Prüfung eines Anspruchs gegen die Krankenversicherung auf Zahlung einer Aufwandspauschale nach § 275 SGB V
Kürzung der Krankenhausrechnung durch die Versicherung aufgrund eines Gutachtens des MDK über die medizinische Notwendigkeit
der Dauer einer stationären Behandlung des Versicherten
Auslegung des § 275 Abs. 1c SGB V
Tatbestand
Im Berufungsverfahren streiten die Beteiligten noch darüber, ob die Klägerin von der Beklagten die Zahlung der Aufwandspauschale
gemäß §
275 Abs.
1c Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) in Höhe von 100,- Euro verlangen kann.
Die am 00.00.1930 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte C befand sich vom 02.02. bis 25.02.2009 in stationärer
Behandlung der Klägerin. Sie stellte der Beklagten unter dem 24.03.2009 3.674,81 Euro - beruhend auf der Abrechnung der Diagnosis
Related Groups (DRG) Nr. K62 Z -verschiedene Stoffwechselerkrankungen - in Rechnung. Die Beklagte, die dem Medizinischen Dienst
der Krankenversicherung (MDK) einen Prüfauftrag gemäß §
275 Abs.
1 SGB V erteilt hatte, vertrat aufgrund des Gutachtens vom 08.02.2010 die Auffassung, dass von der Gesamtverweildauer von 23 Tagen
nur 19 Tage medizinisch notwendig gewesen seien. Sie brachte deshalb von dem Rechnungsbetrag 774,92 Euro in Abzug und zahlte
lediglich 2.899,89 Euro an die Klägerin.
Die Klägerin hat am 10.05.2010 Klage vor dem Sozialgericht Köln erhoben.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Beklagte zur Kürzung der Rechnung nicht berechtigt gewesen sei; sie könne deshalb
außerdem von der Beklagten die Zahlung der Aufwandspauschale gemäß §
275 Abs.
1c SGB V in Höhe von 100,- Euro beanspruchen.
Die Klägerin hat beantragt,
1.
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 774,92 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
seit 11.04.2009 zu zahlen,
2.
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 100,- Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
ab Rechtshängigkeit zu zahlen bzw. hilfsweise, wegen der Aufwands- pauschale nach §
275 SGB V die Berufung zuzulassen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat an der Auffassung festgehalten, dass die stationäre Behandlung der Versicherten für lediglich 19 Tage medizinisch
notwendig gewesen sei. Auch bestehe ein Anspruch auf die Aufwandspauschale in Höhe von 100,- Euro nicht, weil sie aufgrund
der Prüfung durch den MDK die Rechnung der Klägerin korrigiert habe.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Arztes für innere Medizin und Gastroenterologie
Dr. F, L, vom 17.10.2010 sowie einer ergänzenden Stellungnahme dieses Sachverständigen vom 27.10.2011. Der gerichtliche Sachverständige
ist letztlich zu der Feststellung gelangt, dass über den gesamten Zeitraum der stationären Behandlung der Versicherten die
medizinische Erforderlichkeit zu bejahen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten vom 17.10.2010 sowie
die ergänzende Stellungnahme vom 27.10.2011 Bezug genommen.
Durch Urteil vom 13.07.2012 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 774,92 Euro nebst Zinsen in Höhe
von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.04.2009 zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Gegen das ihr am 15.08.2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12.09.2012 Berufung eingelegt.
Zur Begründung macht sie geltend: Das Sozialgericht habe die Klage hinsichtlich der Aufwandspauschale in Höhe von 100,- Euro
zu Unrecht abgewiesen. Die Prüfung des MDK habe hier gerade im Ergebnis nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages i.S.v.
§
275 Abs.
1c Satz 3
SGB V geführt. Keinesfalls dürfe allein auf das Ergebnis der MDK-Begutachtung abgestellt werden. Der Gesetzgeber habe die Aufwandspauschale
eingeführt, weil die Krankenhäuser in großem Maße mit unnötiger Bürokratie belastet würden. Diese Belastung unterscheide nicht
danach, ob der MDK eine Minderung des Abrechnungsbetrages befürworte oder nicht. Es sei nur folgerichtig, auf das Ergebnis
der insgesamt stattgefundenen Prüfung abzustellen, somit darauf, ob sich die Abrechnung des Krankenhauses im Ergebnis als
richtig oder falsch erweise. Der Betrag der Aufwandspauschale sei mit 8 v.H. über dem Basiszinssatz zu verzinsen. Die Regelungen
des Vertrages gemäß §
112 Abs.
2 SGB V seien weder unmittelbar noch entsprechend auf den Zinsanspruch der Aufwandspauschale anwendbar.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 13.07.2012 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 100,- Euro nebst Zinsen
in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 10.05.2010 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil hinsichtlich der Aufwandspauschale für zutreffend und entgegnet: Aus den Gesetzesmaterialien
(Bundestagsdrucksache 16/3100, S. 171) ergebe sich, dass die Aufwandspauschale eingeführt worden sei, weil Handlungsbedarf
im Hinblick auf den Umfang der gutachterlichen Stellungnahmen des MDK gesehen worden sei. Durch die Einführung der Aufwandspauschale
habe einer ungezielten und übermäßigen Einleitung von Begutachtungen durch den MDK entgegengewirkt werden sollen. Es habe
ein Anreiz gesetzt werden sollen, das Instrument der Einzelfallprüfungen zukünftig zielorientierter und zügiger einzusetzen.
Die Aufwandspauschale sei demgemäß für alle diejenigen Krankenhausfälle zu zahlen, in denen eine Einzelfallprüfung durch den
MDK nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages geführt habe. Dagegen sei die Aufwandspauschale nicht eingeführt worden,
um die Krankenkassen "dafür zu bestrafen", wenn Zweifel an der Richtigkeit der Rechnung bestünden, diese Zweifel aber durch
den MDK auch bestätigt würden. Es sei deshalb für die Zahlung der Aufwandspauschale nach §
275 Abs.
1c Satz 3
SGB V entscheidend, ob die von der Krankenkasse eingeleitete Prüfung durch den MDK zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages führe
oder nicht. Dagegen komme es auf das weitere Ergebnis eines sich gegebenenfalls anschließenden gerichtlichen Verfahrens nicht
an.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird verwiesen auf den übrigen Inhalt der Streitakten sowie der
Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die - kraft Zulassung - zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Die Klägerin kann zu Recht die Zahlung einer Aufwandspauschale
in Höhe von 100,- Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 10.05.2010 von der beklagten
Krankenkasse verlangen.
Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Aufwandspauschale in Höhe von 100,- Euro ergibt sich aus §
275 Abs.
1c SGB V in der hier anzuwenden Fassung durch Art. 1 Nr. 185 Buchstabe a des Gesetzes vom 26.03.2007 (Bundesgesetzblatt I, S. 378), in Kraft vom 01.07.2007 - 24.03.2009. Diese Vorschrift lautete:
"Bei Krankenhausbehandlung nach § 39 ist eine Prüfung nach Abs. 1 Nr. 1 zeitnah durchzuführen. Die Prüfung nach Satz 1 ist
spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten und durch den Medizinischen Dienst dem
Krankenhaus anzuzeigen. Falls die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages führt, hat die Krankenkasse dem
Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 100,- Euro zu entrichten."
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor.
Die Beklagte hat innerhalb der Frist von sechs Wochen (Rechnung vom 24.03.2009, Mitteilung des MDK an das beklagte Krankenhaus
über den Prüfantrag am 20.04.2009) eine Prüfung der Krankenhausbehandlung der Versicherten nach §
275 Abs.
1 Nr.
1 SGB V durchgeführt. Sie ist dem Krankenhaus auch durch den Medizinischen Dienst angezeigt worden. Entgegen der Auffassung der Beklagten
hat die Prüfung i.S. dieser Vorschrift - letztlich, und dies ist entscheidend - nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages
geführt. Die beklagte Krankenkasse hat deshalb der Klägerin die Aufwandspauschale in Höhe von 100,- Euro zu zahlen.
In der Gesetzesbegründung zu §
275 Absatz
1c SGB V a.F. heißt es (BT-Drucks 16/3100 S 171): "Von einzelnen Krankenkassen wird die Prüfungsmöglichkeit in unverhältnismäßiger
und nicht sachgerechter Weise zur Einzelfallsteuerung genutzt. Dies führt zu unnötiger Bürokratie. Für einzelne Kassenarten
liegen Hinweise zu Prüfquoten im Rahmen der Einzelfallprüfung in Höhe von 45 Prozent der Krankenhausfälle vor. Dies belastet
die Abläufe in den Krankenhäusern teils erheblich, sorgt für zusätzlichen personellen und finanziellen Aufwand und führt in
der Regel zu hohen und nicht gerechtfertigten Außenständen und Liquiditätsproblemen. Eine zeitnahe Prüfung ist nicht immer
gewährleistet. Teilweise werden weit zurückliegende Fälle aus Vorjahren geprüft. Als Beitrag zu dem angestrebten Bürokratieabbau
werden Anreize gesetzt, um Einzelfallprüfungen künftig zielorientierter und zügiger einzusetzen. Mit der Pauschale wird eine
vereinfachte, aber unbürokratische Regelung verfolgt. Sie kann deshalb keine Detailgerechtigkeit in jedem Einzelfall gewährleisten."
Das Ziel des Gesetzgebers besteht somit darin, den bürokratischen Aufwand und dessen Folgen infolge der Kontrolle der Krankenhausabrechnungen
auf der Krankenhausseite möglichst gering zu halten (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 22.11.2012, B 3 KR 20/12 R).
Der Wortlaut der Vorschrift hebt zwar auf die Prüfung der Abrechnung des Krankenhauses durch den MDK ab, indem die Zahlung
der Aufwandspauschale von dem Ergebnis dieser Prüfung abhängig gemacht wird. Indes kann dem Wortlaut dieser Vorschrift hier
keine ausschlaggebende Bedeutung in dem Sinne beigemessen werden, dass nach dem Willen des Gesetzgebers auch im Falle einer
sich anschließenden gerichtlichen Überprüfung für die Verpflichtung zur Zahlung der Aufwandspauschale allein das Ergebnis
der Prüfung des MDK maßgeblich sein sollte. Die durch den Gesetzgeber geschaffene Systematik zur Überprüfung von Krankenhausabrechnungen
(vergl. BSG, Urteil 16.05.2012, B 3 KR 14/11 R) erforderte auch im Rahmen des §
275 Abs.
1c SGB V die namentliche Erwähnung des MDK, weil dieser für die Prüfung der medizinischen Fragen zuständig ist, die von den Mitarbeitern
der Krankenkassen nicht durchgeführt werden kann (BSG, Urteil vom 22.11.2012 aaO). Es kann keinem vernünftigen Zweifel unterliegen, dass sich der Gesetzgeber bei der Formulierung
des Wortlauts dieser Vorschrift von dem Regelfall der Prüfung durch den MDK hat leiten lassen, ohne dass auch der Ausnahmefall
der gerichtlichen Überprüfung der Feststellungen des MDK im Wortlaut der Vorschrift Anklang finden sollte. Kann aber - wie
ausgeführt - dem Wortlaut eine Bedeutung im Sinne der Auffassung der Beklagten nicht beigemessen werden, so beansprucht andererseits
die gesetzgeberische Zielvorstellung auch Geltung für die (Ausnahme-) Fälle, in denen sich an die Prüfung des MDK eine weitere
gerichtliche Prüfung anschließt: Auch hier ist den Krankenhäusern ein Verwaltungsaufwand durch die von der Krankenkasse eingeleitete
Prüfung nach §
275 Absatz
1 Nr.
1 SGB V entstanden. Genau wie im Regelfall ist dieser Verwaltungsaufwand ungerechtfertigt, weil es zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages
nicht gekommen ist, denn die Feststellungen des MDK haben sich im Gerichtsverfahren als unzutreffend erwiesen. Der den Krankenhäusern
entstandene Aufwand, der durch die Pauschale (teilweise) vergütet werden soll, kann nicht deshalb unberücksichtigt bleiben,
nur weil der MDK unzutreffende Feststellungen getroffen hat, die eine Minderung des Abrechnungsbetrages rechtfertigen. Die
Verpflichtung zur Zahlung der Aufwandspauschale beurteilt sich vielmehr danach, ob die Prüfung der medizinischen Voraussetzungen
der Krankenhausabrechnung in dem dafür vorgesehenen Verfahren letztlich zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages führt -
oder nicht.
Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus §
69 Satz 3
SGB V in Verbindung mit (iVm) den §§
291,
288 Absatz
2 BGB.
Der Senat hat der Streitsache im Hinblick auf die Vielzahl der Fälle, in denen die Zahlung der Aufwandspauschale umstritten
ist, grundsätzliche Bedeutung beigemessen und die Revision zugelassen.