Feststellung eines Grades der Behinderung
Verfahrensrüge
Verletzung rechtlichen Gehörs
Merkmale eines hinreichend substantiierten Beweisantrags
1. Zur Darlegung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags muss nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt
werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte Beweis erhoben werden sollte; denn Merkmal eines Beweisantrags ist eine
bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache.
2. Die Vorschrift des §
62 SGG soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder
Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten, und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis
genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird.
3. Das Gericht muss jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden; ein Verstoß gegen die Pflicht zur
Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt, z.B.
wenn ein Gericht das Gegenteil des Vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme - annimmt oder den Vortrag eines Beteiligten
als nicht existent behandelt, oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für
das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts
nicht unerheblich ist.
4. Art.
103 Abs.
1 GG schützt indes nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt.
5. Mit der Rüge einer Verletzung des Grundsatzes der Gewährung rechtlichen Gehörs kann ein Beteiligter überdies nur dann durchdringen,
wenn er vor dem LSG alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich Gehör zu verschaffen.
Gründe:
I
Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 20.4.2017 hat das LSG einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Grades der
Behinderung (GdB) von mindestens 100 anstelle eines festgestellten GdB von 60 sowie einen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen
Voraussetzungen für das Merkzeichen "B" ab Februar 2012 verneint. Der Kläger habe ab dem 1.2.2012 keinen Anspruch auf Festsetzung
eines höheren GdB als 60, insoweit habe der Beklagte der wesentlichen Änderung im Behinderungszustand des Klägers iS von §
48 Abs 1 S 1 SGB X gegenüber dem Zustand, der der letzten Feststellung des GdB mit Bescheid vom 6.7.2011 zugrunde gelegen habe, bereits zutreffend
Rechnung getragen. Ein höherer GdB als 60 könne auf Grund der Verschlimmerung der Behinderungen nicht erkannt werden. Der
Kläger habe darüber hinaus keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "B".
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt und diese mit dem Vorliegen von Verfahrensfehlern (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) begründet.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Keiner
der in §
160 Abs
2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ist ordnungsgemäß dargetan worden (§
160a Abs
2 S 3
SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert
dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen
materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht
(vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 S 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Den sich daraus ergebenden Anforderungen ist die Beschwerdebegründung nicht gerecht geworden.
a) Der Kläger hat bereits selbst nicht behauptet, dass er einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt habe. Zur Darlegung
eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags muss nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt werden, über welche
im Einzelnen bezeichneten Punkte Beweis erhoben werden sollte. Denn Merkmal eines Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung
und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
b) Des Weiteren rügt der Kläger ausdrücklich eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG). Die Vorschrift des §
62 SGG soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder
Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (s §
128 Abs
2 SGG; vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19; BVerfGE 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird
(BVerfGE 22, 267, 274; 96, 205, 216 f). Das Gericht muss jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden. Ein Verstoß
gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen
des Falles ergibt (BVerfGE aaO), zB wenn ein Gericht das Gegenteil des Vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme -
annimmt oder den Vortrag eines Beteiligten als nicht existent behandelt (vgl BVerfGE 22, 267, 274), oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler
Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist (BVerfGE
86, 133, 146). Art
103 Abs
1 GG schützt indes nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (BVerfGE 64, 1, 12; 76, 93, 98). Mit der Rüge einer Verletzung des Grundsatzes der Gewährung rechtlichen Gehörs kann ein Beteiligter überdies
nur dann durchdringen, wenn er vor dem LSG alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich Gehör zu verschaffen (vgl Keller in
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
62 RdNr 11a mwN).
Dass der anwaltlich vertretene Kläger im Berufungsverfahren diesen Anforderungen genügt hat, ist seinem Beschwerdevorbringen
nicht hinreichend zu entnehmen. Mit der Angabe, sowohl das SG als auch das LSG hätten im Hinblick auf das Asperger-Syndrom zu Unrecht keine weitere Sachaufklärung betrieben und dem Kläger
nicht die Möglichkeit eingeräumt, weitere Funktionseinschränkungen zu schildern, ist eine Verletzung des §
62 SGG nicht ausreichend dargelegt. Der Kläger hat nicht ausgeführt, inwiefern er sich selbst vor dem LSG hinreichend um eine Gewährung
rechtlichen Gehörs bemüht habe (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22 S 35) und welcher konkrete Vortrag von ihm noch gemacht worden wäre. Tatsächlich ist der Kläger auch vor dem LSG durch
einen Prozessbevollmächtigten vertreten gewesen, der entsprechende Angaben und Äußerungen zu eventuell weiter zu berücksichtigenden
funktionellen Einschränkungen hätte abgeben können, etwa durch Vorlage eines aktuellen Arztberichts.
Soweit der Kläger ausdrücklich als Verfahrensmangel rügt, das LSG habe die sich aus §
112 Abs
2 SGG ergebenden Pflichten zur Hinwirkung auf sachdienliche Anträge und zur Erörterung des Sach- und Streitverhältnisses verletzt,
handelt es sich sachlich gleichfalls um eine Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§
62 SGG; Art
103 Abs
1 GG; vgl BSG Beschluss vom 30.10.2013 - B 9 V 6/13 B - Juris). Auch insoweit reichen allerdings die Darlegungen des Klägers in seiner Beschwerdebegründung nicht aus. Ein Beteiligter
kann mit seiner Beschwerde diesbezüglich nur durchdringen, wenn er vor dem LSG alle prozessuale Möglichkeiten ausgeschöpft
hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl Keller, aaO, § 62 RdNr 11a, d mwN). Weshalb der Kläger hieran gehindert
gewesen sein sollte, legt er nicht hinreichend dar. Insbesondere hat der anwaltlich vertretene Kläger keine hinreichenden
Tatsachen für die Annahme einer sogenannten Überraschungsentscheidung (etwa iS von §
139 Abs
2 ZPO) vorgetragen. Hierzu hätte der Kläger vorbringen müssen, dass er unter keinen Umständen mit der vom LSG getroffenen Sachentscheidung
habe rechnen können. Es besteht nämlich insbesondere gegenüber rechtskundig vertretenen Beteiligten weder eine allgemeine
Aufklärungspflicht des Gerichts über die Rechtslage noch die Pflicht, bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage oder im
Vorfeld einer Entscheidung nach §
124 Abs
2 SGG ohne mündliche Verhandlung bereits die endgültige Beweiswürdigung darzulegen. Denn das Gericht kann und darf das Ergebnis
der Entscheidung, die in seiner nachfolgenden Beratung erst gefunden werden soll, nicht vorwegnehmen. Es gibt keinen allgemeinen
Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene
Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den
Beteiligten zu erörtern (vgl zB BSG Beschlüsse vom 31.8.1993 - 2 BU 61/93 - HVBG-Info 1994, 209; vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - SozR 3-1500 § 153 Nr 1 und vom 17.2.1999 - B 2 U 141/98 B - HVBG-Info 1999, 3700; BVerfGE 66, 116, 147; 74, 1, 5; 86, 133, 145). Art
103 Abs
1 GG gebietet vielmehr lediglich dann einen Hinweis, wenn das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem ein gewissenhafter
und kundiger Prozessbevollmächtigter nicht zu rechnen brauchte (vgl BVerfGE 84, 188, 190). Der Kläger legt nicht substantiiert dar, dass er unter keinen Umständen mit der vom LSG getroffenen Entscheidung habe
rechnen können. Dies wäre hier umso mehr erforderlich gewesen, als in einem tatsachengerichtlichen Verfahren, in dem ua aus
den Beurteilungen von mehreren Sachverständigen unterschiedliche Bewertungen für die Gesamteinschätzung der Behinderung abgeleitet
werden können und zwischen den Beteiligten streitig erörtert werden, jeder Beteiligte, also auch der Kläger, damit rechnen
muss, dass das Gericht auch zu seinen Ungunsten entscheiden kann. Nicht zuletzt war der Kläger bereits erstinstanzlich erfolglos
geblieben.
Es fehlt darüber hinaus an Ausführungen dazu, weshalb bei einer Berücksichtigung weiterer funktioneller Einschränkungen die
Einzel-GdB-Werte nach der Rechtsauffassung des LSG höher ausfallen müssten mit der Folge, dass der Gesamt-GdB nach der Rechtsauffassung
des LSG mindestens mit 100 einzuschätzen gewesen wäre. Insoweit hätte sich die Beschwerdebegründung mit dem in den Versorgungsmedizinischen
Grundsätzen enthaltenen Bewertungen beschäftigen müssen und hiervon ausgehend die entscheidungsrelevant unberücksichtigt gebliebenen
Vorbringen aufzeigen müssen und ggf die Feststellungen des LSG mit durchgreifenden Verfahrensrügen in Frage stellen müssen.
Daran fehlt es. Insbesondere hat der Kläger keine vermeintlich vom LSG angenommene "Beweisführungspflicht" (vgl hierzu BSG Urteil vom 4.2.1988 - 5/5 b RJ 96/86 - SozR 1500 § 103 Nr 27 S 22) ausreichend dargelegt. Denn wie das BSG in der benannten Entscheidung bereits ausgeführt hat, sind zumindest die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel
anzugeben (§
92 Abs
1 S 4
SGG). Wie oben allerdings bereits ausgeführt, hat der Kläger mit seiner Beschwerdebegründung bereits nicht dargelegt, einen entsprechenden
Beweisantrag unter Bezeichnung konkreter Punkte gestellt zu haben. Tatsächlich kritisiert der Kläger lediglich die Beweiswürdigung
des LSG (vgl §
128 Abs
1 S 1
SGG), womit er gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG ebenso wenig eine Revisionszulassung erreichen kann wie mit dem Vorbringen, das LSG habe das Recht unzutreffend angewendet
(vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).
2. Von einer weitergehenden Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 S 1 Halbs 2, §
169 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 SGG.