Kostenübernahme für ein Gutachten gemäß § 109 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
I. Gegenstand des Klageverfahrens war die bis zum 31.12.2011 befristete Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Zu Grunde lag u.a. das von der Beklagten eingeholte nervenärztlich Gutachten des Dr. W., der im Dezember 2008 wegen einer
schweren depressiven Episode ein unter dreistündiges Leistungsvermögen angenommen, eine Besserung des Gesundheitszustandes
aber als nicht unwahrscheinlich angesehen hatte. Auf Antrag des Klägers nach §
109 SGG holte das Sozialgericht Anfang 2011 das nervenärztliche Gutachten des Prof. Dr. B. (schwere depressive Episode, Panikstörung;
Leistungsvermögen unter drei Stunden, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dauerhafte Minderung der Leistungsfähigkeit)
und im Herbst 2011 das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie M. (Agoraphobie mit Panik, anhaltende depressive
Störung, Schweregrad kooperationsbedingt schwer einschätzbar; mindestens sechs Stunden täglich leistungsfähig) ein. Der Rechtsstreit
endete durch gerichtlichen Vergleich vom März 2012, in dem sich die Beklagte zur Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung
auf Zeit über den 31.12.2011 hinaus, befristet bis 30.06.2013, verpflichtete. Hintergrund war die Einschätzung der Kammer,
wonach die erfolgte Befristung nicht zu beanstanden, eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes während des Rechtsstreits
eingetreten und wegen der vom Kläger beabsichtigten Psychotherapie und der eingeleiteten Medikation eine Besserung zu erwarten
sei.
Mit Beschluss vom 05.04.2012 hat das Sozialgericht die Kosten der Begutachtung durch Prof. Dr. B. zur Hälfte auf die Staatskasse
übernommen und eine weitere Übernahme abgelehnt. Das Gutachten habe insoweit zur Sachaufklärung beigetragen, als der Sachverständige
eine schwere depressive Episode und eine Panikstörung festgestellt und plausibel ein zeitlich auf unter drei Stunden abgesunkenes
Leistungsvermögen angenommen habe. Damit komme dem Gutachten im Hinblick auf den geltend gemachten Anspruch Bedeutung zu,
weil dieses Leistungsvermögen einen Anspruch auf befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung begründe. Dies rechtfertige
die Kostenübernahme zur Hälfte. Soweit der Sachverständige von einem auf Dauer eingeschränkten Leistungsvermögen ausgehe,
könne ihm nicht gefolgt werden. Damit sei der Sachverhalt, der für den in erster Linie vom Kläger verfolgen Anspruch relevant
gewesen sei, durch das Gutachten nicht weiter aufgeklärt worden. Hiergegen richtet sich die am 20.04.2012 eingelegte Beschwerde.
Der Kläger meint, eine Übernahme eines Teils der Kosten nach Erfolgsquote sei nicht möglich.
Wegen des weiteren Vorbringens und der Einzelheiten wird auf die vorgelegten Akten Bezug genommen.
II. Die nach §§
172,
173 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Übernahme der Kosten
für das Gutachten von Prof. Dr. B. durch die Staatskasse.
Nach §
109 SGG muss auf Antrag des Versicherten ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden, wobei die Anhörung davon abhängig gemacht
werden kann, dass der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig
trägt. Über diese endgültige Kostentragungspflicht entscheidet das Gericht nach Ermessen. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens
geht die Befugnis zur Ausübung des Ermessens in vollem Umfang auf das Beschwerdegericht über.
Bei seiner Ermessensentscheidung berücksichtigt der Senat, ob das Gutachten für die verfahrensbeendende gerichtliche Entscheidung
bzw. - erging keine solche Entscheidung - im Falle eines Klageerfolges für die verfahrensbeendenden Erklärungen wesentliche
Bedeutung gewann. Dies bejaht der Senat insbesondere dann, wenn das Gutachten die Aufklärung des Sachverhalts objektiv förderte.
Dabei muss es sich, gemessen am Prozessziel und angesichts des Verfahrensausgangs, um einen wesentlichen Beitrag gehandelt
haben.
Hier bejaht der Senat eine zur Übernahme der Gutachtenskosten führende Relevanz des Gutachtens des Prof. Dr. B. für die vom
Sozialgericht für entscheidungserheblich erachtete Sachaufklärung und die verfahrensbeendigenden Erklärungen.
Inhalt der gerichtlichen Prüfung war ursprünglich allein die Frage, ob die Beklagte zu Recht lediglich von einem Anspruch
des Klägers auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit ausgegangen war und dem entsprechend die Rente
befristet hatte. Allerdings bedarf die Frage, nach welchen Kriterien diese Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Befristung zu
erfolgen hat (s. hierzu BSG, Urteil vom 29.03.2006, B 13 RJ 31/05 R in SozR 4-2600 § 102 Nr. 2), keiner weiteren Erörterung. Denn nach Ende des Befristungszeitraumes am 31.12.2011 erstreckte
sich die gerichtliche Prüfung (auch) auf die Frage, ob dem Kläger ab dem 01.01.2012 der bisher zuerkannte Rentenanspruch weiterhin
zustand (BSG, Urteil vom 11.02.1988, 4/11a RA 10/87 in SozR 2200 § 1276 Nr. 11). Damit kam den vom Sachverständigen Prof. Dr. B. beantworteten Fragen des Sozialgerichts nach den beim Kläger vorliegenden
Gesundheitsstörungen und ihren Auswirkungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit im Zeitpunkt der Erledigung des Rechtsstreits
(März 2012) wesentliche Bedeutung zu. Hiervon geht auch das Sozialgericht im angefochtenen Beschluss aus.
Soweit es allerdings eine nur teilweise Übernahme der Kosten vornimmt, weil der Kläger nur einen Teilerfolg erreichte, folgt
ihm der Senat nicht. Richtig ist, dass die Annahme des Sachverständigen, es handle sich um eine dauerhafte Leistungsminderung,
keinen Eingang in den gerichtlichen Vergleich fand, sich die Beteiligten vielmehr bei der vergleichsweisen Regelung an der
Beurteilung der Kammer, eine Besserung sei zu erwarten, orientierten. Damit obsiegte der Kläger auf Grund des Gutachtens von
Prof. Dr. B. teilweise, indem er eine Weitergewährung der Rente erreichte und er unterlag in Bezug auf die begehrte dauerhafte
Rentengewährung. Eine Quotelung der Übernahme entsprechend diesem Erfolg lehnt der Senat ab. Das Ausmaß des Erfolges des Klägers
im Rechtsstreit erscheint dem Senat - jedenfalls bei einheitlichem Streitgegenstand und im Regelfall - kein geeignetes Kriterium
bei der Entscheidung über die Übernahme der Kosten für das Gutachten nach §
109 SGG. Denn das Ausmaß des Erfolges korrespondiert nicht notwendig mit den Kostenanteilen für die jeweiligen Ermittlungen. Entsprechend
müssten deshalb ggf. nähere Betrachtungen zu den jeweils für den Teilerfolg oder teilweisen Misserfolg im Zusammenhang stehenden
Kostenanteilen des Gutachtens angestellt werden. Im vorliegenden Fall hätte sich damit etwa die Frage gestellt, welche getrennt
erfassbaren Kosten für die Prüfung des Sachverständigen, ob und welche Gesundheitsstörungen beim Kläger vorlagen und zu welchen
Leistungsdefiziten sie führten, im Verhältnis zu jenen ggf. getrennt erfassbaren Kosten anfielen, die zur Klärung der Frage
erforderlich waren, ob und ggf. wodurch eine Besserung dieser Situation erreichbar wäre. Nicht getrennt erfassbare Kosten
wären, weil zum Erfolg führend, auch aus Sicht des Sozialgerichts zu übernehmen. Eine derartige Prüfung von getrennt erfassbaren
Kostenanteilen des Gutachtens erscheint im Hinblick auf die zu treffende Entscheidung unverhältnismäßig. Damit bleibt es bei
den oben dargestellten Kriterien für die Ermessensentscheidung, wonach eine Übernahme der Kosten nach §
109 SGG erfolgt, wenn das Gutachten wesentlich zur Sachaufklärung beitrug; ein voller Erfolg des Rechtsstreits ist hierfür nicht
erforderlich (im Ergebnis ebenso LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.10.2008, L 6 SB 4170/08 KO-B; Keller in Meyer-Ladewig,
SGG, 10. Auflage, §109 Rdnr. 16a).
Die Kostenentscheidung beruht - hinsichtlich der Frage, ob eine Erstattung außergerichtlicher Kosten erfolgt - auf einer entsprechenden
Anwendung des §
193 SGG und - hinsichtlich der Frage, wer zu erstatten hat - auf einer entsprechenden Anwendung des § 46 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) i.V.m. §
467 der
Strafprozessordnung (
StPO). Ähnlich den Fällen der Ordnungsgeldbeschwerde (vgl. BFH, Beschluss vom 10.01.1986, VIIII B 5/85 in BFHE 145, 314) sind die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens damit von der Staatskasse zu tragen (s. zum Ganzen ausführlich
Beschluss des Senats vom 17.03.2009, L 10 U 1056/09 KO-B).
Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).