Grundsicherung für Arbeitsuchende - Zahlungsanspruch des Leistungsberechtigten gegen den Grundsicherungsträger wegen zu hoher
Erstattungszahlungen des Rentenversicherungsträgers - fehlende Rechtsgrundlage - Erfüllungsfiktion - Bestehen eines Erstattungsanspruchs
des Grundsicherungsträgers gegen den Rentenversicherungsträger - Befreiung von der Leistungspflicht gegenüber dem Leistungsberechtigten
nur in Höhe des bestehenden Erstattungsanspruchs
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtsfolgen einer Rentenbewilligung; der Kläger und Berufungskläger (im Weiteren: Kläger)
verlangt von dem Beklagten und Berufungsbeklagten (im Weiteren: Beklagter) eine Zahlung in Höhe von 813,47 €.
Der 1964 geborene Kläger bezog seit seinem Zuzug nach B. im Juli 2014 von dem Beklagten Leistungen der Grundsicherung für
Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Auf Befragen erklärte der Kläger im Mai 2015, er beabsichtige einen erneuten Antrag auf Erwerbsminderungsrente zu stellen,
müsse aber zunächst noch mit verschiedenen Fachärzten Rücksprache nehmen.
Mit Bescheid vom 25. November 2014 bewilligte der Beklagte für den Zeitraum von Januar bis Juni 2015 monatliche Leistungen
in Höhe von 704 € (Kosten der Unterkunft und Heizung [KdUH]: 305 €, Regelleistung: 399 €).
Für die zweite Jahreshälfte 2015 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 25. Juni 2015 zunächst vorläufige Leistungen von
267,45 € für August 2015 und monatlich 434 € für Juli und September bis Dezember 2015. Zwischen den Beteiligten bestand Streit
darüber, ob Erlöse aus Münzverkäufen bei Ebay als Einkommen des Klägers anzurechnen waren. Der Beklagte berücksichtigte vorläufig
ein um die Versicherungspauschale bereinigtes monatliches Einkommen von 270 €. Im August 2015 rechnete er zusätzlich ein Betriebskostenguthaben
an.
Für die erste Jahreshälfte 2016 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 25. November 2015 vorläufige Leistungen von monatlich
709 € (KdUH: 305 €, Regelleistung: 404 €).
Im Widerspruchsverfahren gegen die vorläufige Leistungsbewilligung für die zweite Jahreshälfte 2015 erließ der Beklagte am
21. Januar 2016 einen Bescheid über die endgültige Festsetzung des Leistungsanspruchs nach § 40 SGB II in Verbindung mit §
328 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung (
SGB III) und bewilligte nunmehr für die Monate Juli, September, November und Dezember 2015 je 594 € sowie für August 2015 427,45
€ und für Oktober 2015 494 €. Er rechnete ein monatliches Einkommen aus Münzverkäufen von 110 € (bzw. im Oktober 2015 von
210 €) sowie im August weiterhin das Betriebskostenguthaben an und erbrachte eine Nachzahlung von insgesamt 860 €. Auch gegen
diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein.
Per Email teilte der Kläger dem Beklagten am 7. März 2016 mit, ihm sei eine volle Erwerbsminderungsrente bis zum 31. Juli
2018 bewilligt worden. Die erste Rentenzahlung werde am 1. April 2016 erfolgen.
Am 10. März 2016 ging bei dem Beklagten die Mitteilung der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland (im Weiteren: DRV)
vom 26. Februar 2016 ein, nach der dem Kläger auf den Rentenantrag vom 7. August 2015 für die Zeit vom 1. August 2015 bis
zum 31. Juli 2018 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt worden sei. Die Rente betrage für den Zeitraum von August
2015 bis Februar 2016 monatlich 766 € brutto bzw. 684,03 € netto. Ab März 2016 ergebe sich ein Nettobetrag von 679,44 €. Die
Rentenzahlungen würden ab April 2016 aufgenommen. Für den Zeitraum bis einschließlich März 2016 ergebe sich eine Nachzahlung
von 5.467,65 €. Der Beklagte werde gebeten, seinen Erstattungsanspruch getrennt nach Monaten geltend zu machen.
Auf den Widerspruch des Klägers erließ der Beklagte unter dem 11. März 2016 einen Änderungsbescheid zur Leistungsbewilligung
für die zweite Jahreshälfte 2015 und gewährte für die Monate Juli und September bis Dezember 2015 monatliche Leistungen von
704 € sowie für August 2015 von 537,45 € – jetzt ohne Anrechnung von Einkommen aus Münzverkäufen – und zahlte weitere 760
€ an den Kläger aus.
Mit Schreiben vom 18. März 2016 machte der Beklagte gegenüber der DRV einen Erstattungsanspruch in Höhe von insgesamt 6.428,78
€ geltend:
537,45 € für August 2015,
684,03 € monatlich für September 2015 bis Februar 2016 und
679,44 € für März 2016 (insgesamt 5.321,07 €)
sowie weitere 1.107,71 € für die in der Zeit geleisteten Beiträge zur Sozialversicherung.
Mit Bescheid vom 18. März 2016 hob der Beklagte die Leistungsbewilligung ab 1. April 2016 ganz auf. Da die DRV festgestellt
habe, dass der Kläger nicht erwerbsfähig sei, lägen die Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 SGB II nicht mehr vor. Es sei eine wesentliche Änderung im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) eingetreten.
Mit Schreiben vom 21. März 2016 teilte die DRV mit, sie habe aus der Rentennachzahlung einen Betrag von 6.428,78 €, der Erstattungen
nach §
335 Abs.
2 SGB III in Höhe von 1.107,71 € enthalte, an den Beklagten überwiesen.
Mit Schreiben vom 4. April 2016 forderte der Kläger vom Beklagten die Rückzahlung der „zu Unrecht einbehaltenen Beträge“.
Die Verrechnung der SGB II-Leistungen mit der Nachzahlung sei fehlerhaft erfolgt. Der Beklagte habe nicht berücksichtigt, dass nach § 40 SGB II im Erstattungsfall Leistungen für die KdUH nur mit 44% abzurechnen seien. Damit habe der Beklagte von der DRV einen um 816,47
€ zu hohen Betrag verlangt und erhalten, der an ihn auszukehren sei. Mit weiteren Schreiben vom selben Tag machte der Kläger
gegenüber dem Beklagten Schadensersatzansprüche nach §
839 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) von 53,68 € sowie eine Verzinsung der „zu Unrecht nicht gezahlten Leistungen nach § 44 SGB II“ von 27,15 € geltend.
Mit einer am 8. Juni 2016 beim Beklagten eingegangenen „Zahlungsaufforderung/letzte Mahnung“ forderte der Kläger den Beklagten
auf, unverzüglich die bereits erläuterte Zahlungsdifferenz aufgrund der Nichtberücksichtigung von § 40 Abs. 4 SGB II von insgesamt 1.040,47 € auf sein Konto zu überweisen
Am 22. August 2016 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) mit dem Begehren, den Beklagten zur Zahlung von 813,47 € nebst Zinsen seit dem 18. März 2016 zu verurteilen, erhoben. Zur
Begründung hat er ausgeführt, der Beklagte habe in dem wegen der Erwerbsminderungsrente durchgeführten Erstattungsverfahren
§ 40 Abs. 4 SGB II nicht beachtet. Danach seien abweichend von § 50 SGB X 56% der KdUH nicht zu erstatten. Diese Regelung sei geschaffen worden, um eine Schlechterstellung der Betroffenen zu vermeiden.
Denn bei einem laufenden Rentenbezug bereits ab August 2015 hätte er Anspruch auf ergänzende Sozialleistungen (Wohngeld) gehabt,
da die Rente nicht bedarfsdeckend gewesen sei.
Mit Schreiben vom 12. Oktober 2016 hat das SG den Kläger darauf hingewiesen, es seien für den Zeitraum von August 2015 bis März 2016 SGB II-Leistungen in zutreffender Höhe ohne Anrechnung von Einkommen bewilligt worden. Die Leistungseinstellung ab April 2016 sei
nicht zu beanstanden. Soweit der Kläger die Auszahlung eines höheren Betrags von der zunächst einbehaltenen Rentennachzahlung
begehre, müsse er sich an die DRV wenden, die über die geltend gemachte Erstattung entscheide. Die Klage gegen den Beklagten
habe daher keine Aussicht auf Erfolg.
Im Schreiben vom 25. Oktober 2016 hat der Kläger ausgeführt, die DRV habe seinen Widerspruch zurückgewiesen mit dem Hinweis,
er könne gegen die Mitteilung über die Höhe der Erstattung an den SGB II-Leistungsträger und die verbleibende Rentennachzahlung nicht vorgehen, denn diese sei kein Verwaltungsakt. Die DRV prüfe
nach ihren Angaben die geltend gemachte Erstattungsforderung nicht. Sie habe ihm empfohlen, seine Ansprüche gegen den Beklagten
geltend zu machen. Dieser habe jedoch auf seine Aufforderung, die zu Unrecht erhaltenen Erstattungsbeträge an ihn auszuzahlen,
nicht reagiert und keinen Bescheid erlassen, gegen den er hätte vorgehen können. Er verweise auf das Urteil des Landessozialgerichts
Niedersachsen-Bremen vom 29. April 2015 zum Aktenzeichen L 2 R 237/13, das bei gleicher Sachlage einen Zahlungsanspruch bejaht habe. Auch das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 23. August 2012, Az.: B 4 AS 169/11 R) verlange, dass Rentner, die rückwirkend eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erhielten, nicht schlechter gestellt werden
dürften als diejenigen, deren Rentenantrag zeitnah entsprochen werde.
Der Beklagte hat erklärt, die Klage sei unzulässig, da kein Vorverfahren durchgeführt worden sei. Im Übrigen sei die 56%-Regelung
des § 40 Abs. 4 SGB II in der bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anzuwenden. Es liege kein Fall des
§ 50 SGB X vor, denn die Leistungsbewilligung an den Kläger sei nicht nach §§ 45 ff. SGB X aufgehoben worden.
Mit Schreiben vom 12. April 2017 hat das SG die Beteiligten zu einer beabsichtigten Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid gemäß §
105 Abs.
1 Satz 1
SGG angehört.
Mit Gerichtsbescheid vom 28. Dezember 2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Die zulässige Leistungsklage auf Zahlung von Leistungen für den Zeitraum von August 2015 bis März 2016
sei unbegründet, weil der Kläger mit der Rentenbewilligung wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. August 2015 aus dem SGB II-System ausgeschieden sei und nach den §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 8 Abs. 1 SGB II keine SGB II-Leistungen mehr beanspruchen könne. Die erfolgte “interne Erstattung“ zwischen dem Beklagten und der DRV diene der Entlastung
des Klägers, der nicht mit der Rückzahlung von SGB II-Leistungen belastet werden solle. Da der Kläger unter keinen Gesichtspunkt noch einen Zahlungsanspruch gegen den Beklagten
haben könne, komme es in diesem Klageverfahren nicht darauf an, ob die 56%-Regelung im Erstattungsfall anwendbar sei.
Dagegen hat der Kläger am 17. Januar 2018 Berufung eingelegt und zur Begründung sein bisheriges Vorbringen vertieft: Er habe
aufgrund der nachträglichen Zuerkennung der Rente kein Wohngeld für 2015 mehr beantragen können. Dadurch sei er gegenüber
anderen Rentnern benachteiligt, die laufend ihre Rente bezögen und Wohngeldanträge stellen könnten. Das Urteil des SG sei aufzuheben, denn die Abwicklung der Erstattung sei rechtsfehlerhaft und müsse korrigiert werden. Sie habe für ihn zu
einer gesetzeswidrigen Schlechterstellung geführt. Der Beklagte habe seine Sorgfaltspflichten verletzt und könne sich nicht
damit herausreden, die DRV hätte die Erstattungsforderung prüfen müssen, obwohl auch das zutreffe.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 28. Dezember 2017 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an
ihn 813,47 € nebst Zinsen in Höhe von 4% über dem Basiszinssatz seit dem 18. März 2016 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt schriftlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Aus seiner Sicht sei die Entscheidung des SG nicht zu beanstanden. Für das Zahlungsbegehren des Klägers fehle es an einer Anspruchsgrundlage. Alle bewilligten SGB II-Leistungen für den streitigen Zeitraum seien vollständig ausgezahlt worden. Weitere Zahlungsansprüche des Klägers bestünden
nicht.
Mit Schreiben vom 2. Mai 2018 hat die Berichterstatterin darauf hingewiesen, die Entscheidung des SG sei voraussichtlich nicht zu beanstanden. Soweit der Kläger mit dem LSG Niedersachsen (Urteil vom 29. April 2015, Az.: L
2 R 237/13, juris) der Auffassung sei, der Rentenversicherungsträger hätte nur einen geringeren Zahlbetrag an den Beklagten erstatten
dürfen, müsse er sich an die DRV wenden. Auch in der zitierten Entscheidung sei der Rentenversicherungsträger zur Zahlung
verurteilt worden. Ein Zahlungsanspruch gegen den beklagten SGB II-Leistungsträger komme nicht in Betracht.
Auf Nachfrage haben sich die Beteiligten – der Beklagte am 30. Mai 2018 und der Kläger am 15. Juli 2018 – mit einer Entscheidung
des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Im Februar 2021 hat die DRV als Beklagte in dem vom Kläger beim SG geführten Klageverfahren zum Aktenzeichen S 1 R 230/18 Einsicht in die Gerichtsakte genommen.
Wegen weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge
des Beklagten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der Beratung des Senats gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§
151 SGG). Der notwendige Beschwerdewert von mehr als 750 € gemäß §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG ist mit der geltend gemachten Forderung von 813,47 € erreicht.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat mit dem angegriffenen Gerichtsbescheid die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, denn der Kläger hat keinen Zahlungsanspruch
gegen den Beklagten.
Die von ihm erhobene allgemeine Leistungsklage nach §
54 Abs.
5 SGG – in Form der reinen Zahlungsklage – ist zulässig, aber unbegründet. Denn der geltend gemachte Zahlungsanspruch gegen den
Beklagten ergibt sich weder aus einem Verwaltungsakt noch aus dem Gesetz.
Die mit den Bescheiden vom 25. November 2015, 21. Januar 2016 und 11. März 2016 bewilligten SGB II-Leistungen hat der Beklagte an den Kläger ausgezahlt und damit den SGB II-Leistungsanspruch erfüllt. Darüber hinaus ergibt sich aus dem SGB II keine Anspruchsgrundlage für das geltend gemachte Zahlungsverlangen. Dem Kläger steht auch gegen den Beklagten kein Zahlungsanspruch
wegen ungerechtfertigter Bereicherung zu. Dabei kann dahinstehen, ob der Beklagte vom zuständigen Rentenversicherungsträger
(DRV) einen zu hohen Betrag zur Befriedigung seines Erstattungsanspruchs erhalten hat.
Ein Zahlungsanspruch des Klägers gegen den Beklagten lässt sich aus den Vorschriften der §§ 102 ff. SGB X nicht ableiten. Denn diese regeln Erstattungsansprüche der Sozialleistungsträger untereinander, nicht jedoch – aus welchen
Gründen auch immer begründete – Ansprüche eines Sozialleistungsempfängers gegen einen Sozialleistungsträger.
Die denkbaren Erstattungsansprüche des Beklagten gegenüber anderen Sozialleistungsträgern aus §§ 40a, 44a Abs. 3 SGB II in Verbindung mit 102 ff. SGB X entstehen kraft Gesetzes. Sie sind nicht von der Rechtsposition des SGB II-Leistungsberechtigten abgeleitet (vgl. BSG, Urteil vom 1. Dezember 1983, Az.: 4 RJ 91/82, BSGE 56, 69). Dementsprechend vollzieht sich die Erstattung allein zwischen den Leistungsträgern ohne Beteiligung des Leistungsberechtigten.
Soweit der Rentenversicherungsträger im Erstattungswege Zahlungen an den SGB II-Leistungsträger erbringt, zahlt er nicht auf die im Verhältnis zu seinem Leistungsberechtigten bestehende rentenversicherungsrechtliche
Schuld, sondern auf eine eigeständige Erstattungsschuld gegenüber dem erstattungsberechtigten Träger der Grundsicherung.
Dabei gilt seine rentenversicherungsrechtliche Schuld nach Maßgabe des § 107 SGB X als erfüllt. Voraussetzung für den Eintritt dieser Erfüllungsfiktion ist jedoch, dass ein Erstattungsanspruch in Höhe des
gezahlten Betrags auch besteht. Sollte, wovon der Kläger ausgeht, die DRV als Rentenversicherungsträger dem Beklagten einen
zu hohen Betrag erstattet haben, müsste der Kläger dies, worauf bereits das SG zutreffend hingewiesen hat, gegenüber dem Rentenversicherungsträger geltend machen (vgl. BSG, Urteile vom 29. September 2009, Az.: B 8 SO 11/08 R, juris; zuvor: BSG, Urteil vom 22. Mai 2002, Az.: B 8 KN 11/00 R, SozR 3-2600 § 93 Nr. 12), weil dieser insoweit (d.h. hinsichtlich der „Zuvielzahlung“) nicht von seiner Zahlungsverpflichtung
gegenüber dem Kläger frei geworden wäre. Denn nur soweit ein Erstattungsanspruch besteht, gilt der Anspruch gegenüber dem
Leistungsberechtigten als erfüllt.
Im vorliegenden Fall gibt es – ohne dass es zur Entscheidung im Berufungsverfahren über den gegen den Beklagten geltend gemachten
Zahlungsanspruch darauf ankäme – Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Erstattung in der erbrachten Höhe. Diese beziehen sich
nach Auffassung des Senats maßgeblich auf diejenigen SGB II-Leistungen, die der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 11. März 2016 noch bewilligt und an den Kläger ausgezahlt hat (insgesamt
760 € für die Monate Juli bis Dezember 2015), nachdem er bereits seit dem 7. März 2016 (durch die E-Mail des Klägers) bzw.
seit dem 10. März 2016 (Eingang der Mitteilung der DRV) Kenntnis von der Rentenbewilligung ab 1. August 2015 – und dem damit
verbundenen Ausscheiden des Klägers aus dem Leistungsbezug nach dem SGB II – hatte.
Denn Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch zwischen dem Rentenversicherungs- und dem SGB II-Leistungsträger gemäß § 40a SGB II in Verbindung mit § 104 SGB X ist eine nachträgliche Leistungsbewilligung, d.h. nach der Erbringung der SGB II-Leistungen muss rückwirkend die grundsätzlich vorrangige Rente bewilligt worden sein. Der erstattungsberechtigte Leistungsträger
muss Leistungen erbracht haben, „bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat“ (§ 104 Abs. 1 SGB X). Zudem erfasst § 104 SGB X nur rechtmäßig erbrachte Leistungen (vgl. Roos in: Schütze, SGB X,9. Aufl. 2020, § 104 RN 9). Um solche dürfte es sich bei der weiteren Leistungsbewilligung in Kenntnis der entfallenen Leistungsberechtigung des
Klägers nicht handeln. Die mit dem Änderungsbescheid vom 11. März 2016 bewilligten weiteren Leistungen waren zumindest teilweise
(bis zur Höhe der monatlichen Nettorente) auch Gegenstand des Erstattungsverlangens des Beklagten.
Zudem sind gemäß § 104 Abs. 1 Satz 3 SGB X sog. Sowieso-Leistungen, also Leistungen, die der nachrangig verpflichtete Leistungsträger (hier der Beklagte als SGB II-Leistungsträger) unabhängig von der rechtzeitigen Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers (hier DRV) hätte
erbringen müssen, nicht zu erstatten. Dies führt beispielsweise dazu, dass monatliche Freibeträge (z.B. die Versicherungspauschale),
die noch nicht auf anderweitige Einkommen angerechnet wurden, im Erstattungsverfahren zu berücksichtigen, d.h. freizulassen
sind. Dies gilt aber regelmäßig nur, wenn der SGB II-Leistungsträger selbst bei rechtzeitiger Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers noch Leistungen an den bisherigen
SGB II-Bezieher zu erbringen hat, d.h. wenn dieser im SGB II-Leistungssystem bleibt, was hier nicht der Fall ist.
Ob ein anderer Sozialleistungsträger (z.B. die Träger der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung oder die Wohngeldstelle
der Gemeinde) anstelle des SGB II-Leistungsträgers hätte leisten müssen, ist nach überwiegender Auffassung grundsätzlich unerheblich, d.h. im Rahmen von §
104 SGB X nicht zu beachten (vgl. zum Vorst. m.w.N.: Pattar in Schlegel/Voelzke, jurisPK SGB II, Stand 03/20, § 40a RN 49 ff.).
Dies sieht das LSG Niedersachsen-Bremen im Urteil vom 29. April 2015 (Az.: L 2 R 237/13, juris RN 31, 43, 46; ebenso für das Verhältnis zwischen SGB II- und SGB II-Leistungsträger: Bay. LSG, Urteil vom 15. Februar 2017, Az.: L 10 AL 163/16, juris RN 22 ff.) anders: Es meint, als sog. Sowieso-Leistungen seien auch Sozialleistungen anderer Leistungsträger zu berücksichtigen,
die anstelle der SGB II-Leistungen hätten erbracht werden müssen, wenn der erstattungspflichtige Sozialleistungsträger (hier die DRV) rechtzeitig
geleistet hätte. Daher seien bei einer rückwirkenden Rentengewährung im Erstattungsfall wegen § 107 SGB X die Bedarfe für die Unterkunftskosten nur gekürzt zu berücksichtigen (im Sinne von § 40 Abs. 4 SGB II a.F., der bis zum 31. Juli 2016 bestimmte, das abweichend von § 50 SGB X 56% der bei der Berechnung der SGB II-Leistungen berücksichtigten Bedarfe für Unterkunft nicht zu erstatten waren). Damit sollte kompensiert werden, dass nach
der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Gesetzeslage im Wohngeldrecht keine Möglichkeit bestand, rückwirkend für einen Aufhebungszeitraum
Wohngeld zu erhalten (§ 8 Abs. 1 Satz 3 und § 25 Abs. 3 Satz 2 Wohngeldgesetz [WoGG]; vgl. auch Pattar, a.a.O., RN 51, 52).
Für diese Konstellation wird aber auch vertreten, dass für einen Erstattungszeitraum ausnahmsweise rückwirkend Wohngeld gewährt
werden konnte (durch eine analoge Anwendung von § 25 Abs. 3 WoGG a.F.), wie es der seit dem 1. Januar 2016 geltenden gesetzlichen Regelung (§ 8 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 WoGG) entspricht.
Es ist daher nicht sicher, ob die – auch vom Kläger zitierte – Rechtsprechung des LSG Niedersachsen-Bremen zu seinen Gunsten
anzuwenden wäre. Im Übrigen war in Ansehung der Erstattungsmonate Januar bis März 2016 eine Beantragung von Wohngeld möglich.
Eine Bewilligung hätte die (von ihm zur Begründung der Zahlungsklage) geltend gemachte Schlechterstellung für diese drei Monate
beseitigt. Dem Senat ist jedoch nicht bekannt, ob und mit welchem Erfolg der Kläger für die Zeit ab Januar 2016 Wohngeld beantragt
hat.
Da nach den vorstehenden Ausführungen die Erfüllungsfiktion nach § 107 SGB X voraussichtlich nicht für den gesamten Erstattungsbetrag eingetreten ist, besteht möglicherweise ein Zahlungsanspruch des
Klägers im Verhältnis zum Rentenversicherungsträger (DRV), den er wohl auch geltend gemacht hat – wie sich mittelbar aus der
Mitteilung der DRV vom 9. Februar 2021 zum sozialgerichtlichen Klageverfahren (Az.: S 25 R 230/18) ergeben könnte. Ein direkter Zahlungsanspruch des Klägers gegen den Beklagten ergibt sich jedoch daraus nicht.
Ein Zahlungsanspruch des Klägers gegen den Beklagten ergibt sich auch nicht aus einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch.
Dieser verschafft dem Anspruchsinhaber ein Recht auf Herausgabe des Erlangten, wenn eine Leistung ohne Rechtsgrund oder eine
sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebung erfolgt ist. Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen des öffentlich-rechtlichen
Erstattungsanspruchs entsprechen, soweit sie nicht spezialgesetzlich geregelt sind, denen des bürgerlich-rechtlichen Bereicherungsanspruchs
(vgl. nur m.w.N.: BSG, Urteil vom 28. Oktober 2008, Az.: B 8 SO 23/07 R, juris).
Die Voraussetzungen liegen indes nicht vor. Denn auch das Bereicherungsrecht des
BGB würde dem Kläger – entgegen seiner Auffassung – keinen Anspruch verschaffen (vgl. BSG, Urteil vom 29. September 2009, Az.: B 8 SO 11/08 R, juris).
Nach §
816 Abs.
2 BGB ist ein Nichtberechtigter dem Berechtigten zur Herausgabe des Geleisteten verpflichtet, wenn an ihn als Nichtberechtigten
eine Leistung bewirkt worden ist, die dem Berechtigten gegenüber wirksam ist. Diese Vorschrift greift in der vorliegenden
Konstellation – unabhängig davon, ob die DRV einen zu hohen Betrag erstattet hat – nicht ein: Wenn ein Erstattungsanspruch
des Beklagten gegen die DRV in der erfüllten Höhe bestand, hat der Rentenversicherungsträger an den Beklagten als Erstattungsberechtigten
im Sinne des § 104 SGB X und nicht an einen Nichtberechtigten gezahlt, wie dies §
816 Abs.
2 BGB voraussetzt. Hat hingegen die DRV einen höheren Betrag als gesetzlich vorgesehen an den Beklagten erstattet, wirkt sich dies
nicht zu Lasten des Klägers aus, weil insoweit nach § 107 Abs. 1 SGB X keine befreiende Wirkung eingetreten ist. Hat die DRV (Teil-)Beträge zu Unrecht erstattet, ist sie von ihrer Leistungspflicht
aus dem Rentenversicherungsverhältnis gegenüber dem Kläger nicht frei geworden und muss diese Beträge noch an ihn auskehren
(vgl. BSG, Urteil vom 28. Oktober 2008, a.a.O.; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 9. Februar 2017, Az.: L 19 AS 1917/16, juris RN 35-37).
Da der geltend gemachte Zahlungsanspruch (Hauptforderung) gegen den Beklagten nicht besteht, ergibt sich auch kein Zinsanspruch
als Nebenforderung.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.