Anspruch auf Bewilligung einer Lichtsignalanlage für eine hochgradig Schwerhörige als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung
Gründe:
I
Streitig ist die Bewilligung einer Lichtsignalanlage als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für eine hochgradig
schwerhörige Versicherte.
Die 1963 geborene Klägerin leidet an einer hochgradigen, an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit. Akustische Signale wie zB
eine Türklingel kann sie auch mit Hörgeräten nicht wahrnehmen. Ende Dezember 2005 beantragte sie mit vertragsärztlicher Verordnung
die Versorgung mit einer Lichtsignalanlage, die akustische Signale mittels Blitzlampen in optische Signale umwandelt. Nach
dem beigefügten Kostenvoranschlag eines Hörgeräteakustikers vom 22.12.2005 sollte die Lichtsignalanlage aus folgenden Einzelteilen
bestehen: 1 TAE-Dreifachadapter zu 13,50 Euro; 1 Türklingelkabel galvanisch, 10 Meter, zu 9,20 Euro; 1 Lisa time Universalwecker
zu 212 Euro; 1 Kombisender galvanisch zu 156 Euro; 1 Telefonkabel galvanisch, 10 Meter, zu 7,30 Euro; 1 Vibrationskissen nebst
3 Mignon-Batterien zu 34 Euro sowie 3 Blitzlampen Standard zu 348 Euro. Insgesamt ergaben sich Kosten in Höhe von 780 Euro.
Die beklagte Krankenkasse lehnte den Leistungsantrag ab (Bescheid vom 27.1.2006, Widerspruchsbescheid vom 22.2.2006). Das
SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 31.5.2007): Die Lichtsignalanlage könne von der Klägerin bei einem Wohnungswechsel nicht
mitgenommen werden, weil nach der gewählten Ausführung eine Kabelverbindung zwischen Sender und Türklingel erforderlich sei.
Bei der Lichtsignalanlage handele es sich also nicht um ein Hilfsmittel der GKV, sondern um eine - in die Zuständigkeit der
Pflegekassen fallende - Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes (§
40 Abs
4 SGB XI); nur wegen der individuellen Wohnsituation würden drei Blitzlampen benötigt. Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG das
erstinstanzliche Urteil geändert und die Beklagte verurteilt, die Kosten für die Lichtsignalanlage gemäß Kostenvoranschlag
vom 22.12.2005 zu übernehmen (Urteil vom 25.2.2009): Die Lichtsignalanlage sei nicht fest mit dem Wohngebäude verbunden und
könne in jeder anderen Wohnung mit im Wesentlichen unveränderter Ausführung eingesetzt werden, sodass die Anlage ein Hilfsmittel
der GKV darstelle (§
33 SGB V, §
31 SGB IX). Die Leistungspflicht der Beklagten sei auch nicht eingeschränkt, weil die Ausstattung mit drei Blitzlampen nicht unverhältnismäßig
sei.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung von §
33 SGB V. Unter Berücksichtigung der vom LSG festgestellten Tatsachen müsse davon ausgegangen werden, dass die Lichtsignalanlage fest
mit dem Gebäude verbunden sei; diese könne folglich kein Hilfsmittel der GKV sein. Eine Leistungspflicht nach §
33 SGB V scheide zudem deshalb aus, weil die Lichtsignalanlage als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen
sei. Vergleichbare - aber deutlich preiswertere - Geräte würden in Arbeitsbereichen mit hohem Lärmpegel sowie in Tonstudios
und Callcentern zum Einsatz kommen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 25.2.2009 zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Aurich
vom 31.5.2007 zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision der Beklagten hat insoweit Erfolg, als das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung
und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen war (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG). Zwar steht der Klägerin grundsätzlich ein Anspruch gegen die Beklagte auf Versorgung mit einer Lichtsignalanlage zu, weil
es sich um ein Hilfsmittel der GKV iS des §
33 Abs
1 SGB V handelt, das seiner Art und Funktion nach im Fall der Klägerin zum Behinderungsausgleich auch geeignet und notwendig ist.
Es lässt sich den bisher getroffenen Feststellungen des LSG aber nicht entnehmen, ob zum Behinderungsausgleich sämtliche Komponenten
der Lichtsignalanlage erforderlich sind, die im Kostenvoranschlag vom 22.12.2005 aufgeführt sind. Das LSG hat die Beklagte
zur Hilfsmittelversorgung gemäß diesem Kostenvoranschlag verurteilt, ohne auf die Erforderlichkeit der einzelnen Komponenten
näher einzugehen. Außerdem ist zu klären, ob es zu den einzelnen Komponenten - deren Erforderlichkeit unterstellt - preisgünstigere,
aber ebenso geeignete Alternativen gibt, wovon die Beklagte ausgeht. Diese Feststellungen hat das LSG im erneut durchzuführenden
Berufungsverfahren nachzuholen.
1. Streitgegenstand ist der Anspruch auf Versorgung mit einer Lichtsignalanlage in Form sämtlicher Einzelbestandteile, wie
sie im Kostenvoranschlag vom 22.12.2005 aufgeführt und in einem inhaltsgleichen Kostenvoranschlag vom 2.1.2006 wiederholt
worden sind. Nicht zum Streitgegenstand gehören hingegen zwei "Bescheide" der Beklagten vom 27.12.2005, mit denen zum Einen
die Versorgung der Klägerin mit einem Lichtwecker für 95 Euro bewilligt und zum Anderen die Versorgung mit den übrigen Komponenten
der Lichtsignalanlage abgelehnt werden sollte. Diese "Bescheide" haben das Stadium eines Entwurfs nicht überschritten, sind
der Klägerin nicht bekannt gegeben (§ 37 SGB X) und deshalb auch nicht wirksam geworden (§ 39 SGB X). Sie finden sich dementsprechend nur als Entwürfe in den Verwaltungsakten. Die Klägerin ist mit dem Lichtwecker auch nicht
versorgt worden. Grund für die unterbliebene Bekanntgabe beider Bescheide war die Unklarheit der ersten von der Klägerin eingereichten
vertragsärztlichen Verordnung vom 19.12.2005, in der lediglich von einer "Licht-Blitz-Anlage" die Rede ist, also nicht der
für Hörgeräteakustiker feststehende Begriff der "Lichtsignalanlage" benutzt worden war. Im Hilfsmittelverzeichnis (HMV, §
139 SGB V) wird zur Kennzeichnung der betroffenen Untergruppe 16.99.09 der Produktgruppe 16 "Kommunikationshilfen" der Begriff der
"Signalanlagen für Gehörlose" verwandt. Auf Veranlassung der Beklagten ist die unklare Verordnung vom 19.12.2005 vernichtet
und durch die durch zweite vertragsärztliche Verordnung vom 29.12.2005 ersetzt worden, in der es - hilfsmittelrechtlich korrekt
- "1 Lichtsignalanlage bei D: hochgradiger, an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit" heißt. Nur um diese zweite Verordnung,
deren Umsetzung die Beklagte insgesamt abgelehnt hat, streiten die Beteiligten im vorliegenden Rechtsstreit. Mit ihrem Klageabweisungs-
und Revisionsantrag hat die Beklagte zudem bekräftigt, dass sie dem entworfenen Teil-Bewilligungsbescheid hinsichtlich des
Lichtweckers auch nicht nachträglich zur Wirksamkeit (§§ 37, 39 SGB X) verhelfen will.
2. Rechtsgrundlage des Versorgungsanspruchs ist §
33 SGB V in der ab 1.4.2007 geltenden Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26.3.2007 (BGBl I 378), weil bei Leistungsklagen,
auch wenn sie - wie hier - mit einer Anfechtungsklage verbunden sind, grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung
maßgebend ist (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl 2008, § 54 RdNr
34 mwN). Nach §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die
im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder
eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen
oder nach §
34 Abs
4 SGB V ausgeschlossen sind. Nach §
33 Abs
1 Satz 4
SGB V umfasst der Anspruch auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln, die Ausbildung
in ihrem Gebrauch und, soweit zum Schutz der Versicherten vor unvertretbaren gesundheitlichen Risiken erforderlich, die nach
dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und technischen
Kontrollen. Im vorliegenden Fall geht es um die Variante der Erstausstattung mit einem Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich.
Deren Tatbestandsvoraussetzungen sind hier dem Grunde nach erfüllt.
3. Die Leistungsablehnung ist rechtswidrig, weil eine Lichtsignalanlage hier zum Behinderungsausgleich erforderlich ist. Dieser
in §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V als 3. Variante genannte Zweck (vgl jetzt auch §
31 Abs
1 Nr
3 SGB IX) eines von der GKV zu leistenden Hilfsmittels hat zweierlei Bedeutung:
a) Im Vordergrund steht der Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst. Bei diesem unmittelbaren
Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung
des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Die gesonderte Prüfung, ob mit der vorgesehenen Verwendung
ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist, entfällt, weil sich die unmittelbar auszugleichende Funktionsbeeinträchtigung
selbst immer schon auf ein Grundbedürfnis bezieht; die Erhaltung bzw Wiederherstellung einer Körperfunktion ist als solche
ein Grundbedürfnis (vgl BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 24 RdNr 18 ff zur Versorgung mit einer Badeprothese, die dem - von den normalen
Beinprothesen nicht gewährleisteten - sicheren Gehen und Stehen in Nassbereichen dient und deshalb unabhängig davon beansprucht
werden kann, dass das Schwimmen eine Freizeitbetätigung darstellt, die nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen
Lebens gehört). Der Frage nach der Erfüllung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens kommt beim unmittelbaren
Behinderungsausgleich erst dann Bedeutung zu, wenn es nicht um die erstmalige Behebung eines Funktionsdefizits geht und auch
nicht um die reine Ersatzbeschaffung (was bei der Versorgung mit einer Badeprothese in BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 24 der Fall
war und von Knispel SGb 2010, 359 ff übersehen worden ist), sondern um die Versorgung eines für den Behinderungsausgleich bereits ausreichend ausgestatteten
Versicherten mit einem zweiten Hilfsmittel gleicher Art als bloße Zweitausstattung (Reservehaltung), für einen speziellen
Zweck (zB Sportbrille für Schüler, BSG SozR 2200 § 182 Nr 73) oder mit einem technisch weiter entwickelten Hilfsmittel (zB
computergestütztes statt mechanisches Kniegelenksystem). Dabei kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch
weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend,
solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht
ist (BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8, RdNr 4 - C-leg-Prothese). Die Wirtschaftlichkeit eines dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dienenden
Hilfsmittels ist grundsätzlich zu unterstellen und erst zu prüfen, wenn zwei tatsächlich gleichwertige, aber unterschiedlich
teure Hilfsmittel zur Wahl stehen.
b) Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen (sog mittelbarer
Behinderungsausgleich). In diesem Rahmen ist die GKV allerdings nur für den Basisausgleich der Folgen der Behinderung eintrittspflichtig.
Es geht dabei nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten
eines gesunden Menschen. Denn Aufgabe der GKV ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation (vgl §
1 SGB V sowie §
6 Abs
1 Nr
1 iVm §
5 Nr
1 und
3 SGB IX), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des
Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber
hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel
zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von der GKV daher nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten
täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Nach ständiger
Rechtsprechung gehören zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen,
Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen
eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (BSGE 93, 176, 180 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7; BSGE 91, 60, 63 = SozR 4-2500 § 33 Nr 3; BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 14; stRspr). Zum Grundbedürfnis der Erschließung eines geistigen Freiraums
gehört ua die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen Menschen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen
Grundwissens bzw eines Schulwissens (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29 und 46; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 11 RdNr 18). Zum körperlichen
Freiraum gehört - im Sinne eines Basisausgleichs der eingeschränkten Bewegungsfreiheit - die Fähigkeit, sich in der eigenen
Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die
- üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (zB
Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post), nicht aber die Bewegung außerhalb dieses Nahbereichs. Soweit überhaupt die
Frage eines größeren Radius über das zu Fuß Erreichbare hinaus aufgeworfen worden ist, sind schon immer zusätzliche qualitative
Momente verlangt worden (vgl BSGE 93, 176, 180 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7 - Erreichbarkeit ambulanter medizinischer Versorgung für Wachkomapatientin; BSG SozR 3-2500
§ 33 Nr 27 - Rollstuhl-Bike für Jugendliche; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 46 - behindertengerechtes Dreirad; BSG SozR 2200 § 182b
Nr 13 - Faltrollstuhl).
c) Dem Gegenstand nach besteht für den unmittelbaren ebenso wie für den mittelbaren Behinderungsausgleich Anspruch auf die
im Einzelfall ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch auf eine Optimalversorgung.
Deshalb besteht kein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, soweit die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich
funktionell in gleicher Weise geeignet ist (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 26 S 153; stRspr); andernfalls sind die Mehrkosten
gemäß §
33 Abs
1 Satz 5
SGB V (ebenso §
31 Abs
3 SGB IX) von dem Versicherten selbst zu tragen. Demgemäß haben die Krankenkassen nicht für solche "Innovationen" aufzukommen, die
keine wesentlichen Gebrauchsvorteile für den Versicherten bewirken, sondern sich auf einen bloß besseren Komfort im Gebrauch
oder eine bessere Optik beschränken (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 44; BSGE 93, 183, 188 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8).
4. Nach Maßgabe dieser Grundsätze über die Hilfsmittelversorgung im Rahmen der GKV beim unmittelbaren und mittelbaren Behinderungsausgleich
(3. Variante des §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V und des §
31 Abs
1 Nr
3 SGB IX) geht es bei einer Lichtsignalanlage für Gehörlose und hochgradig Schwerhörige nicht um einen unmittelbaren Behinderungsausgleich,
weil nicht das Hörvermögen wiederhergestellt oder gestärkt wird, wie es zB bei der Versorgung mit Hörgeräten der Fall ist.
Nicht das Hören selbst wird ermöglicht oder erleichtert, sondern das fehlende Hörvermögen durch die Nutzung des nicht beeinträchtigten
Sehvermögens kompensiert, indem akustische Signale, wie zB das Läuten der Türklingel oder des Telefons, in optische Signale
(zB Lichtblitze) umgewandelt werden. Der gehörlose Versicherte hört nicht das Läuten der Türklingel, sondern sieht, dass die
Türklingel bedient wird. Ebenso kann die Kompensation des fehlenden Hörvermögens durch die Umwandlung von akustischen in taktile
Signale erfolgen, wie es zB beim Einsatz von Vibrationskissen der Fall ist. Der Ersatz eines ausgefallenen bzw beeinträchtigten
Sinnes durch die Nutzung eines intakten anderen Sinnes stellt sich somit als mittelbarer Behinderungsausgleich dar, bei dem
- wie ausgeführt - zu prüfen ist, ob ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist.
Die Lichtsignalanlage ist erforderlich zur Verwirklichung eines solchen Grundbedürfnisses. Das selbstständige Wohnen sowie
das Kommunizieren mit anderen Menschen gehört zu diesen Grundbedürfnissen. Es geht um die passive Erreichbarkeit durch Menschen
aus dem Bereich der Außenwelt nicht nur für angemeldete, sondern gerade auch für spontane Besuche (BSG SozR 2200 § 182b Nr
33 zur Klingelleuchte). Die Verwirklichung dieses Grundbedürfnisses erfordert, dass das für Gesunde hörbare Türklingelgeräusch
in ein für die Klägerin wahrnehmbares Signal umgewandelt wird.
5. Die Lichtsignalanlage ist auch nicht als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens von der Leistungspflicht
der Krankenkassen ausgenommen (§
33 Abs
1 Satz 1, letzter Halbs
SGB V). Die Einordnung als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens hängt davon ab, ob ein Gegenstand bereits seiner
Konzeption nach den Erfolg einer Krankenbehandlung sichern oder eine Behinderung ausgleichen soll oder - falls dies nicht
so ist - den Bedürfnissen erkrankter oder behinderter Menschen jedenfalls besonders entgegenkommt und von gesunden, körperlich
nicht beeinträchtigten Menschen praktisch nicht genutzt wird (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 22 zum Personalcomputer). Was regelmäßig
auch von Gesunden benutzt wird, fällt nicht in die Leistungspflicht der Krankenkassen, wobei es auf einen bestimmten prozentual
messbaren Verbreitungsgrad in der Bevölkerung oder einen Mindestpreis nicht ankommt (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 33 zum Luftreinhaltungsgerät
II). Nicht ausschlaggebend ist, ob der Gegenstand aus Vermarktungsgründen als "medizinisches Hilfsmittel" beworben wird (BSG
SozR 3-3300 § 40 Nr 7 zum elektrisch verstellbaren Sessel).
Gegen die Einordnung der Lichtsignalanlage als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens spricht zunächst, dass
derartige Geräte in der Produktgruppe 16 im HMV der GKV (§
139 SGB V) als Kommunikationshilfe aufgeführt werden. Das HMV ist zwar nicht geeignet, Ansprüche der Versicherten im Sinne einer Positivliste auszuschließen (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 16,
20, 27; BSGE 99, 197 = SozR 4-2500 § 33 Nr 16, RdNr 20). Wenn aber ein Gegenstand im HMV gelistet ist, spricht dies im Sinne einer Orientierungshilfe zugunsten des Versicherten dafür, den Gegenstand nicht als allgemeinen
Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen. Dem Anspruch der Klägerin steht auch nicht entgegen, dass Funktürklingeln
mit optischem Signal auch von gesunden Menschen am Arbeitsplatz genutzt werden, um einen hohen Geräuschpegel zu umgehen oder
die notwendige Stille zu gewährleisten (zB Werkshallen, Callcenter, Tonstudio). Bei beruflich veranlasster Verwendung von
Klingeln mit optischem Signal handelt es sich gerade nicht um eine Nutzung als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen
Lebens, da Grund für den Einsatz allein besondere äußere Umstände des Arbeitsplatzes sind, die für das normale tägliche Leben
nicht prägend sind.
6. Die Lichtsignalanlage ist auch ein beweglicher Gegenstand iS von §
31 Abs
1 SGB IX. Von der Krankenkasse zu leistende Hilfsmittel zur medizinischen Rehabilitation iS von §
26 Abs
2 Nr
6 SGB IX - um solche handelt es sich, wenn wie hier mit dem Hilfsmittel ein Behinderungsausgleich bezweckt wird - müssen nach §
31 Abs
1 SGB IX getragen, mitgeführt oder zumindest bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden können. Der Hilfsmittelbegriff des §
31 SGB IX gibt insoweit den Regelungsgehalt des §
33 SGB V wieder, wie er auch vor Inkrafttreten des
SGB IX von der Rechtsprechung entwickelt worden ist (BSG SozR 4-2500 §
33 Nr 3 RdNr 14). Für das - hier entscheidende - Kriterium der Mitnahmemöglichkeit kommt es darauf an, ob das Gerät so in das
Gebäude eingebaut ist, dass es nach der Verkehrsauffassung auch bei einem Umzug in der alten Wohnung verbleibt und der Einbau
von Dauer ist. Kann das Gerät bei einem Wohnungswechsel ohne wesentliche verbleibenden Folgen, insbesondere ohne nennenswerte
Substanzbeeinträchtigung an Wänden, Decken und Fußböden, ausgebaut und mit vertretbarem Aufwand in einer neuen Wohnung wieder
eingebaut werden, liegt ein beweglicher Gegenstand iS von §
31 Abs
1 SGB IX vor (BSGE 101, 22 = SozR 4-3300 §
40 Nr
8, RdNr 21 - Deckenlifter). Insoweit hat die frühere Rechtsprechung des Senats, wonach keine Leistungspflicht der Krankenkassen
nach §
33 SGB V besteht, wenn eine Klingel- oder Signalleuchte mit dem Gebäude fest verbunden ist (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 30 unter teilweiser
Aufgabe von BSG SozR 2200 § 182b Nr 33, weil dort Klingelleuchten unabhängig von der Art ihres Einbaus immer als Hilfsmittel
eingestuft wurden), eine Modifizierung erfahren.
Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die begehrte Lichtsignalanlage nicht als fester Bestandteil der Wohnung anzusehen.
Nach den gemäß §
163 SGG bindenden Feststellungen des LSG besteht die Lichtsignalanlage aus beweglichen Einzelteilen, wobei die Telefonanlage und
die Türklingel mittels Kabel mit dem Sender der Lichtsignalanlage verbunden werden. Klingelkabel und Telefonkabel können ohne
größeren Aufwand wieder gelöst werden. Die vom Sender aufgenommenen Signale werden in Funkimpulse umgewandelt und über das
normale Stromnetz zum Empfänger, den Blitzlampen, übertragen. Ob für die Installation der Anlage ggf aus Sicherheitsgründen
auf die fachmännische Hilfe eines Elektrikers zurückgegriffen werden sollte, wie die Bedienungsanleitung der Lichtsignalanlage
jedenfalls bei Anschluss einer Gegensprechanlage empfiehlt, ist dabei ohne Belang. Angesichts einiger weniger Kabelverbindungen
kann es sich nur um einen zeitlich geringfügigen Aufwand handeln, der zudem einen wesentlichen Eingriff in die Bausubstanz
der Wohnung nicht erfordert. Anders wäre es beispielsweise, wenn das Verbindungskabel zwischen Türklingel und Sender unter
Putz gelegt oder durch eine Wand geführt wurde oder die Halterungen der Blitzlampen in die Wände eingelassen wären. In einem
solchen Fall wäre der Einbau der Lichtsignalanlage als Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes einzustufen,
für deren Bezuschussung die Pflegekassen zuständig sind (§
40 Abs
4 SGB XI).
7. Die Lichtsignalanlage ist auch nicht als sonstige Maßnahme zur Anpassung des individuellen Umfeldes an die Bedürfnisse
des behinderten Menschen von der Leistungspflicht der Krankenkassen ausgenommen. Über das Kriterium der Beweglichkeit iS von
§
31 Abs
1 SGB IX hinaus hat der Senat aus dem Verhältnis von §
31 Abs
1 SGB IX zu §
33 SGB V sowie in Abgrenzung zu den von der Pflegekasse als Ermessensleitung zu erbringenden Leistungen zur Verbesserung des individuellen
Wohnumfeldes nach §
40 Abs
4 SGB XI abgeleitet, dass ungeachtet ihrer Beweglichkeit diejenigen Mittel aus der Leistungspflicht der GKV ausgenommen sind, die
"sonst der Anpassung des individuellen Umfeldes an die Bedürfnisse des behinderten Menschen dienen" (BSGE 101, 22 = SozR 4-3300 § 40 Nr 8, RdNr 13 mwN - Deckenlifter). Hilfen, die auf die individuelle Wohnsituation zugeschnitten sind und
ggf gerade wegen dieser besonderen Wohnsituation benötigt werden, zählen daher ungeachtet ihrer Beweglichkeit nicht zu den
von der Krankenkasse nach §
33 SGB V zu leistenden Hilfsmitteln (zB speziell auf die Bedürfnisse von kleinwüchsigen Menschen oder Rollstuhlfahrern zugeschnittene
Möbel und Kücheneinrichtungen). Diese Eigenschaft hat die Lichtsignalanlage nicht, denn aufgrund der nahezu aufgehobenen Hörfähigkeit
der Klägerin könnte diese auch in keiner anderen Wohnung eine Türklingel oder ein Telefon akustisch wahrnehmen.
Die Lichtsignalanlage wird auch nicht deshalb zu einer Maßnahme zur Anpassung des Wohnumfeldes, weil aufgrund der individuellen
Wohnsituation der Klägerin drei Blitzlampen angeschafft werden sollen. Denn die nach §
33 SGB V zu beanspruchenden Hilfsmittel umfassen auch die im Einzelfall individuell benötigten Zubehörteile (BT-Drucks 11/2237 S 18f,
174). Die Blitzlampen sind als funktionell unselbstständige Zubehörteile anzusehen, da sie ihren Zweck nur erfüllen können,
wenn die eingehenden Signale über den Kombisender vermittelt werden. Als unselbstständiges Zubehörteil der Lichtsignalanlage
(vgl allgemein zu unselbstständigen Teilen: BSG SozR 3-3300 § 40 Nr 6 S 31 - Gegensprechanlage) teilen die Lampen den Hilfsmittelcharakter
der Anlage.
8. Ob die Klägerin Anspruch auf Versorgung im vom LSG tenorierten Umfang hat, lässt sich nach den bisherigen Feststellungen
allerdings nicht abschließend beurteilen. Die Leistungspflicht nach §
33 Abs
1 SGB V beschränkt sich auf die kostengünstigste Hilfsmittelversorgung, also auf die Versorgung des Versicherten mit ausreichenden,
zweckmäßigen und wirtschaftlichen Hilfsmitteln (§
12 Abs
1 Satz 1
SGB V). Deshalb besteht kein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, wenn für den angestrebten Nachteilsausgleich eine funktionell
ebenfalls geeignete, aber kostengünstigere Versorgung möglich ist. Es ist bereits ausgeführt worden, dass das LSG alle Komponenten
der Lichtsignalanlage, wie sie im Kostenvoranschlag vom 22.12.2005 aufgeführt sind, auf ihre Notwendigkeit und Preisgünstigkeit
hin zu prüfen hat. Zusätzlich ist aber zu beachten, dass mit der Verordnung einer Lichtsignalanlage grundsätzlich nur Anlagen
mit optischen Signalen erfasst werden. Soweit akustische durch taktile Signale ersetzt werden, wie es zB bei den Vibrationskissen
der Fall ist, handelt es sich zwar um "Signalanlagen für Gehörlose" im Sinne der Untergruppe 16.99.09 der Produktgruppe 16
("Kommunikationshilfen") des HMV, nicht aber um "Lichtsignalanlagen" im eigentlichen Sinne. Das LSG wird deshalb ebenfalls zu prüfen haben, ob das im Kostenvoranschlag
genannte Vibrationskissen, das zu den taktilen Signalgebern gehört, von der verordneten optischen Signalanlage überhaupt umfasst
ist. Dies könnte zB der Fall sein, wenn ein Vibrationskissen üblicherweise als Zubehör zu einer Lichtsignalanlage angesehen
wird (vgl zB die Produktart "Blitz- und Vibrationswecker" Nr 3000-3999 sowie die Produktart "Signalempfänger mit taktiler
Ausgabe" Nr 1000-1999).
9. Das LSG hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden.