Verrechnung rückständiger Gesamtsozialversicherungsbeiträge mit laufender Regelaltersrente
Sonderfall der Aufrechnung
Rechtskräftig festgestellte Forderung
Einwendungsausschluss
Bestandskräftiger Verwaltungsakt
Tatbestand
Streitig ist die Verrechnung rückständiger Gesamtsozialversicherungsbeiträge mit laufender Regelaltersrente.
Der am 00.00.1940 in Italien geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Er kam 1960 nach Deutschland und war hier
jedenfalls in den Jahren 1998 und 1999 unter der Anschrift W-straße 00 in L (auch) als Baueinzelunternehmer tätig; gleichzeitig
war er ab dem 1.1.1999 bei der Agentur für Arbeit L arbeitslos gemeldet. Seit dem 1.4.2005 bezieht er von der Beklagten Regelaltersrente
(in Höhe von zunächst brutto 362,34 EUR monatlich). Im Juli 2006 kehrte der Kläger von L nach Italien (T) zurück, ohne bei
der Stadt L eine neue Meldeadresse anzugeben. Die italienische Rentenversicherung (Istituto Nazionale della Previdenza Sociale
(INPS)) gewährt ihm Altersrente (monatlich 182,10 EUR, Stand 2/2013) und Sozialbeihilfe (monatlich 156,90 EUR, Stand 2/2013).
Seine Ehefrau bezieht eine deutsche Altersrente in Höhe von monatlich 247,36 EUR (Stand 7/2012, ab 1/2014: 247,70 EUR). Italienische
Rentenleistungen bezieht sie nicht. Der Kläger und seine Ehefrau bewohnen in Italien eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus,
das im Eigentum der Ehefrau steht. Über die weitere Bebauung bzw. deren Zustand ist nichts bekannt. Nach eigenen Angaben bewirtschaftet
der Kläger für den Eigenbedarf eine Parzelle Ackerland.
Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) stellte in den Jahren 2005/2006 bei einer Betriebsprüfung ("Anlass der Prüfung:
Schwarzarbeit / illegale Beschäftigung") fest, dass der Kläger (als Arbeitgeber) der zuständigen Einzugsstelle für die Zeit
vom 1.4.1998 bis zum 31.12.1999 Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von EUR 202.607,31 (zzgl. Säumniszuschlägen, Kosten
und Gebühren in Höhe von 189.934,80 EUR, also insgesamt EUR 392.542,09) schuldete. Dies stellte sie mit an den Kläger gerichtetem
Bescheid vom 6.12.2006 fest. Nachdem die Stadt L der DRV Bund am 5.12.2006 mitgeteilt hatte, dass eine Meldeanschrift des
Klägers nicht ermittelt werden könne, ordnete die DRV Bund die öffentliche Zustellung des Bescheides an. Nachdem sie den Bescheid
"vom 27.12.2006 bis 8.1.2007" in ihren Räumen ausgehängt hatte (Aktenvermerk vom 16.1.2007), vermerkte sie in ihren Unterlagen,
dass die öffentliche Zustellung am 27.12.2006 erfolgt sei. Dem Klägerbevollmächtigten wurde im Klageverfahren mit gerichtlicher
Verfügung vom 21.12.2011 eine Kopie des Bescheides vom 6.12.2006 übersandt.
Die DRV Bund übermittelte der AOK Rheinland/Hamburg als zuständiger Einzugsstelle eine Mehrausfertigung des Beitragsbescheides
vom 6.12.2006 zur weiteren Veranlassung mit dem Hinweis, dass der Bescheid öffentlich durch Aushang in den Geschäftsräumen
der DRV Bund zugestellt worden sei, da eine zustellfähige Anschrift des Klägers nicht habe festgestellt werden können. Die
Einzugsstelle hat im Rahmen ihrer Ermittlungen von der Tochter des Klägers erfahren, dass dieser seit dem 17.7.2006 nicht
mehr unter der L Anschrift wohne. Eine neue Anschrift sei nicht bekannt. Die Abmeldebescheinigung der Stadt L habe eingesehen
werden können (Vermerk vom 21.2.2007). Am 24.5.2007 teilte die Stadt L der Einzugsstelle mit, der Kläger sei nach M / Italien
verzogen.
Nachdem die Beklagte der Einzugsstelle auf deren Nachfrage mitgeteilt hatte, dass der Kläger Regelaltersrente in Höhe von
(damals) 368,93 EUR monatlich beziehe, richtete diese ein Verrechnungsersuchen an die Beklagte: Der Kläger schulde Gesamtsozialversicherungsbeiträge
für die Zeit vom 1.4.1998 bis zum 31.12.1999 zuzüglich Säumniszuschlägen, Kosten und Gebühren in Höhe von mittlerweile insgesamt
396.488,61 EUR. Die Forderung sei fällig, vollstreckbar und nicht verjährt (Verrechnungsersuchen vom 7.8.2008). Die Beklagte
hörte den Kläger zu der beabsichtigten Verrechnung eines Betrages von monatlich 184,20 EUR aus der laufenden Rente mit der
Forderung der Einzugsstelle an (Schreiben vom 29.8.2008). Der Kläger wandte über seine jetzigen Prozessbevollmächtigten gegen
die beabsichtigte Verrechnung ein, dass es sich bei der Rente um seine einzige Einkunft handele. Es treffe nicht zu, dass
er Gesamtsozialversicherungsbeiträge in der benannten Höhe schulde (Schreiben vom 29.9.2008).
Die Beklagte entschied, dass sie ab dem 1.5.2009 von der laufenden Rente des Klägers einen Betrag in Höhe von 184,20 EUR einbehalten
und an die Einzugsstelle abführen werde. Bei der zu treffenden Ermessensentscheidung sei zu berücksichtigen, dass die Sozialleistungsträger
verpflichtet seien, ihre Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben. Unter Zugrundelegung des monatlichen Einkommens
des Klägers sei eine Verrechnung mit der laufenden Rente in vorgenommener Höhe zulässig und im Hinblick auf die wirtschaftliche
Situation des Klägers auch vertretbar (Bescheid vom 5.2.2009; Widerspruchsbescheid vom 8.6.2009, den Klägerbevollmächtigten
am 15.6.2009 bekannt gegeben).
Mit seiner Klage vom 15.7.2009 hat der Kläger eingewandt, es treffe nicht zu, dass er der Einzugsstelle Beiträge in Höhe von
396.488,61 EUR schulde. Es könne auch nicht nachvollzogen werden, aus welchen Gründen der Bescheid vom 6.12.2006 öffentlich
zugestellt worden sei. Unter Zugrundelegung seines monatlichen Einkommens in Höhe von 377,26 EUR sei eine Verrechnung in Höhe
von 184,20 EUR im Hinblick auf seine wirtschaftliche Situation unvertretbar. Nachdem er zunächst angegeben hatte, nicht über
Grundvermögen zu verfügen, hat der Kläger später eingeräumt, er sei Eigentümer eines Grundstücks in T, das zum Obst- und Gemüseanbau
genutzt werde. Auf dem Grundstück stünden 40 Rebstöcke und 2 Olivenbäume, er halte dort außerdem 15 Hühner. Auf dem Grundstück
stehe auch eine Hütte. Er lebe in einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus, das "einer Angehörigen" gehöre. Er fahre einen
alten Fiat Panda. Die Rente sei die einzige Zuwendung, die er erhalte. Seine Ehefrau und er seien schwer krank und auf Medikamenteneinnahme
angewiesen. Das Einkommen der Ehegatten liege unter 600 EUR. Aus seinem italienischen Rentenbescheid vom 2.1.2009 ergebe sich,
dass er aufgrund seiner geringen Einkommensverhältnisse eine finanzielle Zuwendung seitens des italienischen Staates erhalte.
Das Sozialgericht (SG) hat die AOK Rheinland/Hamburg als Einzugsstelle zum Verfahren beigeladen (fortan: Beigeladene).
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 5.2.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 8.6.2009 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Solange der Kläger keine Bescheinigung der zuständigen ausländischen Behörde vorlege, aus der sich ergebe, dass nach Durchführung
der Verrechnung Hilfebedürftigkeit eintrete, sei eine Verrechnung zulässig. Mit der zum 1.1.2005 in Kraft getretenen gesetzlichen
Änderung beabsichtige der Gesetzgeber, die Schulden des Einzelnen nicht auf Kosten der Allgemeinheit tilgen zu lassen. Aus
europäischem Recht folge nichts Abweichendes.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Ihre Forderung sei durch rechtskräftigen Bescheid vom 6.12.2006 festgestellt.
Sie sei als Einzugsstelle gehalten, die offene Forderung beizutreiben.
Das SG hat die Klage abgewiesen: Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei kein Nachweis dafür erbracht worden, dass der Kläger durch
die Verrechnung hilfebedürftig werde. Erforderlich sei dafür, dass eine entsprechende Bedarfsbescheinigung des zuständigen
italienischen Leistungsträgers beigebracht wird oder dass zumindest zweifelsfreie Angaben zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen
des Klägers gemacht werden, die eine Prüfung der Hilfebedürftigkeit - ggf. durch eine Nachfrage beim zuständigen italienischen
Sozialversicherungsträger - möglich machten. Diesen Anforderungen habe der Kläger nicht entsprochen. Der Kläger habe trotz
wiederholter Aufforderung durch das Gericht eine entsprechende Bedarfsbescheinigung nicht vorgelegt. Auch habe er keine hinreichend
konkreten und widerspruchsfreien Angaben zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen gemacht. Der vom Kläger vorgelegte
Bescheid des INPS vom 2.1.2009 stelle keinen hinreichenden Nachweis für eine Hilfebedürftigkeit dar. Dem Kläger sei durch
den italienischen Rententräger mit Bescheid vom 2.1.2009 lediglich vorläufig eine zusätzliche Leistung zugesprochen worden,
die von seinem Einkommen und dem seiner Ehefrau abhängig sei. Es sei bereits fraglich, ob diese Leistung mit Leistungen nach
dem SGB II oder SGB XII vergleichbar sei. Dies könne jedoch dahinstehen, da die Leistung seitens des italienischen Rententrägers nur vorläufig und
allein auf der Grundlage der vom Kläger gemachten Angaben bewilligt worden sei. Dass eine endgültige Feststellung der Leistung
nach Vorlage des Einkommensteuerbescheides erfolgt ist, lasse sich ebenso wenig feststellen wie die tatsächlichen Einkommens-
und Vermögensverhältnisse des Klägers. Weder habe der Kläger einen endgültigen italienischen Leistungsbescheid zu den Akten
gereicht, noch habe er widerspruchsfreie Angaben zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen gemacht. Der Kläger habe
zunächst im Rahmen des Antragsverfahrens auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe angegeben, nicht über Grundvermögen zu verfügen.
Diese Angabe habe sich im Laufe des Verfahrens als unzutreffend herausgestellt. Auch später habe der Kläger trotz entsprechender
Aufforderung nicht eindeutig klargestellt und nachgewiesen, über welches Einkommen und Vermögen er tatsächlich verfüge. Entsprechende
Nachfragen des Gerichts seien nur unzureichend beantwortet worden. Der fehlende Nachweis wirke sich zu Lasten des Klägers
(Urteil vom 15.11.2012, zugestellt am 14.12.2012).
Mit seiner Berufung vom 14.1.2013 hat der Kläger ergänzend ausgeführt, es sei nicht richtig, dass die Beklagte dem Kläger
Rentenzahlungen vorenthalte, und der italienische Staat dadurch (höhere) Sozialhilfeleistungen gewähren müsse.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 22.11.2016 hat die Beigeladene ihr Verrechnungsersuchen auf einen Betrag von 392.542,09
EUR reduziert. Die Beklagte hat darauf den streitigen Verrechnungsbescheid dahingehend geändert, dass nur noch ein Gesamtbetrag
von 392.542,09 EUR zur Verrechnung gestellt wird.
Die Beklagte meint, bei der vom italienischen Leistungsträger ab März 2006 gewährten Sozialbeihilfe seien nur die italienischen
Rentenleistungen, nicht jedoch die deutsche Rente zugrunde gelegt worden. Es sei davon auszugehen, dass diese Rente dem italienischen
Sozialleistungsträger nicht bekannt sei. Der für den ausländischen Rentenbezug vorgesehenen Rubrik "q.ta.estera" seien keine
Eintragungen zu entnehmen. Darüber hinaus zeige die Rubrik "cod.imp.", dass es sich wegen möglicher fehlender Einkommenserklärung
noch nicht um eine endgültige Berechnung handelt.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich dem Vorbringen der Beklagten angeschlossen.
Eine Anfrage des Senats bei der IPNS blieb - trotz Einschaltung der DRV Schwaben als zuständiger Verbindungsstelle der allgemeinen
Rentenversicherung - unbeantwortet. Die DRV Schwaben hat dem Senat mitgeteilt, dass das italienische Recht verschiedene Leistungen
bei Bedürftigkeit kenne. Die nach den italienischen Rechtsvorschriften zu gewährende Sozialrente (pensione sociale) entspreche
ihrem Wesen nach der deutschen Sozialhilfeleistung. Anspruch bestehe für EU-Staatsangehörige mit Wohnsitz in Italien, die
das 65. Lebensjahr vollendet haben und nur ein geringes Einkommen beziehen. Bei Verheirateten zähle grundsätzlich das Einkommen
beider Ehegatten. Zum Einkommen zählten auch ausländische Renten. Seit 1996 werde die Sozialrente durch die Sozialzulage bzw.
Sozialbeihilfe (assegno sociale) ersetzt. Der Höchstbetrag der Sozialzulage/Sozialbeihilfe entspreche gleichzeitig der jeweiligen
Einkommensgrenze. Diese belaufe sich im Jahr 2015 auf 5.830,76 EUR für Alleinstehende (monatlicher Höchstbetrag 448,52 EUR)
und 11.661,52 EUR für Verheiratete (Schreiben vom 4.9.2015).
Die Beteiligten haben sich im Januar 2017 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der Darstellung der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands nimmt der Senat auf die Gerichtsakten, die Verwaltungsakten
der Beklagten und der Beigeladenen sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der DRV Bund Bezug.
Entscheidungsgründe
Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt
haben, §
153 Abs
1 in Verbindung mit §
124 Abs
2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG).
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Verrechnungsbescheid vom 5.2.2009 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.6.2009, §
95 SGG) ist rechtmäßig ergangen und beschwert den Kläger nicht, §
54 Abs
1 Satz 1
SGG.
Die fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Anfechtungsklage gegen die im Bescheid vom 5.2.2009 geregelten und
im Termin am 22.11.2016 im Wege der Teilabhilfe geringfügig modifizierten Verfügungen der Beklagten ist unbegründet. Die Beklagte
hat die Regelaltersrente des Klägers zu Recht in Höhe von EUR 184,20 mit Beitragsansprüchen der Beigeladenen in Höhe von EUR
392.542, 09 verrechnet und den Verrechnungsbetrag an die Beigeladene weitergeleitet. Sie hat diese Entscheidung zu Recht auf
§§
52 i.V.m. 51 Abs
2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) als Ermächtigungsgrundlage gestützt (1.). Die Forderung der Einzugsstelle ist rechtskräftig festgestellt, so dass Einwendungen
dagegen nicht mehr erhoben werden können (2.). Eine der Verrechnung entgegenstehende Hilfebedürftigkeit hat der Kläger nicht
nachgewiesen (3). Der Rechtsstreit ist schließlich entscheidungsreif (4.).
1. Nach §
52 SGB I kann der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger (hier die für die Regelaltersrente des Klägers zuständige Beklagte)
von einem anderen Leistungsträger (hier der beigeladenen Einzugsstelle) ermächtigt werden, dessen Ansprüche gegen einen Berechtigten
(hier den Kläger) mit der ihm obliegenden Geldleistung (hier die monatliche Regelaltersrente) zu verrechnen, soweit eine Aufrechnung
nach §
51 SGB I zulässig ist (Pflüger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB I, 2. Aufl. 2011, §
52 SGB I, Rn 11). Da die Verrechnung ein Sonderfall der Aufrechnung ist, müssen - mit Ausnahme der Gegenseitigkeit der Forderungen
- alle Voraussetzungen des §
51 Abs
2 SGB I vorliegen (Pflüger, aaO, Rn 14). Nach §
51 Abs
2 SGB I kann der zuständige Leistungsträger mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen
bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig [ ] wird.
a. Der Verrechnungs-Verwaltungsakt ist formell rechtmäßig.
Die Beklagte hat den Kläger zuvor angehört, § 24 Abs 1 SGB X. Die getroffene Regelung ist überdies hinreichend bestimmt, § 33 Abs 1 SGB X. Aus dem Verfügungssatz der Verrechnungserklärung vom 5.2.2009 geht für den Kläger mit hinreichender Klarheit hervor, was
die Behörde regeln will, insbesondere in welcher Höhe insgesamt und laufend monatlich verrechnet werden soll. Für den Kläger
ist klar ersichtlich, dass und in welchem Umfang seine Sozialleistungsansprüche und damit korrespondierend die gegen ihn bestehenden
Forderungen durch die Verrechnung erlöschen (vgl Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 3.1.2013, Az L 16 R 656/12 WA unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 7.2.2012, Az B 13 R 85/09 R).
Die Beklagte hat auch ihr Ermessen ausgeübt. Das Wort "kann" im Wortlaut des §
51 SGB I - auf den §
52 SGB I verweist - bedeutet, dass der Leistungsträger eine Ermessensentscheidung zu treffen hat, wobei insbesondere der Zweck der
ihm obliegenden Leistung, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Leistungsempfängers und haushaltsrechtliche Erwägungen zu
berücksichtigen sind (vgl. Pflüger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB I, 2. Aufl. 2011, §
51 SGB I, Rn 67). Die Beklagte hat erkannt, dass Ermessen auszuüben ist, und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers und haushaltsrechtliche
Überlegungen berücksichtigt. Sonstige Gesichtspunkte, die die Beklagte im Rahmen ihrer Ermessenserwägungen hätte berücksichtigen
müssen, sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
b. Der Verrechnungsverwaltungsakt ist auch materiell rechtmäßig.
aa. Die Voraussetzungen des §
52 SGB I sind gegeben. Ein anderer Leistungsträger (hier die Beigeladene) als der, der die Leistung zuständigkeitshalber zu erbringen
hat (hier die Beklagte), muss diesen wegen seiner Ansprüche gegen den Leistungsberechtigten zur Verrechnung ermächtigen. Die
Ermächtigung ist eine empfangsbedürftige, öffentlich-rechtliche Willenserklärung. Sie gibt dem ersuchten Leistungsträger die
Befugnis, im eigenen Namen über ein Recht des ersuchenden Leistungsträgers zu verfügen, indem er dessen Gegenanspruch durch
Aufrechnung mit seiner Hauptforderung zum Erlöschen bringt. Hier hat die Beigeladene die Beklagte unter dem 7.8.2008 schriftlich
zur Verrechnung ermächtigt. Gegenüber dem leistungsberechtigten Kläger ist die Verrechnung als besondere Form der Aufrechnung
durch eine Erklärung der von der Beigeladenen ersuchten Beklagten entsprechend §
388 Satz 1
Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) zulässig. Dabei durfte die Beklagte als Rentenversicherungsträger mit dem Rentenanspruch des Klägers auch künftige Rentenzahlungsansprüche
mit Wirkung für den jeweiligen Zeitpunkt ihres Entstehens verrechnen (vgl §
118 Abs
1 SGB VI; Pflüger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB I, 2. Aufl. 2011, §
52 SGB I, Rn 40). Die Verrechnung durfte - wie hier geschehen - grundsätzlich durch Verwaltungsakt im Sinne von § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erfolgen (BSGE 109, 81ff = SozR 4-1200 § 52 Nr 4; im Anschluss daran BSG Urteile vom 7.2.2012, SozR 4-1200 § 52 Nr 5 und B 13 R 109/11 R sowie Urt v 31.10.2012, Az B 13 R 13/12 R).
bb. Die Voraussetzungen des §
51 Abs
2 1. Halbsatz
SGB I liegen ebenfalls vor. Eine Aufrechnung ist zulässig gegen Ansprüche auf einmalige und laufende Geldleistungen im Sinne der
§§
11,
18-29
SGB I. Bei der laufenden Regelaltersrente des Klägers handelt es sich um eine solche. Die dieser gegenüber stehende Gegenforderung
muss gleichartig, d.h. auch auf eine Geldleistung gerichtet sein. Das ist bei den von der beigeladenen Einzugsstelle geforderten
Geldleistungen (Gesamtsozialversicherungsbeiträgen, Säumniszuschläge, Rechtsverfolgungskosten/ Zustellgebühren) der Fall.
Eine Aufrechnungslage setzt - allgemein - voraus, dass der Schuldner die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende
Leistung bewirken kann (vgl §
387 BGB). Die Gegenforderung (Gesamtsozialversicherungsbeiträge, Säumniszuschläge, Rechtsverfolgungskosten/ Zustellgebühren) muss
entstanden und fällig sein, während die Hauptforderung (Regelaltersrente) zwar nicht fällig, aber bereits entstanden und erfüllbar
sein muss (Pflüger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB I, 2. Aufl. 2011, §
51 SGB I, Rn 37). Hier sind die streitigen Beitragsansprüche ohne weiteres Zutun der Beigeladenen bzw. der DRV Bund kraft Gesetzes
entstanden und fällig (vgl. §§
22,
23 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IV)).
Ob die Einzugsstelle (als um Verrechnung ersuchender Leistungsträger) Gläubigerin (im Sinne von treuhänderisch gebundener
Rechtsinhaberin) des Gesamtsozialversicherungsbeitrags, ist (vgl Scheer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB IV, 3. Aufl. 2016, §
28h SGB IV, Rn 54) oder lediglich die vollständige Verfügungsbefugnis innehat und deshalb ein fremdes Recht in eigenem Namen geltend
macht (vgl zu der Rechtsstellung der Einzugsstelle im Einzelnen BSGE 101, 1ff = SozR 4-2400 § 28h Nr 5 Rn 14ff mwN), kann
offen bleiben. Obwohl hat sie den der Forderung zugrunde liegenden Beitragsbescheid nicht erlassen, sie ist gleichwohl als
Einzugsstelle (§
28h Abs
1 Satz 3
SGB IV) für die Einziehung der Sozialversicherungsbeiträge und damit auch für dazu dienende Verrechnungsersuchen zuständig. Sie
ist nämlich berechtigt und verpflichtet, die offene Forderung mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln in eigenem Namen
einzuziehen (vgl Wagner, in: BeckOK SozR, 45. Edition, Stand: 1.6.2017,
SGB IV §
28h Rn 4).
2. Die zur Verrechnung gestellte Forderung ist bestandskräftig festgestellt, so dass der Kläger nicht mit dem Einwand gehört
werden kann, er schulde die mit Bescheid vom 6.12.2006 festgestellten Geldleistungen nicht.
Einwände gegen eine zur Verrechnung gestellte Forderung sind ausgeschlossen, wenn die Forderung rechtskräftig festgestellt
ist, weil damit die Rechtslage abschließend feststeht. Einem rechtskräftigem Urteil steht die Feststellung durch bestandskräftigen
Verwaltungsakt gleich (BSG Urt v 31.10.2012, Az B 13 R 13/12 R Rn 23 mwN). Der die streitige Forderung festsetzende Bescheid der DRV Bund vom 6.12.2006 ist rechtskräftig geworden. Er
ist dem Kläger insbesondere wirksam bekannt gegeben worden. Nach § 65 Abs 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 1 VwZG kann (darf) durch öffentliche Bekanntmachung zugestellt werden, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist. Dies
setzt bei zunächst nicht bekanntem Aufenthaltsort voraus, dass gründliche und sachdienliche Bemühungen um Aufklärung des gegenwärtigen
Aufenthaltsorts erfolgen. Denn die mit der öffentlichen Bekanntmachung verbundene Zustellungsfiktion ist verfassungsrechtlich
nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Art der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar ist. Dagegen
kann eine vorschnelle öffentliche Bekanntmachung zu einer Versagung des rechtlichen Gehörs führen (vgl BVerfG, Kammerbeschluss
vom 26.10.1987, Az 1 BvR 198/87). Nach dieser Maßgabe durfte die DRV Bund die öffentliche Zustellung wählen. Eine Meldeanschrift des Klägers im In- oder
Ausland war der DRV Bund nicht bekannt. Auf Nachfrage teilte die Stadt L ihr am 5.12.2006 mit, dass keine Meldeanschrift des
Klägers ermittelt werden konnte. Die DRV Bund hatte keine Kenntnis über den Aufenthaltsort in Italien, an dem sich der Kläger
bereits seit dem 17.7.2006 (möglicherweise schon früher, ab März 2006) aufhielt. Der Kläger hat seinen neuen Wohnort weder
der Beklagten, noch der Beigeladenen oder der DRV Bund mitgeteilt. Ein Vertreter oder ein Zustellbevollmächtigter war nicht
benannt (§ 10 Abs 1 Satz 1 Nr 1 VwZG). Der Umstand, dass an der ehemaligen Wohnanschrift die Tochter des Klägers wohnte, ändert daran nichts, diese weder kraft
Gesetzes noch kraft Vollmacht berechtigt war, als Zustellbevollmächtigte zu fungieren. Glaubt man dem Aktenvermerk des Mitarbeiters
der Beigeladenen vom 21.2.2007, so war selbst der Tochter des Klägers der neue Wohnsitz (noch?) nicht bekannt. Zu weitergehenden
Ermittlungen war die DRV Bund nicht verpflichtet. Die Behörde genügt ihrer Prüfungspflicht in aller Regel, wenn sie versucht,
die Anschrift des Adressaten - wie hier - durch das Einwohnermeldeamt zu ermitteln (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss
vom 2.8.2016, Az 6 ZB 15.20). Die Anordnung erfolgte über die öffentliche Zustellung mit Verfügung vom 6.12.2006 durch einen
zeichnungsberechtigten Bediensteten (§ 10 Abs 1 Satz 2 VwZG). Anhaltspunkte, dass der Aushang nicht an einer Stelle erfolgte, die von der Behörde hierfür allgemein bestimmt ist (§ 10 Abs 2 Satz 1 VwZG), oder den inhaltlichen Anforderungen des § 10 Abs 2 Satz 2, 3 VwZG nicht Rechnung getragen wurde, bestehen nicht. In den Akten ist vermerkt, wann und wie die Benachrichtigung bekannt gemacht
wurde (§ 10 Abs 2 Satz 5 VwZG). Ob die zweiwöchige Aushangfrist (§ 10 Abs 2 Satz 6 VwZG) mit einem Aushang vom 27.12.2006 bis 8.1.2007 gewahrt wurde, kann dahinstehen. Da die Bescheinigung des Aushangs am 16.1.2007
erfolgte, ist bereits nicht klar, ob der Aushang nicht (nahe liegend, weil üblich) erst an diesem Tag abgenommen und der "8."
ein Schreibfehler ist. Jedenfalls ist dieser Mangel geheilt, § 8 Satz 1, Hs 1 VwZG. Nach dieser Vorschrift gilt ein Dokument, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt oder das unter Verletzung
zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich
zugegangen ist. Der tatsächliche Zugang kann auch durch eine Kopie des zuzustellenden Dokuments erfolgen. Der Zweck der Bekanntgabe
ist erreicht, wenn dem Adressaten eine zuverlässige Kenntnis des Inhalts des Bescheids verschafft wird (BVerwG, Urteil vom
15.1.1988 - 8 C 8/86). Dies war hier spätestens der Fall, als dem Klägerbevollmächtigten im laufenden Verfahren mit gerichtlicher Verfügung vom
21.12.2011 eine Kopie des Bescheides vom 6.12.2006 (als Anlage zum Schriftsatz der Beigeladenen vom 14.12.2011) übermittelt
worden ist, die er nach eigener Angabe (im Schriftsatz vom 4.1.2012) auch tatsächlich erhalten hat. Mit der Zustellung gilt
der Bescheid als dem Kläger bekannt gegeben. Der Bescheid vom 6.12.2006 ist auch bestandskräftig geworden. Der Kläger hat
gegen diesen Bescheid zu keinem Zeitpunkt einen Rechtsbehelf eingelegt. Dies wäre auch überraschend, da der Kläger und sein
jetziger Prozessbevollmächtigter in der Angelegenheit bereits gegenüber dem Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung
L Auskunft erteilt hatten, und dort eine abschließende Besprechung deshalb nicht mehr stattgefunden hat, weil die Prüffeststellungen
"einvernehmlich erörtert wurden".
3. Die Beklagte hat die doppelte Begrenzung der Verrechnungsermächtigung beachtet. Sie ist mit dem festgesetzten Betrag von
EUR 184,20 monatlich nicht über den hälftigen monatlichen Zahlbetrag der Regelaltersrente hinausgegangen. Der Klägers hat
auch nicht nachgewiesen, dass er durch die Verrechnung in dieser Höhe hilfebedürftig wird, §
51 Abs
2 2. Halbsatz
SGB I. Im Ergebnis ist für die Beurteilung der Hilfebedürftigkeit ohne Belang, dass der Kläger italienischer Staatsangehöriger
ist und dauerhaft in Italien lebt. Selbst sich wenn im Falle Klägers der Maßstab zur Beurteilung der Hilfebedürftigkeit nach
§
51 Abs
2 2. Halbsatz
SGB I (in direkter oder entsprechender Anwendung) bestimmte, hätte der Kläger eine solche nicht nachgewiesen.
Das im Vergleich zu §
51 Abs
1 SGB I, der als Grenze die Pfändbarkeit benennt, erweiterte Zugriffsrecht auf Einkünfte von Schuldnern dient dem Schutz der finanziellen
Interessen der Versichertengemeinschaft. Bei Beitrags- und Erstattungsansprüchen soll der Berechtigte nicht einerseits die
volle Rentenleistung vom Staat verlangen können und andererseits staatliche Leistungsträger bei deren Gegenansprüchen auf
den Pfändungsschutz verweisen können (Pflüger, in: Schlegel/Voelzke, [...]PK-
SGB I, 2. Aufl. 2011, §
51, Rn 75). Die Verrechnung ist in diesem Rahmen auf einen Betrag beschränkt, der dem Berechtigten noch die Mittel des notwendigen
Lebensunterhalts im Sinne der Hilfe zum Lebensunterhalt belässt.
Es wird vertreten, dass die Vorschriften der §§
51,
52 SGB I über die Auf- und Verrechnung auch auf Leistungsempfänger im Ausland Anwendung finden (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg,
Urteil vom 29.1.2015, Az L 2 R 148/13; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3.1.2013, Az L 16 R 656/12 WA; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.10.1999, Az L 4 RJ 194/08; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 23.5.2007, Az L 16 R 498/07). Die Rechtsprechung folgt hierbei der Entscheidung des BSG vom 12.4.1995 (Az 5 RJ 12/94), wonach bei einer Aufrechnung mit einer aus deutschem Recht begründeten Forderung gegen einen Zahlungsanspruch aus deutschem
Sozialversicherungsrecht keine Unterscheidung danach zu treffen sei, welcher Nationalität der Sozialleistungsberechtigte ist
und ob er seinen Wohnsitz im In- oder Ausland hat. Danach soll ein Ausländer in Bezug auf §
51 Abs
2 SGB I genauso zu behandeln sein wie ein deutscher Staatsbürger. Nach Auffassung des BSG habe folglich der Sozialleistungsträger bei der Prüfung der Voraussetzungen für eine Aufrechnung oder Verrechnung auch bei
einem im Ausland lebenden Kläger zu prüfen, ob dieser dadurch hilfebedürftig werde. Gegen dieses Gesetzesverständnis bestehen
Bedenken. Die im zweiten Halbsatz des §
51 Abs
2 SGB I vorgenommene Einschränkung hat vorrangig fiskalischen Charakter und dient der Verwaltungsvereinfachung, nicht aber dem Mindestschutz
des Berechtigten. Sinn und Zweck des §
51 Abs
2 SGB I ist es, "das Hin- und Herschieben" von Leistungsverpflichtungen zulasten der Sozialhilfe- und Grundsicherungsträger zu verhindern
(Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6.9.2007 - L 8 RA 91/04). Ohne die Regelung des §
51 Abs
2 2. Halbsatz
SGB I bestünde die Gefahr, dass der Versicherte in stärkerem Maße oder überhaupt erst Sozialhilfe in Anspruch nehmen muss, und
somit im Ergebnis der (inländische) Sozialhilfeträger für die Schulden des Berechtigten einzustehen hätte (vgl Gutzler, in:
BeckOK SozR, 45. Edition, Stand: 1.3.2017,
SGB I §
51 Rn 22; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 10.5.2011, Az L 5 R 86/11 B ER). Der hier zu beurteilende Fall ist insofern anders gelagert, da hier durch die mit der Verrechnung verbundene erhöhte
Hilfebedürftigkeit kein inländischer - sondern ein italienischer - Sozialleistungsträger belastet wird, dem es nach dem sozialrechtlichen
Territorialitätsprinzip obliegt, das Existenzminimum des Klägers in Italien zu sichern (vgl § 24 Abs 2 SGB XII).
Auch wenn §
51 Abs
2 2. Halbsatz
SGB I im vorliegenden Fall anzuwenden wäre, hätte der Kläger den geforderten Nachweis nicht erbracht. Dazu müsste er den Nachweis
geführt haben, dass er durch die streitige Verrechnung hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt (§ 19 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII)) oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch (§ 9 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)) wird. Beides ist bereits nach dem eindeutigen Wortlaut ausgeschlossen. Das SGB II und das SGB XII sind auf den in Italien lebenden Kläger nicht anwendbar. Eine "Hilfebedürftigkeit" im Sinne dieser Normen kann folglich nicht
vorliegen. Ein Anspruch auf Grundsicherung nach dem SGB II scheidet wegen der Kopplung des Anspruchs an den Inlandsaufenthalt bei dem in Italien lebenden Kläger generell aus (§ 7 SGB II). Ein Leistungsanspruch nach dem SGB XII ist ebenfalls an einen Inlandsaufenthalt geknüpft bzw. im Ausland deutschen Staatsbürgern vorbehalten, § 24 Abs 1 Satz 1 SGB XII. Eine Ausnahmekonstellation, in der das SGB XII auch auf Auslandssachverhalte Anwendung findet, liegt nicht vor, § 24 Abs 1 Satz 2 SGB XII.
Es kann dahinstehen, ob §
51 Abs
2 2. Halbsatz
SGB I entsprechend auf im Ausland lebende Ausländer anzuwenden ist. Diese Auffassung wird vertreten, um die Norm auch für Auslandssachverhalte
handhabbar zu machen. Dabei wird wegen des Eintritts von Hilfebedürftigkeit auf die sozialhilferechtlichen Regelungen im Aufenthaltsstaat
abgestellt (BSG, Urteil v 12.4.1995, Az 5 RJ 12/94; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.1.2015, Az L 2 R 148/13; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 3.1.2013, Az L 16 R 656/12 WA; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 14.11.2007, Az L 13 R 157/07; Gutzler, in: BeckOK, 45. Edition, Stand: 1.3.2017,
SGB I §
51 Rn 22). Eine solche entsprechende Anwendung ist dogmatisch kaum zu begründen. Der klare Wortlaut der Norm stellt ausdrücklich
auf die Regelungen des SGB XII und des SGB II ab. Das Sozialhilferecht des Aufenthaltsstaates ist auch nicht über § 24 Abs 3 SGB XII heranzuziehen. Für anspruchsberechtigte Deutsche iSv § 24 Abs 1 Satz 2 SGB XII statuiert § 24 Abs 3 SGB XII, dass Art und Maß der Leistungserbringung sowie der Einsatz des Einkommens und des Vermögens sich nach den besonderen Verhältnissen
im Aufenthaltsland richten. Der Kläger ist nicht deutscher Staatsangehöriger. Überdies ist bei der Anwendung des § 24 Abs 3 SGB XII zu beachten, dass Hilfe nach § 24 SGB XII nicht generell auf das allgemeine Lebensniveau im Aufenthaltsland beschränkt ist, sondern bei außerordentlichen Notlagen
iS von § 24 Abs 1 SGB XII auch Leistungen umfassen kann, die über den allgemeinen Standard im Aufenthaltsland hinausgehen (vgl. Coseriu in: Schlegel/Voelzke,
jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 24 SGB XII, Rn 55). Aus § 24 Abs 3 SGB XII folgt mithin nicht, dass Sozialhilfe im Ausland zwingend an den dortigen Sozialhilfesatz gekoppelt ist. Auch begegnet es
grundsätzlichen dogmatischen Bedenken, eine entsprechende Anwendung der gesetzlichen Ausnahmeregel des §
51 Abs
2 SGB I über den Wortlaut des Gesetzes hinaus allein wegen des Sinn und Zwecks (u.a. Entlastung der Sozialhilfeträger) für geboten
zu erachten. Es dürfte vielmehr dem Gesetzgeber zu überlassen sein, ob er in dem Fall, dass trotz Aufrechnung das Existenzminimum
durch einen ausländischen Leistungsträger gewährleistet wird - eine Aufrechnung begrenzen und damit - de facto - auch ausländische
Sozialleistungsträger entlasten will. Im SGB XII hat er für Fälle mit Auslandsbezug eine differenzierte Regelung in § 24 SGB XII getroffen. Für die Ver-/Aufrechnung nach dem
SGB I fehlt es an einer solchen Norm.
Aber auch nach den italienischen Regelungen ist eine Hilfebedürftigkeit des Klägers aufgrund der streitigen Verrechnung nicht
nachgewiesen. In Italien gibt es keinen einheitlichen Anspruch auf sozialhilferechtliche Leistungen (vgl: Ihre Rechte der
sozialen Sicherung in Italien, S. 23, Auflage 2013, Herausgeber: Europäische Kommission, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/employment
social/empl portal/SSRinEU/Your%20social%20security%20rights%20in%20Italy de.pdf; Stand: 27.6.2017). Ein italienisches Existenzminimum
der Höhe nach einheitlich zu beziffern, gelingt nur, wenn an die in Italien gewährte sog. "Mindestrente" angeknüpft wird.
Diese ist eine bedürftigkeitsabhängige Leistung. Deshalb darf das Gehalt von im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen bestimmte
- im Schriftsatz der DRV Schwaben vom 4.9.2015 genannte - jährlich festgelegte Grenzen nicht überschreiten.
Gemessen hieran ist nicht erwiesen, dass der Kläger nach italienischem Recht durch die Verrechnung hilfebedürftig wird. Vielmehr
ist weiter völlig unklar, über welche Einkünfte und über welches Vermögen der Kläger und seine Ehefrau tatsächlich verfügen
und welche Angaben sie dazu bei italienischen Behörden gemacht haben.
Wie bereits im erstinstanzlichen Verfahren hat der Kläger auch im Berufungsverfahren keine nachvollziehbaren und widerspruchsfreien
Angaben zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen gemacht. So hat er erstmals im Laufe des Berufungsverfahrens eingeräumt,
dass er in einer Wohnung seiner Ehefrau wohne, der ein Mehrfamilienhaus gehöre. Die behauptete Baufälligkeit dieser Immobilie,
die der Erzielung von Mieteinnahmen entgegenstehe, hat er nicht belegt. Nicht glaubhaft ist auch die Darstellung, dass der
Kläger sein Ackerland nur zur eigenen Nutzung bewirtschaftet. Nach den zur Akte gelangten Bildern, die diese Ackerfläche zeigen
sollen, ist vielmehr davon auszugehen, dass nach der Größe und dem Bewirtschaftungszustand der Ackerfläche eine maschinellen
Bewirtschaftung erforderlich ist, die nach ihrem Umfang über eine reine Eigenversorgung hinausgeht. Danach kann die Erzielung
von Gewinnen aus landwirtschaftlicher Tätigkeit zumindest nicht ausgeschlossen werden.
Entscheidend ist allerdings, dass der Kläger auch nach Aufforderung des Gerichts (mit Verfügung vom 19.7.2013) und trotz wiederholter
Erinnerung keine (Kopien der) bei den italienischen Behörden gestellten Anträge auf Sozialbeihilfe und Rente nebst Anlagen
vorgelegt hat. Die vom Kläger vorgelegte Bescheinigung der INPS vom 14.1.2013, die eine zusammenfassende Übersicht über die
im Jahr 2013 gewährten Renten beinhaltet, lässt nicht erkennen, ob bei der auf ein "Mindestentgelt" ergänzten italienischen
Altersrente die deutschen Rentenbezüge berücksichtigt worden sind, die nach Auskunft der DRV Schwaben als Einkommen in Italien
grundsätzlich anrechenbar sind. Auch die Auskünfte der INPS vom 16.8.2016 räumen die Bedenken zur Hilfebedürftigkeit nicht
aus. Die seit März 2016 gewährte Sozialbeihilfe ist nach den vorliegenden Auskünften der INPS nur auf Grundlage der italienischen
Rentenleistungen berechnet worden. Die für ausländische Rentenleistungen vorgesehene Rubrik "q.ta estera" enthält keine Angaben.
Zudem ist der Kennziffer "0" in der Rubrik "cod.imp." zu entnehmen, dass die Sozialbeihilfe seit März 2006 nur vorläufig festgesetzt
worden ist. Eine endgültige Festsetzung, die eine abschließende Beurteilung der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des
Klägers ermöglicht, ist durch die INPS offenbar noch nicht erfolgt. Vor diesem Hintergrund ist nicht einmal erkennbar, ob
sich durch die bereits seit Jahren vollzogene Verrechnung überhaupt eine Änderung der italienischen Leistungen ergibt oder
ergeben wird.
4. Der Rechtsstreit ist auch zur Entscheidung reif. Dabei kann offen bleiben, ob die zum 1.1.2005 geänderte Vorschrift des
§
51 Abs
2 SGB I eine Beibringungsobliegenheit des Leistungsempfängers begründet oder - nur eine den Amtsermittlungsgrundsatz nicht einschränkende
- Beweislastregelung enthält (in diesem letzteren Sinne wohl Pflüger, in: Schlegel/Voelzke, [...]PK-
SGB I, 2. Aufl. 2011, §
52, Rn 6, 75). Der Senat muss sich auch im letzteren Fall nicht gedrängt fühlen, von Amts wegen weitere Ermittlungen zum Vorliegen
einer Hilfebedürftigkeit des Klägers einzuleiten. Er sieht dazu keine weiteren aussichtsreichen Ermittlungsansätze. Ohne die
gebotene Mitwirkung des Klägers ist es dem Senat vielmehr unmöglich festzustellen, welche Folgen die Verrechnung auf die von
ihm in Italien bezogenen Sozialleistungen hat. Der fehlende Nachweis wirkt sich nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast
zu Lasten des Klägers aus. Dieser Grundsatz besagt, dass sich die Nichterweislichkeit einer Tatsache (hier: Hilfebedürftigkeit)
im Prozess zu Lasten desjenigen auswirkt, der daraus Rechte herleiten will.
B. Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183,
193 SGG.
C. Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht, §
160 SGG.