Elterngeld
Verfahrensrüge
Mindestinhalt eines Urteils
Bezugnahme auf das Berufungsurteil
Verletzung rechtlichen Gehörs
1. Zum Mindestinhalt eines Urteils, der durch eine Bezugnahme auf vorinstanzliche Entscheidungen, Akten u.a. Unterlagen nicht
ersetzt werden kann, gehört die Angabe der angewandten Rechtsnormen und der für erfüllt bzw. nicht gegeben erachteten Tatbestandsmerkmale
sowie der dafür ausschlaggebend gewesenen tatsächlichen und rechtlichen Gründe.
2. Es steht im freien Ermessen des LSG, ob es gemäß §
153 Abs.
2 SGG verfährt; das Berufungsgericht kann auf diese Vorschrift stets dann zurückgreifen, wenn das Urteil des SG ausreichende Entscheidungsgründe i.S. des §
136 Abs.
1 Nr.
6 SGG enthält und es lediglich aus diesen Gründen die Berufung zurückweisen will.
3. Dann vermeidet es, dem Normzweck der Vorschriften entsprechend, die Argumente der Vorinstanz schlicht zu wiederholen.
4. Nur wenn ein Beteiligter im Berufungsverfahren neue rechtserhebliche Tatsachen oder substantiierte Einwendungen gegen die
erstinstanzlichen Entscheidungsgründe vorgebracht oder entsprechende Beweisanträge gestellt hat, muss sich das LSG in jedem
dieser Fälle damit auseinandersetzen.
5. In solchen Fällen genügt eine bloße Bezugnahme gemäß §
153 Abs.
2 SGG nicht; sie würde neues rechtserhebliches Vorbringen übergehen und damit das rechtliche Gehör (§
62 SGG, Art.
103 Abs.
1 GG) des betreffenden Beteiligten verletzen.
Gründe:
I
Die Klägerin begehrt höheres Elterngeld.
Die selbständig tätige Klägerin ist Mutter einer am 4.2.2010 geborenen Tochter. Der Beklagte bewilligte und zahlte ihr vorläufig
Elterngeld ab dem zweiten Lebensmonat von 1474 Euro. Die Berechnung erfolgte auf der Grundlage einer Gewinnermittlung nach
§
4 Abs
3 Einkommensteuergesetz für das Jahr 2009 und eines voraussichtlichen Einkommens im Bezugszeitraum in Höhe von 700 Euro. Nach Vorlage weiterer Unterlagen
senkte der Beklagte das Elterngeld endgültig auf nur noch 903,42 Euro monatlich ab und forderte die Überzahlung in Höhe von
5705,80 Euro (später reduziert auf 4335,40 Euro) zurück (Bescheid vom 12.7.2011, Teilabhilfebescheid vom 24.2.2012, Widerspruchsbescheid
vom 8.5.2012).
Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage machte die Klägerin vorrangig geltend, der Beklagte habe bei der Einkommensberechnung
die auf ihr Einkommen entfallenden Steuern im Bezugszeitraum zu niedrig angesetzt. Zugrunde zu legen seien nicht die vorläufig
geleisteten Steuervorauszahlungen, sondern die später tatsächlich im Steuerbescheid festgesetzte Steuerschuld.
Das SG hat die Klage abgewiesen. Es hat ua ausgeführt, der Beklagte habe die anteilige Steuerlast zu Recht dem Steuervorauszahlungsbescheid
vom 17.3.2010 entnommen. Soweit die Klägerin demgegenüber der Auffassung sei, die zu berücksichtigende Steuerlast sei höher,
lasse sich dies anhand der im Verfahren vorgelegten Steuerunterlagen in keiner Weise nachvollziehen. Der zur Begründung insoweit
herangezogene endgültige Steuerbescheid für das Jahr 2010 enthalte zwar möglicherweise andere Zahlen, sei aber insoweit nicht
maßgeblich (Urteil vom 9.3.2016).
Das LSG hat die Berufung der Klägerin mit der Begründung als unbegründet zurückgewiesen, es sei kein Grund für eine rechtliche
oder tatsächliche Falschbehandlung der Sache in der ersten Instanz ersichtlich. Auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen
Urteils werde Bezug genommen. Ergänzend werde auf das Senatsurteil vom 27.4.2013 - L 13 EG 55/09 - verwiesen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Sie macht als Verfahrensfehler geltend, das LSG-Urteil sei nicht mit Gründen versehen.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil
der behauptete Verfahrensmangel nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl §
160a Abs
2 S 3
SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 1
SGG), so müssen bei der Bezeichnung dieses Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 S 3
SGG) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden.
Daran fehlt es hier. Die Beschwerde hat den behaupteten Verstoß gegen §
136 Abs
1 Nr
6 SGG iVm §
153 Abs
1 und
2 SGG und damit auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerin nicht hinreichend substantiiert Rechnung dargetan.
Nach der von der Beschwerde zitierten Rechtsprechung des BSG zu §
136 Abs
1 Nr
6 SGG müssen die Entscheidungsgründe im Regelfall zu allen entscheidungserheblichen Streitpunkten die Erwägungen, die zum Urteilsausspruch
des Gerichts geführt haben, enthalten. Zum Mindestinhalt eines Urteils, der durch eine Bezugnahme auf vorinstanzliche Entscheidungen,
Akten ua Unterlagen nicht ersetzt werden kann, gehört danach die Angabe der angewandten Rechtsnormen und der für erfüllt bzw
nicht gegeben erachteten Tatbestandsmerkmale sowie der dafür ausschlaggebend gewesenen tatsächlichen und rechtlichen Gründe
(vgl BSG SozR 1500 § 136 Nr 8 und 10; SozR 2200 § 1246 Nr 152 sowie BSG SGb 1998, 13).
Wie die Beschwerde indes nicht ausreichend berücksichtigt, gelten diese Begründungsanforderungen nicht im geschilderten Umfang,
wenn das LSG rechtsfehlerfrei von der in §
153 Abs
2 SGG vorgesehenen Verweisungsmöglichkeit Gebrauch macht. Die Vorschrift soll dem Berufungsgericht "überflüssige Formulierungs-
und Schreibarbeit" ersparen, wenn und soweit das LSG die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurückweist, die
die Beteiligten bereits kennen (vgl Bley in Peters/Sautter/Wolff, Komm zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl, § 153 RdNr 11,
13, Stand März 1993; BT-Drucks 12/1217 S 52 zu Nr 7 Buchst b und BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 3).
Es steht im freien Ermessen des LSG, ob es gemäß §
153 Abs
2 SGG verfährt. Das Berufungsgericht kann auf diese Vorschrift stets dann zurückgreifen, wenn das Urteil des SG ausreichende Entscheidungsgründe iS des §
136 Abs
1 Nr
6 SGG enthält und es lediglich aus diesen Gründen die Berufung zurückweisen will. Dann vermeidet es, dem Normzweck der Vorschriften
entsprechend, die Argumente der Vorinstanz schlicht zu wiederholen.
Nur wenn ein Beteiligter im Berufungsverfahren neue rechtserhebliche Tatsachen oder substantiierte Einwendungen gegen die
erstinstanzlichen Entscheidungsgründe vorgebracht oder entsprechende Beweisanträge gestellt hat, muss sich das LSG in jedem
dieser Fälle damit auseinandersetzen (vgl BSG SozR 3-1500 §
153 Nr 3). In solchen Fällen genügt eine bloße Bezugnahme gemäß §
153 Abs
2 SGG nicht. Sie würde neues rechtserhebliches Vorbringen übergehen und damit das rechtliche Gehör (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG) des betreffenden Beteiligten verletzen (Senat Urteil vom 28.4.1999 - B 9 VG 7/98 R - Juris mwN).
Indes legt die Beschwerde nicht dar, das SG-Urteil enthalte keine ausreichenden Gründe. Ebenso wenig trägt die Klägerin substantiiert vor, welche rechtserheblichen neuen
Tatsachen oder stichhaltigen Einwendungen sie mit der Berufung vorgebracht hat, auf die das LSG zwingend hätte eingehen müssen.
Die Klägerin verweist zwar auf ihren Vortrag zu ihrem endgültigen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2010, in dem sie das
Elterngeld bezogen hat. Diesen Bescheid (vom 8.6.2012) habe die Berufungsschrift erstmals vorgelegt und damit als neue Tatsache
in den Rechtsstreit eingeführt. Allerdings legt sie nicht dar, warum die Vorlage des nach ihren Ausführungen bereits in den
erstinstanzlichen Entscheidungsgründen genannten Steuerbescheids rechtserheblich gewesen sein sollte. Maßgeblich für die Prüfung
einer möglichen entscheidungsrelevanten Gehörsverletzung ist die (zutreffende) Rechtsansicht des SG, der sich das LSG angeschlossen hat. Danach kam es aber wegen der von der Klägerin im Bezugszeitraum geleisteten Steuervorauszahlungen
auf die spätere endgültige Steuerfestsetzung nicht mehr an. Nach dem maßgeblichen § 2 Abs 8 S 4 BEEG (idF vom 28.3.2009) galten bei der Berechnung von Einkommen im Bezugszeitraum als auf den Gewinn entfallende Steuern im Falle
einer Steuervorauszahlung der auf die Einnahmen entfallende monatliche Anteil der Einkommensteuer einschließlich Solidaritätszuschlag
und Kirchensteuer. Die gesetzliche Vermutung zielte ersichtlich auf eine rasche Erfüllung des Elterngeldanspruchs ab. Sie
ließ deshalb - anders als § 2 Abs 9 S 1 BEEG (idF vom 28.3.2009) für die Berechnung des vorgeburtlichen Einkommens - die endgültige Steuerfestsetzung außer Betracht.
Angesichts dessen fehlt es an der Darlegung, warum das LSG trotzdem zwingend auf den erst im Jahr 2012 ergangenen, endgültigen
Steuerbescheid der Klägerin für das Jahr 2010 hätte eingehen müssen.
Schließlich führt die Beschwerde als vermeintlichen Begründungsmangel an, das LSG habe zur Begründung auf sein Urteil vom
27.4.2013 - L 13 EG 55/09 - verwiesen; unter diesem Datum sei aber kein Urteil ergangen. Indes hat die Klägerin nach dem Beschwerdevortrag bereits
mit ihrer Berufung selber das Urteil mit dem Aktenzeichen L 13 EG 55/09 zitiert, welches das LSG am 27.4.2010 (nicht 2013) gesprochen hatte. Das LSG hat damit zwar in den Urteilsgründen das Datum
der bezogenen Entscheidung falsch bezeichnet. Ein Verfahrensmangel liegt darin jedoch nicht. Beide Beteiligten und das Gericht
kannten das richtige Datum; die Falschbezeichnung war bereits deshalb unschädlich. Wie ausgeführt, fehlen Entscheidungsgründe
nicht schon dann, wenn diese sachlich unvollständig, unzureichend, unrichtig oder sonst rechtsfehlerhaft sind (BSG SozR Nr 79 zu §
128 SGG; BSG vom 6.2.2003 - B 7 AL 32/02 B; BSG vom 12.2.2004 - B 4 RA 67/03 B - jeweils mwN).
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 S 1 Halbs 2, §
169 SGG).
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §
193 SGG in entsprechender Anwendung.