Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer
Sechsmonatige Wartefrist
Unzulässigkeit einer vor Fristablauf erhobenen Entschädigungsklage
Gründe:
I
Der Kläger begehrt in der Hauptsache eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des Verfahrens S 13 AS 3025/13 vor dem SG München und des Verfahrens L 7 AS 37/16 vor dem LSG in Höhe von (insgesamt) 5900 Euro. Diesen Anspruch hat das LSG (Entschädigungsgericht) mit Urteil vom 6.12.2018
verneint. Die Entschädigungsklage sei unzulässig. Der Kläger habe die Wartefrist von sechs Monaten zwischen Erhebung der Verzögerungsrüge
und Klageerhebung nicht eingehalten. In der Gerichtsakte des Ausgangsverfahrens vor dem SG finde sich keine Verzögerungsrüge iS des §
198 Abs
3 S 1
GVG. Die Schreiben des Klägers vom 18.1.2016 (Berufungsschrift gegen den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid vom 23.12.2015 und
Ablehnungsgesuch gegen die erstinstanzlich tätige Richterin wegen der Besorgnis der Befangenheit [S 13 AS 3025/13]) sowie
vom 4.1.2017 (Stellungnahme in einem einstweiligen Anordnungsverfahren vor dem SG München [S 46 AS 183/17 ER]) enthielten zwar im Rahmen von Ausführungen zu anderen Themen auch Aussagen zur Verfahrensdauer. Sie seien aber schon
deshalb nicht als eine das Ausgangsverfahren betreffende Verzögerungsrüge anzusehen, weil vom Kläger nicht dessen Beschleunigung
verlangt worden sei. Selbst wenn man die Schreiben des Klägers vom 21.4.2016, 1.7.2016 und 8.7.2016 im Berufungsverfahren
als Verzögerungsrüge auslegen wollte, wären diese unbeachtlich, weil sie nach §
198 Abs
3 S 2
GVG verfrüht erhoben worden seien. Beim Eingang dieser Schreiben habe kein Anlass für die Besorgnis bestanden, dass das Berufungsverfahren
nicht in angemessener Zeit beendet werde. Denn es sei im Juli 2016 erst sechs Monate anhängig gewesen, und dieser Zeitraum
sei bis auf den Monat März 2016 vollständig von richterlicher Aktivität geprägt gewesen. Als wirksame Verzögerungsrüge sei
lediglich das Schreiben des Klägers vom 1.2.2017 anzusehen. Bezogen auf diese Verzögerungsrüge sei jedoch die Wartefrist des
§
198 Abs
5 S 1
GVG nicht eingehalten. Der Kläger habe die Entschädigungsklage bereits am 29.6.2017 durch Übergabe eines entsprechenden Schreibens
in der mündlichen Verhandlung des Berufungsverfahrens und damit innerhalb der bis zum 1.8.2017 laufenden sechsmonatigen Wartefrist
erhoben.
Der Kläger hat beim BSG mit am 22.1.2019 eingegangenem Schreiben vom 17.1.2019 für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision
in dem ihm am 5.1.2019 zugestellten Urteil des Entschädigungsgerichts Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwältin
S. H. aus M. beantragt. Er rügt, das Entschädigungsgericht hätte seine Entschädigungsklage nicht wegen Nichteinhaltung der
sechsmonatigen Wartefrist zwischen Verzögerungsrüge und Klageerhebung als unzulässig abweisen dürfen. Denn er habe die Wartefrist
eingehalten. Er habe eine Verzögerung früher angebracht und die Entschädigungsklage später erhoben als vom Entschädigungsgericht
angenommen. Zu Unrecht habe das Entschädigungsgericht nur sein Schreiben vom 1.2.2017 als wirksame Verzögerungsrüge angesehen.
Zudem habe er am 29.6.2017 noch gar keine Entschädigungsklage erhoben, sondern lediglich "Anträge zu mündlichen Verhandlungen
eingereicht".
II
Der Antrag des Klägers, ihm PKH unter Beiordnung von Rechtsanwältin S. H. aus M. für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung
der Revision zu gewähren, ist abzulehnen.
Nach §
73a Abs
1 S 1
SGG iVm §
114 Abs
1 S 1
ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn ua die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran
fehlt es. Es ist nicht zu erkennen, dass ein beim BSG zugelassener Prozessbevollmächtigter (§
73 Abs
4 SGG) in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen. Nach Durchsicht der Akten und unter Berücksichtigung
der Ausführungen des Klägers in seinem Schreiben vom 17.1.2019 fehlen Anhaltspunkte dafür, dass er einen der in §
160 Abs
2 Nr
1 bis
3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte.
Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall des Klägers hinausgehende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
(Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 SGG). Auch ist nicht ersichtlich, dass das Entschädigungsgericht entscheidungstragend von Rechtsprechung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund
gemäß §
160 Abs
2 Nr
2 SGG).
Schließlich fehlt ein ausreichender Anhalt dafür, dass ein die Revisionszulassung rechtfertigender Verfahrensmangel des Entschädigungsgerichts
bezeichnet werden könnte (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG). Der Kläger rügt, das Entschädigungsgericht hätte die Entschädigungsklage nicht wegen Nichteinhaltung der Wartefrist nach
§
198 Abs
5 S 1
GVG als unzulässig abweisen dürfen. Der mit diesem Vorbringen sinngemäß geltend gemachte Verfahrensmangel - Prozessurteil statt
Sachurteil (vgl hierzu nur BSG Beschluss vom 30.10.2007 - B 2 U 272/07 B - Juris RdNr 6 mwN) - liegt jedoch nicht vor.
Nach §
198 Abs
5 S 1
GVG kann eine Klage zur Durchsetzung eines Entschädigungsanspruchs frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge
erhoben werden. Die Einhaltung dieser Wartefrist stellt eine besondere Sachurteilsvoraussetzung der Entschädigungsklage dar,
die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist. Eine vor Fristablauf erhobene Klage wird deshalb nach Ablauf
der Frist nicht zulässig (Senatsurteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 5 RdNr 19).
Dass das Entschädigungsgericht die Anforderungen an das Vorliegen einer Verzögerungsrüge für den vom Kläger geltend gemachten
Entschädigungsanspruch überspannt hat, ist nicht ersichtlich. In der Gerichtsakte des mit Gerichtsbescheid vom 23.12.2015,
dem Kläger zugestellt am 29.12.2015, abgeschlossenen Ausgangsverfahrens vor dem SG (S 13 AS 3025/13) sind keine Schreiben des Klägers enthalten, die als Verzögerungsrüge iS des §
198 Abs
3 S 1
GVG ausgelegt werden könnten. Diesbezüglich scheiden auch die in anderen Verfahren und Zusammenhängen ohnehin nur beiläufig getätigten
Ausführungen des Klägers zur Verfahrensdauer in seinen Schreiben vom 18.1.2016 und vom 4.1.2017 als Verzögerungsrügen schon
deshalb aus, weil sie vom Kläger erst nach Abschluss des Verfahrens vor dem SG erhoben worden sind. Denn eine Verzögerungsrüge soll dem bearbeitenden Richter die Möglichkeit zu einer beschleunigten Verfahrensförderung
eröffnen und insofern als Vorwarnung dienen (sog Warnfunktion der Verzögerungsrüge), weshalb sie im Übrigen auch bei dem Gericht
erhoben werden muss, bei dem das (als unangemessen lang empfundene) Verfahren anhängig ist (vgl Begründung der Bundesregierung
vom 17.11.2010 zum Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren,
BT-Drucks 17/3802 S 20 zu Abs 3 S 1; Senatsurteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 5 RdNr 26).
Selbst wenn man die aktenkundigen Schreiben des Klägers im Berufungsverfahren (L 7 AS 37/16) vom 21.4.2016, 1.7.2016 und 8.7.2016 als Verzögerungsrügen werten wollte, sind diese bereits deshalb unbeachtlich, weil
bei deren Eingang noch kein Anhalt für eine Besorgnis der Verzögerung des erst seit dem 19.1.2016 anhängigen Berufungsverfahrens
gegeben war (vgl §
198 Abs
3 S 2
GVG). Nicht nachvollziehbar ist der Einwand des Klägers, dass er am 29.6.2017 in der mündlichen Verhandlung des Berufungsverfahrens
durch Überreichung eines entsprechenden Schreibens vom selben Tag zu Protokoll (vgl §
90 SGG) noch keine Entschädigungsklage erhoben haben will. Denn er selbst ist hiervon (zu Recht) ausgegangen, wie ua seine im Entschädigungsverfahren
verfassten Schreiben vom 4.9.2017, 12.9.2017, 22.11.2017, 11.12.2017, 24.10.2018, 29.10.2018 und der von ihm in der mündlichen
Verhandlung vor dem Entschädigungsgericht am 6.12.2018 gestellte Antrag nachdrücklich belegen, was im Übrigen auch für den
Beklagten gilt (siehe zB dessen Schriftsatz ["Klageerwiderung"] vom 9.11.2017). Überdies ist der Kläger vom Entschädigungsgericht
mit Schreiben vom 22.8.2017 auf seine mit Schreiben vom 29.6.2017 erfolgte Klageerhebung ausdrücklich hingewiesen worden (siehe
auch Beschluss des Entschädigungsgerichts vom 13.9.2017), ohne dass er hiergegen Einwände erhoben hat. Ausgehend von dem nach
§
198 Abs
5 S 1
GVG für die Wahrung der Wartefrist allein maßgeblichen Zeitpunkt der Klageerhebung der Entschädigungsklage (vgl hierzu auch BFH
Urteil vom 12.7.2017 - X K 3-7/16 ua - Juris RdNr 25) - hier am 29.6.2017 - ist aber die Wartefrist von sechs Monaten bezogen
auf die vom Kläger mit Schreiben vom 1.2.2017 erhobene (weitere) Verzögerungsrüge nicht gewahrt.
Da dem Kläger keine PKH zusteht, kann er auch nicht die Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§
73a Abs
1 S 1
SGG iVm §
121 Abs
1 ZPO).