Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte
Anrechnung von Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung in den letzten 2 Jahren vor Rentenbeginn
auf die Wartezeit
Geschäftsaufgabe einer GmbH auch ohne Löschung im Handelsregister
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung einer Rente für besonders langjährig Versicherte unter dem Gesichtspunkt der Wartezeiterfüllung
wegen vollständiger Geschäftsaufgabe.
Der am 27.10.1953 geborene Kläger war bei der H. J. GmbH in V. beschäftigt. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis
schriftlich am 27.4.2015 zum Ablauf des 30.6.2015, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt und gab als Grund die "endgültige
Einstellung des Betriebs" an. Ab 1.7.2015 bezog der Kläger (mit Unterbrechung durch Arbeitsunfähigkeit) Arbeitslosengeld von
der Bundesagentur für Arbeit (BA).
Am 12.9.2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab 1.1.2017. Er verwies
auf seinen laufenden Bezug von Arbeitslosengeld von der BA ab 1.7.2015 und Krankengeldbezug vom 18.8.2015 bis 1.11.2015.
Die Beklagte recherchierte im Handels- und Unternehmensregister, dass die H. J. GmbH noch existent ist und brachte in Erfahrung,
dass wohl nur die gesamten Lagerbestände verkauft worden seien. Mit Schreiben vom17.11.2016 wies sie den Kläger darauf hin
und vertrat die Auffassung, dass damit die Voraussetzungen für die begehrte Rente mangels Wartezeiterfüllung wohl nicht vorlägen.
Daraufhin wandte sich der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater der H. J. GmbH mit Schreiben vom 23.11.2016 an die Beklagte
und erläuterte, dass die GmbH weiterhin im Handelsregister eingetragen sei. Sie habe aber Mitte 2015 den Betrieb (besser die
Produktion) eingestellt. Gegenstand des Unternehmens sei der Apparatebau, die Fertigung von Mehrspindelbohrköpfen sowie die
Ausführung von Lohnarbeiten. Eine Kapitalgesellschaft wie die vorliegende GmbH gebe ihren Betrieb grundsätzlich durch die
Einstellung der Produktion auf. Hieran ändere auch nichts, dass die juristische Person als solche fortbestehe. Eine Löschung
im Handelsregister sei nicht erforderlich. Dies sei auch nicht geplant, da die GmbH die leeren Produktionshallen vermietet
und damit zwar keine aktiven Einkünfte aus der Produktion von Gegenständen, wohl aber passive Einkünfte aus der Vermietung
des Gebäudes erziele.
Mit Bescheid vom 19.12.2016 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Kläger erfülle nicht die Mindestversicherungszeit für die
Altersrente für besonders langjährig Versicherte. Statt der erforderlichen 540 Monate weise sein Versicherungskonto bis 31.12.2016
nur 531 Wartezeitmonate aus. Da sein bisheriger Arbeitgeber als Rechtsperson noch im Handelsregister eingetragen sei, liege
keine vollständige Geschäftsaufgabe vor.
Dagegen hat der Kläger am 30.12.2016 Widerspruch einlegen lassen. Der frühere Arbeitgeber des Klägers habe die bisherige betriebliche
Tätigkeit im Bereich der feinmechanischen Fertigung komplett aufgegeben. Sämtliche Arbeitnehmer seien entlassen worden, die
Fertigung sei komplett eingestellt worden und auch das bisherige Anlagevermögen an betrieblichen Produktionsgegenständen sei
komplett verwertet worden. Die Betriebsimmobilie, die im Eigentum des bisherigen Arbeitgebers stehe, sei komplett leergeräumt
um sie einer gänzlich anderen Nutzung, nämlich einer gewerblichen Vermietung zuzuführen. Mit Geschäftstätigkeit könnte nur
diejenige Tätigkeit gemeint sein, die ein Unternehmen bisher in dauerhafter Weise faktisch getätigt habe. Diese sei komplett
aufgegeben worden. Auch zeige die steuerrechtliche Betrachtung, dass es sich bei der Vermietung um etwas Anderes handele,
nämlich um eine andere Einkommensart, nicht gewerbliche Einkünfte, sondern Vermietung und Verpachtung.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.3.2017 zurück. Die Pflichtbeitragszeiten wegen Arbeitslosigkeit
in den letzten 2 Jahren vor dem gewünschten Rentenbeginn könnten nicht auf die Wartezeit von 45 Jahren angerechnet werden.
Eine vollständige Geschäftsaufgabe des ehemaligen Arbeitgebers sei nicht gegeben, weil er weiterhin im Handelsregister eingetragen
sei. Es lägen somit lediglich 531 Kalendermonate mit anrechenbaren rentenrechtlichen Zeiten vor, so dass die Wartezeit für
die Altersrente für besonders langjährig Versicherte nicht erfüllt sei.
Mit Bescheid vom 5.5.2017 bewilligte die Beklagte dem Kläger auf seinen Antrag (wenigstens) Altersrente für langjährig Versicherte
ab 1.5.2017 (Bl. 33 LSG-Akte). Über den dagegen am 2.6.2017 eingelegten Widerspruch hat die Beklagte im Einvernehmen mit dem
Kläger im Hinblick auf §
34 Abs.
4 SGB VI und die Auseinandersetzung über die Altersrente wegen besonders langjährig Versicherter noch nicht entschieden (vgl. VA hinterer
Teil).
Gegen den Bescheid vom 19.12.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.12.2016 hat der Kläger am 5.4.2017 Klage zum
Sozialgericht Reutlingen (SG) erheben lassen. Zur Begründung hat er zunächst Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der unterschiedlichen Behandlung
von Zeiten der Arbeitslosigkeit in §
51 Abs.
3a S. 1 Nr.
3 2. HS
SGB VI geäußert. Weiter hat er den angefochtenen Bescheid mangels ausreichender Begründung für formell unrechtmäßig gehalten. Hinsichtlich
der materiellen Unrechtmäßigkeit hat er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren vertiefend wiederholt. Die vollständige
Geschäftsaufgabe - Beendigung der Produktionstätigkeit im feinmechanischen Bereich - sei durch das Kündigungsschreiben und
die zutreffenden Ausführungen des Steuerberaters der GmbH nachgewiesen. Auf die Abmeldung im Handelsregister komme es nicht
an. Es bestehe ein wesentlicher Unterschied zwischen der Beendigung einer Kapitalgesellschaft, was nur nach entsprechendem
Gesellschafterbeschluss und einer langjährigen Liquidationsprozedur nach GmbH-Gesetz möglich sei, und einer vollständigen Geschäftsaufgabe. Eine GmbH könne ihre gesamte Tätigkeit beenden und dennoch als leere
Hülle fortbestehen. Faktisch werde der Unternehmensgegenstand dann aber nicht mehr betrieben. Die Vermietung der Produktionshalle
diene nicht mehr dem betrieblichen Zweck. Eine andere Auslegung führe zu Willkür im Verhältnis zu natürlichen Personen als
Arbeitgeber. Der Klägervertreter hat die Kundeninformation der Fa. R. GmbH zusammen mit der Firma H. J. GmbH vorgelegt, nach
der die Firma Rauschert mit Wirkung zum 1.10.2015 die Lagerbestände der Fa. H. J. übernimmt, um auch künftig das Angebot an
Komponenten der Mehrspindeltechnologie sicherzustellen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat die Auffassung vertreten, dass von einer vollständigen Geschäftsaufgabe
so lange nicht ausgegangen werden könne wie ein Unternehmen noch im Handelsregister eingetragen sei. Die vollständige Aufgabe
des Tätigkeitsumfelds "Vertrieb und Herstellung von Mehrspindelsystemen" sei zwar vollständig aufgegeben worden, dies sei
jedoch nicht mit einer vollständigen Geschäftsaufgabe im Sinne des §
51 Abs.
3 Buchst. a
SGB VI gleichzustellen.
Mit Urteil vom 25.9.2017 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 19.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.3.2017 dazu verurteilt,
dem Kläger eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab 1.1.2017 zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt,
dass der Kläger die Altersvoraussetzungen für den Bezug der Rente für besonders langjährig Versicherte ab 1.1.2017 erfülle.
Zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger auch die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt, da die Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld
im Umfang von 14 weiteren Kalendermonaten im Zeitraum vom 1.7.2015 bis 31.12.2016 anzurechnen seien. Die Zeit des Arbeitslosengeldbezugs
sei durch eine vollständige Geschäftsaufgabe des vormaligen Arbeitgebers des Klägers im Sinne von §
51 Abs.
3a S. 1 Nr.
3 HS 2
SGB VI bedingt. Der Begriff der vollständigen Geschäftsaufgabe sei in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung bisher noch wenig konturiert.
Sinn und Zweck der eingeschränkten Anrechenbarkeit von Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung
in den letzten 2 Jahren vor Rentenbeginn sei, dass Fehlanreize verhindert werden sollen, die Versicherte zu einem noch früheren
faktischen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben verleiten könnten, indem bereits quasi als Übergangslösung bis zum Erreichen der
Rentenvoraussetzungen Arbeitslosengeld in Anspruch genommen und während dessen gleichwohl die Wartezeit von 45 Jahren weiter
mit Pflichtbeitragszeiten aufgefüllt werden könne. Dementsprechend sei die ausnahmsweise Anrechenbarkeit eng begrenzt auf
Konstellationen, in denen eine gezielte Einzelfallgestaltung des Versicherten auch in etwaigem Zusammenwirken mit seinem Arbeitgeber
ausgeschlossen werden könne. Die gesetzliche Regelung nenne hierfür die Fälle der Insolvenz und der vollständigen Geschäftsaufgabe
des Arbeitgebers. Vor diesem Hintergrund liege eine vollständige Geschäftsaufgabe vor, wenn der Arbeitgeber sich privatautonom
dafür entscheide, seine betriebliche Tätigkeit komplett einzustellen. In einem solchen Fall sei das Ende der Beschäftigung
des Versicherten einer konkreten Einzelfallgestaltung komplett entzogen. Es werde nicht gezielt das konkrete Beschäftigungsverhältnis
des Versicherten beendet, vielmehr entfalle mit Einstellung der betrieblichen Tätigkeit der komplette organisatorische Rahmen,
innerhalb dessen der Versicherte überhaupt beschäftigt werden könne. Eine solche Kompletteinstellung der betrieblichen Tätigkeit
setze im Fall einer GmbH - wie der vormaligen Arbeitgeberin des Klägers - nicht voraus, dass diese auch im Handelsregister
gelöscht sei. Die Eintragung betreffe ihren Bestand als juristische Person, der allerdings unabhängig von ihrer betrieblichen
Tätigkeit sei. Es seien durchaus verschiedene Motivationen denkbar, eine GmbH trotz gänzlicher Einstellung ihrer Tätigkeit
fortbestehen zu lassen - etwa als bloße Verwaltungsgesellschaft bei Schwierigkeiten im Rahmen der Auseinandersetzung des Betriebsvermögens
oder sogar als gänzlich "leere Hülle" bzw. Mantelgesellschaft für eine mögliche neue Unternehmung in der Zukunft. Daher könne
es für das Vorliegen einer vollständigen Geschäftsaufgabe im Sinne von §
51 Abs.
3a S. 1 Nr.
3 SGB VI bei einer GmbH nicht auf die Löschung im Handelsregister ankommen. Entscheidend sei vielmehr die vom Bestand der juristischen
Person zu unterscheidende betriebliche Tätigkeit, die maßgeblich durch den satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand bestimmt
werde. Dieser habe bei der H. J. GmbH ausweislich der Stellungnahme des Steuerberaters im Apparatebau, in der Fertigung von
Mehrspindelbohrköpfen sowie in der Ausführung von Lohnarbeiten bestanden. Diese betrieblichen (Produktions-) Tätigkeiten habe
die vormalige Arbeitgeberin des Klägers unzweifelhaft vollständig eingestellt. Hierdurch habe sie von der Verfolgung ihres
vormaligen Unternehmensgegenstandes insgesamt Abstand genommen. Stattdessen beschränke sich die H. J. GmbH mittlerweile auf
die gewerbliche Vermietung des vormaligen Betriebsgrundstücks, wodurch sie sich nur noch auf die Verwaltung von Teilen des
vormaligen Betriebsvermögens beschränke.
Gegen das am 20.12.2017 an die Beklagte abgesandte Urteil hat sie am 17.1.2018 schriftlich beim Landessozialgericht Baden-Württemberg
Berufung eingelegt und nach weiterer Klarstellung des Sachverhalts durch den Klägerbevollmächtigten letztlich noch vorgetragen,
dass es maßgeblich auf die Klärung der Rechtsfrage ankomme, ob eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers auch dann
vorliege, wenn ein Unternehmen die Produktionstätigkeit - das sogenannte operative Geschäft - einstellt und sich nur noch
der Vermietung bzw. Verpachtung des Betriebsgrundstücks sowie der Produktionshallen widmet oder erst dann vorliege, wenn der
vormalige Arbeitgeber im Handelsregister gelöscht worden sei. Die Entscheidung des BSG vom 28.6.2018 (B 5 R 25/17 R) lasse diese Rechtsfrage offen und angesichts des dortigen Sachverhalts habe das BSG auch keine Veranlassung gehabt, hierzu abschließend Stellung zu nehmen. Das BSG habe sich bei der vollständigen Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers stets vom Sinn und Zweck der Norm, nämlich der Vermeidung
einer missbräuchlichen Frühverrentung, sowie von systematischen Erwägungen, insbesondere Gründe der Rechtssicherheit leiten
lassen (Hinweis auf BSG, Urteil vom 17.8.2017 - B 5 R 8/16 R - Rn. 21). Aus diesem Grunde sei die vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bei der Schließung einzelner Standorte
oder Niederlassungen verneint worden, weil ältere Arbeitnehmer an solche Standorte umgesetzt werden könnten, die ohnehin aus
betrieblichen Erwägungen des Arbeitgebers geschlossen werden sollen. Interne, nicht dokumentierte Absprachen zwischen Arbeitgebern
und Arbeitnehmern seien soweit immer möglich. Nicht anders verhalte es sich, wenn wie hier der Gegenstand des Unternehmenszwecks
wechsele, also das Unternehmen die Produktion einstelle und sich allein der Vermögens- bzw. Immobilienverwaltung widme. Auch
in diesen Fällen sei eine missbräuchliche Beendigung von Beschäftigungen zwecks Frühverrentung durch ein Zusammenwirken von
Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht ausgeschlossen, da sich im Rahmen der Vermietung und Verpachtung weitere Beschäftigungsmöglichkeiten
ergeben könnten. Die Verwaltung und Vermietung der Unternehmensgrundstücke sei eine wirtschaftliche Betätigung des vormaligen
Arbeitgebers, der sich damit nicht als "leere Hülle" darstelle. Letztlich werde die Frage aufgeworfen, warum die Umstrukturierung
oder Neuausrichtung eines Unternehmens z.B. durch Schließung einer Produktions- oder Geschäftssparte anders zu beurteilen
sei, als der Wechsel von der Produktion zur Grundstücksverwaltung. Es sei die Frage zu klären, ob die Vermietung bzw. Verpachtung
der ehemaligen Betriebsstätten bereits die vom 5. Senat geforderte Weggabe aller Sachmittel sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25. September 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und hält die von der Beklagten gezogene Parallelität zur Entscheidung des BSG in Bezug auf missbräuchliche Gestaltungsmöglichkeiten für nicht stichhaltig, nachdem hier die bisherige betriebliche Tätigkeit
komplett aufgegeben worden sei, während im BSG Sachverhalt ein einziges Außenbüro geschlossen worden sei. Welche Beschäftigungsmöglichkeiten für den Kläger, der im Bereich
der feinmechanischen Metallbearbeitung vollzeitig tätig gewesen sei, im Rahmen einer Vermietung und Verpachtung gegeben sein
sollen, erschließe sich nicht.
Der Klägerbevollmächtigte hat mitgeteilt, dass er den früheren Arbeitgeber des Klägers vor der Aufgabe seiner Geschäftstätigkeit
beraten habe. Die Arbeitnehmer seien vor der Aussprache der Kündigungen nicht über die Absicht informiert worden, damit nicht
noch ein Betriebsrat gegründet werde. Das Unternehmen habe Mitte 2015 die Produktion eingestellt. Alle in der Produktion tätigen
Mitarbeiter seien betriebsbedingt gekündigt worden. Die Lagerbestände des Unternehmens wurden mit Wirkung zum 1.10.2015 an
die Fa. R. GmbH veräußert, die für die Produktion genutzten Maschinen sowie die Rechte am Produkt seien anderweitig verkauft
worden. Die vormaligen Produktionshallen, die im Eigentum der vormaligen Arbeitgeberin des Klägers stehen, werden zur Zeit
gewerblich an den Besitzer des Nachbargrundstücks, vermietet, der nichts mit der Mehrspindeltechnik zu tun habe (Schriftsatz
vom 16.5.2018 und Ausführungen im Erörterungstermin am 16.1.2019).
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl. Bl. 96, 97 LSG Akte).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten
der Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (vgl. §
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -).
Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
Die gem. §§
143,
144 Abs.
1 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§
151 Abs.
1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat zu Recht die Beklagte verurteilt dem Kläger ab 1.1.2017 Altersrente für besonders langjährig Versicherte zu gewähren.
Der streitgegenständliche Bescheid vom 19.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchs vom 15.3.2017, mit dem die Beklagte die
Rentengewährung abgelehnt hat, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Der Senat stellt fest, dass der Kläger zuletzt bei der H. J. GmbH in V.im Bereich der feinmechanischen Metallbearbeitung vollzeitig
tätig war. Gegenstand des Unternehmens war der Apparatebau, die Fertigung von Metallspindelbohrköpfen sowie die Ausführung
von Lohnarbeiten. Das Unternehmen stellte Mitte 2015 die Produktion ein. Alle Mitarbeiter des Unternehmens wurden betriebsbedingt
gekündigt. Die Lagerbestände des Unternehmens wurden mit Wirkung zum 1.10.2015 an die Fa. R. GmbH verkauft, die diese seither
anbietet. Die für die Produktion genutzten Maschinen und Rechte am Produkt wurden ebenso an weitere Beteiligte verkauft. Das
vormalige Betriebsgrundstück bzw. die leeren Betriebshallen sind gewerblich an die benachbarte Fa. F., ein Unternehmen zur
Herstellung von Federn, vermietet. Eine mit der Mehrspindeltechnik vergleichbare Produktion findet dort nicht statt. Die Fa.
H. J. GmbH ist weiterhin im Handelsregister eingetragen. Dieser Sachverhalt ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den
glaubhaften Angaben des Steuerberaters der GmbH, den Angaben des Klägervertreters und vormals beratenden Anwalts der GmbH,
den Recherchen der Beklagten sowie den Angaben des Klägers.
Weiter wird festgestellt, dass der Kläger ausweislich des Versicherungsverlaufs bis 30.6.2015 insgesamt 531 Monate zurückgelegt
hat, die auf die Wartezeit von 540 Monaten anrechenbar sind. Darüber hinaus hat er vom 1.7.2015 bis 31.12.2016 15 Monate des
Bezugs von Alg (Entgeltersatzleistung der Arbeitsförderung) zurückgelegt hat.
Materiell-rechtlich ist zunächst der Anspruch des Klägers auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte nicht durch
den Bezug der (geringeren) Altersrente für langjährig Versicherte gem. §
34 Abs.
4 Nr.
3 SGB VI ausgeschlossen, wonach nach bindender Bewilligung einer Rente wegen Alters oder für Zeiten des Bezugs einer solchen Rente
der Wechsel u.a. in eine andere Rente wegen Alters ausgeschlossen ist. Der diesbezügliche Bewilligungsbescheid vom 5.5.2017
ist noch nicht bindend, nachdem im Einvernehmen mit dem Kläger über den eingelegten Widerspruch noch nicht entschieden wurde.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Rente für besonders langjährig Versicherte ist §
236b Abs.
1 SGB VI. Danach haben Versicherte, die vor dem 1.1.1964 geboren sind, frühestens Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig
Versicherte, wenn sie 1. das 63. Lebensjahr vollendet und 2. die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt haben.
Nach §
51 Abs.
3a S. 1 Nr.
3a SGB VI werden auf die Wartezeit von 45 Jahren Kalendermonate angerechnet mit Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung,
soweit sie Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind; dabei werden Zeiten nach Buchstabe a in den letzten 2 Jahren
vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt, es sei denn, der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung ist durch eine
Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt.
Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger von Alters wegen und er hat auch die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt, weil die Zeit
seiner Arbeitslosigkeit in den zwei letzten Jahren vor der Rente durch die vollständige Geschäftsaufgabe seines Arbeitgebers
bedingt war. Hierzu wird zunächst auf das SG-Urteil Bezug genommen (§
153 Abs.
2 SGG).
Anders als die Beklagte sieht der Senat die vorliegend zu beurteilende Rechtsfrage der vollständigen Geschäftsaufgabe des
Arbeitgebers als Voraussetzung für die Arbeitslosigkeit auch für den vorliegenden Fall durch das Urteil des BSG vom 28.6.2018 - B 5 R 25/17 R - in dem Sinne als geklärt an, dass vorliegend die Voraussetzungen vorliegen.
Das BSG hat sich mit der Definition dieser Tatbestandsvoraussetzungen als Rückausnahme zur Vermeidung besonderer Härten sehr ausführlich
auseinandergesetzt und hierzu ausgeführt: Der Bezug von Alg ist nur dann durch eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers
bedingt, wenn das gesamte Unternehmen des konkreten rechtlichen Arbeitgebers als Basis vorhandener Beschäftigungen wegfällt,
dh. die gesamte Unternehmensorganisation insbesondere durch Entlassung aller Arbeitnehmer, dh. Beendigung sämtlicher Beschäftigungen,
und Veräußerung oder sonstige Weggabe aller Sachmittel aufgelöst wird (BSG, Urteil vom 28.6.2018 - B 5 R 25/17 R -, juris Rn. 28, 37). Weiter wird die vollständige Geschäftsaufgabe im Sinne der Auflösung der gesamten Unternehmensorganisation
und damit des Wegfalls des gesamten Unternehmens des Arbeitgebers als Basis vorhandener Beschäftigungen definiert (BSG aaO. Rn. 39). Wird das gesamte Unternehmen des Arbeitgebers aufgegeben, dh. aufgelöst bzw. geschlossen oder abgeschafft,
fällt die Basis jedweder möglichen Beschäftigung weg, mit der Folge, dass zumindest im Regelfall eine missbräuchliche Beendigung
von Beschäftigungen zwecks Frühverrentung durch ein Zusammenwirken von Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausgeschlossen ist. Wo
keinerlei Beschäftigungsbasis mehr existiert, weil der Arbeitgeber diese aufgibt, scheidet eine Beschäftigung von Arbeitnehmern
zwingend und schlechthin aus. Für eine missbräuchliche, der Frühverrentung dienende Beendigung von Arbeitsverhältnissen einzelner
Arbeitnehmer lässt dieser Sachverhalt keinen Raum. Dabei kann unter Zugrundelegung allgemeiner Lebenserfahrung als sicher
ausgeschlossen werden, dass ein Arbeitgeber sein Unternehmen aufgibt, um einzelnen Arbeitnehmern eine vorzeitige Verrentung
zu ermöglichen (BSG aaO. Rn. 43).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Rechtlicher Arbeitgeber war die H. J. GmbH. Dieses Unternehmen des Apparatebaus
und der Fertigung von Mehrspindelbohrköpfen existiert nicht mehr, weil die Geschäftstätigkeit gänzlich aufgegeben wurde. Alle
Mitarbeiter wurden entlassen, die Produktionsmittel verkauft, Lagerbestände und Rechte veräußert. Es existierten nach der
Beendigung der Geschäftstätigkeit und Abwicklung der Auflösung lediglich noch die leeren Betriebshallen, die sich mit dem
Grundstück weiterhin im Eigentum der GmbH befinden und an ein anderes Unternehmen vermietet sind. Eine Unternehmensorganisation
der ursprünglichen GmbH besteht nicht mehr. Eine Basis für eine Beschäftigung bei der Arbeitgeberin, die auch keine anderen
Produktionsstätten je hatte, ist damit nicht mehr gegeben.
Anders als die Beklagte meint, ist die Löschung der GmbH vorliegend nicht erforderlich und die Vermietung des Grundstücks
bietet auch keinen Ansatz für eine weitere Beschäftigung des Klägers. Hierzu abzustellen ist auf den Unternehmenszweck. Die
GmbH hatte bereits Mitte 2015 die Produktion eingestellt und in dem Zuge zum 30.6.2015 alle Arbeitnehmer gekündigt. Der Prozess
der Geschäftsaufgabe, das Abwicklungsverfahren war damit so weit fortgeschritten, dass eine Basis für Beschäftigung ab 1.7.2015
nicht mehr bestand. Die vollständige Geschäftsaufgabe und der ihr zugrundeliegende ernsthafte Willensentschluss des Unternehmers,
der sich insbesondere in der Beendigung laufender Geschäftsvorgänge, der Unterlassung neuer, dem Unternehmenszweck dienender
Geschäfte, der - ggf sukzessiven - Entlassung aller Arbeitnehmer, dem Abbau vorhandener Sachmittel sowie der Abmeldung des
Gewerbes oder einer Löschung im Handelsregister vollzieht (BSG aaO. Rn. 54), ist vorliegend bis auf die Abmeldung im Handelsregister komplett vollzogen worden. Aus der Bemerkung, dass
im Falle des BSG es keiner Entscheidung bedurfte, wie weit dieser Prozess fortgeschritten bzw. welche dieser Schritte verwirklicht sein müssen,
um im Einzelfall zur Anrechenbarkeit von Zeiten des Alg-Bezugs in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn auf die 45-jährige
Wartezeit zu führen, kann im Umkehrschluss geschlossen werden, dass aber auch nicht alle Schritte zwingend erfüllt sein müssen.
Der vorliegende Fall ist nicht mit dem vom BSG abschlägig beschiedenen Fall vergleichbar, in dem eine vollständige Geschäftsaufgabe im dargelegten Sinne nämlich schon im
Ansatz nicht vorlag, weil die Arbeitgeberin des dortigen Klägers noch fortbestand und damit warb, dass der Unternehmensverbund
Schulungsstätten an über 200 Standorten in ganz Deutschland betreibt. Entscheidungsrelevant war allein, dass aufgrund der
weiteren Existenz der Arbeitgeberin für den Kläger bei dieser - unabhängig von dem geschlossenen Arbeitsvertrag und dem dort
vereinbarten Einsatzort - weiterhin Beschäftigungsmöglichkeiten bestanden (BSG aaO. Rn. 55). Dies ist vorliegend gänzlich anders zu beurteilen, da der Kläger als Feinmechaniker schon gar keine Kenntnisse
im Bereich der Immobilienverwaltung aufzuweisen hatte und auch angesichts des Umfangs der Vermietung eines einzelnen Firmengrundstücks
nicht davon auszugehen ist, dass hier in einem wesentlichen Umfang überhaupt Arbeit anfällt, die eine Beschäftigungsmöglichkeit
bietet.
Die Berufung der Beklagten konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG liegen nicht vor.