Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren
Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes im Hinblick auf die Erwerbsfähigkeit des Antragstellers im Sinne
von § 8 Abs. 1 SGB II und seiner Zuordnung zum Leistungssystem der Grundsicherung für Arbeitsuchende oder der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem
SGB XII
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 21. Juni 2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Der Antrag des Antragstellers, ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt H, K zu
gewähren, wird abgelehnt.
Gründe
Mit Beschluss vom 21. Juni 2022 hat das Sozialgericht Kiel den Beigeladenen im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet,
dem Antragsteller vorläufig bis zum 30. November 2022 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zu zahlen.
Die dagegen am 20. Juli 2022 nur vom Antragsteller mit dem Begehren erhobene Beschwerde, anstelle des Beigeladenen die Antragsgegnerin
zur Zahlung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölfte Buch (SGB XII) zu verpflichten, bleibt erfolglos.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht erhoben worden (§
173 Satz 1 und
2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Sie ist statthaft, weil der Wert des Gegenstands der begehrten SGB-XII-Leistungen bei isolierter Betrachtung die Wertgrenze von 750,00 EUR übersteigt (§ 172 Abs. 3 Nr.
1 i.V.m. §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG). Es dürfte vor dem Hintergrund, dass durchaus ein berechtigtes Interesse auf die richtige Sozialleistung bestehen kann und
ein solches Interesse hier geltend gemacht ist, auch nicht von vornherein am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehlen.
Nach Ansicht des erkennenden Senats fehlt es aber für die im Beschwerdeverfahren weiterhin begehrte einstweilige Anordnung
gerade gegen die Antragsgegnerin am Anordnungsgrund. Die dafür erforderliche Eilbedürftigkeit erkennt der Senat nicht. Der
Antragsteller räumt mit Schriftsatz vom 1. August 2022 selbst ein, dass sein existenzsicherungsrechtlicher Bedarf angesichts
der seitens des Beigeladenen aufgenommenen Zahlungen nicht unterdeckt ist. Vor diesem Hintergrund kann die komplexere Frage
nach der Erwerbsfähigkeit des Antragstellers i.S. des § 8 Abs. 1 SGB II und seiner Zuordnung zum Leistungssystem entweder der Grundsicherung für Arbeitsuchende oder der Hilfe zum Lebensunterhalt
der Klärung in einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Soweit der Antragsteller allein geltend macht, dass ihn im SGB II eine Erwerbsobliegenheit treffe, er sich grundsätzlich auf Arbeitsangebote bewerben und ggf. eine Arbeit aufnehmen, Eingliederungsvereinbarungen
unterschreiben bzw. die in einem ersetzenden Verwaltungsakt einseitig festgelegten Pflichten erfüllen müsse und er insoweit
dem Sanktionsregime der §§ 31 ff. SGB II unterworfen sei, begründet dies die für die Änderung der einstweiligen Anordnung des Sozialgerichts, die die aktuelle Notlage
des Antragstellers bereits beendet hat, die erforderliche (fortdauernde) Eilbedürftigkeit nicht. Dabei berücksichtigt der
Senat nicht nur, dass der Antragsteller die Möglichkeit hätte, gegen Maßnahmen des Beigeladenen im Rahmen der Leistungen zur
Eingliederung in Arbeit - die ohnehin keineswegs mit Sicherheit oder hoher Wahrscheinlichkeit bevorstehen - mit den Mitteln
des einstweiligen Rechtsschutzes vorzugehen. Die Annahme der Eilbedürftigkeit käme insoweit der generellen Anerkennung eines
vorbeugenden Rechtsschutzes im Eilverfahren nahe. Hinzu kommt vielmehr auch, dass die Sanktionen, die dem Antragsteller bei
potentiellen Pflichtverletzungen im Rahmen eines potentiellen Eingliederungsprozesses drohen könnten, nach § 84 Abs. 1 SGB II in der seit 1. Juli 2022 geltenden Fassung des Elften Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch vom 19. Juni 2022 (BGBl. I S. 921) bis zum 1. Juli 2023 und damit über den Geltungszeitraum der einstweiligen Anordnung hinaus ausgesetzt sind (sog. Sanktionsmoratorium).
Einzig der Gefahr einer Sanktionierung der wiederholten Nichtwahrnehmung von Meldeterminen mit einem Höchstbetrag von 10 Prozent
des Regelbedarfs bleibt der Antragsteller ausgesetzt (§ 84 Abs. 2 und 3 SGB II). Dieses Restrisiko rechtfertigt die Inanspruchnahme weiteren einstweiligen Rechtsschutzes nicht.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend §
193 Abs.
1 Satz 1, Abs.
4 SGG. Sie orientiert sich am Ausgang des Beschwerdeverfahrens.
Die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die Beschwerde aus den genannten Gründen von vornherein keine hinreichenden
Erfolgsaussichten gehabt hat (§
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
114 Abs.
1 Satz 1
Zivilprozessordnung [ZPO]).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).