der Praxisbesonderheit ist auf die unter Berücksichtigung der Aspekte des Preises und der Verordnungsmenge wirtschaftliche
Versorgung begrenzt. Die Prüfungsstelle hat hierzu Feststellungen zu treffen und im Prüfbescheid darzulegen. Das ist vorliegend
geschehen:
Symbol-nummer
|
|
Mehrkosten in €
|
90923
|
Moderne Glaukomtherapie (Brimonidin, Dorzolamid, Brinzolamid, Latanoprost, Travoprost und Bimatoprost, ggf. in Kombination
mit lokalen Betablockern), soweit lokalen Betablockern kontraindiziert sind oder keine oder nur unzureichende Wirkung zeigen
|
6.806,16
|
Verordnungssumme Vertragsarzt in €
|
28.267,91
|
Falldurchschnitt Vertragsarzt in €
|
8,60
|
Falldurchschnitt Arztgruppe in €
|
6,53
|
(bb) Eine darüber hinaus gehende Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten der modernen Glaukomtherapie kommt nicht in Betracht.
Im Gegensatz zu den in § 5 Abs. 3 RV genannten Indikationsgebieten, bezüglich derer sämtliche darauf entfallende Verordnungskosten
regelmäßig als Praxisbesonderheiten zugrunde zu legen sind, sind in § 5 Abs. 4 RV Indikationsgebiete genannt, bei denen (nur)
die von der Arztgruppentypik abweichenden Mehrkosten grundsätzlich als Praxisbesonderheiten anzuerkennen sind.
(aaa) Die Mehrkosten sind regelmäßig aufgrund der Fall- bzw. Durchschnittswerte der Vergleichsgruppe zu berücksichtigen. Entsprechend
dieser Vorgabe hat der Beklagte die Praxisbesonderheiten in der Praxis des Klägers ermittelt. Er hat insbesondere im Einzelnen
die jeweilige Verordnungssumme der Vergleichsgruppe aufgelistet und die darüber hinausgehenden Verordnungskosten des Klägers
ermittelt. Damit ist sachgerecht abgebildet, in welchem Umfang diese Indikationen im Durchschnitt Mehrkosten verursachen.
(bbb) Die Regelung in § 5 Abs. 4 RV verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht. Hinsichtlich der im Einzelnen getroffenen
Regelungen steht den Vertragspartnern nach § 106 Abs. 5a Satz 5 SGB V ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer normativer Gestaltungsspielraum zu (Freudenberg in: jurisPK- SGB V, 4. Auflage 2020, § 84 Rn. 94). Dass die Vertragspartner in § 5 RV hinsichtlich der Verordnungskosten für bestimmte Indikationsgebiete eine "volle
Anerkennung" vorgesehen haben (Abs. 3), für andere dagegen auf die Feststellung eines Mehrbedarfes abstellen (Abs. 4) überschreitet
die Grenzen des Gestaltungsspielraumes nicht (BSG, Urteil vom 15. Juli 2015 - B 6 KA 30/14 R, Rn. 39; Senat, Urteil vom 9. Februar 2011 - L 11 KA 38/09 - juris, Rn. 34 - jeweils juris). Das BSG hat ausgeführt, dass insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich z.B. bei den Arzneimitteltherapien wie der Insulin-Therapie
bei insulinpflichtigem Diabetes (= Symbolnummer 90911 Anlage D zur RV 2010) oder der Behandlung von Schizophrenie mit atypischen
Neuroleptika (= Symbolnummer 90915 Anlage D zur RV 2010) um Therapien handele, die für die jeweilige Fachgruppe keine Besonderheit
darstellten, aber sehr teuer seien und deshalb die betroffenen Arzneimittel grundsätzlich bei der Bildung der Richtgrößen
einbezogen seien, keine Verpflichtung bestehe, die entsprechenden Verordnungen pauschal vorab als Praxisbesonderheit anzuerkennen
(BSG, Urteil vom 15. Juli 2015 - a.a.O., Rn. 39 mit Verweis auf BSG SozR 4-2500 § 84 Nr. 2, Rn. 39; Clemens, a.a.O., § 106 Rn. 274). Diese Überlegungen sind aus Sicht des Senats ohne weiteres übertragbar.
(c) Neben den "vereinbarten Praxisbesonderheiten" sind nach § 5 Abs. 5 Satz 1 RV andere Besonderheiten - soweit objektivierbar
- zu berücksichtigen, wenn der Arzt nachweist, dass er der Art und der Anzahl nach besondere von der Arztgruppentypik abweichende
Erkrankungen behandelt hat und hierdurch notwendige Mehrkosten entstanden sind (§ 106 Abs. 5a Satz 8 SGB V a.F.). Die Anerkennung als Praxisbesonderheit ist auf die Höhe der hierdurch bedingten Mehrkosten begrenzt. Die schlüssige
Darlegung dieser Praxisbesonderheiten sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach obliegt dem zu prüfenden Arzt (§ 5 Abs. 5 Satz
2, 3 RV).
Als Praxisbesonderheiten des geprüften Arztes kommen nur solche Umstände in Betracht, die sich auf sein Behandlungs- oder
Verordnungsverhalten auswirken und in den Praxen der Vergleichsgruppe typischerweise nicht oder nicht in derselben Häufigkeit
anzutreffen sind. Für die Anerkennung einer Praxisbesonderheit ist deshalb nicht ausreichend, dass bestimmte Leistungen in
der Praxis eines Arztes erbracht werden; vielmehr muss substantiiert dargelegt werden, inwieweit sich die Praxis gerade von
den anderen Praxen der Fachgruppe unterscheidet. Die betroffene Praxis muss sich nach der Zusammensetzung der Patienten und
hinsichtlich der schwerpunktmäßig zu behandelnden Gesundheitsstörungen vom typischen Zuschnitt einer Praxis der Vergleichsgruppe
unterscheiden, und diese Abweichung muss sich gerade auf die überdurchschnittlich häufig erbrachten Leistungen auswirken (BSG, Urteil vom 22. Juni 2005 - B 6 KA 80/03 R - SozR 4-2500 § 87 Nr. 10, Rn. 35; Senat, Beschluss vom 19. März 2012 - L 11 KA 136/11 - jeweils juris). Praxisbesonderheiten sind mithin i.d.R. durch einen bestimmten Patientenzuschnitt charakterisiert, der
vielfach durch eine spezifische Qualifikation des Arztes etwa aufgrund einer Zusatzbezeichnung bedingt sein kann (vgl. BSG, Urteil vom 22. Oktober 2014 - B 6 KA 8/14 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 49). Weist ein Arzt eine spezifische Qualifikation aus, suchen ihn insbesondere Patienten mit entsprechenden
Leiden auf, hat das ein spezifisches Leistungsspektrum und damit auch eine spezifische Ausrichtung der Praxis zur Folge (Clemens,
a.a.O., § 106 Rn. 193).
Die in § 5 Abs. 5 Satz 3 RV dem Arzt überantwortete Darlegungslast entspricht zudem der ständigen Rechtsprechung des BSG. Danach obliegt die Darlegungs- und Feststellungslast für besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende atypische
Umstände wie Praxisbesonderheiten dem Arzt (BSG, Urteil vom 22. Oktober 2014 - a.a.O., m.w.N.). Umstände, die eine Berücksichtigung als Praxisbesonderheit finden sollen,
hat der Arzt spätestens gegenüber dem Beschwerdeausschuss geltend zu machen, soweit sich diese nicht ohne Weiteres anhand
der Verordnungsdaten und der Honorarabrechnung ergeben (BSG, Urteil vom 21. März 2012 - B 6 KA 17/11 R). Mithin schließen sich bereits vor diesem Hintergrund weitere Ermittlungen des Senats - wie sie der Kläger - zuletzt mit
Schriftsatz vom 10. Mai 2021 gefordert hat, aus.
(aa) Da die Beachtung von Praxisbesonderheiten in § 5 Abs. 5 RV ebenfalls - zulässigerweise - auf die verursachten Mehrkosten
beschränkt ist, kann der Kläger auch darauf sein Begehren der Annahme der tatsächlichen Kosten für die moderne Glaukomtherapie
nicht stützen. Der Senat kann insofern offen lassen, ob in einer weitergehenden Beachtung der bereits in Abs. 4 berücksichtigten
modernen Glaukomtherapie nicht bereits eine unzulässige Umgehung des Abs. 4 zu sehen wäre.
(bb) Weitere Praxisbesonderheiten - unabhängig von der modernen Glaukomtherapie - hat der Kläger nicht dargetan. Der Kläger
hat insofern gerade nicht aufgezeigt, welche Patienten(gruppen) aufgrund bestimmter Erkrankungsbilder einen besonderes Behandlungs-
und Verordnungsverhalten erfordert haben. Dass der Kläger hier z.B. im "Schnittfeld" einer anderen Fachgruppe besondere Qualifikationen
nachweisen kann und er deshalb Patienten mit entsprechenden Leidensbildern akquiriert, ist bereits im Ansatz nicht ersichtlich.
Dies folgt auch aus seinem Arztregisterauszug nicht.
(d) Fehl geht der klägerische Einwand, der Beklagte hätte zur Beurteilung der Praxisbesonderheiten, einen sachverständigen
Arzt auf dem Gebiet der Augenheilkunde heranziehen müssen. Die Prüfgremien können als Ermittlungsmaßnahme aufgrund des § 20 SGB X nach pflichtgemäßem Ermessen Prüfberichte einholen. Ein Gebot, Prüfärzte mit der fachlichen Ausrichtung der geprüften Ärzte
einzusetzen, besteht grundsätzlich nicht. Die Prüfgremien sind vom Gesetz her (§ 106 Abs. 4 SGB V) als fachkundig zusammengesetzte Einrichtungen konzipiert, die grundsätzlich selbst die erforderliche medizinische Sachkunde
haben (BSG, Urteil vom 28. Juni 2000 - B 6 KA 36/98 R - juris, Rn. 24, m.w.N.).
(5) Einer Rechtfertigung durch Praxisbesonderheiten steht als "Pendant" die Rechtfertigung von kompensatorischen Einsparungen
gleich. Überdurchschnittliche Aufwendungen in einem Leistungsbereich können unterdurchschnittliche Aufwendungen in einem anderen
Leistungsbereich nach der Rechtsprechung des BSG allerdings nur dann entgegengehalten werden, wenn zwischen dem Mehraufwand in dem einen und dem Minderaufwand in dem anderen
Bereich ein Kausalzusammenhang besteht, d.h. dass diese Einsparungen im anderen Bereich durch den beanstandeten Mehraufwand
erreicht wurden. Dieses Erfordernis beruht darauf, dass dem Wirtschaftlichkeitsgebot an sich in jedem einzelnen Bereich Rechnung
getragen werden muss (BSG, Urteil vom 21. Mai 2003 - B 6 KA 32/02 R; BSG, Urteil vom 16. Juli 2003 - B 6 KA 45/02 R; BSG, Urteil vom 14. Mai 2014 - B 6 KA 13/13 R - jeweils juris). Deshalb reicht es nicht aus, wenn sich lediglich im Sinne einer "bloßen Gesamtwirtschaftlichkeit" die Gesamtkosten
noch im Rahmen des Durchschnitts halten (BSG, Urteil vom 5. November 1997 - 6 RKa 1/97). Zu der dem Vertragsarzt obliegenden Darlegung, dass die Einsparungen durch den beanstandeten Mehraufwand kausal bedingt
waren, muss er unter Auswertung seiner Krankenunterlagen anhand der Kenntnis seiner Patientenakte die bei ihm typischen Krankheiten
und die von ihm praktizierte Behandlungstypik aufzeigen und ausführen, in welchem Bereich und inwiefern sich dadurch Einsparungen
ergeben haben (BSG, Urteil vom 5. November 1997 - 6 RKa 1/97; BSG, Urteil vom 11. Dezember 2002 - B 6 KA 1/02 R - jeweils juris). Dass hiernach kompensatorische Einsparungen zu berücksichtigen waren, macht auch der Kläger nicht geltend.
bb) Es handelt sich nach Aktenlage auch um die erstmalige Überschreitung durch den Kläger, so dass der Festsetzung eines Regresses
nach § 105 Abs. 5a Satz 3 SGB V, wovon der Beklagte zu Recht ausgeht, der in § 106 Abs. 5e SGB V normierte Grundsatz "Beratung vor Regress" entgegensteht. § 106 Abs. 5e SGB V findet für Wirtschaftlichkeitsprüfungen wegen Überschreitung des Richtgrößenvolumens nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 SGB V Anwendung (Engelhard in: Hauck/Noftz-SGB, 11/17, § 106 Rn. 212a).
cc) Der Bescheid wahrt auch die Ausschlussfrist, ungeachtet, ob diese auch für schriftliche Beratungen oder nur für Regressforderungen
gilt. § 106 Abs. 2 Satz 2 SGB V normiert eine zweijährige Frist für die Festsetzung des zu erstattenden Mehraufwandes nach Abs. 5a.
(1) Der Fristbeginn ist für Verordnungsregresse im Zusammenhang mit Richtgrößenprüfungen durch § 106 Abs. 2 Satz 2 SGB V ausdrücklich auf "2 Jahre nach Ende des geprüften Verordnungszeitraums" festgelegt worden (Clemens, a.a.O., § 106 Rn. 310),
d.h. in dem (Normal-)Fall, dass die Arzneimittelverordnungen eines Quartals auf ihre Sachgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit
überprüft werden, unmittelbar auf den Ablauf des Quartals, dem die Verordnung kostenmäßig zugeordnet ist (vgl. zur Vier-Jahres-Frist:
BSG, Urteil vom 18. August 2010 - B 6 KA 14/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 29, Rn. 33). Liegen indessen - wie hier - besondere Umstände vor, die Anlass geben, mehrere aufeinander
folgende Quartale zusammen zu überprüfen, so bilden diese den "geprüften Verordnungszeitraum". Der Beginn der Frist "nach
Ende des geprüften Verordnungszeitraums" bedeutet in einer solchen Konstellation, dass diese erst nach Ablauf des Gesamtzeitraums
beginnt, also erst nach dem Ablauf des letzten dazugehörenden Quartals (BSG, Urteil vom 18. August 2010 - a.a.O., Rn. 34). Das ist hier mit Ablauf des 31. Dezember 2010 der Fall gewesen
(2) Für die Wahrung der Ausschlussfrist für Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung kommt es auf den Bescheid des Beklagten
nicht an. Diese Funktion kommt vielmehr dem Bescheid der Prüfungsstelle zu (BSG, Beschluss vom 11. Mai 2011 - B 6 KA 5/11 B). Die Frist ist vorliegend durch den Bescheid der Prüfungsstelle vom 22. November 2012, der dem Kläger weniger als zwei Jahre
nach dem Ablauf des 31. Dezember 2010 - am 20. Dezember 2012 ausweislich seiner eigenen Angaben im Widerspruch -zugegangen
ist, gewahrt. Ab der Kenntnis von diesem Bescheid war das Vertrauen des Klägers, wegen seiner Verordnungsweise im Jahr 2010
nicht mit Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung rechnen zu müssen, zerstört (vgl. zum Vertrauen als Grund für die Ausschlussfrist
BSG, Beschluss vom 11. Mai 2011 - B 6 KA 5/11 B). Nach Anrufung des Beklagten war dieser für die Durchführung des Verfahrens zuständig. Eine Frist, bis zu der ein Widerspruchsverfahren
- das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss gilt als solches (§ 106 Abs. 5 Satz 6 SGB V a.F.) - abgeschlossen sein muss, ist gesetzlich nicht bestimmt und darf dementsprechend nicht allgemein von der Rechtsprechung
vorgegeben werden. Die Beteiligten an dem Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss - neben dem betroffenen Arzt die Kassenärztliche
Vereinigung und die Verbände der Krankenkassen (§ 106 Abs. 5 Satz 3 SGB V a.F.) - können bei nicht näher erklärten Verzögerungen im Verfahrensablauf jederzeit formlos um eine Entscheidung nachsuchen
und - unter Beachtung der Maßgaben des § 88 SGG - Untätigkeitsklage erheben. Im Übrigen steht der Auffassung, allein durch Zeitablauf und eigenes Stillhalten könne die Entscheidungsbefugnis
des Beschwerdeausschusses entfallen, entgegen, dass dieses Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen
nicht über eigene Ansprüche entscheidet, sondern über Ansprüche der Kassenärztlichen Vereinigung (auf Rückzahlung von Honorar
bei unwirtschaftlicher Behandlungsweise) und der Krankenkassen (auf Erstattung von Kosten für unwirtschaftlich verordnete
Arzneimittel). Diese Institutionen haben grundsätzlich keine anderen Einflussmöglichkeiten auf den Verfahrensablauf bei dem
Beschwerdeausschuss als der betroffene Arzt (BSG, Beschluss vom 11. Mai 2011 - B 6 KA 5/11 B).
3. Soweit der Senat bezüglich des darüber hinaus geltend gemachten Hilfsantrages zur Entscheidung berufen war, ist die insofern
erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in Form der Neubescheidungsklage jedenfalls aus den o.g. Gründen unbegründet.
Die Kostenentscheidung folgt § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung ( VwGO). Da die Beigeladenen im Berufungsverfahren erneut keinen Sachantrag stellten, entspricht es nach der ständigen Rechtsprechung
des Senats der Billigkeit, deren Kosten für nicht erstattungsfähig zu erachten (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Die Festsetzung des Streitwertes für das Berufungsverfahren folgt § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz.
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