Einstweiliger Rechtsschutz im sozialgerichtlichen Verfahren gegen Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen; vorläufiger
Rechtsschutz im Anfrageverfahren
Gründe:
I. Die Antragsteller begehren einstweiligen Rechtsschutz gegen Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen zuzüglich
darauf entfallender Säumniszuschläge. Die Antragsteller sind Gesellschafter der Factory Club GbR mit Sitz in M. Die GbR betreibt
eine sogenannte Event-Gastronomie. Dafür organisiert und führt sie Tanzveranstaltungen und Konzerte hauptsächlich in der Factory
M. durch. Bei diesen Veranstaltungen werden Servicekräfte mit eigener Gewerbeerlaubnis eingesetzt, die die erbrachten Leistungen
per Rechnung mit der GbR abrechnen.
Die Antragsgegnerin führte vom 04. Mai 2010 bis zum 08. April 2011 eine Betriebsprüfung bei den Antragstellern durch. Nach
erfolgter Anhörung forderte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 03. Mai 2011 für den Zeitraum vom 01. Januar 2006 bis 31.
Dezember 2009 Beiträge sowie Säumniszuschläge in Höhe von 76.044,30 EUR. Bei den bei den Antragstellern beschäftigten Arbeitnehmern,
die als Kellner bzw. in ähnlichen Tätigkeiten (Barkeeper) beschäftigt seien, handele es sich um versicherungspflichtig beschäftigte
Arbeitnehmer. Nach einer Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der Tätigkeit relevanten Tatsachen würden die Merkmale für
ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis überwiegen. Hiergegen legten die Antragsteller am 12. Mai 2011 Widerspruch ein und
beantragten die Aussetzung der Vollziehung. In einem vor dem Sozialgericht Magdeburg (SG) durchgeführten einstweiligen Rechtsschutzverfahren (S 12 R 772/11 ER) erklärte sich die Antragsgegnerin bereit, bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens nicht zu vollstrecken. Mit Bescheiden
vom 23. Dezember 2011 wurde dem Widerspruch teilweise abgeholfen und die Nachforderung auf nunmehr 30.373,29 EUR festgesetzt.
Aufgrund der vorliegenden Unterlagen sei festgestellt worden, dass bei einigen Arbeitnehmern die Gleitzonenregelung des §
20 Abs.
2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (
SGB IV) anzuwenden sei. Mit Widerspruchsbescheiden vom 13. März 2012 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch der Antragsteller
zurück. Sie verwies ergänzend auf das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 06. Juni 1991 - L 1 Kr 1217/98 und auf
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 10. Dezember 2008 - L 5 R 5976/07. Hiergegen haben die Antragsteller am 11. April 2012 Klage beim SG (S 12 R 242/12, S 12 R 244/12 und S 43 R 246/12) erhoben.
Am 27. April 2012 haben die Antragsteller beim SG in drei einstweiligen Rechtsschutzverfahren (S 12 R 312/12 ER, S 12 R 322/12 ER und S 43 R 316/12 ER) beantragt, gemäß §
86b Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen. Sie haben vorgetragen, es ergäben sich Zweifel an der Rechtmäßigkeit
des Verwaltungsaktes. Sämtliche Personen hätten die für die Factory D. Club GbR im Rahmen von Einzelaufträgen erbrachten Leistungen
per Rechnung im Sinne des § 14 Umsatzsteuergesetz abgerechnet. Die Factory D. Club GbR habe für jede Einzelveranstaltung unterschiedliche Personen beauftragt. Es sei dementsprechend
je nach Bedarf und Umfang der Veranstaltung eine unterschiedliche Personenanzahl, wobei auch hierbei jeweils unterschiedliche
Personen beauftragt worden seien, eingesetzt worden. Diesbezüglich würden und hätten keine Dienstpläne existiert. Es seien
Auftragnehmer entsprechend ihren Vorlieben bzw. ihrem Auftreten bei bestimmten Events eingesetzt worden. Die Auftragnehmer
seien für eine Vielzahl von anderen Auftraggebern tätig geworden, insbesondere auch für direkte Konkurrenten. Es habe den
jeweiligen Auftragnehmern oblegen, die Angebote der GbR anzunehmen oder abzulehnen. Von einer Eingliederung der betreffenden
Personen in das Unternehmen könne nicht die Rede sein. Die Personen würden nach Bedarf kontaktiert werden. Ihnen werde für
jeden Einzelfall ein konkretes Angebot für eine Tätigkeit bei einer Veranstaltung zu einem bestimmten Preis unterbreitet.
Darüber hinaus würde auch eine Vollziehung für sie vor Abschluss des Verfahrens angesichts der hohen geltend gemachten Summe
eine unbillige Härte darstellen. Die Summe würde letztlich dazu führen, dass ihnen unter Umständen nur die Einleitung eines
Insolvenzverfahrens bleibe.
Mit Beschluss vom 26. Juni 2012 hat das SG die Verfahren S 12 R 312/12 ER, S 12 R 322/12 ER und S 43 R 316/12 ER miteinander verbunden und anschließend mit Beschluss vom 01. Oktober 2012 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
abgelehnt. Das Gericht komme nach Abwägung aller maßgeblichen Punkte und vor dem Hintergrund der im Eilverfahren gebotenen
summarischen Prüfung zu dem Ergebnis, dass das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse überwiege. Die Bescheide seien rechtmäßig
und würden die Antragsteller nicht in ihren Rechten verletzen. Das Gesamtbild der Arbeitsleistung auch unter Berücksichtigung
der allgemeinen Verkehrsanschauung spreche für eine typische Tätigkeit eines Kellners oder Barkeepers.
Gegen den am 08. Oktober 2012 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am 08. November 2012 Beschwerde beim SG eingelegt, dass diese an das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt weitergeleitet hat. Die Antragsteller wiederholen ihren Vortrag
aus dem sozialgerichtlichen Eilverfahren.
Die Antragsteller beantragen,
den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 01. Oktober 2012 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den
Bescheid der Antragsgegnerin vom 03. Mai 2011 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 23. Dezember 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 13. März 2012 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 01. Oktober 2012 zurückzuweisen.
Sie verweist auf ihren bisherigen Vortrag und auf die Ausführungen des SG.
Das Gericht hat die Beteiligten auf §
7a Abs.
7 Satz 1
SGB IV hingewiesen. Die Antragsgegnerin trägt daraufhin ergänzend vor, dass die Regelung des §
7a Abs.
7 Satz 1
SGB IV als Sonderregelung zu §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG lediglich vorübergehend - für Zeiten der Geltung des §
7b SGB IV in der Fassung bis 31. Dezember 2007 - auf Statusentscheidungen der Rentenversicherungsträger im Rahmen von Betriebsprüfungen
angewandt worden sei. Hintergrund für diese Handhabung sei, dass in der seinerzeitigen amtlichen Gesetzesbegründung zu §
7a Abs.
7 SGB IV ausgeführt gewesen sei, dass diese Regelung auch für Statusentscheidungen außerhalb des Anfrageverfahrens gelten solle. Im
Gesetzestext selbst habe sich dagegen keine Stütze gefunden. Nach dem Wegfall des §
7b SGB IV in der Fassung bis ... 2007 gebe es für eine weitere analoge Anwendung des §
7a Abs.
7 SGB IV keine überzeugenden Gründe.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten Bezug genommen, die
Gegenstand der Beratung des Senats gewesen sind.
II. Die statthafte und zulässige, insbesondere frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde (§§
172,
173 SGG) hat auch in der Sache Erfolg. Die Klagen der Antragsteller vom 11. April 2012 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom
03. Mai 2011, geändert durch die Bescheide vom 23. Dezember 2011, in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 13. März 2012
haben aufschiebende Wirkung. Der Beschluss des SG vom 01. Oktober 2012 ist insoweit abzuändern.
1. Der Antrag der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach §
86b Abs.
2 SGG ist zwar nicht zulässig, kann aber in einen zulässigen Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung nach §
86b Abs.
1 SGG analog umgedeutet werden (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Auflage, 2012, §
86b, Rdnr. 15; zur Zulässigkeit eines Antrages nach §
86b Abs.
1 SGG analog siehe Kroedel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 3. Auflage, 2012, Rdnr. 11).
Nach §
7a Abs.
7 Satz 1
SGB IV haben Widerspruch und Klage gegen Entscheidungen, dass eine Beschäftigung vorliegt, aufschiebende Wirkung. Eine Ausnahme,
wie von §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG (aufschiebende Wirkung entfällt bei der Entscheidung über die Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung
von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten) vorgesehen,
liegt hier nicht vor. Der streitgegenständliche Bescheid enthält zwar eine Beitragsnacherhebung, aber als Voraussetzung wird
hierfür der Status der Mitarbeiter der Antragsteller als versicherungspflichtig Beschäftigte festgestellt. Der vorläufige
Rechtsschutz nach §
7a Abs.
7 SGB IV kann nicht dadurch entfallen, dass daneben auch Beiträge nachgefordert werden. Gegenüber §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG ist §
7a SGB IV lex specialis (vgl. Seewald, Beitragsnachforderungen und vorläufiger Rechtsschutz, SGb 2012, 253, 254; ders. in KassKomm §
7a SGB IV Rdnr. 25). Nach der Gesetzesbegründung zu §
7a Abs.
7 SGB IV gilt die Vorschrift nicht nur für Statusentscheidungen der Rentenversicherung Bund, sondern auch für Statusentscheidungen
der übrigen Sozialversicherungsträger außerhalb des Anfrageverfahrens nach §
7a SGB IV (vgl. BT-Drs. 14/1855 S. 8). Auch in der Rechtsprechung wird die Anwendbarkeit von §
7a Abs.
7 SGB IV bei Betriebsprüfungen nach § 28p Abs.
1 Satz 5
SGB IV bejaht (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07. Juli 2008 - L 16 B 30/08 KR ER -; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 21. September 2009 - L 4 R 196/09 B ER; Entscheidung des Senats vom 08. November 2012 - L 1 R 304/11 B ER - jeweils in juris). Das Verhältnis von §
7a Abs.
7 SGB IV zu §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG ist allerdings in der Literatur und Rechtsprechung streitig (vgl. zur Gegenmeinung Berchtold in: Kommentar zum Sozialrecht,
hrsg. von Kreikebohm, Spellbrink, Waltermann, §
40 SGB IV, Rdnr. 12; LSG H., Beschluss vom 16. April 2012 - L 3 R 19/12 B ER unter Änderung seiner Rechtsprechung im Beschluss vom 25. März 2000 - L 3 B 80/00 ER - jeweils in juris); dort wird zumindest in Betriebsprüfungsverfahren die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen auf
Grund von §
7a Abs.
7 SGB IV abgelehnt, da es sich um eine Ausnahmevorschrift handle. Dieser teleologischen Reduzierung der Norm gegen den bekannten Willen
des Gesetzgebers kann sich der Senat nicht anschließen. Die endgültige materiellrechtliche Klärung bleibt der Entscheidung
in der Hauptsache vorbehalten.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG i. V. m. §
154 Abs.
1 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren folgt aus §
197a SGG i. V. m. §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4 des Gerichtskostengesetzes. Zur Begründung der Streitwerthöhe verweist der Senat auf die zutreffenden Erwägungen des SG im angefochtenen Beschluss.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).