Anspruch auf Witwenrente; Widerlegung der gesetzlichen Vermutung einer Versorgungsehe; Wunsch nach gemeinsamem Nachnamen
Gründe:
I
Die Beklagte wendet sich gegen ihre Verurteilung zur Gewährung von Witwenrente nach dem am 9.8.2005 verstorbenen Versicherten
G. S..
Der 1939 geborene Versicherte und die 1941 geborene Klägerin hatten am 6.10.2004 geheiratet; damals litt der Versicherte an
einer chronischen Niereninsuffizienz, einem insulinpflichtigen Typ-2-Diabetes mellitus sowie an einer schwerwiegenden koronaren
Herzerkrankung mit einer deutlichen Einschränkung der Pumpleistung des Herzens; seit 1999 hatte er einen Herzschrittmacher.
Die Klägerin hat vorgetragen, sie sei seit 1968 mit ihrem Mann zusammen gewesen und habe mit ihm mehrere Gaststätten betrieben.
1976 hätten sie zusammen ein Haus gekauft, für das jedoch nur der Versicherte als Eigentümer eingetragen worden sei. In dem
Haus sei sie seit 1992 gemeldet gewesen; sie habe mit ihm in einer eheähnlichen Gemeinschaft gelebt. Zunächst habe keine Veranlassung
für eine Heirat bestanden, zumal in der DDR das Zusammenleben als unverheiratetes Paar kein Problem gewesen sei. Ausschlaggebend
für den im Frühjahr 2004 gefassten Heiratsentschluss sei jedoch die Erfahrung gewesen, dass der fehlende gemeinsame Name bei
den Gruppenbusreisen, an denen sie mehrfach teilgenommen hätten, Probleme gemacht habe. Beide hätten mit der Heirat im Wesentlichen
einen gemeinsamen Nachnamen begründen wollen. Bis zu seinem Tod sei der Versicherte noch aktiv gewesen und habe noch selbst
Auto gefahren; im Februar 2005 hätten beide eine Busreise nach Spanien unternommen, und im Juni 2005 seien sie noch in Österreich
und Ungarn gewesen.
Nach der Einlieferung in ein Krankenhaus am 7.8.2005 verstarb der Versicherte am 9.8.2005 an den Folgen eines Multiorganversagens
im Zusammenhang mit einer Sepsis. Hierbei handelte es sich nach ärztlicher Beurteilung um ein Akutereignis; die Todesfolge
war bis 24 Stunden vorher nicht vorhersehbar. Im sozialgerichtlichen Verfahren hat die Klägerin angegeben, sie beziehe - ohne
weitere Einkünfte - eine Altersrente in Höhe von ca 728 Euro monatlich; der Versicherte habe zuletzt eine Rente in Höhe von
monatlich ca 977 Euro erhalten. Ein Testament sei nicht vorhanden; sie habe in Erbengemeinschaft mit den beiden Söhnen des
Versicherten geerbt.
Den Antrag der Klägerin vom 16.8.2005 auf Hinterbliebenenrente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 6.1.2006 und Widerspruchsbescheid
vom 9.10.2006 ab, weil die Ehe entgegen den Anforderungen des §
46 Abs
2a des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (
SGB VI) nicht ein Jahr gedauert habe und keine besonderen Umstände vorlägen, welche die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe
widerlegten.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 5.7.2007 die Beklagte zur Gewährung von Witwenrente verurteilt. Das Landessozialgericht
(LSG) hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 17.7.2008 zurückgewiesen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, der nach
§
46 Abs
2a SGB VI erforderliche Gegenbeweis sei erbracht. Mit der Heirat hätten die Klägerin und der Versicherte nicht den alleinigen oder
überwiegenden Zweck verfolgt, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Der Senat sei davon überzeugt, dass
die Klägerin bei Heirat keine Versorgungsabsichten gehabt habe und der Versicherte sie nicht ausschließlich aus dem Grund
geheiratet habe, um zu ihren Gunsten einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Vielmehr sei die Absicht,
einen gemeinsamen Ehenamen zu führen, als das Hauptmotiv der Eheschließung anzusehen; dieser Grund habe für die Klägerin und
den Versicherten eine derartige Dominanz gehabt, dass deswegen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung kein Raum mehr für die Annahme
einer überwiegenden Absicht bleibe, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Dies gelte auch für den Fall,
dass der Versicherte mit der Heirat der Klägerin auch die Absicht verfolgt haben sollte, für sie einen Hinterbliebenenanspruch
zu begründen. Aus den konkreten Umständen der Eheschließung ergebe sich nichts Gegenteiliges. Dies gelte insbesondere für
die langjährige eheähnliche Beziehung und den Gesundheitszustand des Versicherten; insoweit spreche nichts dafür, dass jedenfalls
die Klägerin mit einem alsbaldigen Versterben des Versicherten gerechnet und aus diesem Grund geheiratet habe.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der Vorschriften des §
46 Abs
2a SGB VI und §
128 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG). Sie würdigt das Gesamtergebnis des Verfahrens dahingehend, dass die Klägerin den Nachweis des Vorliegens "besonderer Umstände",
die die Rechtsvermutung des §
46 Abs
2a SGB VI widerlegten, nicht erbracht habe. Es sei ausgesprochen unwahrscheinlich und widerspreche jeglicher Lebenserfahrung, dass
das Hauptmotiv für eine Eheschließung nach einer dreieinhalb Jahrzehnte währenden Beziehung, in der die Notwendigkeit einer
Eheschließung und des Tragens eines gemeinsamen Namens nicht gesehen worden sei, nunmehr der Wunsch gewesen sein solle, einen
solchen zu führen. Auch stelle die Versorgung der Klägerin durch ihre Altersrente und ihren Erbanteil an Haus und Grundstück
keinen "besonderen Umstand" iS des §
46 Abs
2a SGB VI dar. Heutzutage habe praktisch jede Frau im Alter von über 30 Jahren eine selbst erworbene Rentenanwartschaft. Würde man
diese als "besonderen Umstand" ausreichen lassen, hätte dies zur Folge, dass die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe
fast ausnahmslos widerlegt sei; aus dem vom Gesetzgeber vorgesehenen Ausnahmefall würde also der Regelfall werden. Es handele
sich insgesamt geradezu um den "klassischen" Fall einer Versorgungsehe. Jedenfalls sei es der Klägerin entgegen den Feststellungen
der Vorinstanz nicht gelungen, den Nachweis zu erbringen, dass die Annahme nicht gerechtfertigt sei, dass der alleinige oder
überwiegende Zweck ihrer Eheschließung mit dem Versicherten gewesen sei, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 17.7.2008 sowie das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5.7.2007
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor, dass bereits der plötzliche und unvorhersehbare Tod des Versicherten als besonderer, die Vermutung des §
46 Abs
2a SGB VI widerlegender Umstand anzusehen sei. Stelle man nicht bereits hierauf ab, sei davon auszugehen, dass der Heiratsentschluss
auf der Motivation beruht habe, einen gemeinsamen Ehenamen zu führen. Dem widerspreche auch nicht die Multimorbidität des
Versicherten, weil weder er noch sie von einem lebensbedrohlichen Gesundheitszustand ausgegangen seien.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§
124 Abs
2 SGG) einverstanden erklärt.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet.
Der Klägerin steht der von den Vorinstanzen bereits zugesprochene Anspruch auf Witwenrente (konkret: große Witwenrente nach
§
46 Abs
2 Satz 1 Nr
2 SGB VI), beginnend am 1.9.2005 (§
99 Abs
2 Satz 1
SGB VI) zu.
Der Leistungsausschlussgrund des §
46 Abs
2a SGB VI (hierzu im Einzelnen Senatsurteil vom 5.5.2009 - B 13 R 53/08 R, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) liegt bei der Klägerin nicht vor. Nach dieser Vorschrift haben zwar
Witwen keinen Anspruch auf Witwenrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat (Regeltatbestand); die Klägerin
erfüllt jedoch den Ausnahmetatbestand, "dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist,
dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen".
Die tatsächlichen Feststellungen des LSG tragen seine entsprechende Schlussfolgerung; Rechtsfehler sind ihm nicht zur Last
zu legen. Das LSG hat aufgrund der Beweisaufnahme, insbesondere auch der nicht nur erst-, sondern auch zweitinstanzlich durchgeführten
persönlichen Anhörung der Klägerin festgestellt, dass bei ihrer Heirat mit dem Versicherten eben nicht allein oder überwiegend
der Zweck verfolgt wurde, einen Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Im Vordergrund stand vielmehr
der Wunsch beider, einen gemeinsamen Nachnamen zu tragen. Insbesondere hatte die Klägerin hiernach bei der Heirat keine Versorgungsabsichten;
auch wenn für den Versicherten die Absicht der Begründung einer Hinterbliebenenversorgung zu Gunsten der Klägerin nicht auszuschließen
ist, war doch auch für ihn das Tragen eines gemeinsamen Nachnamens ein gewichtiger Beweggrund für die Heirat. Insgesamt steht
damit dieser für beide Eheleute wesentliche Beweggrund neben der allenfalls allein beim Versicherten zu unterstellenden Versorgungsabsicht
und überwiegt diese. Diese Feststellungen sind für den Senat bindend, weil sie die Beklagte nicht mit zulässigen und begründeten
Revisionsgründen angegriffen hat (§
163 SGG).
Die Beklagte hat zwar versucht, umfangreich zu begründen, warum sie aufgrund der Umstände des Falles zu einer anderen rechtlichen
Würdigung kommt. Hierin liegt jedoch keine schlüssige Verfahrensrüge, die nach §
164 Abs
2 SGG Voraussetzung einer entsprechenden revisionsgerichtlichen Prüfung ist. Angebliche Fehler der Beweiswürdigung begründen keinen
von Amts wegen zu berücksichtigen Verfahrensmangel, der bis in die Revision fortwirkt. Nach der Vorschrift des §
128 Abs
1 SGG (freie Beweiswürdigung) entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung.
Dies schließt von vornherein aus, einen Verstoß gegen diese Bestimmung mit dem Vorwurf zu begründen, die Beweiswürdigung sei
im Ergebnis unrichtig ausgefallen. Vielmehr sind die Grenzen der freien Beweiswürdigung nur dann überschritten, wenn sie gegen
gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze, Naturgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt oder wenn das Gericht das Gesamtergebnis
des Verfahrens nicht ausreichend berücksichtigt (stRspr, zB BSG vom 7.2.2002, SozR 3-4100 § 128 Nr 15; zuletzt BSG vom 2.4.2009
- B 2 U 7/08 R, - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 3 RdNr 24, jeweils mwN). Einen entsprechenden Vortrag enthält die Revisionsbegründung der
Beklagten auch nicht ansatzweise.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §
193 SGG.