Anspruch auf eine Verletztenrente nach einem Arbeitsunfall
Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung aus einem erstinstanzlichen Urteil
Ofenbare Unrichtigkeit eines Vollstreckungstitels
Gründe
I.
Mit Urteil vom 28.02.2019 hat das Sozialgericht München (SG) die Antragstellerin (Ast) verpflichtet, der Antragsgegnerin (Ag) wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls vom 12.09.2007 dem
Grunde nach eine Verletztenrente nach einer MdE von 50 % zu gewähren. Dabei stützte sich das Sozialgericht auf die gerichtlichen
Sachverständigengutachten von Dr. A. auf unfallchirurgisch-orthopädischem Fachgebiet vom 15.12.2015 und von Dr. B. auf psychiatrischem
Fachgebiet vom 28.09.2016.
Hiergegen hat die Ast mit Schreiben vom 11.06.2019 - eingegangen beim BayLSG am 14.06.2019 - Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht
eingelegt und gleichzeitig beantragt, die Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts München auszusetzen. Die bestehenden
Unfallfolgen würden keine MdE in Höhe von 50 v.H. rechtfertigen. Insbesondere wäre auf chirurgischem Fachgebiet allenfalls
eine MdE von allenfalls 20 % anzunehmen.
Der Antrag auf Aussetzung werde gestellt, da nicht einzusehen sei, weshalb bis zum rechtskräftigen Abschluss des Berufungsverfahrens
Verletztenrente nach einer MdE von 50 an die Klägerin ausbezahlt werden solle. Der Ag würden keine Nachteile bei Aussetzung
der Vollziehung des Urteils entstehen. Für den Fall, dass die Ag im Hauptsacheverfahren doch obsiegen sollte, würde diese
von der Ast eine entsprechende Rentennachzahlung nebst Verzinsung erhalten.
Die Ag hat sich bislang nicht geäußert.
II.
Der Aussetzungsantrag ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Gemäß §
199 Abs.
2 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) kann, wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat, der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu
entscheiden hat, die Vollstreckung aussetzen. Ein vollstreckbarer Titel i.S.v. §
199 Abs.
1 SGG liegt mit dem Urteil des Sozialgerichts vor.
Der Aussetzungsantrag ist jedoch nicht begründet.
Im Rahmen des nach herrschender Meinung (BSG, Beschluss vom 08.12.2009, AZ: B 8 SO 17/09 R; BSG, Beschluss vom 05.09.2011, AZ: B 3 KR 47/01 R, Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer
SGG, 12. Auflage 2017, §
199 Rz. 8 m.w.N.) auszuübenden Ermessens unter Abwägung der Interessen des Leistungsempfängers und der nach der erstinstanzlichen
Entscheidung leistungspflichtigen Behörde ist eine Aussetzung nicht gerechtfertigt. Denn eine Aussetzung nach §
199 Abs.
2 SGG kann nur in ganz besonderen Ausnahmefällen Erfolg haben. Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, hängt davon ab, ob die Erfolgsaussichten
des eingelegten Rechtsmittels offensichtlich fehlen oder offensichtlich bestehen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer
SGG, 12. Auflage 2017 §
199 Rz. 8 m.w.N.). Nur bei offenbarer Unrichtigkeit kann die Ermessensentscheidung dahingehend getroffen werden, dass nach §
199 Abs.
2 SGG vorläufig ausgesetzt wird. Solche Fälle offenbarer Unrichtigkeit liegen etwa vor, wenn die angefochtene Entscheidung "völlig
abwegig" (BSG, Beschluss vom 08.12.2009, AZ: B 8 SO 17/09 R, Rz. 10) oder der Sachverhalt nach der Entscheidung der Vorinstanz sich als
wesentlich verändert darstellt oder offenkundige Rechtsfehler der ersten Instanz ins Auge springen. Gemessen hieran kann die
Entscheidung des Sozialgerichts nicht als offenbar unrichtig angesehen werden. Das Sozialgericht hat seine Entscheidung auf
die Gutachten von Sachverständigen gestützt, die das Sozialgericht in erster Instanz in Auftrag gegeben hat. Das Sozialgericht
hat sich mit diesen Gutachten in seiner Entscheidung auseinandergesetzt und diese unter allen Gesichtspunkten gewertet. Offenkundige
Rechtsfehler sind von der Ast insoweit weder vorgetragen noch behauptet. Vielmehr hat die Ast ihre Berufung mit einer ausführlichen
Würdigung der Gutachten begründet und sich selbst mit diesen Gutachten eingehend auseinandergesetzt. Inwieweit die Entscheidung
des Sozialgerichts zutreffend ist oder vielmehr die Argumente der Beklagten überzeugen, bleibt dem Berufungsverfahren vorbehalten.
Soweit die Ast geltend macht, die Ag erhalte bei einer Aussetzung des Urteils und einem späteren Obsiegen die Leistungen nachträglich
und diese würden sogar verzinst, ist das kein Argument für eine Aussetzung. Eine spätere Verzinsung gleicht nur die finanziellen
Nachteile aus, die der Ag entstanden sind, dass eine ihr nach der endgültigen Entscheidung evtl zustehende Leistung nicht
sofort zur Verfügung stand. Eine Verletztenrente wird jedoch gerade deshalb gewährt, weil sie aktuell dem Berechtigten zur
Verfügung stehen soll angesichts ihrer gesundheitlichen Verfassung, ihm also zeitnah helfen soll.
Offenkundige Unrichtigkeit bezüglich des Urteils des Sozialgerichts liegt im Ergebnis jedenfalls nicht vor, so dass eine Aussetzung
im Rahmen der von der herrschenden Meinung verlangten Ermessensentscheidung nicht gerechtfertigt werden kann.
Zum gleichen Ergebnis gelangt man, wenn man in §
199 Abs.
2 SGG keine Ermessensentscheidung sieht, sondern das dort bezeichnete "kann" als " Kompetenz-Kann" versteht und unter entsprechender
Anwendung der Vorschriften der
Zivilprozessordnung (
ZPO) mit §
719 Abs.
2 ZPO darauf abstellt, ob die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes
Interesse der Gläubiger entgegensteht (so BSG, Beschluss vom 06.08.1999 SozR 3-1500 § 199 Nr. 1). Denn die Ast hat nicht dargelegt, welcher Nachteil ihr - über das ohnehin stets bestehende Fiskalinteresse hinaus
- drohen würde (vgl. insoweit auch BSG, Beschluss vom 08.12.2009, B 8 SO 17/09 R, Rz. 11), also ob der Ast - über den Nachteil hinaus, der mit jeder Zwangsvollstreckung
als solcher verbunden ist - ein im Nachhinein nicht mehr zu ersetzender Schaden entstehen würde (BSG, Beschluss vom 05.09.2010, AZ: B 3 KR 47/01 R).
Nach alledem ist dem Antrag auf Vollstreckungsschutz nach §
199 Abs.
2 SGG nicht stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des §
193 SGG und der Erwägung, dass die Ast mit ihrem Antrag erfolglos blieb.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.