Rentenversicherung - Verweisungstätigkeit; Verweisungsberuf; Verdrahtungselektriker; Sehvermögen; Grauer Star; Trübung der
Augenlinse; Berufsschutz; Facharbeiter; Gruppe der Facharbeiter; Mehrstufenschema; geeigneter Verweisungsberuf
Tatbestand:
Der am ... 1958 geborene Kläger durchlief nach dem Abschluss der zehnten Klasse vom 1. September 1976 bis zum 15. Februar
1979 erfolgreich (mit einer Krankheitszeit vom 29. November 1977 bis zum 28. Februar 1978) die Lehre zum Elektroinstallateur
(Facharbeiterzeugnis vom 15. Februar 1979). Ausweislich des Arbeitsvertrages stand der Kläger zuletzt vom 16. Juni 1997 bis
zum 31. Dezember 2008 als "Elektromonteur" in einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis. Nachfolgend war er vom 2. Februar
bis zum 30. April 2009 als "Elektroinstallateur" in einem ursprünglich bis zum 31. Juli 2009 befristeten Arbeitsverhältnis
versicherungspflichtig tätig. Nach Angaben des Klägers beinhaltete die Tätigkeit auch das Tragen von häufig bis 30 kg und
gelegentlich bis 50 kg, Arbeiten auf Leitern und solche mit Armhaltung über Brusthöhe. Der Kläger bezog bis zum 23. Januar
2012 Arbeitslosengeld und ab dem 1. Februar 2012 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II). Während seiner Arbeitslosigkeit übte er von März 2011 zumindest bis Oktober 2014 eine geringfügige versicherungspflichtige
Beschäftigung mit Botengängen und einer Hausmeistertätigkeit für einen Antennenbau- und Fernsehgeräte-Reparaturbetrieb im
Umfang von bis zu 15 Wochenstunden aus (drei Stunden am Vormittag).
Bei dem Kläger ist seit dem 11. Dezember 2009 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 anerkannt.
Der Kläger beantragte bei seit dem 26. Juni 2009 attestierter Arbeitsunfähigkeit am 15. Februar 2010 bei der Beklagten die
Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog zunächst den Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik E.-S.
vom 11. Januar 2010 über die dem Kläger vom 25. November bis zum 16. Dezember 2009 gewährte stationäre Rehabilitationsmaßnahme
bei. Nach der Leistungsbeurteilung der Einrichtung besteht bei dem Kläger eine Einsatzfähigkeit als Elektroinstallateur von
unter drei Stunden täglich. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne er leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten sechs
Stunden und mehr täglich verrichten. Einschränkungen des qualitativen Leistungsvermögens bestünden für Tätigkeiten, die mit
häufig hockender und gebückter Körperhaltung, einem Ersteigen von Leitern und Gerüsten oder mit einem Heben und Tragen von
Lasten über 15 kg einhergingen. Zum klinischen Status wird dort in Bezug auf die Augen angegeben: "Pupillen rund, isokor,
prompte Reaktion auf Licht und Konvergenz; Visus wird durch Gleitsichtbrille korrigiert". In dem ebenfalls beigezogenen Gutachten
des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt (MDK) vom 15. Februar 2010 wird auf Grund der schwer einstellbaren
arteriellen Hypertonie ein aktuelles Leistungsvermögen des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von unter drei Stunden
täglich angegeben.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag ab. Der Kläger könne nicht mehr als Elektroinstallateur tätig sein. Als Facharbeiter
sei er sozial und gesundheitlich zumutbar auf eine Tätigkeit als Verdrahtungselektriker (industrielle Schaltschrankmontage)
verweisbar. Nach dem Anforderungsprofil hat der Verdrahtungselektriker die Aufgabe, die elektrischen Verbindungen von den
auf den Gittern angebrachten Einbauteilen zu Klemmleisten und von Einbauteilen zu anderen Einbauteilen durch Verdrahten (mit
Schrauben, Klemmen, Stecken, Quetschen und Löten) herzustellen. An die Wahrnehmungsgenauigkeit, Reaktionsfähigkeit und Aufmerksamkeit
würden durchschnittliche Anforderungen gestellt. Des Weiteren sei "ein normales (Farb-)Sehvermögen erforderlich, um die Elektrofarbgebungen
der einzelnen Kabel unterscheiden zu können" (Bescheid vom 1. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. August
2010).
Mit seiner am 25. August 2010 vor dem Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.
Neben den bereits in dem Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik E.-S. genannten Erkrankungen leide er unter Grauem Star.
Er könne nicht mehr so gut sehen mit der Folge von Problemen insbesondere bei Feinheiten. Zu der Verrichtung der von der Beklagten
benannten Verweisungstätigkeit gehöre z.B. das Lesen von Schaltplänen und technischen Angaben an kleinen und kleinsten elektrischen
bzw. elektronischen Bauteilen.
Das Sozialgericht hat Befundberichte eingeholt. Die Fachärztin für Augenheilkunde Dr. B. hat in ihrem Befundbericht vom 18.
Juli 2011 ausgeführt, der Visus des Klägers betrage auf beiden Augen 0,5, die Tension (Augeninnendruck) beidseits 16 Torr.
Als Diagnosen lägen beidseits eine Cataracta sinilis provecta ("Grauer Star", fortgeschrittene Form der Trübung der Augenlinse
bei älteren Menschen), eine mittlere Myopie, ein Astigmatismus, eine Presbyopie und allgemein ein Typ II Diabetes mellitus
vor. Der Befund sei gleichbleibend. Unter Berücksichtigung des augenärztlichen Fachgebietes könne der Kläger noch sechs Stunden
täglich leichte körperliche Arbeiten mit zusätzlichen qualitativen Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten.
Bezüglich der Einzelheiten wird im Übrigen auf Blatt 37 bis 51, 52 bis 71, 72 bis 73 und 75 bis 80 Bd. I der Gerichtsakten
Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 20. Februar 2013 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung
einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung oder einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.
Er sei noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr täglich zu arbeiten. In seiner letzten Tätigkeit
als Elektroinstallateur sei der Kläger in die Gruppe der Facharbeiter einzustufen. Trotz der bestehenden gesundheitlichen
Einschränkungen könne er eine Tätigkeit als Verdrahtungselektriker (in der industriellen Schaltschrankmontage) ausüben. Diese
überwiegend körperlich leichte Tätigkeit ohne Heben und Tragen schwerer Lasten werde vorwiegend im Sitzen ausgeübt. Der Graue
Star hindere den Kläger nicht an der Ausübung dieser Tätigkeit, für die "nur die normalen Anforderungen an das Sehvermögen"
gestellt würden.
Der Kläger hat gegen das ihm am 15. März 2013 zugestellte Urteil am 11. April 2013 Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG)
Sachsen-Anhalt eingelegt, mit der er nur noch die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit
verfolgt. Zur Begründung des Rechtsmittels führt er im Wesentlichen aus, neben dem Augenleiden sehe er sich in seiner Leistungsfähigkeit
durch die orthopädischen Beschwerden, den insulinpflichtigen Diabetes sowie die Bluthochdruckerkrankung eingeschränkt. Bei
einer Verrichtung der von der Beklagten benannten Verweisungstätigkeit sei auf Grund seiner Schwierigkeiten beim Sehen davon
auszugehen, dass Fehler zu einer Gefahr für Leib und Leben für die eigene Person oder Dritte führen könnten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 20. Februar 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 1. März 2010 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 5. August 2010 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 1. Februar 2010 Rente
wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Im Rahmen des Berufungsverfahrens sind Befundberichte von den behandelnden Ärzten eingeholt worden. Nach dem Arztbrief des
Internisten/Kardiologen Dr. P. vom 2. Dezember 2013, auf den dieser Arzt in seinem Befundbericht vom 8. Januar 2014 verwiesen
hat, ist dem Kläger im Dezember 2013 eine Belastung in der Fahrradergometrie bis 125 Watt möglich gewesen. Der Abbruch sei
wegen Hypertonie und Knieproblemen erfolgt. Wegen der Einzelheiten wird im Übrigen auf Blatt 142 bis 149, 150 bis 153, 179
bis 182 und 184 Bd. I der Gerichtsakten Bezug genommen.
Der Senat hat sodann das Gutachten von der Fachärztin für Innere Medizin, Sozialmedizin und Betriebsmedizin Dr. H. vom 12.
Dezember 2014 eingeholt, das auf der Grundlage der ambulanten Untersuchung des Klägers am 21. Oktober 2014 erstattet worden
ist. Der Kläger habe angegeben, unter ständigen Schmerzen zu leiden (im Sitzen weniger und beim Aufstehen und Gehen zunehmend).
Eine Treppe zur Wohnung schaffe er ohne Pause. Oben angelangt, müsse er sich ausruhen. Einen Kilometer könne er gehen, aber
unter starken Schmerzen; 500 m seien wahrscheinlich möglich. Zu der einen Kilometer entfernten Einkaufsstätte fahre er immer
mit dem Pkw. Er stehe zwischen 5.30 und 6.00 Uhr auf, kümmere sich um die Hauswirtschaft in der Wohnung und übe vormittags
für drei Stunden einen Hausmeister-Job aus, im Rahmen dessen er z.B. Papier aufsammle oder Schlösser im Auftrag einer Immobilienfirma
repariere. Nach dem Mittagessen ruhe er sich circa eine halbe Stunde aus. Am Nachmittag hole er die zweijährige Enkelin vom
Kindergarten ab und beschäftige sich mit ihr. Zum Abendbrot sei er wieder zu hause. Der Graue Star sei seit der Kindheit bekannt.
Seit 2008 spritze er Insulin, nehme am Vorsorgeprogramm der Internistin teil und gehe einmal jährlich zum Augenarzt. Als Gesundheitsstörungen,
die das Leistungsvermögen des Klägers im Erwerbsleben beeinflussten, lägen vor:
Minderbelastbarkeit des linken Kniegelenkes bei sekundärer Arthrose durch Kniebinnenschaden (Außenmeniskusschaden und Zustand
nach vorderer Kreuzbandruptur) mit leichtgradigen Funktionsstörungen.
Minderbelastbarkeit des rechten Schultergelenkes durch Eckgelenkarthrose und degenerativ bedingte Rotatorenmanschettenläsion
mit leichtgradigen Funktionsstörungen.
Belastungsabhängiges Schmerzsyndrom des linken Sprunggelenkes nach Distorsion 2009.
Ellenbogengelenkschmerzsyndrom bei Sehnenansatzstörung, rechtsdominant, ohne Funktionsstörungen.
Chronisches Lumbalsyndrom bei degenerativen Veränderungen mit leichtgradigen Funktionsstörungen ohne sensomotorische Ausfälle.
Belastungsabhängiges Schmerzsyndrom des linken Handgelenkes ohne Funktionsstörungen, Dupuytren´sche Kontraktur der linken
Hand in Projektion auf den vierten Finger und leichte Beugefehlstellung des rechten Mittelfinger-Endgliedes nach Fraktur ohne
Beeinträchtigung der Greiffunktion.
Bluthochdruck mit Linksherzbeteiligung (konzentrische Linksherzhypertrophie) ohne Störung der Pumpleistung der linken Herzkammer.
Diabetes mellitus, insulintherapiert, ohne diabetische Retinopathie, periphere Neuropathie oder Nephropathie und ohne Neigung
zur Hypoglykämie.
Schlafbezogene Atemstörung, Atemtherapie geplant ab 2015.
Minderung des Sehvermögens durch Grauen Star, Kurz-, Stab- und Alterssichtigkeit, Sehleistung rechts bzw. links 0,5 (Fundus
altersgerecht).
Die geklagten Schmerzen an einzelnen Bereichen des Stütz- und Bewegungsapparates seien zum größten Teil mit entsprechenden
klinischen und apparativen Befunden zu begründen. Die mehr bewegungsabhängigen Schmerzen des linken Kniegelenkes seien auf
den traumatisch entstandenen Kniebinnenschaden (Meniskus- und Kreuzbandverletzung) mit sekundärer Arthrose zurückzuführen,
welche mit dem diskret links hinkenden Gangbild des Klägers als Folgen des Motorradunfalls des Klägers 1981 verblieben seien.
Der Kläger könne noch sechs Stunden täglich leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten im gelegentlichen Wechsel der
Haltungsarten, z.B. auch leichte Sortier- oder Büroarbeiten, verrichten. Zu vermeiden seien häufige einseitige körperliche
Belastungen oder Zwangshaltungen, häufiges Bücken, Hocken oder Knien, Heben, Tragen oder Bewegen von mehr als leichten Lasten
ohne mechanische Hilfsmittel, Arbeiten mit Einwirkung von Zugluft, Nässe, Temperaturschwankungen, an laufenden Maschinen,
auf Leitern und Gerüsten, unter Zeitdruck, im Akkord, am Fließband, in Wechsel- oder Nachtschicht sowie Arbeiten mit Eigen-
oder Fremdgefährdung. Die Gebrauchsfähigkeit der Hände des Klägers sei nicht maßgebend eingeschränkt. An die geistigen und
psychischen Fähigkeiten seien durchschnittliche Anforderungen zu stellen. Die Gehfähigkeit des Klägers sei nicht relevant
eingeschränkt. Er könne auch öffentliche Verkehrsmittel und seinen Pkw für den Weg zur Arbeit nutzen. Die festgestellte Einschränkung
der Leistungsfähigkeit bestehe auf Dauer. Eine wesentliche Verschlechterung der Gesundheitsstörungen mit Auswirkungen auf
das qualitative Leistungsvermögen sei anhand der klinischen und apparativen Befunde nicht zu objektivieren. Der Sachverhalt
sei in medizinischer Hinsicht geklärt.
Dr. B. hat in dem nachfolgend eingeholten Befundbericht vom 9. April 2015 einen Visus rechts von 0,8 pp und links von 0,7
pp angegeben. Der Augeninnendruck betrage beidseits 15 Torr. Änderungen im Gesundheitszustand des Klägers seien nicht eingetreten.
Im Übrigen wird bezüglich der Einzelheiten auf Blatt 247 bis 248 Bd. II der Gerichtsakte Bezug genommen.
Der Kläger ist in der nicht-öffentlichen Sitzung des Berichterstatters am 28. Juli 2015 auch zu der Entwicklung seines Sehvermögens
befragt worden. Er hat hierzu ausgeführt, bei seiner letzten Tätigkeit bis 2009 im Wesentlichen mit der noch vorliegenden
Sehbeeinträchtigung gearbeitet zu haben. Allerdings habe er im Rahmen der vorgenannten Tätigkeit nur größere Teile handhaben
müssen, sodass die Einschränkung der Sehfähigkeit sich nicht ausgewirkt habe. Er befinde sich in regelmäßiger augenärztlicher
Kontrolle; dies schließe die Prüfung seiner Fahrtauglichkeit ein. Bezüglich der Einzelheiten wird im Übrigen auf die Sitzungsniederschrift,
Blatt 256 Bd. II der Gerichtsakten, Bezug genommen.
Auf die gerichtliche Anfrage mit Richterbrief vom 30. Juli 2015 zu der nach Auffassung der Beklagten unbeeinträchtigten Sehfähigkeit
des Klägers in einem Nahbereich von circa 80 cm hat Dr. B. unter dem 8. Oktober 2015 nochmals im Einzelnen die Visuswerte
des Klägers vom 7. Oktober 2015 mitgeteilt:
- ohne Korrektur: rechts 0,15 links 0,15
- mit Korrektur: rechts -7,75-1,75/128°=0,7 links -6,5-2,0/60°=0,6
- Nahvisus 40 cm Leseabstand: rechts -5,0-1,75/131°=0,5 links -3,0-2,0/60°=0,5
Der Nahbereich von 60 bis 80 cm entspreche Bildschirmleseabstand und werde mit Lesebrille von dem Kläger nicht erkannt. Bei
dem Kläger liege kein Glaukom vor, sondern ein Cataracta seniles provecta.
Die Beklagte hat eine Beendigung des Rechtsstreits im Rahmen eines Vergleichs abgelehnt und hält die Verweisungstätigkeit
weiterhin für zumutbar unter Hinweis auf die Stellungnahme der Prüf-/Gutachterärztin Dr. K. vom 2. Dezember 2015, nach der
bei dem Lesen am Bildschirm ggfs. die Schriftgröße anzupassen oder eine Lesebrille zu benutzen sei. Auch für eine Tätigkeit
als Verdrahtungselektriker bestehe eine ausreichende Eignung. Darüber hinaus gebe es Behandlungsmöglichkeiten für den Grauen
Star.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist ganz überwiegend begründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, soweit dem Kläger eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei
Berufsunfähigkeit gänzlich versagt worden ist. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist insoweit rechtswidrig und verletzt
den Kläger in seinen Rechten (§§
153 Abs.
1,
54 Abs.
2 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG)) als er Anspruch auf Bewilligung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit vom 1. Juli 2010 bis
zum 30. Juni 2016 hat.
Nach §
43 Abs.
1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für
eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Nach §
240 Abs.
1 SGB VI haben Anspruch auf eine solche Rente bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze
auch Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind.
Der Kläger erfüllt die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Er ist nach dem maßgebenden Stichtag geboren und berufsunfähig.
Berufsunfähig sind nach §
240 Abs.
2 Satz 1
SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig
und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als
sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist,
umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des
Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet
werden können (Satz 2). Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die der Versicherte durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden ist (Satz 3). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens
sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Satz 4).
Für die Frage, ob ein Versicherter berufsunfähig ist, ist sein "bisheriger Beruf" maßgebend. Wenn er diesen aus gesundheitlichen
Gründen nicht mehr ausüben kann, ist die Zumutbarkeit einer anderen Tätigkeit zu prüfen. Bisheriger Beruf im Sinne des §
240 SGB VI ist grundsätzlich die zuletzt ausgeübte und auf Dauer angelegte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit. Diese
muss also mit dem Ziel verrichtet werden, sie bis zur Erreichung der Altersgrenze auszuüben. Dieser Grundsatz gilt jedenfalls
dann, wenn die Tätigkeit zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben der Versicherten gewesen ist (vgl. z.B. Nazarek in
JurisPraxiskommentar
SGB VI, 2. Aufl. 2013, §
240 RdNr. 35 m.w.N.).
Der bisherige Beruf des Klägers ist der des Elektroinstallateurs/Elektromonteurs, der in den aktuellen Ausbildungsberufen
des Systemelektronikers und des Elektrotechnikers aufgegangen ist, gleichwohl weiterhin eine gängige Berufsbezeichnung auf
dem Arbeitsmarkt ist.
Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger seinen bisherigen Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verrichten
kann. Dies ergibt sich bereits aus der mit der letzten Tätigkeit regelmäßig verbundenen Tragebelastung mit mittelschweren
bis schweren Gewichten, die mit der Beschränkung des Leistungsbildes auf leichte körperliche Arbeiten, das zuletzt Dr. H.
in ihrem Gutachten vom 12. Dezember 2014 schlüssig und überzeugend dargelegt hat, nicht vereinbar ist.
Der bisherige Beruf begründet für den Kläger einen Berufsschutz auf der Ebene der Facharbeiter im Sinne des Mehrstufenschemas
des Bundessozialgerichts (BSG). Einem Versicherten ist die Ausübung einer ungelernten Arbeitstätigkeit nur zuzumuten, wenn sein bisheriger Beruf entweder
dem Leitberuf des angelernten oder ungelernten Arbeiters zuzuordnen ist. Bei den angelernten Arbeitern ist weiter zu differenzieren:
Angelernte mit einer Regelausbildungszeit von bis zu einem Jahr (sog. untere Angelernte) sind auf alle ungelernten Tätigkeiten
verweisbar. Demgegenüber können Angelernte mit einer Regelausbildungszeit von mehr als einem Jahr bis zu zwei Jahren (sog.
obere Angelernte) nur auf ungelernte Tätigkeiten verwiesen werden, die sich durch bestimmte Qualitätsmerkmale auszeichnen.
Facharbeiter, d.h. Versicherte, die einen anerkannten Ausbildungsberuf i.S. des § 25 Berufsbildungsgesetzes mit einer mehr als zweijährigen Ausbildung erlernt und ausgeübt haben, sind nur auf Tätigkeiten verweisbar, die zumindest
eine echte betriebliche Ausbildung von wenigstens drei Monaten erfordern (vgl. hierzu z.B. Niesel in: Kasseler Kommentar,
§
43 SGB VI a.F. RdNr. 109 m.w.N.). Versicherte, die in der DDR ihre Berufsausbildung absolviert haben, erhalten den Facharbeiterstatus,
wenn der Beruf auch im alten Bundesgebiet den Status des Facharbeiters erfüllt, auch wenn die Ausbildungszeit nur zwei Jahre
betrug (vgl. z.B. Nazarek in JurisPraxiskommentar, 2. Aufl. 2013, § 240 RdNr. 58). Der bisherige Beruf des Klägers ist der
Gruppe der Facharbeiter zuzuordnen, weil der Kläger eine zweijährige betriebliche Ausbildung nach den maßgebenden Bedingungen
des Berufsbildes des Elektroinstallateurs der DDR durchlaufen hat und zuletzt in dem erlernten Facharbeiterberuf beschäftigt
gewesen ist.
Die Beklagte hat einen geeigneten, d.h. sozial und gesundheitlich zumutbaren, Verweisungsberuf nicht benannt. Die von der
Beklagten benannte Verweisungstätigkeit des Verdrahtungselektrikers (in der industriellen Schaltschrankmontage) ist dem Kläger
gesundheitlich nicht zumutbar. Dabei ist auf die von der behandelnden Augenärztin wiedergegebenen Augenbefunde abzustellen.
Eine zur Vermeidung der Rente zumutbare Behandlungsmöglichkeit des Grauen Stars ist von der Beklagten nicht aufgezeigt worden.
Die Beklagte hat nicht konkretisiert, welche Behandlungsmöglichkeiten sie für diese Augenerkrankung annimmt. Soweit sie insoweit
auf eine Augenoperation abstellen sollte, wäre der Kläger nicht verpflichtet, sich einer solchen Maßnahme zu unterziehen.
Ohne Bedeutung ist auch, ob der Kläger im Rahmen seiner letzten versicherungspflichtigen Tätigkeit die gesundheitlichen Anforderungen
an die damals ausgeübte Tätigkeit allgemein erfüllt hätte. Der Kläger hat insoweit auch überzeugend dargelegt, dass er im
Wesentlichen größere Teile handhaben musste, sodass die Einschränkungen seines Sehvermögens keine Beeinträchtigung darstellte.
Die benannte Verweisungstätigkeit verlangt bereits aus Sicherheitsgründen für den Kläger und die Allgemeinheit ein normales
Sehvermögen, das sowohl - wie bereits von der Beklagten im Rahmen des Widerspruchsbescheides vom 5. August 2010 ausgeführt
- ein unbeeinträchtigtes Farbsehvermögen und ein normales Nahsehvermögen erfordert. Diese Anforderung drängt sich auf, ergibt
sich aber z.B. im Sinne einer konkreten gutachterlichen Feststellung aus dem für das Sozialgericht N. von der Gutachterin
S. erstatteten berufskundlichen Gutachten vom 17. Mai 2002. Der Senat sieht keine Veranlassung, hiervon abzuweichen. Die Beklagte
hat trotz mehrfacher Aufforderung, zum berufskundlichen Sachverhalt weiter vorzutragen, keine Ergänzungen zu dem von ihr bereits
im Widerspruchsverfahren zugrunde gelegten Anforderungsprofil vorgenommen, welches die Rechtsauffassung des Senats stützt.
Die Rente beginnt hier nach §
101 Abs.
1 SGB VI mit dem siebten Monat nach der eingetretenen Leistungsminderung, die für den Abschluss der Rehabilitationsmaßnahme in der
Rehabilitationsklinik E-S. im Dezember 2009 mit hinreichender Gewissheit dokumentiert ist. Der Senat legt für die Dauer der
Rente den Drei-Jahres-Zeitraum ab dem 1. Juli 2010 mit einer Weitergewährung von drei Jahren nach §
102 Abs.
2 Satz 2 und
3 SGB VI zugrunde. Das Ende des zweiten Drei-Jahres-Zeitraums in zeitlicher Nähe zu der mündlichen Verhandlung des Senats rechtfertigt
nicht die Weiterbewilligung für weitere drei Jahre. Die Gewährung einer Dauerrente kommt nicht in Betracht, da der Zustand
nach einer ggf. doch von dem Kläger unternommenen operativen Behandlung des Grauen Stars derzeit nicht absehbar ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von
einer Entscheidung der in §
160 Abs.
2 Nr.
2 SGG genannten Gerichte abweicht.