Festsetzung eines Ordnungsgeldes
Nichterscheinen eines Zeugen
Nachsendeauftrag
Nachsendelücke für Postzustellungsurkunden
1. Nach §
380 ZPO sind einem ordnungsgemäß geladenen Zeugen, der nicht erscheint, die durch sein Ausbleiben verursachten Kosten sowie ein Ordnungsgeld
aufzuerlegen.
2. §
381 ZPO nennt die Gründe, nach denen die Auferlegung eines Ordnungsgeldes zu unterbleiben hat bzw. nachträglich aufzuheben ist; dies
ist dann der Fall, wenn der Beteiligte sein Ausbleiben genügend entschuldigen kann.
3. Entschuldigt er sein Fernbleiben rechtzeitig, d.h. so rechtzeitig, dass der Termin aufgehoben und die übrigen Beteiligten
hiervon noch unterrichtet werden können, so hat die Festsetzung eines Ordnungsgeldes zu unterbleiben; erfolgt die Entschuldigung
nicht rechtzeitig, so entfällt die Festsetzung eines Ordnungsgeldes nur dann, wenn glaubhaft gemacht wird, dass den Betroffenen
an der Verspätung der Entschuldigung kein Verschulden trifft und die Entschuldigung hinreichend ist.
4. Der einen Nachsendeauftrag Aufgebende geht regelmäßig davon aus, dass er damit alles Notwendige getan hat, um sämtliche
Schriftstücke an die neue Zweitwohnanschrift zu erhalten.
5. Dies bleibt bei üblicher gerichtlicher Post ohne Risiko, gilt jedoch nicht für förmliche Postzustellungsurkunden.
Gründe:
I.
Die Beschwerde richtet sich gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes.
Nach einem Antrag des Beschwerdeführers und Klägers (im Folgenden: Kläger) vom 7. April 1992 stellte das Amt für Versorgung
und Soziales wegen Schwindelanfällen, Kopfschmerzen nach Hirnoperation und einer Lungeneinschränkung einen Grad der Behinderung
(GdB) von 90 fest. Nach Ablauf der Heilungsbewährung wurde der GdB auf 60 herabgesetzt. Einen Neufeststellungsantrag vom 17.
Januar 2006 lehnte das Landesverwaltungsamt nach medizinischen Ermittlungen ab (Bescheid vom 27. April 2006). Wegen eines
zugeklebten Briefkastens am Wohnort des Klägers konnte dieser Bescheid nicht zugestellt werden. Eine Melderegisterauskunft
brachte keinen Hinweis auf einen neuen Wohnsitz des Klägers. Die nochmalige Zustellung im Mai 2006 war erfolgreich. Auf einen
weiteren Neufeststellungsantrag vom 31. Januar 2008 erließ das Landesverwaltungsamt einen ablehnenden Bescheid vom 8. Juli
2008, der wiederum nicht zugestellt werden konnte. Eine Melderegisterauskunft wies einen unveränderten Wohnort aus, worauf
das Landesverwaltungsamt einen weiteren Zustellversuch unternahm. Diese Zustellung scheiterte gemäß dem Hinweis "Briefkasten
zugeklebt". Am 11. September 2008 rief der Kläger beim Landesverwaltungsamt an und teilte mit, dass er im Sommer in seinem
Bungalow wohne (W. 20, 14 ... S.-F., OT L.). Mit Schreiben vom 10. September 2008 sandte das Landesverwaltungsamt den Bescheid
an diese Anschrift des Klägers. Auf einen weiteren Neufeststellungsantrag vom 14. Februar 2011 erließ das Landesverwaltungsamt
einen Bescheid vom 24. August 2011, der unter der Sommeradresse des Klägers nicht zugestellt werden konnte. Am 26. Oktober
2011 teilte der Kläger mit, er halte sich ab 1. November 2011 wieder in A. auf. Am 14. März 2012 stellte der Kläger einen
weiteren Neufeststellungsantrag und teilte mit, dass er sich in der Zeit von April bis Oktober in seinem Sommerbungalow aufhalte.
Am 11. Februar 2014 stellte der Kläger einen weiteren Neufeststellungsantrag und wies dabei erneut auf seine Sommeranschrift
hin. Gegen den ablehnenden Bescheid vom 13. Juni 2014, der an den Hauptwohnsitz gesandt wurde, erhob der Kläger am 3. Juli
2014 Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2014 zurückgewiesen wurde. Hiergegen hat der Kläger unter seiner
Hauptwohnanschrift am 14. August 2014 Klage beim Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben.
Das SG hat am 17. Mai 2016 gemäß Ladungsverfügung der Kammervorsitzenden vom 20. April 2016 einen Termin zur Erörterung der Sach-
und Rechtslage bestimmt und das persönliche Erscheinen des Klägers angeordnet. Die Ladung erfolgte am 28. April 2016 durch
Niederlegung in der Niederlegungsstelle der P.-bank Filiale A. in Gestalt einer schriftlichen Mitteilung über die Niederlegung
am Briefkasten des Klägers. Sie war mit dem Hinweis versehen, dass gegen den Kläger ein Ordnungsgeld bis zu 1.000,00 EUR festgesetzt
werden kann, falls er ohne genügende Entschuldigung nicht erscheint.
In der Sitzung des SG vom 17. Mai 2016 ist der Kläger nicht erschienen. Die Kammer hat die ordnungsgemäße Ladung des Klägers festgestellt und ihn
beauflagt, sein Fernbleiben binnen drei Wochen zu entschuldigen. Mit Begleitschreiben vom 19. Mai 2016 hat die Kammervorsitzende
ihn zudem darauf hingewiesen, dass er bei voraussichtlich längeren Abwesenheitszeiten sicherzustellen habe, dass ihn gerichtliche
Ladungen erreichen. Überdies habe der Kläger klarzustellen, was genau sein Klageziel sei. Das Protokoll sowie das Begleitschreiben
hat das SG dem Kläger wiederum mittels Niederlegung am 2. Juni 2016 zugestellt. Auch hierauf hat der Kläger nicht reagiert. Das SG hat mit Beschluss vom 27. Juli 2016 gegen den Kläger wegen unentschuldigten Ausbleibens im Termin vom 17. Mai 2016 ein Ordnungsgeld
in Höhe von 150,00 EUR festgesetzt.
Der Kläger hat gegen den ihm am 10. August 2016 zugestellten Beschluss am 15. August 2016 Beschwerde eingelegt und vorgebracht:
Er habe keine Ladung erhalten und vom Beschluss lediglich zufällig erfahren. Schließlich bewohne er von März bis Oktober seinen
Bungalow in 14 ... S. F., W. 20 als Zweitwohnsitz und habe deswegen auch der Post einen Nachsendeauftrag erteilt. Zur Glaubhaftmachung
hat der Kläger Abgabenbescheide über den Zeitwohnsitz sowie eine Nachsendeauftragsbestätigung der Post vom 11. Mai 2016 zur
Gerichtsakte gesandt.
Der Beschwerdegegner hat auf die zwingenden Vorschriften der
Zivilprozessordnung (
ZPO) sowie die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Post AG hingewiesen und hält das Ordnungsgeld für berechtigt.
II.
Voraussetzung für die Auferlegung von Ordnungsgeld ist eine ordnungsgemäße Ladung und das unentschuldigte Nichterscheinen
des Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet war.
Nach §§
111,
106 Abs.
3 Nr.
7,
202 SGG i.V.m. §
141 ZPO kann das persönliche Erscheinen eines Beteiligten zu einem Erörterungstermin angeordnet werden und derjenige, der der Anordnung
nicht Folge leistet, mit Ordnungsgeld wie ein im Vernehmungstermin nicht erschienener Zeuge belegt werden. Ob die Vorsitzende
im Rahmen von §
106 Abs.
3 Nr.
7 SGG eine Anordnung nach §
111 SGG treffen will, steht in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Hält sie zur Erörterung der Sach- und Rechtslage einen Termin für notwendig,
so kann sie hierzu das persönliche Erscheinen eines Beteiligten anordnen. Nach §
141 Abs.1 Satz 1
ZPO ist die Anordnung des persönlichen Erscheinens eines Beteiligten dann ermessensfehlerfrei, wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts
geboten erscheint. Im sozialgerichtlichen Verfahren ist der entsprechende Ermessensspielraum weit zu fassen. Hier diente der
Erörterungstermin der Vorbereitung einer mündlichen Verhandlung, um die Sach- und Rechtslage zu klären und/oder zu sachdienlichen
Anträgen zu gelangen. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers war hier ermessensfehlerfrei, da das genaue Klageziel
zu bestimmen war und zudem die Bewertung der Gehfähigkeit einer Augenscheinnahme bedurfte.
Da der Kläger ordnungsgemäß geladen war und im Erörterungstermin unentschuldigt nicht erschienen ist, sind die Voraussetzungen
des §
111 SGG i.V.m. §§
141 Abs.
3,
380, 381
ZPO erfüllt. Nach §
380 ZPO sind einem ordnungsgemäß geladenen Zeugen, der nicht erscheint, die durch sein Ausbleiben verursachten Kosten sowie ein Ordnungsgeld
aufzuerlegen. §
381 ZPO nennt die Gründe, nach denen die Auferlegung eines Ordnungsgeldes zu unterbleiben hat bzw. nachträglich aufzuheben ist. Dies
ist dann der Fall, wenn der Beteiligte sein Ausbleiben genügend entschuldigen kann. Entschuldigt er sein Fernbleiben rechtzeitig,
d.h. so rechtzeitig, dass der Termin aufgehoben und die übrigen Beteiligten hiervon noch unterrichtet werden können, so hat
die Festsetzung eines Ordnungsgeldes zu unterbleiben. Erfolgt die Entschuldigung nicht rechtzeitig, so entfällt die Festsetzung
eines Ordnungsgeldes nur dann, wenn glaubhaft gemacht wird, dass den Betroffenen an der Verspätung der Entschuldigung kein
Verschulden trifft und die Entschuldigung hinreichend ist. Genügend ist die Entschuldigung, wenn unter Würdigung aller Umstände
das Erscheinen nicht zugemutet werden kann (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage 2014, §
118, Rdn.10i).
Die Erteilung eines Nachsendeauftrages genügt bei Postzustellungsurkunden nicht, um eine Mitteilung durch die Post auch am
Zweitwohnsitz zu erhalten. Dies liegt daran, dass die förmliche Zustellung mittels Niederlegung (§§
178,
180 ZPO) erfolgen kann und daher den Nachsendeauftrag regelmäßig nicht berührt. Derjenige, der einen Nachsendeauftrag vergibt, hat
auch keinen Rechtsanspruch darauf, dass eine förmliche Zustellung an den Ort des vorübergehenden Aufenthaltsortes erfolgt
(vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. April 1997, 10 S 1397/96, juris). Wegen der besonderen Zustellungsform von förmlichen gerichtlichen Schreiben ist die Post nicht verpflichtet, derartige
Schreiben nachzusenden (vgl.www.helpster.de/Postzustellungsurkunde-und-deutsche-Post). Da das Gericht den Kläger bereits im
Schreiben vom 26. August 2014 beauflagt hatte, eventuelle Anschriftenänderungen mitzuteilen, könnte - wie das SG meint - von einer Sorgfaltspflichtverletzung des Klägers und einer mangelnden Entschuldigung ausgegangen werden. Dafür spricht
auch, dass dem Kläger die Zustellungsprobleme des Landesverwaltungsamtes wegen seiner Sommeranschrift hinreichend bekannt
waren. Von daher wäre es ihm durchaus möglich gewesen, die Anschriftenänderung gegenüber dem SG rechtzeitig anzuzeigen.
Diese Bewertung lässt jedoch die Besonderheiten des vom Kläger veranlassten Nachsendeauftrags außer Acht. Es darf dabei nicht
übersehen werden, dass die "Nachsendelücke" bei Postzustellungsurkunden für den Kläger nicht ohne weiteres als offenkundige
Tatsache erkennbar gewesen ist. Weder in dem von ihm vorgelegten Schreiben der Deutschen Post vom 11. Mai 2016 noch im Informationsportal
der Post (www.nachsenden.de) sind klare Hinweise dafür vorhanden, dass förmliche Zustellungen mittels Postzustellungsurkunde
regelmäßig nicht vom Nachsendeauftrag erfasst sind. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutschen Post AG für die
eFiliale findet sich unter Teil I Ziff. 2 Abs. 2 lediglich die Formulierung: "Schriftstücke aus Postzustellungsaufträgen werden
nur aufgrund besonderer Weisung (Vorausverfügung) des Absenders, nur im Inland und nur bei umzugsbedingter Abwesenheit des
Empfängers bzw. bei Betreuung oder Insolvenz (Nachsendung wegen Sonstiges) nachgesandt" (www.efiliale.de/efiliale/agb). Ob
Gerichte regelmäßig mittels Vorausverfügung förmliche Schreiben zustellen, bleibt für den Laien unklar. Bei Zugrundlegung
eines üblichen Empfängerhorizonts geht der Auftraggeber eines Nachsendeauftrages regelmäßig - wenn auch irrig - davon aus,
dass alle Schriftstücke an den angemeldeten Zweitwohnsitz nachgesandt werden, sofern die Nachsendung nicht wegen angebotener
Zusatzaufträge für z.B. Pakete ausdrücklich vom Nachsendeauftrag ausgeschlossen sind. Die Besonderheiten der gerichtlichen
Zustellung mittels Niederlegung und die tatsächlich bestehende "Nachsendelücke" für gerichtliche Schreiben kann damit noch
nicht als allgemein bekannte Tatsache gewertet werden. Vielmehr geht der einen Nachsendeauftrag Aufgebende regelmäßig davon
aus, dass er damit alles Notwendige getan hat, um sämtliche Schriftstücke an die neue Zweitwohnanschrift zu erhalten. Dies
bleibt bei üblicher gerichtlicher Post ohne Risiko, gilt jedoch nicht für förmliche Postzustellungsurkunden. Mangels deutlicher
Hinweise, sei es von der Post oder des Gerichts, sind weitergehende, tiefgründige Prüfungen des Betroffenen, dieses tatsächliche
Zustellungsproblem bei förmlicher gerichtlicher Post zu erkennen, regelmäßig nicht zu verlangen. Denn hier hat der Kläger
nach Aktenlage in der Vergangenheit noch keine Erfahrungen mit fehlgeschlagenen förmlichen Zustellungen trotz Nachsendeauftrag
gemacht. Bei verständiger Würdigung der Gesamtumstände konnte er, nachdem er das Landesverwaltungsamt häufiger auf seinen
Sommerwohnsitz samt dortiger Telefonnummer hingewiesen hatte, anlässlich des Termins vom 17. Mai 2016 unter Nutzung üblicher
Informationsquellen nicht ohne weiteres erkennen, dass im Falle einer gerichtlichen Ladung mittels Postzustellungsurkunde
sein Nachsendeauftrag wirkungslos bleiben würde. Da nach der Aktenlage für ihn auch nicht erkennbar war, dass nach seinem
Schreiben an das SG vom 25. Januar 2016 von Seiten des Gerichts in nächster Zeit ein Gerichtstermin bestimmt werden sollte, war auch nicht zu
verlangen, auf seine im Frühjahr beabsichtigte längere Ortsabwesenheit in seinen Ferienbungalow vorsorglich bereits im Februar/März
2016 hinzuweisen. Deshalb konnte er auch nicht auf die gerichtlichen Auflagen nach Zustellung des Protokolls reagieren und
ist somit ausnahmsweise als entschuldigt anzusehen. Der Ordnungsgeldbeschluss ist entsprechend aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.