Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Berücksichtigung der Finanzierungskosten für ein Kraftfahrzeug als Einkommen
Gründe:
I. Die Kläger und Berufungskläger begehren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für zwei Berufungsverfahren. Der Kläger
zu 2. hat seine Berufung in dem Verfahren L 5 AS 465/10 zurückgenommen. Die Kläger wenden sich nur noch dagegen, dass im Rahmen der Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) die Raten für einen Kfz-Darlehensvertrag vom anzurechnenden Einkommen eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft nicht abgesetzt
worden sind.
Die Klägerin zu 1. und ihr minderjähriger Sohn, der Kläger zu 2., bezogen ab dem 1. Januar 2005 Leistungen nach dem SGB II. Der ab September 2006 zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Kläger zu 2. hatte davor keine Leistungen nach dem SGB II erhalten. Er erzielte versicherungspflichtiges Einkommen aus einer Beschäftigung in monatlich wechselnder Höhe. Aufgrund
eines am 15. Juli 2004 geschlossenen Kfz-Kaufvertrags hatte er 84 Monatsraten zu je 182,00 EUR zu zahlen.
Der Beklagte ermittelte ab September 2006 den Leistungsanspruch unter Zugrundelegung einer monatlichen Regelleistung für die
drei Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung für die Klägerin zu 1. sowie
der Kosten der Unterkunft und Heizung. Auf den Gesamtbedarf rechnete er das Kindergeld sowie das bereinigte Nettoeinkommen
des Klägers zu 3. an.
Mit Bescheid vom 12. Oktober 2006 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 28. März 2007, beide in der Fassung des Widerspruchsbescheids
vom 5. September 2007 sowie des Änderungsbescheids vom 7. Januar 2008 bewilligte der Beklagte Leistungen für die Zeit von
November 2006 bis April 2007. Mit zwei Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 28. März 2007 forderte der Beklagte von dem
Kläger zu 3. Leistungen in Höhe von 86,72 EUR und von den Klägern zu 1. und 2. in Höhe von 125,08 EUR zurück. Mit Aufhebungs-
und Erstattungsbescheid vom 7. Januar 2008 forderte der Beklagte von den Klägern zu 1. und 2. einen weiteren Betrag in Höhe
von 210,35 EUR zurück.
Dagegen haben die Kläger am 1. Oktober 2007 Klage beim Sozialgericht Stendal erhoben (S 43 AS 517/07). Sie haben sich gegen die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide gewendet und höhere Leistungen nach dem SGB II beantragt. Insoweit haben sie geltend gemacht, die Kfz-Darlehensraten seien zusätzlich vom Einkommen abzusetzen.
Mit Bescheid vom 28. März 2007 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 24. Mai 2007, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 6. September 2007, hat der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft für die Zeit von Mai bis Oktober 2007 Leistungen nach dem
SGB II bewilligt. Auch hiergegen haben die Kläger am 1. Oktober 2007 Klage beim Sozialgericht Stendal erhoben (S 43 AS 525/07) und hinsichtlich der Höhe der begehrten Leistungen wiederum die Berücksichtigung der Kfz-Darlehensraten geltend gemacht.
Das Sozialgericht hat mit zwei Urteilen vom 13. August 2010 in der Sache S 43 AS 517/07 die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide aufgehoben und die Klage hinsichtlich der begehrten höheren Leistungen abgewiesen.
In dem Verfahren S 43 AS 525/07 hat das Sozialgericht den Klägern für die Zeit von Juni bis Juli 2007 höhere Leistungen bewilligt und im Übrigen die Klage
abgewiesen. Zur Frage des Abzugs der Kfz-Darlehensraten vom Einkommen hat es jeweils ausgeführt: Es handele sich nicht um
Kosten im Sinne von § 3 Nr. 3b der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-V). Diese Vorschrift beziehe sich nur auf die Kosten der Fahrten zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte. Es erscheine zumindest
zweifelhaft, ob nach dem Willen des Verordnungsgebers hiervon auch die Kosten der Fahrzeugfinanzierung erfasst sein sollten.
Nach Sinn und Zweck der §§ 19 f. SGB II könnten die Fahrzeugfinanzierungskosten auch nicht als sonstige Werbungskosten vom Einkommen abgesetzt werden. Anderenfalls
würden die steuerfinanzierten Grundsicherungsleistungen den Erwerb eines Fahrzeugs ermöglichen. Zu dessen Finanzierung seien
die Erwerbstätigenfreibeträge zu verwenden. Es könne offen bleiben, ob die Kostenübernahme eine Eingliederungsleistung im
Sinne von § 16 SGB II darstellen könne. Denn über einen solchen, von der Gewährung der Grundsicherungsleistungen abtrennbaren Streitgegenstand
habe der Beklagte nicht entschieden.
Gegen die ihnen am 15. September 2010 zugegangenen Urteile haben die Kläger am 15. Oktober 2010 Berufung beim erkennenden
Senat eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Berufungsverfahren beantragt. Der Kläger zu 2. verfolgt
in dem Verfahren L 5 AS 465/10 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe weiter. Die Kläger begehren für die Zeit von November 2006 bis April 2007 bzw. Mai
bis Oktober 2007 weitere Leistungen nach dem SGB II, wobei das Nettoeinkommen um 182,00 EUR/Monat wegen des Fahrzeugkredits zu vermindern sei. Der Kläger zu 3. sei aufgrund
seiner Arbeitszeiten auf sein Kfz abgewiesen gewesen und hätte keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen können. Das Kfz
sei bei Beginn des Leistungsbezugs des Klägers zu 3. über zwei Jahre alt gewesen. Angesichts des Wertverlusts wäre es nicht
zuzumuten gewesen, das Kfz zu veräußern, ein günstigeres anzuschaffen und zusätzlich das noch bestehende Darlehen abzuzahlen.
Gemäß § 6 ALG II-V seien die Kreditraten als notwendige Kosten vom Einkommen voll absetzbar.
Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
II. Die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die beiden Berufungsverfahren waren abzulehnen.
Nach §
73a Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) i.V.m. §§
114 ff.
Zivilprozessordnung (
ZPO) ist auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen, soweit die Antragsteller nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen
die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen können, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung
oder -verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dabei haben die Antragsteller gemäß
§
115 ZPO für die Prozessführung ihr Einkommen und Vermögen einzusetzen, soweit ihnen dies nicht aufgrund der dort genannten Tatbestände
unzumutbar ist.
Als hinreichend sind die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels einzuschätzen, wenn der Erfolg in der Hauptsache zwar nicht
gewiss, eine Erfolgschance jedoch nicht unwahrscheinlich ist (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13. März 1990 -
1 BvR 94/88 -, NJW 1991, S. 413 f.). Prozesskostenhilfe kommt hingegen nicht in Betracht, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht gänzlich ausgeschlossen,
die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 17. Februar 1998 - B 13 RJ 83/97 R -, SozR 3-1500 § 62 Nr. 19).
Die Berufungen versprechen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im genannten Sinne. Streitig ist zwischen den Beteiligten
nur noch, in welcher Höhe das Einkommen des Klägers zu 3. auf den Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft anzurechnen war. Im
Übrigen haben die Kläger gegen die teilweise abweisenden Urteile des Sozialgerichts keine Einwände erhoben. Fehler bei der
Ermittlung des Gesamtbedarfs sowie der Anrechnung von Kindergeld und Einkommen sowie deren Verteilung auf die Mitglieder der
Bedarfsgemeinschaft sind für den Senat auch nicht erkennbar.
Die Klagen auf höhere Leistungen unter Abzug eines Betrags in Höhe von 182,00 EUR/Monat von dem zur Bedarfsdeckung einzusetzenden
Erwebseinkommen des Klägers zu 3. haben nicht die erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussichten.
Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 11 SGB II i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 3b Alg II-V in den gleichlautenden Fassungen vom 1. Oktober 2005 bis 31. Dezember 2006 und vom 1. Januar bis 31. Dezember 2007. Danach
sind als Pauschbeträge abzusetzen von dem Einkommen Erwerbstätiger für die Beträge nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB II bei Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit neben der Werbungskostenpauschale zusätzlich bei Benutzung eines Kraftfahrzeugs
für die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für Wegstrecken zur Ausübung der Erwerbstätigkeit 0,20 EUR für jeden Entfernungskilometer
der kürzesten Straßenverbindung, sofern der erwerbsfähige Hilfebedürftige nicht höhere notwendige Ausgaben nachweist.
Der Senat folgt der Auffassung des Sozialgerichts, wonach sich schon wegen des Wortlauts der Vorschrift die "höheren notwendigen
Ausgaben" nur auf die Kosten für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte beziehen können.
Diese Auslegung entspricht der Vorstellung des Verordnungsgebers. Dies ergibt sich eindeutig aus dem "Entwurf einer Ersten
Verordnung zur Änderung der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung" des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit (Fundstelle im Internet: Arbeitnehmerkammer Bremen, Soziales - Grundsicherung
für Arbeitsuchende - Überblick - Verordnungen). Die dort vorgeschlagene und zum 1. Oktober 2005 in Kraft getretene Neuregelung
sah eine Erhöhung der Pauschalen für Wegstrecken vor, da die bis dahin gewährte Pauschale von 0,06 EUR für jeden Entfernungskilometer
der kürzesten Straßenverbindung in Anlehnung an die zu erwartenden Einkommensteuererstattungen festgesetzt worden sei. Da
Einkommensteuererstattungen aber als Einnahmen einzusetzen sind, sollte die Pauschale erhöht werden. In Anlehnung an §
9 Abs.
1 Nr.
4 Satz 2
Einkommensteuergesetz (
EStG) sollte von einem Betrag von 0,30 EUR je Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ausgegangen werden.
Dieser Betrag sei jedoch nicht ohne Weiteres zu übernehmen. Er enthalte Anteile, die bei einer Fürsorgeleistung wie dem Arbeitslosengeld
II nicht absetzbar sein sollten. Von den steuerrechtlich berücksichtigten Kosten seien im Rahmen des SGB II nicht absetzbar u.a. Finanzierungskosten, weil damit die Finanzierung zumindest teilweise durch die Grundsicherung für Arbeitsuchende
erbracht würde. Ausgehend von dieser Überlegung werde eine Entfernungspauschale von 0,20 EUR/Kilometer für ausreichend erachtet
(Begründung, Besonderer Teil, Artikel 1, Nummer 4b). Aus dieser Darlegung zu der - unverändert umgesetzten - Änderung der Alg II-V wird deutlich, dass der Verordnungsgeber die Finanzierungskosten für ein Kfz nicht als "höhere notwendige Ausgaben" im Sinne
von § 3 Abs. 1 Nr. 3b Alg II-V angesehen hat. Andere Aufwendungen für den Unterhalt des Kfz sollten nicht von der Möglichkeit eines nachzuweisenden höheren
Abzugs erfasst sein. Vielmehr sollen damit nur die durch die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel entstehenden Mehrkosten abgedeckt
werden.
Es fehlen aber auch hinreichende Erfolgsaussichten für eine Berücksichtigung der Kreditraten bei den Werbungskosten gemäß
§ 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 3a Alg II-V. Zwar kann die Werbungskostenpauschale bei Nachweis höher angesetzt werden (BSG, Urteil vom 27. Februar 2008, B 14/7b AS 32/06 R (48)). Hinsichtlich der Kosten für ein Kfz gilt jedoch die o.g. Spezialregelung. Anderenfalls würde der Wille des Verordnungsgebers
umgangen (so auch: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. April 2007, L 13 AS 4770/06 ER-B, juris).
Zu Recht hat das Sozialgericht auch darauf abgestellt, dass im Rahmen des SGB II durch die Gewährung staatlicher Fürsorgeleistungen eine Mehrung des Vermögens nicht stattfinden soll (BSG, Urteil vom 7. November 2006, B 7b AS 8/06 R (35) zur grundsätzlich unzulässigen Übernahme von Tilgungszahlungen für eine Immobilie, juris). Diesen Effekt hätte jedoch
die Berücksichtigung der monatlichen Kreditraten für das Kfz bei dem anzurechnenden Einkommen. Dieses würde sich um den Betrag
der Ratenzahlungen vermindern und den Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft erhöhen.
Der von den Klägern angeführten Rechtsprechung des Hessischen Landessozialgerichts in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
(Beschlüsse vom 12. Juli 2006, L 9 AS 69/06 ER und vom 27. November 2006, L 9 AS 213/06 ER, juris) folgt der Senat nicht. Danach sollen im Grundsatz Tilgungsleistungen für Schulden nicht absetzbar, allerdings
immer die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen sein. Wenn das Kfz-Darlehen vor Beginn der Hilfebedürftigkeit
aufgenommen worden sei, und wenn derzeit die Erhöhung des unpfändbaren Betrags nach §
850f Abs.
1 ZPO angestrebt werde, sei bis zu einer Entscheidung des Vollstreckungsgerichts der Sicherung des Existenzminimums Priorität einzuräumen.
Diese Auffassung entspricht nicht den gesetzlichen Bestimmungen.
Angesichts des Grundsatzes, wonach die Leistungen des SGB II nicht der Vermögensbildung dienen, ist auch eine Differenzierung nach dem Zeitpunkt des Erwerbs des Kfz, also vor bzw. während
des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II, nicht vorzunehmen (vgl. wegen des Fehlens eines Vertrauensschutzes für in der Zeit vor dem 1. Januar 2005 eingegangene Immobilienverbindlichkeiten:
BSG, Urteil vom 16. Mai 2007, B 11b AS 5/06 R (28), juris). Gleiches gilt für den geltend gemachten Vermögensverlust bei einem Verkauf des Kfz oder die Unmöglichkeit
der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Dem Kläger zu 3. war es demnach zumutbar gewesen, die Ratenzahlungen mit seinen Freibeträgen
aus der Erwerbstätigkeit aufzubringen.
Zu Recht hat das Sozialgericht auch darauf abgestellt, dass offen bleiben kann, ob die Kostenübernahme als Eingliederungsleistung
im Sinne von § 16 SGB II in Betracht kommen könnte. Über einen solchen Anspruch hat der Beklagte nicht entschieden. Ist - wie hier - nur ein Anspruch
auf höhere Leistungen gemäß § 19f. SGB II streitig, ist die Geltendmachung von Leistungen der Eingliederung in Arbeit nach § 16 SGB II in diesem Rechtsstreit unzulässig (BSG, Urteil vom 9. September 2007, B 14/7b AS 36/06 R (11)).
Der Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§
177 SGG).