Verzinsung einer Rentennachzahlung nach Rücknahme eines früheren Rentenbescheides; maßgeblicher Leistungsantrag
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte eine im Neufeststellungsverfahren ermittelte Rentennachzahlung zu verzinsen
hat.
Der am 1937 geborene, aus U. stammende Kläger reiste am 06.04.1988 aus K. kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein. Mit
Bescheid vom 28.01.2000 bewilligte ihm die Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg, Rechtsvorgängerin der Beklagten,
Altersrente für langjährig Versicherte ab 01.04.2000. Dem dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers half die Beklagte mit
Bescheid vom 17.05.2000 teilweise ab; soweit der Kläger im Übrigen geltend gemacht hatte, seine Tätigkeit als Zimmermann sei
zu Unrecht der Qualifikationsgruppe 5 zugeordnet worden, blieb sein Widerspruch erfolglos und wurde mit Widerspruchsbescheid
vom 17.01.2002 zurückgewiesen. In dem anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Ulm (S 6 RJ 470/02) schlossen die Beteiligten am 24.07.2002 einen Vergleich, nach dem sich die Beklagte verpflichtete, die zugrunde liegenden
Bescheide abzuändern und die Altersrente des Klägers neu zu berechnen, und zwar unter Zuordnung dieser Tätigkeit zur Qualifikationsgruppe
4 nach 10-jähriger Ausübung, d.h. ab 01.02.1979. Mit Ausführungsbescheid vom 12.09.2002 berechnete die Beklagte die Altersrente
des Klägers auf dieser Grundlage von Anfang an neu.
Am 09.12.2005 beantragte der Kläger im Rahmen des § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X), die Rente unter Zuordnung seiner Tätigkeit als Zimmerman zur Leistungsgruppe 4 bereits nach 6-jähriger Berufserfahrung,
also ab 01.02.1975, neu zu berechnen. Ohne weitere Ermittlungen durchzuführen entsprach die Beklagte diesem Begehren mit Bescheid
vom 20.01.2006 ab dem Zeitpunkt des Rentenbeginns und berechnete für die Zeit vom 01.01.2001 bis 28.02.2006 einen Nachzahlungsbetrag
in Höhe von 606,44 EUR. Eine Verzinsung dieses Betrages lehnte sie mit der Begründung ab, dass Zinsbeginn der 01.07.2006 wäre,
die Nachzahlung und die laufende Zahlung jedoch vor diesem Zeitpunkt ausbezahlt würden und eine Verzinsung daher nicht durchgeführt
werde. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und machte eine Verzinsung der Nachzahlung ab 01.02.2001 geltend, weil zum Zeitpunkt
der Rentenantragstellung alle Unterlagen vorgelegen hätten und die Nachzahlung nicht durch eine gesetzliche Änderung, sondern
durch eine Änderung der Rechtsprechung bedingt sei. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11.09.2006 zurückgewiesen.
Am 26.09.2006 hat der Kläger dagegen beim Sozialgericht Ulm Klage erhoben und geltend gemacht, für den Zinsanspruch sei der
ursprüngliche Rentenantrag vom 20.01.2000 maßgeblich, mit dem sämtliche für die Berechnung des Rentenanspruch maßgeblichen
Unterlagen vorgelegt worden seien. Aufgrund einer Änderung der Rechtsprechung habe sich eine Änderung zu seinen Gunsten ergeben,
wodurch der frühere Bescheid im Sinne des § 44 SGB X rechtswidrig gewesen sei, was die Beklagte auch eingeräumt habe.
Mit Urteil vom 15.05.2008 hat das SG die Klage unter Zulassung der Berufung abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, für die Beklagte habe bis
zu dem Antrag gemäß § 44 SGB X vom 07.12.2005 kein Anlass bestanden, die Rente zu überprüfen und neu zu berechnen.
Hiergegen hat der Kläger am 27.05.2008 beim Landessozialgericht unter Aufrechterhaltung seines bisherigen Standpunktes Berufung
eingelegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 15.05.2008 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 20.01.2006
in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.09.2006 zu verurteilen, die Nachzahlung von 606,44 EUR ab Februar 2001 zu
verzinsen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden
erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der
Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §
153 Abs.
1 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte und aufgrund der Zulassung des SG gemäß §§
143,
144 SGG statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß §
124 Abs.
2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig; die Berufung ist jedoch nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 20.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 11.09.2006 ist, soweit die Beklagte damit einen Anspruch auf Verzinsung der gewährten Nachzahlung von 606,44 EUR abgelehnt
hat, rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der mit dem angefochtenen Bescheid festgesetzte Nachzahlungsbetrag,
der in unmittelbarem Anschluss zur Auszahlung gelangte, ist nicht zu verzinsen.
Gemäß §
44 Abs.
1 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuchs (
SGB I) sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des
Kalendermonats vor der Zahlung mit 4 v.H. zu verzinsen. Ansprüche auf Sozialleistungen werden nach §
41 Abs.
1 SGB I mit ihrem Entstehen fällig. Sie entstehen, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen
vorliegen (§
40 Abs.
1 SGB I). Ungeachtet einer bereits eingetretenen Fälligkeit beginnt die Verzinsung nach §
44 Abs.
2 SGB I allerdings frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags beim zuständigen
Leistungsträger bzw. beim Fehlen eines Antrags nach Ablauf eines Kalendermonats nach der Bekanntgabe der Entscheidung über
die Leistung.
Bei der vorliegend im Streit stehenden Altersrente handelt es sich um eine Leistung, die nur auf Antrag gewährt wird. Damit
richtet sich die Verzinsung nach §
44 Abs.
1 Halbsatz 1
SGB I, weshalb die Verzinsungspflicht sechs Monate nach vollständigem Eingang des Leistungsantrags beginnt. Leistungsantrag in
diesem Sinne kann nur der Antrag des Klägers vom 07.12.2005 sein, mit dem er die Überprüfung der früheren Entscheidung der
Beklagten (Bescheide vom 28.01.2000 und 17.05.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 17.01.2002, diese in der Gestalt
des Vergleichs vom 24.07.2002) im Rahmen des § 44 SGB X beantragte. Entsprechend hätte die Verzinsung - wie die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid zutreffend ausführte - frühestens
am 01.07.2006, nämlich sechs Kalendermonate nach Antragseingang, beginnen können, also erst zu einem Zeitpunkt, zu dem die
Nachzahlung bereits ausgezahlt war, weshalb diese nicht zu verzinsen ist.
Anders als der Kläger meint, ist für den Eingang des vollständigen Leistungsantrags im Sinne der genannten Regelung jedenfalls
nicht auf seinen Rentenantrag vom 20.01.2000 abzustellen. Denn jener Antrag entfaltete nur begrenzte Wirkungen und hatte sich
mit Abschluss des zwischen den Beteiligten im Rahmen des Verfahrens S 6 RJ 470/02 im Erörterungstermin am 24.07.2002 geschlossenen Vergleichs - jedenfalls was die Frage der Verzinsung anbelangt - erschöpft
(BSG, Urteil vom 30.01.1991, 9a/9 RV 29/89 in SozR 3-1200 § 44 Nr. 3). Seinerzeit erzielten die Beteiligten hinsichtlich der streitigen Qualifikationsgruppenzuordnung
der Tätigkeit des Klägers als Zimmermann nämlich Einigkeit darüber, dass diese Tätigkeit nach 10-jähriger Ausübung, d.h. ab
01.02.1979, der Qualifikationsgruppe 4 zuzuordnen und die Altersrente entsprechend neu zu berechnen war. Im Rahmen des mit
diesem Inhalt geschlossenen Vergleichs erklärten die Beteiligten gleichzeitig den insoweit bestehenden Rechtsstreit für erledigt.
Damit wurden die Bescheide der Beklagten vom 28.01.2000 und 17.05.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 17.01.2002
in der Gestalt, die sie durch den abgeschlossenen Vergleich erhielten, bestandskräftig und für die Beteiligten verbindlich.
Das durch den Rentenantrag vom 20.01.2000 ausgelöste Verfahren war damit abgeschlossen und die Wirkungen des entsprechenden
Antrags erschöpft. Insbesondere bestand für die Beklagte nach Abschluss des Verfahrens auch keine Verpflichtung, zu einem
späteren Zeitpunkt von Amts wegen die Richtigkeit der getroffenen Regelung einer Überprüfung zu unterziehen. Eine derartige
Überprüfungspflicht sehen die gesetzlichen Regelungen nicht vor. Dem Rentenantrag des Klägers vom 20.01.2000 vermag der Senat
Rechtswirkungen im Hinblick auf die von ihm begehrte Verzinsung der mit Bescheid vom 20.01.2006 bewilligte Rentennachzahlung
daher nicht beizumessen.
Auch der Umstand, dass die Beklagte unter Durchbrechung der Bindungswirkung der seinerzeitigen Entscheidung und der vergleichsweisen
Regelung auf den Neufeststellungsantrag des Klägers ihre früheren Bescheide abänderte und die Altersrente des Klägers unter
Zuordnung der in Rede stehenden Tätigkeit zur Qualifikationsgruppe 4 bereits nach 6-jähriger Tätigkeit ab 01.04.2000 neu feststellte,
rechtfertigt die vom Kläger begehrte Verzinsung nicht. Denn auch wenn die im Rahmen des § 44 SGB X erfolgte Abänderung der früheren, durch den Vergleich geprägten Entscheidung die Rechtswidrigkeit der damaligen Qualifikationsgruppeneinstufung
im Zeitraum vom 01.02.1975 bis 28.02.1979 zum Ausdruck bringt, war die damalige Entscheidung wegen ihrer Bestandkraft - ungeachtet
ihrer, aus Sicht der Beteiligten, Fehlerhaftigkeit - bis zu ihrer Aufhebung gleichwohl wirksam. Die konstitutive Wirkung der
(aus Sicht der Beteiligten fehlerhaften) Entscheidung beseitigte nämlich den an sich bestehenden gesetzlichen Anspruch. Eine
Möglichkeit der Beseitigung dieses ursprünglich vorhanden gewesenen und beseitigten Anspruchs ist nur im Rahmen des § 44 SGB X vorgesehen. Erst die Abänderung der früheren (aus Sicht der Beteiligten insoweit rechtswidrigen) Entscheidung im Rahmen des
§ 44 SGB X, die die Beklagte der Sache nach mit Bescheid vom 20.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.09.2006 vornahm,
begründete für den Kläger einen Anspruch auf eine Rentennachzahlung. Erst aufgrund dieses Bescheids konnte der Kläger von
der Beklagten eine höhere monatliche Rentenzahlung verlangen. Demgegenüber stand dem Kläger vor Erlass dieses Bescheids ein
entsprechender Anspruch - ungeachtet der materiellen Rechtslage - gerade nicht zu. Denn einer höheren Rentenzahlung stand
die Bestandskraft der früheren Entscheidung, die ihre Gestalt durch den Vergleich vom 24.07.2002 erlangte, entgegen. Vor dem
Wirksamwerden der Neufeststellung der Rente, die den Nachzahlungsanspruch erst begründete, konnten damit auch die nachzuzahlenden
Rentenbeträge nicht fällig werden. Diese Ansprüche entstanden erst mit der Neufeststellung vom 20.01.2006 und wurden damit
im Sinne des §
41 Abs.
1 SGB I auch zu diesem Zeitpunkt erst fällig. Erst ab diesem Zeitpunkt konnte der Kläger von der Beklagten die entsprechende Nachzahlung
verlangen. Ungeachtet der Regelung des §
44 Abs.
2 SGB I, wonach die Verzinsung nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags beim zuständigen
Leistungsträger beginnt, steht der begehrten Verzinsung damit auch bereits §
44 Abs.
1 SGB I, der eine Verzinsung von Ansprüchen auf Geldleistungen erst nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit
vorsieht, entgegen. Denn nach Ablauf eines Monats nach Erlass der Entscheidung vom 20.01.2006, mithin zu Beginn des Monats
März 2006 war der Nachzahlungsbetrag bereits an den Kläger zur Auszahlung gelangt und konnte keinen Zinsanspruch mehr begründen.
Nach alledem kann die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Der Senat lässt die Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG zu, da er der zu beurteilenden Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung beimisst.