Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die örtliche Zuständigkeit für die Gewährung von Leistungen nach dem 4. und 6. Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) für Herrn Hans Haase. Der 1955 geborene Leistungsberechtigte ist Alkoholiker. Bis zum 18. November 1999 hatte er seinen
gewöhnlichen Aufenthalt in dem Ort S. (Landkreis R.). Am 19. November 1999 kam es zur stationären Aufnahme in einer Einrichtung
der Suchtkrankenhilfe, dem "Haus J." in F. (.kreis). Bis zur Entlassung des Leistungsberechtigten aus dieser Einrichtung am
30. April 2006 hat der Beklagte sämtliche mit dem Aufenthalt in der stationären Einrichtung verbundenen Sozialhilfeleistungen
getragen. Mit Wirkung zum 1. Mai 2006 schloss der Leistungsberechtigte mit dem ...verbund.kreis gGmbH einen Mietvertrag für
eine Wohnung des ambulant betreuten Wohnens verbunden mit einem Betreuungsvertrag für die straße. in S ... Der Beklagte hat
die entsprechend dem Betreuungsvertrag erbrachte Hilfe zum selbstbestimmten Leben in der betreuten Wohnmöglichkeit durch Mitarbeiter
des verbundes K gGmbH im Umfang von zwei bzw. drei Fachleistungsstunden pro Woche zuständigkeitshalber übernommen. Zum Streit
kam es in der Folgezeit hinsichtlich der Erbringung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach
dem 4. Kapitel SGB XII sowie von Leistungen der Eingliederungshilfe für die Tätigkeit des Leistungsberechtigten im Arbeitsbereich der Zweigstelle
E. der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) Mühlhausen. Auf Antrag des Leistungsberechtigten erbrachte der Kläger diese
Leistungen unter Anrechnung einer von der Deutschen Rentenversicherung an den Leistungsberechtigten erbrachten Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit und meldete bei dem Beklagten unter dem 27. Juli 2006 einen Erstattungsanspruch an. Der Beklagte lehnte
eine Erstattung ab, da er sich für örtlich nicht zuständig hielt. Daraufhin hat der Kläger am 14. September 2006 eine auf
Feststellung der örtlichen Zuständigkeit (sinngemäß ab 1. Mai 2006) gerichtete Feststellungsklage bezüglich der Leistungen
nach dem 4. und 6. Kapitel erhoben. Das Sozialgericht Nordhausen hat der Klage mit Gerichtsbescheid vom 28. April 2010 stattgegeben
und festgestellt, dass der Beklagte für die Leistungen nach dem 4. und 6. Kapitel ab 1. Mai 2006 örtlich zuständig ist; zugleich
hat es dem Beklagten die Kostenlast nach §
197 a Sozialgerichtsgesetz (
SGG) auferlegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, zwar sei die Feststellungsklage gegenüber einer Leistungsklage, die auf Erstattung
gerichtet sei, grundsätzlich subsidiär. Ausnahmsweise sei diese aber - wie hier - dann zulässig, wenn dies der Vereinfachung
diene und zu erwarten sei, dass die Beklagte auch einem Feststellungsurteil Folge leisten werde, weil es sich um eine Behörde
handele. Im Übrigen begründe § 98 Abs. 5 SGB XII eine Gesamtzuständigkeit für alle Leistungen des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, wenn - wie hier - ein Fall des ambulant betreuten Wohnens vorliege. Es handele sich um eine Wohnung eines Freien Trägers,
dessen Nutzung an einen Betreuungsvertrag gebunden sei. Mit der Bezugnahme auf die Leistungen nach dem 6. bis 8. Kapitel beschränke
§ 98 Abs. 5 SGB XII nur den Personenkreis, nicht aber die Leistungen. Für eine Gesamtzuständigkeit spreche hier schon der Wortlaut des § 98 Abs. 5 SGB XII: "Leistungen nach diesem Buch", aber auch der Zweck dieser Vorschrift, eine Entlastung des örtlichen Trägers zu bewirken,
in dessen Bezirk die ambulant betreute Wohnmöglichkeit geschaffen worden sei. Dem würden auch die Materialien nicht widersprechen.
Dies gelte auch für Leistungen des 4. Kapitels, da §
98 Abs.
5 SGB VII als Ausnahmeregelung einschlägig sei. Dagegen hat der Beklagte Berufung eingelegt. Er ist der Ansicht, § 98 Abs. 5 SGB XII begründe keine Gesamtzuständigkeit für Leistungsberechtigte in ambulant betreuten Wohnmöglichkeiten. Der Wortlaut des § 98 Abs. 5 SGB XII sei unklar. Es bestehe insoweit eine Regelungslücke. Die Vorschrift enthalte nur eine Regelung der örtlichen, nicht aber
zugleich der sachlichen Zuständigkeit. Der Leistungsberechtigte habe auf dem Gebiet des Klägers seinen neuen gewöhnlichen
Aufenthalt begründet. Der Hinweis auf das 6. bis 8. Kapitel in § 98 Abs. 5 SGB XII grenze nicht nur den Personenkreis ab, sondern auch die Leistungsart. Andernfalls hätte das Gesetz dies entsprechend der
Regelung zur stationären Leistung in § 97 Abs. 4 SGB XII regeln müssen. Ob es sich überhaupt um ambulant betreutes Wohnen handele, sei fraglich. Jedenfalls ende mit Aufnahme im ambulant
betreuten Wohnen die Zuständigkeit des Beklagten für die Kostenübernahme der Eingliederungshilfe. Zuständiger sei im Übrigen
der für den tatsächlichen Aufenthaltsort vor Beginn der Leistung des betreuten Wohnens örtlich zuständige Träger, hier also
der Kläger.
Er beantragt daher, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nordhausen vom 28. April 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die von ihr für richtig gehaltenen Ausführungen der erstinstanzlichen Entscheidung. Hinsichtlich
der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Klägerin Bezug genommen, welche
zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind.
Die Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet. Die auf Feststellung der örtlichen Zuständigkeit gerichtete Klage ist hier
nach §
55 Abs.
1 Nr.
1 SGG (ausnahmsweise) zulässig, wie das Sozialgericht zutreffend erkannt hat. Zwar steht hinter diesem Begehren letztlich eine
Erstattungsforderung des Klägers gegenüber dem Beklagten, welche vorrangig im Wege der echten Leistungsklage zu verfolgen
wäre. Ob die Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage generell bei Klagen gegen juristische Personen
des öffentlichen Rechts zurücktritt, wie das LSG Niedersachsen - Bremen offenbar meint (Urteil vom 28. Juli 2011 - L 8 SO
29/09), ist zweifelhaft, denn dann wäre im Bereich der Sozialgerichtsbarkeit so gut wie jede Klage als Feststellungsklage
zulässig, da regelmäßig auf der Beklagtenseite eine juristische Person des öffentlichen Rechts steht. Dies mag indes dahingestellt
bleiben, da auch nach Ansicht des erkennenden Senats jedenfalls eine echte Leistungsklage bei Streitigkeiten zwischen juristischen
Personen des öffentlichen Rechts nicht gegenüber einer Feststellungsklage vorrangig ist. Jedenfalls hier kann angenommen werden,
dass der Beklagte angesichts seiner in der Verfassung verankerten Bindung an Gesetz und Recht auch ohne Leistungsurteil mit
Vollstreckungsdruck befriedigt (LSG Niedersachsen - Bremen aaO.). Das Feststellungsinteresse nach §
55 Abs.
1 SGG ergibt sich aus dem Umstand, dass der Beklagte die für eine Erstattungsforderung erforderliche örtliche Zuständigkeit für
die Leistungsansprüche an den Leistungsberechtigten Beigeladenen bestreitet. Trotz der weiten Fassung des Klageantrags in
der Klageschrift vom 11. September 2006 hat das Sozialgericht zu Recht eine Beschränkung auf die örtliche Zuständigkeit ab
Eintritt des Leistungsberechtigten in das ambulant betreute Wohnen am 1. Mai 2006 angenommen. Die Feststellungsklage ist begründet
und die dagegen gerichtete Berufung somit unbegründet. Die Beklagte ist nach § 98 Abs. 5 SGB XII für alle Leistungen an den Leistungsberechtigten Beigeladenen ab Eintritt in das ambulant betreute Wohnen am 1. Mai 2006
nach § 98 Abs. 5 SGB XII zuständig, also auch solche nach dem 4. und 6. Kapitel SGB XII. Nach der bis zum 6. Dezember 2006 geltenden Fassung dieser Vorschrift bleibt der Träger der Sozialhilfe für Leistungen an
Personen, die Leistungen in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeit erhalten, örtlich zuständig, der vor Eintritt in diese
Wohnform zuletzt örtlich zuständig war. Mit Wirkung ab 7. Dezember 2006 hat der Gesetzgeber die Vorschrift dahingehend geändert,
dass für Leistungen nach diesem Buch an Personen, die Leistungen nach dem 6. bis 8. Kapitel in Formen ambulanter betreuter
Wohnmöglichkeiten erhalten, der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig ist, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig
war oder gewesen wäre. Sowohl die alte Fassung der Vorschrift als auch ihre Neufassung begründen eine Zuständigkeit nicht
nur für die mit der betreuten Wohnmöglichkeit unmittelbar zusammenhängenden Sozialhilfeleistung, sondern für alle Leistungen
nach dem SGB XII, also auch die Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie die Eingliederungshilfe.
Insoweit besteht in Bezug auf die Neufassung der Vorschrift in der aktuellen Kommentarliteratur Einigkeit (Hohm, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm,
SGB XII, 18. Auflage, 2010, § 98 RdNr. 125; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 98 RdNr. 98, Stand: Juli 2012; Söhngen in jurisPK-SGB XII, § 98 SGB XII, RdNr. 50; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf SGB XII, 3. Auflage 2010, § 98 SGB XII, RdNr. 36). Es bestehen auch insoweit keine Zweifel, dass die jetzige sprachliche Fassung inhaltlich gegenüber der früheren
Fassung nichts Neues darstellt, sondern lediglich klarstellt, dass sich die Zuständigkeit durch die Einfügung "nach diesem
Buch" in der Vorschrift auf alle Leistungen des SGB XII bezieht (Wahrendorf aaO.). Diese Auslegung steht insbesondere auch im Einklang mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung,
nach welchem durch die Einfügung der Wörter "nach diesem Buch" verdeutlicht werde, dass mit der Anknüpfung der örtlichen Zuständigkeit
an die vorhergehende örtliche Zuständigkeit alle Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch betroffen sind (BR-Drucksache 617/06, S. 21 zu Nr. 19). Auch das Bundessozialgericht (BSG) bestätigt diese Interpretation der Norm (BSG, Urteil vom 25. August 2011 - B 8 SO 7/10 R, RdNr. 13). Zu Recht weist das Sozialgericht daher darauf hin, dass die Bezugnahme
auf das 6. bis 8. Kapitel in der Neufassung lediglich den betroffenen Personenkreis umschreibt. Die Voraussetzungen für eine
örtliche und sachliche Zuständigkeit des Beklagten nach § 98 Abs. 5 SGB XII sind hier erfüllt. Zunächst handelt es sich bei dem Aufenthalt des Leistungsberechtigten seit 1. Mai 2006 in der ...straße
in S. um eine Form des ambulanten betreuten Wohnens. Der Begriff der betreuten Wohnmöglichkeit wird im Gesetz nicht näher
definiert, er hat sich allerdings an dem Verweis in § 54 Abs. 1 SGB XII auf §
55 Abs.
3 Nr.
6 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IX) zu orientieren (BSG aaO., RdNr. 15). Daher kommt es für die Beurteilung dieser Frage nicht darauf an, ob die betreffende Wohnung nur gekoppelt
mit einer Betreuungsleistung zur Verfügung gestellt wird (BSG aaO., RdNr. 15). Abgesehen davon ist diese Voraussetzung im vorliegenden Fall nach den aktenkundigen Unterlagen sogar erfüllt.
Nach den Ausführungen des BSG (aaO.) hat die Eingrenzung dieser Leistungsform in erster Linie anhand des Zwecks der Hilfe zu erfolgen; Sinn der Betreuungsleistung
ist nicht allein die gegenständliche Zurverfügungstellung der Wohnung, sondern die Förderung der Selbständigkeit und Selbstbestimmung
bei Erledigung der alltäglichen Angelegenheiten im eigenen Wohn- und Lebensbereich in Form einer kontinuierlichen Betreuung,
wobei es sich der Art nach nicht um eine vorwiegend medizinische oder pflegerische Betreuung, sondern eine solche mit der
Hauptzielrichtung Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft handeln muss (BSG aaO.). So ist der Sachverhalt hier gelagert. Der Leistungsberechtigte bewohnt die von ihm von der Einrichtung des ...verbandes
K. gGmbH der Suchtkrankenhilfe zur Verfügung gestellte Wohnung und erhält dort im Umfang von zwei bzw. drei Fachleistungsstunden
wöchentlich durch Betreuungskräfte Unterstützung zu seiner Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Soweit der Beklagte dies
in der mündlichen Verhandlung in Frage gestellt hat, setzt er sich zu sich selbst in Widerspruch ("venire contra factum proprium"),
denn er hat tatsächlich genau diese Betreuungsstunden - ohne Einwendungen gegenüber dem Kläger zu erheben - getragen. Anhaltspunkte
dafür, dass diese Leistungen nicht erforderlich waren oder - trotz Rechnungsstellung und Vergütung - nicht erbracht worden
sind, gibt es nicht. Diese Behauptung des Beklagten ist aus der Luft gegriffen. Vor Eintritt in die ambulant betreute Wohnform
war der Beklagte tatsächlich zuständig. Die Vorschrift des § 98 Abs. 5 SGB XII knüpft für die Zuständigkeit nicht an den tatsächlichen oder gewöhnlichen Aufenthalt an, sondern an die tatsächlich oder
hypothetisch vor dem Eintritt dieses Leistungsfalls bestehende Zuständigkeit, worauf immer diese sich gründet. Liegt eine
faktische Zuständigkeit ("war") vor, kommt es auf die hypothetische Zuständigkeit ("gewesen wäre") nicht an; die hypothetische
Zuständigkeit ist nur dann zu prüfen, wenn ein vorangegangener Sozialhilfebezug fehlt (Söhngen in jurisPK-SGB XII, § 98 SGB XII, RdNr. 51). Da hier der Leistungsfall in der ambulant betreuten Wohnform als solcher erst nach dem 31. Dezember 2004 begonnen
hat, ist auch nicht etwa auf die vormaligen Zuständigkeitsbestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) abzustellen (vgl. BSG aaO. RdNr. 18), wie der Beklagte offenbar meint. Der Beklagte war bis zum 30. April 2006 nach § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII für die Leistungen an den Berechtigten in der stationären Einrichtung "H. J." in F. tatsächlich zuständig. Diese Zuständigkeit
leitet sich aus dem gewöhnlichen Aufenthalt des Leistungsberechtigten in der Stadt S., also im örtlichen Zuständigkeitsbereich
des Beklagten, bis zu seiner Aufnahme in der stationären Einrichtung am 19. November 1999 her. Unverständlich ist nach alledem,
wie der Beklagte auf der Grundlage seiner eigenen Auslegung des § 98 Abs. 5 SGB XII zu einer Differenzierung zwischen unterschiedlichen Leistungen des 6. Kapitels kommen konnte; denn die Hilfe zum Leben in
der Gemeinschaft in Form der ambulant betreuten Wohnform erbringt der Beklagte ja ebenfalls nach dem 6. Kapitel SGB XII. Zumindest die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 54 SGB XII i.V.m. §
33 SGB IX hätte der Beklagte also auch auf dem Boden seiner eigenen Rechtsauffassung erbringen müssen. Die Kostenentscheidung beruht
auf Anwendung des §
197 a SGG. Der Streitwert wird endgültig auf den Auffangstreitwert von 5.000 Euro festgesetzt. Gründe, die Revision nach §
160 Abs.
2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.