Streit über die Wirksamkeit eines Vergleichs
Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens
Gründe:
Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 20. März 2019 den Antrag der Kläger, den zwischen den Beteiligten geschlossenen
Vergleich gemäß §
202 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) i.V.m. §
278 Abs.
6 Zivilprozessordnung (
ZPO) gerichtlich festzustellen, abgelehnt. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, für den Erlass des begehrten feststellenden
Beschlusses fehle es, unabhängig von der Frage, inwieweit ein feststellender Beschluss nach der Änderung des §
101 Abs.
1 SGG (mit Wirkung vom 25. Oktober 2013) überhaupt noch zulässig sei (vergleiche zum Streitstand: Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
Kommentar zum
SGG, 12. Aufl. 2017, §
101 Rn. 9), jedenfalls am Rechtsschutzbedürfnis. Zum einen fehle es an der Erforderlichkeit, weil das Verfahren bereits zuvor
durch Annahme des Vergleichsvorschlages mit verfahrensbeendender Wirkung abgeschlossen worden sei. Zum anderen habe der Beklagte
klargestellt, dass eine Umsetzung des Vergleichs allein aufgrund der fehlenden Mitwirkung (Übersendung der Kostennote) bisher
nicht möglich gewesen sei. Ein Bedürfnis für die "Schaffung" eines (weiteren) Vollstreckungstitels bestehe daher nicht; zumal
der Beklagte ohnehin auch aus dem außergerichtlichen Vergleich in Anspruch genommen werden könne. Sonstige Gründe, die ein
Bedürfnis für den Erlass des begehrten feststellenden Beschlusses zu begründen vermögen würden, seien weder vorgetragen noch
ersichtlich. Insbesondere bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis nicht allein deshalb, um eine Einigungsgebühr abrechnen zu können;
dies sei aber offenbar einzig und allein der Grund für den gestellten Antrag.
Gegen diesen Beschluss haben die Kläger mit Schreiben vom 16. April 2019 Beschwerde bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
eingelegt.
Vorliegend ist die Beschwerde bereits unzulässig. Gemäß §
172 Abs.
1 SGG findet gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser
Gerichte die Beschwerde an das Landessozialgericht statt, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.
Absatz 2 dieser Vorschrift bestimmt demgegenüber, dass prozessleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Vertagungsbeschlüsse,
Fristbestimmungen, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse bei Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren
und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen und Sachverständigen nicht mit der Beschwerde angefochten werden
können. So liegt der Fall hier, denn die Aussage, dass der "Antrag", den zwischen den Beteiligten geschlossenen Vergleich
nach §
202 SGG i.V.m. §
278 Abs.
6 ZPO gerichtlich festzustellen, abgelehnt wird, stellt eine prozessleitende Verfügung dar, die auch nicht dadurch zu einem - anfechtbaren
- "Beschluss" wird, dass man diese prozessleitende Verfügung mit "Beschluss" überschreibt und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung
gemäß §
172 Abs.
1 SGG versieht.
Den Klägern wird dadurch auch nicht die Möglichkeit abgeschnitten, gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, denn
letztlich handelt es sich vorliegend um einen Streit über die Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit eines Vergleichs, vorliegend
beispielsweise mit dem Argument, dass dieser weder gemäß §
101 Abs.
1 S. 1 noch nach S. 2
SGG als gerichtlicher und auch nicht als außergerichtlicher Vergleich zustande gekommen sei - oder als außergerichtlicher Vergleich
jedenfalls nicht unmittelbar, ohne weitere Klagerücknahme- oder Erledigungserklärung den Rechtsstreit beendet habe.
In einem solchen Streit, ob der Rechtsstreit auch ohne einen Beschluss über den abgeschlossenen Vergleich beendet ist, oder
ob zur Beendigung des Rechtsstreit noch ein Beschluss zu fassen ist, ist jedoch nicht der Rechtsbehelf der Beschwerde gegeben,
sondern es muss ein Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens gestellt werden (Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
Kommentar zum
Sozialgerichtsgesetz, 12. Aufl. 2017, §
101 Rn. 17; Greger, in: Zöller, Kommentar zur
Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, §
278, Rn. 35a). Für einen solchen Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens ist nicht das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg,
sondern das Gericht, vor welchem der Vergleich tatsächlich oder vermeintlich geschlossen worden ist, mithin vorliegend das
Sozialgericht Berlin, zuständig.
Dafür, dass der Rechtsstreit nicht durch Vergleich beendet worden ist, könnte auch einiges sprechen, denn gemäß §
101 Abs.
1 S. 1
SGG können die Beteiligten zur Niederschrift des Gerichts oder des Vorsitzenden oder des beauftragten oder ersuchten Richters
einen Vergleich schließen, um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen. Diese Voraussetzungen
dürften wohl nicht erfüllt seien, denn dass ein Vergleich in einem Erörterungstermin oder einem sonstigen Termin, über den
eine Niederschrift geführt worden ist, von den Beteiligten geschlossen - und protokolliert - wurde, lässt sich der Akte nicht
entnehmen.
Auch die Voraussetzungen des §
101 Abs.
1 S. 2
SGG, nach dem ein gerichtlicher Vergleich auch dadurch geschlossen werden kann, dass die Beteiligten einen in der Form eines
Beschlusses ergangenen Vorschlag des Gerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters schriftlich gegenüber dem Gericht
annehmen, liegen nicht vor, denn ein solcher Beschluss über einen Vorschlag des Gerichts zum Abschluss eines Vergleichs, den
die Beteiligten bei dem Gericht angenommen haben, lässt sich der Akte ebenfalls nicht entnehmen. Die Anregung, einen Vergleich
abzuschließen, lässt sich "lediglich" den gerichtlichen Schreiben vom 3. Januar 2018 und 10. Januar 2019 entnehmen. Einen
in Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlag des Gerichts stellen diese jedenfalls nicht dar. Nur unter dieser Voraussetzung,
nämlich der, dass der vom Gericht vorgeschlagene Vergleich in Form eines Beschlusses vorgeschlagen wurde, ist nach Annahme
dieses mit Beschluss vorgeschlagenen Vergleiches nach §
101 Abs.
1 S. 2
SGG kein feststellender Beschluss gemäß §
278 Abs.
6 S. 2
ZPO mehr vorgesehen, denn dafür besteht - nur in diesem Fall - kein Bedürfnis mehr. Diese Ansicht wird auch in der vom Sozialgericht
zitierten Rn. 9 der Kommentierung von Schmidt (in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum
SGG, 12. Aufl. 2017, §
101) vertreten, sie ist jedoch lediglich im Zusammenhang mit dem wenige Zeilen zuvor von Schmidt beschriebenen und oben dargestellten
Verfahren, nämlich dem, dass die Beteiligten einen in Beschlussform vorgeschlagenen Vergleich des Gerichts lediglich noch
annehmen mussten, zu sehen und macht insoweit auch Sinn, weil der Beschluss in diesen Fällen zweimal wortgleich gefasst werden
müsste.
Ein diesen Anforderungen nicht entsprechender Vergleich ist kein Prozessvergleich, sondern nur ein außergerichtlicher Vergleich
(Schmidt, a. a. O., § 101 Rn. 9a), mit dem der Rechtsstreit - möglicherweise - nicht automatisch beendet wäre. Denn nur der
gerichtliche Vergleich beendet als Prozessvertrag den Rechtsstreit unmittelbar (Schmidt, a. a. O., § 101 Rn. 10). Dem außergerichtlichen
Vergleich kommt diese Wirkung dagegen nicht automatisch zu. Vielmehr ist zur Beendigung des Rechtsstreits dann noch eine Rücknahmeerklärung
oder Erledigungserklärung des Klägers (die in nicht gerichtskostenpflichtigen, sozialgerichtlichen Verfahren regelmäßig auch
als Rücknahmeerklärung ausgelegt wird - vgl. Schmidt, a. a. O., §
102 R. 3; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl. 2017, §
125 RdNr. 7) erforderlich (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26. November 2018 - L 7 AS 24/18 B -, juris).
Nur der Vollständigkeit halber ist noch darauf hinzuweisen, dass in den Fällen, in denen die Beteiligten und nicht das Gericht
den Vergleich vorgeschlagen haben, durchaus die Möglichkeit für einen Beschluss gemäß §
202 SGG i.V.m. §
278 Abs.
6 Zivilprozessordnung - auch nach der Rechtsänderung zum 25. Oktober 2013 - gesehen wird (Schmidt, a. a. O., § 101 Rn. 9 am Ende).
Andererseits kann die weitere Prozessführung arglistig sein und zur Unzulässigkeit der Klage führen, wenn sich der Kläger
im außergerichtlichen Vergleich zur Klagerücknahme verpflichtet hat. Das Sozialgericht wird deshalb zunächst auf eindeutige
Prozesserklärungen der Beteiligten hinzuwirken haben.
Die Beschwerde ist daher bereits als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).