Rechtmäßigkeit der Kostenfestsetzung im sozialgerichtlichen Verfahren
Zulässigkeit der Aufrechnung des Beklagten mit vom Kläger aus dem Ausgangsverfahren zu erstattenden Kosten gegen Gebühren-
und Auslagenansprüche der diesem beigeordneten Rechtsanwälte
Gründe
I.
Der Beklagte des Ausgangsverfahrens, der Beschwerdeausschuss der Ärzte und Krankenkassen, wehrt sich gegen den Kostenansatz
des Urkundsbeamten des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom 19. November 2014.
Im - gerichtskostenpflichtigen - Ausgangsverfahren wandte sich der zwischenzeitlich verstorbene Kläger, seinerzeit Vertragsarzt,
gegen einen Regressbescheid des Beklagten im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung. Das Verfahren wurde im Termin am 14.
Mai 2014 durch Vergleich im Sinne einer Reduzierung des Regresses um 20 % beendet. Vereinbarungsgemäß trug der Kläger vier
Fünftel, der Beklagte ein Fünftel der Verfahrenskosten.
Die vom Kläger an den Beklagten zu erstattenden Kosten wurden auf 1.877,46 Euro festgesetzt (Kostenfestsetzungsbeschluss des
Urkundsbeamten vom 6. November 2014).
Die Vergütungen der dem Kläger im Wege der Prozesskostenhilfe (PKH) beigeordneten Rechtsanwälte aus der Staatskasse wurden
auf insgesamt 1.244,14 Euro festgesetzt (Beschlüsse des Urkundsbeamten vom 20. September 2013 und 17. Juli 2014) und die Vergütungsforderungen
dementsprechend befriedigt.
In Höhe von einem Fünftel dieses Betrages hat der Urkundsbeamte den vom Beklagten an die Staatskasse aufgrund Forderungsübergangs
gemäß § 59 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (
GVG) zu zahlenden anteiligen Vergütungsanspruch der dem Kläger beigeordneten Rechtsanwälte auf 248,83 Euro angesetzt (Kostenansatz
vom 19. November 2014).
In seiner hiergegen gerichteten Erinnerung vom 24. November 2014 hat der Beklagte mit seiner Gegenforderung auf 1.877,46 Euro
aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 6. November 2014 aufgerechnet. Der Urkundsbeamte hat der Erinnerung nicht abgeholfen.
Das SG hat den Kostenansatz vom 19. November 2014 aufgehoben (Beschluss vom 30. April 2015): Die in §
126 Abs.
2 Satz 2
Zivilprozessordnung (
ZPO) dem Gegner des PKH-begünstigten Beteiligten ausdrücklich vorbehaltene Befugnis zur Aufrechnung mit Kosten, die nach der
in demselben Rechtsstreit über die Kosten erlassenen Entscheidung von dem Beteiligten zu erstatten seien, entfalle auch bei
einem Forderungsübergang nach § 59 Abs. 1 RVG nicht.
Mit seiner Beschwerde vom 10. Februar 2015, der das SG nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 15. Februar 2016), beantragt das Land Nordrhein-Westfalen,
den Beschluss des SG Düsseldorf vom 30. April 2015 abzuändern und die Höhe des Übergangsanspruchs auf 248,83 Euro festzusetzen.
Die Aufrechnung sei mangels Gegenseitigkeit der Forderungen unwirksam. Die Regelung des §
126 ZPO betreffe den Fall, dass der im Wege der PKH beigeordnete Rechtsanwalt seinen Gebühren- und Auslagenanspruch vom erstattungspflichtigen
Prozessgegner unmittelbar beitreibe. Hier hätten die beigeordneten Rechtsanwälte indessen - entsprechend dem ihnen insoweit
zustehenden Wahlrecht - einen eigenen Anspruch auf Erstattung der aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG verfolgt. Gegen den aufgrund dessen auf die Staatskasse übergangenen eigenen Anspruch der PKH-Anwälte könne der Beklagte
nicht mit einer Forderung gegen den Kläger aufrechnen.
Der Beklagte hat mitgeteilt, eine Stellungnahme sei nicht beabsichtigt.
II.
Die Beschwerde des Landes Nordrhein-Westfalen gegen den Beschluss des SG vom 30. April 2015 ist zulässig (1.), aber nicht begründet (2.).
1. Die Beschwerde ist zulässig. Zuständig für die Entscheidung ist der Berichterstatter des Beschwerdesenates.
a) Für die Geltendmachung des Anspruchs, die Erinnerung und das Beschwerdeverfahren gelten gemäß § 59 Abs. 2 Satz 1 RVG die Vorschriften über die Kosten des gerichtlichen Verfahrens entsprechend. Entgegen der insoweit unzutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung
im Kostenansatz vom 19. November 2014 handelt es sich bei den danach maßgeblichen Vorschriften "des gerichtlichen Verfahrens"
nicht um diejenigen der §§
184 bis
195 Sozialgerichtsgesetz (
SGG), sondern um die Bestimmungen des Gerichtskostengesetzes (GKG). Das ergibt sich aus §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG, weil im Verfahren eines Vertragsarztes gegen den Beschwerdeausschuss weder der Kläger noch der Beklagte zu den in §
183 SGG genannten Personen gehören.
b) Maßgebend für die Zulässigkeit der Beschwerde und das Beschwerdeverfahren ist danach § 66 GKG.
aa) Die ordnungsgemäß beim SG (§ 66 Abs. 5 Satz 5 GKG) eingelegte Beschwerde ist statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes mit 248,83 Euro den in § 66 Abs. 2 Satz 1 GKG festgelegten Wert von 200,00 übersteigt. Sie ist - mangels einer entsprechenden Regelung - nicht an eine Frist gebunden (vgl.
Toussaint, in: Toussaint, 51. Aufl. 2021, § 66 GKG, Rn. 50 m.w.N.).
bb) Die Zuständigkeit des Berichterstatters des Beschwerdesenates folgt aus § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 GKG, nachdem über die Erinnerung das SG allein durch den zuständigen Kammervorsitzenden und damit einen "Einzelrichter" im Sinne dieser Bestimmung entschieden hat
(vgl. im Einzelnen LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Juli 2018 - L 7 BA 1871/18 B - juris-Rn. 15; zum Beschwerdeverfahren nach dem GKG vgl. auch BSG, Beschluss vom 19. Februar 2018 - B 6 SF 3/17 S - juris-Rn. 5).
2. Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat den Kostenansatz vom 19. November 2014 zu Recht aufgehoben. Der mit diesem - unstreitig - zunächst zu Recht gegenüber
dem Beklagten verfolgte, gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 RVG übergegangene anteilige Vergütungsanspruch ist durch Aufrechnung des Beklagten gemäß §
389 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) erloschen.
a) Zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung vom 24. November 2014 bestand eine Aufrechnungslage (§
387 BGB).
aa) Der erfüllbaren Hauptforderung des Landes Nordrhein-Westfalen auf anteilige Vergütung aus übergegangenem Recht (§ 59 Abs. 1 Satz 1 RVG) in Höhe von 248,83 Euro stand die durch Kostenfestsetzungsbeschluss vom 6. November 2014 in Höhe von 1.877,46 Euro festgesetzte,
folglich fällige und durchsetzbare Forderung des Beklagten gegen den Kläger auf anteiligen Ersatz seiner Kosten gleichartig
gegenüber.
bb) Auch das in §
387 BGB durch das Tatbestandsmerkmal "einander" zum Ausdruck kommende Erfordernis der Gegenseitigkeit der Forderungen ist erfüllt.
Dem steht nicht entgegen, dass der Beklagte hier gegenüber einer Forderung des Landes mit einer Erstattungsforderung gegen
den Kläger die Aufrechnung erklärt hat: Der Beklagte durfte mit seinem Kostenerstattungsanspruch gegen den Kläger aus dem
Ausgangsverfahren gegen im eigenen Namen geltend gemachte Ansprüche der beigeordneten Rechtsanwälte des Klägers aufrechnen
<dazu unter (1)>. Dieses Aufrechnungsrecht stand ihm nach Übergang der Ansprüche auf das Land auch diesem gegenüber zu <dazu
unter (2)>.
(1) Das Recht zur Aufrechnung des Beklagten mit den vom Kläger aus dem Ausgangsverfahren zu erstattenden Kosten gegen Gebühren-
und Auslagenansprüche der diesem beigeordneten Rechtsanwälte folgt aus §
126 Abs.
2 Satz 2
ZPO. Dem liegt folgende Systematik und Teleologie zugrunde:
(a) Ursprünglich standen den dem Kläger beigeordneten Rechtsanwälten Ansprüche auf Beitreibung ihrer Auslagen und Gebühren
gegenüber dem Beklagten im eigenen Namen aus §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
126 Abs.
1 Satz 1
ZPO zu. Diese Beitreibung erfolgt grundsätzlich im Wege der Kostenfestsetzung (§
197 Abs.
1 Satz 1
SGG).
(b) Die Befugnis der beigeordneten Rechtsanwälte, Kostenerstattungsansprüche, die eigentlich ihrem Mandanten zustehen, im
eigenen Namen zu verfolgen, führt zu einer komplexen Interessenlage, die der Gesetzgeber in §
126 Abs.
2 ZPO wie folgt gelöst hat:
(aa) Einreden "aus der Person der Partei" darf der Gegner nach §
126 Abs.
2 Satz 1
ZPO nicht erheben. Er darf also grundsätzlich der Vergütungsforderung des beigeordneten Rechtsanwaltes keine Ansprüche gegen
dessen Mandanten entgegensetzen (typisches Beispiel: Im Mietrechtsstreit des PKH-berechtigten Mieters gegen seinen Vermieter
wird eine Aufrechnung des Vermieters gegen Vergütungsansprüche der Rechtsanwälte des Mieters mit Mietforderungen gegen den
Mieter durch §
126 Abs.
2 Satz 1
ZPO untersagt). Diese Regelung schützt nur scheinbar in erster Linie den beigeordneten Rechtsanwalt. Denn dieser könnte sich
- unbeschadet seiner Rechte nach §
126 Abs.
1 ZPO - immer noch über § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG an die Staatskasse halten. Im Vordergrund steht vielmehr die Entlastung der Staatskasse, die dadurch erreicht werden soll,
dass dem beigeordneten Rechtsanwalt neben dem Antrag an die Staatskasse nach § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG auch das unmittelbare Vorgehen gegen den Gegner gemäß §
126 Abs.
1 ZPO eröffnet wird, das die Staatskasse nicht berührt. Dieser Effekt würde indessen in erheblichem Maße konterkariert, wenn der
Gegner gegen den Anspruch aus §
126 Abs.
1 ZPO mit jedem beliebigen Anspruch gegen den PKH-berechtigten Beteiligten aufrechnen könnte. Denn das würde im Ergebnis dazu führen,
dass letztlich doch die Staatskasse in Anspruch genommen würde.
(bb) Die Erweiterung der Rechte des beigeordneten Rechtsanwalts um die Befugnis, Kostenerstattungsansprüche des Mandanten
gegen den Gegner im eigenen Namen geltend zu machen, und das gleichzeitig verfolgte Ziel der Entlastung der Staatskasse bewirken
im Gegenzug eine erhebliche Belastung des Gegners, der einer Mehrzahl möglicher Kostengläubiger bei gleichzeitiger Beschneidung
seiner Möglichkeiten zur Gegenwehr ausgesetzt ist. Daher wird er zumindest hinsichtlich seiner eigenen Kostenansprüche aus
dem Ausgangsverfahren durch §
126 Abs.
2 Satz 2
ZPO geschützt. Hier setzt der Gesetzgeber den erweiterten Möglichkeiten der Anspruchsdurchsetzung auf Seiten des beigeordneten
Rechtsanwalts eine erweiterte Aufrechnungsbefugnis des Gegners entgegen, indem er diesen berechtigt, gegenüber dem beigeordneten
Rechtsanwalt mit einem eigenen Kostenerstattungsanspruch aus demselben Rechtsstreit gegen dessen Partei aufzurechnen. Im Ergebnis
erweitert §
126 Abs.
2 Satz 2
ZPO das Erfordernis der Gegenseitigkeit der Aufrechnungslage daher um diese Konstellation.
(2) Das in diesem Sinne erweiterte Aufrechnungsrecht des §
126 Abs.
2 Satz 2
ZPO steht dem Gegner, hier dem Beklagten, auch dann zu, wenn die beigeordneten Rechtsanwälte ihren Anspruch auf Festsetzung der
Vergütung gegen die Staatskasse gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG geltend machen und infolgedessen ihre Ansprüche gegen den Gegner gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 RVG auf die Staatskasse übergehen.
(a) Zunächst führt die Geltendmachung der Vergütung gegen die Staatskasse nach § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG nicht dazu, dass der Anspruch gegen den Gegner nach §
126 Abs.
1 ZPO untergeht. Im Gegenteil ist es genau dieser Anspruch, der nach § 59 Abs. 1 Satz 1 RVG auf die Staatskasse übergeht. Denn § 59 Abs. 1 Satz 1 RVG betrifft seinem eindeutigen Wortlaut nach nicht etwa den Kostenerstattungsanspruch des PKH-begünstigten Beteiligten gegen
den Gegner (z.B. aus dem Urteil oder - wie hier - dem verfahrensbeendenden Vergleich), sondern allein den Kostenerstattungsanspruch
des Rechtsanwalts. Dabei kann es sich indessen nur um den Anspruch nach §
126 Abs.
1 ZPO handeln.
(b) Hinsichtlich dieses Anspruchs kann jedoch nichts anderes gelten als bei jeder anderen Legalzession auch: Nach §
406 i.V.m. §
412 BGB kann der Schuldner eine ihm gegen den bisherigen Gläubiger zustehende Forderung auch dem neuen Gläubiger gegenüber aufrechnen,
es sei denn, dass er bei dem Erwerb der Forderung von der Abtretung Kenntnis hatte oder dass die Forderung erst nach der Erlangung
der Kenntnis und später als die abgetretene Forderung fällig geworden ist (zur Anwendung von §
412 BGB im Falle des § 59 RVG: Rosch in jurisPK-
BGB, Band 2, 9 Aufl. 2020, §
412 Rn. 29). Das entspricht der dargestellten Teleologie des §
126 Abs.
2 Satz 2
ZPO: Der Gegner soll nicht dadurch in seinen Verteidigungsmöglichkeiten beschränkt werden, dass der beigeordnete Rechtsanwalt
sein Wahlrecht im Sinne eines Antrags nach § 55 Abs. 1 RVG ausgeübt und damit eine für den Gegner nicht beeinflussbare Entscheidung getroffen hat.
(c) Anhaltspunkte für einen Aufrechnungsausschluss sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar: Ungeachtet der erst am 6. November
2014 erfolgten Kostenfestsetzung zugunsten des Beklagten ist dessen Kostenersatzanspruch mit Beendigung des Hauptsacheverfahrens
durch Vergleichsschluss fällig geworden (§ 8 Abs. 1 Satz 2 RVG; vgl. hierzu Toussaint, a.a.O., § 8 RVG Rn. 19). Hinweise auf eine vorherige Kenntnis des Beklagten von dem Forderungsübergang liegen nicht vor.
b) Die Aufrechnung ist nicht ausgeschlossen.
c) Der Beklagte hat, vertreten durch seinen vormaligen Prozessbevollmächtigten, die Aufrechnung zudem wirksam erklärt. Dass
dies im Rahmen der Erinnerung gegen den Kostenansatz zulässig war, folgt aus §§ 1 Nr. 4, 8 Abs. 1 Justizbeitreibungsgesetz.
d) Da die Aufrechnungsforderung die Forderung des Landes überstieg und sich somit vollständig mit ihr im Sinne von §
389 BGB "deckte", ist die Forderung des Landes in vollem Umfang erloschen.
Die Entscheidung über Gebühren und Kosten folgt aus § 66 Abs. 8 GKG.
Eine Beschwerde gegen diesen Beschluss an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).